Sonntag, 13. November 2011

Charles Frederick Worth


Der Schwede Otto Gustav Bobergh ist in diesem Blog schon einmal vorgekommen, als ich über den Maler Anders Zorn schrieb. Er war derjenige, der den schwedischen Bauernsohn in die Welt der Mode einführte und ihn zu einem, wenn auch etwas rustikalem, Dandy machte. Der gleiche Otto Bobergh hatte zuvor den Engländer Charles Frederick Worth finanziell bei der Gründung seines Modehauses in Paris unterstützt. Deshalb trug das auch die Namen Worth & Bobergh; die Rue de la Paix No. 7 war damals noch keine so vornehme Adresse, das sollte noch einige Jahre dauern. Aber selbstbewusst werden die Kreationen schon von Anfang an signiert (oben), dies ist der Beginn des Designer-Etiketts.

Dies ist auch der Beginn der Pariser Haute Couture. Es ist sicher eine Ironie der Geschichte, dass die Pariser Haute Couture von einem Engländer und einem Schweden begründet wird. Sie heißt damals allerdings noch nicht Haute Couture. Sie heißt Grande Couture. Und der tailleur, der zum Couturier wird, ist jetzt seit Charles Frederick Worth kein simpler Schneider oder Stoffhändler mehr, er ist ein Künstler. Im Alter tritt Worth wie Rembrandt auf, mit Samtbarett, Halstuch und flatterndem weiten Mantel, eine Mischung zwischen Romantik und Bohème. Er machte damit nur etwas wahr, was schon vor seinem Auftritt in der Pariser Welt Roger de Beauvoir in Le Tailleur (1842) beschrieben hatte: einen neuen Menschentyp, ein klein wenig Künstler, ein klein wenig Bohème und viel neureicher Bourgeois. Für Theodor Fontane wirkte er (in einem Brief an seinen Londoner Freund Dr James Morris) wie ein etwas in Plebejische transponierter Lionardo oder Tizian.

1870 schließen Worth et Bobergh ihre Pforten. Der Deutsch-Französische Krieg hat die internationale Kundschaft vertrieben - dies ist der Beginn des Aufstiegs der Berliner Modehäuser, Hermann Gersons Mode-Bahzar floriert wie nie zuvor. Der Salon von Worth & Bobergh wird erstmal eine Art Feldlazarett. Wenn alles vorbei ist, öffnet Worth unter seinem eigenen Namen, der schwedische Bankierssohn Bobergh hatte sich aus dem Geschäft zurückgezogen. Er hatte die schöne junge Schauspielerin Thérèse Björklund geheiratet (die mit Strindberg auf der Schauspielschule gewesen war) und lebte jetzt im großen Stil in Stockholm, wo er sich ein kleines Schloss gekauft hat. Und er bringt dem jungen Maler Anders Zorn alles bei, was man über Stoffe, Schnitte und Mode (und die wirklich feine Welt) wissen muss. Ich weiß jetzt nicht, ob er ihn auch überredet hat, sich diesen roten Anzug schneidern zu lassen. Ich nehme das aber mal an. So ganz kann Bobergh die Welt der Mode nicht aufgeben. Wahrscheinlich steckt er als Berater und Finanzier hinter dem Erfolg von Augusta Lundin, der ersten schwedischen Modedesignerin von Rang, die er schon von Paris aus mit den gleichen Stoffen versorgte, aus denen auch die Kleider von Worth & Bobergh genäht wurden.

Charles Frederick Worth nimmt nach dem Ausscheiden seines schwedischen Kompagnons seine Söhne Gaston und Jean-Philippe als Geschäftsführer und Designer in die Firma auf, die jetzt La Maison Worth heißt. Sein Sohn Gaston eröffnet 1901 auch  eine Dependance in London. Später wird die Firma von Worth auch einmal einen Assistenten namens Paul Poiret beschäftigen, der macht sich aber schnell selbständig und wird im 20. Jahrhundert der neue Modekönig von Paris.

Die Londoner Filiale brauchte natürlich gar nicht zu sein, da die englischen Damen offensichtlich ihren Spaß dran haben, einmal kurz nach Paris zu reisen, um bei Worth, Redfern oder Creed Kleider zu kaufen. Henry Creed, seit 1850 an der Place de l'Opéra in Paris, hatte es als erster gewagt, nach Frankreich zu gehen. Als Schneider eines Dandys wie des Comte d'Orsay hatte er die besten gesellschaftlichen Beziehungen. Eigentlich sind die Stammhäuser von Creed und Redfern ja in London, aber die Läden in Paris sind natürlich viel schicker. Die englischen Gentlemen, wie der Sohn der Königin Victoria, reisen natürlich auch nach Paris. Aber meistens nur, um im Jockey Club oder dem Cercle de la rue Royale die Sau rauszulassen und Champagner aus den Pumps der Midinetten zu schlürfen.

Charles Frederick Worth, der heute vor 185 Jahren geboren wurde, erfindet mit seinem Salon alles, was sich in der Welt der Damenmode noch lange halten wird. Das fängt schon mit den Räumlichkeiten an. Fünf Räume. Hell beleuchtet, nicht diese dunklen Höhlen, die man in der ersten Hälfte des Jahrhunderts findet (die auch deshalb so dunkel sind, damit der Kunde die Ware nicht richtig erkennen kann). Drei der ineinander übergehenden Räume dienen zum Vorführen der Kleider, es gibt jetzt auch Vorführdamen. Im vierten der fünf Räume stellt Worth seine Kleider auf Wachspuppen vor. Doch der Höhepunkt von Worth et Bobergh ist der fünfte Raum (das ist ein wenig so wie in Edgar Allan Poes Masque of the Red Death), der Salon de Lumiére. Der Raum ist auf allen Seiten verspiegelt, durch zischende Gaslampen erleuchtet. Die Abendkleider hängen auf lebensgroßen Schneiderpuppen, man kann sie in ihrer voller Schönheit bewundern.

Das erste Mannequin, das er beschäftigt, ist seine Frau, die er in seiner Zeit bei dem Modehaus Gagelin et Opigez kennengelernt hatte (sie war dort auch schon Vorführdame gewesen). Später wird er eine Vielzahl von Models haben (die von der aristokratischen Zickenkundschaft kujoniert werden), und er wird auch die ersten Modenschauen in seinen Räumen abhalten. Hat es zuvor noch nie gegeben. Worth wird für beinahe alle Moderichtungen der Belle Époque verantwortlich sein. Einschliesslich aller geschmacklichen Verirrungen. Zum Beispiel dem, was Wilhelm Busch so schön den Pariser Prachtpopo genannt hat. Bei Gagelin et Opigez, wo er seine spätere Frau traf, wäre Worth gerne Teilhaber geworden, aber man hat ihn nach elf Jahren gehen lassen, das war der größte Fehler von Gagelin & Opigez. Die haben ihren guten Ruf nur wegen Madame Gagelin. Si M. Delille est le roi de la mode, madame Gagelin en est la fée, schreibt Frédéric Soulié (Sie können den Text hier lesen). Und das Morgenblatt für gebildete Leser schreibt 1842: Madame Gagelin ist aber jetzt eines der größten Pariser Modetalente. Wenig später wird man nur noch von Charles Frederick Worth reden.

Natürlich kommen nicht Kreti und Pleti in seinen Laden in der Rue de la Paix, erst recht nicht bis in den Salon de Lumiére. Wenn man freien Eintritt in die Welt der Mode haben will, muss man in die neuen Kaufhäuser wie Le Printemps oder À la Belle Jardinière gehen. Bei Worth ist nur die große Welt zuhause. Oder die Welt des neuen Reichtums, soziale Mobilität läuft im Second Empire über die Kleidung. Dies ist die Zeit, für die Thorstein Veblen den Begriff conspicuous consumption gefunden hat. 600 bis 2.000 Francs kostet ein Kleid bei Worth. Der teuerste Pariser Schneider nimmt 180 Franc für einen Herrenanzug, bei Le Printemps kriegt man den Anzug schon für 35 Francs. Viele neureiche Pariser Damen erdulden Schmähungen, Herabsetzungen und Beleidigungen - ähnlich wie heute an einer Disko-Tür - um in die Welt der Herzoginnen, Prinzessinen, Königinnen, Kaiserinnen (hier unsere Sissi, ganz in Worth) eingelassen zu werden.

Es sind beinahe die gleichen Personen, die in der Romanwelt von Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit vorkommen. Ich glaube, Worth wird da irgendwann auch im Text erwähnt. Doucet auf jeden Fall (D’ailleurs, il y a peu de couturiers, un ou deux, Callot, quoique donnant un peu trop dans la dentelle, Doucet, Cheruit, quelquefois Paquin. Le reste sont des horreurs), und natürlich immer wieder Mariano Fortuny. Ich habe mit dem größten Vergnügen festgestellt, dass sich die Literaturwissenschaft neuerdings endlich mal mit den wirklich wichtigen Dingen der Welt beschäftigt: die Potsdamer Professorin Gertrud Lehnert hat ihre Antrittsvorlesung über Proust und die Mode gehalten. Sie ist, zugegeben, nicht die einzige, die sich mit dem Thema beschäftigt. 2002 gab es das Buch von Ursula Voß Kleider wie Kunstwerke: Marcel Proust und die Mode. Die Mode interessiert Proust nicht wirklich, er ist kein Dandy, der vor dem Spiegel schläft. Und bei der Haute Couture zählt für ihn der Gesamteindruck. Erst wenn Frauen durch den Couturier zu einem Gesamtkunstwerk, zu Blumen mit blonden Staubgefäßen und opalisierenden Blütenblättern oder zu Vögeln oder zu fernen Fabelwesen aus ältester Zeit, geworden sind, interessieren sie den Schriftsteller. Eine Szene wie dieses nonchaloir von John Singer Sargent, diese grandiose Oberfläche bei gleichzeitiger Gefühlsarmut - ein wunderbares Symbol für die Zeit - das hätte ihn schon interessiert.

Aber natürlich registrieren neben Proust auch eine Vielzahl anderer Autoren die gesellschaftlichen Veränderungen der Belle Époque, die sich in der Äußerlichkeiten wie der Damenmode niederschlägt. Auch wer bisher nicht zur Oberklasse gehört hat, kann in dieser Zeit aufsteigen. Vielleicht auch die kleine Modistin auf diesem Bild von Jean Béraud, vielleicht bezahlt der Herr im Hintergrund ja den Aufstieg (davon träumt jede midinette). Man braucht (neben dem Geld) natürlich den richtigen Schneider, überzeugende Manieren und das richtige Personal. Ich zitiere mal eben aus Fontanes Frau Jenny TreibelFrau Jenny präsentierte sich in vollem Glanz, und ihre Herkunft aus dem kleinen Laden in der Adlerstraße war in ihrer Erscheinung bis auf den letzten Rest getilgt. Alles wirkte reich und elegant; aber die Spitzen auf dem veilchenfarbenen Brokatkleide, soviel mußte gesagt werden, taten es nicht allein, auch nicht die kleinen Brillantohrringe, die bei jeder Bewegung hin und her blitzten; nein, was ihr mehr als alles andere eine gewisse Vornehmheit lieh, war die sichere Ruhe, womit sie zwischen ihren Gästen thronte. Keine Spur von Aufregung gab sich zu erkennen, zu der allerdings auch keine Veranlassung vorlag. Sie wußte, was in einem reichen und auf Repräsentation gestellten Hause brauchbare Dienstleute bedeuten, und so wurde denn alles, was sich nach dieser Seite hin nur irgendwie bewährte, durch hohen Lohn und gute Behandlung festgehalten.

Der Engländer Worth, der mittlerweile beinahe zu einem Franzosen geworden ist (er pflegt kaum Kontakte zur englischen Kolonie in Paris), ist ein Meister im Vermarkten seiner Kreationen. Es ist ein genialer Coup, dass er der Fürstin Pauline Metternich (diejenigen, die den Post Edouard Manet gelesen haben, wissen, dass man sie auch Mauline Petternich nennt) die Abendkleider unentgeltlich zur Verfügung stellt, damit sie für ihn Reklame machen kann. Darauf ist man hundert Jahre später auch wieder gekommen, fragen Sie mal bei einer Oscar Verleihung oder einem großen Ball, welche der Damen ihr Abendkleid selbst bezahlt hat. Auf diesem Bild von Boudin trägt Pauline wahrscheinlich auch ein Kleid von Worth.

Worth geht auch eine Art Symbiose mit dem Maler Franz Xaver Winterhalter ein. Heute halten sich Modehäuser dafür berühmte Photographen. Worth hat seinen Winterhalter, der seine Kreationen, die natürlich keinen simplen Kleider sondern Kunstwerke sind, im Bild festhält. Auf diesem Bild trägt die Kaiserin Eugénie ein Kleid von Worth, die Damen um sie herum wahrscheinlich auch alle. Pauline Metternich hat ihre Freundin die Kaiserin natürlich sofort überredet, dass sie nur noch Worth tragen kann. Das ist jetzt bei Kaiserinnen der letzte Schrei. Sissi hat ja auch Kleider von Worth getragen wie man oben auf dem Bild von Winterhalter sehen kann. Was sie in den Haaren trägt, sind übrigens Sterne aus Diamanten, und kleine Diamantsterne finden sich überall auf dem Tüllkleid. Nur blöd, dass Worth schon vorher diesen Gag mit den Sternen für eine andere Kundin verwendet hat, allerdings auf einem schwarzen Kleid für eine Königin der Nacht. Sie hieß Virginia Oldoini und war eine Contessa di Castiglione, sie war auch - wenn man so will - das erste Photomodell in der Geschichte der Modephotographie. Und sie war die Mätresse des Ehemanns der Kaiserin Eugénie. Napoleon III bezahlt also mindestens zwei Frauen die teuren Roben von Worth et Bobergh.

Worth hat nicht nur die große Welt als Kundschaft, seine Kundinnen sind auch jene Damen, für die das Französische wunderbare Wörter bereithält, wie cocottebichecocodettedemi-mondaine. Oder, was mir noch viel besser gefällt la grande horizontale. Unter diesem Titel (Grand Horizontal: The Erotic Memoirs of a Passionate Lady) kann man heute noch die Memoiren von Cora Pearl kaufen, eine der Kundinnen von Worth aus der schillernden demi-monde (das Wort hat Dumas fils gerade in die Welt gesetzt). Auch die berühmte Lillie Langtry (also jetzt nicht die, die von Stacy Haiduk in Clan der Vampire gespielt wird) ist Kundin bei Worth. Und all die anderen Kurtisanen auch: Alice OzyEsther GuimondLa Paiva. Zola wusste schon, weshalb er Nana schrieb.

Wahrscheinlich aus Respekt gegenüber dieser Kundengruppe (die inzwischen in den Post les grandes horizontales und Demimonde vorkommt) hat Worth heute ein Parfüm namens Courtesan auf dem Markt. 1956 schließt das Haute Couture Atelier in Paris, die Hundertjahrfeier hat man knapp verpasst. Anfang der siebziger Jahre schließt auch das Modehaus in London. Geblieben ist die Parfümmarke, deren bekanntestes Produkt natürlich nicht Courtesan sondern Je reviens ist. Je reviens: es wäre schön, aber ach, diese Welt des schönen Scheins kommt nicht wieder.


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