Donnerstag, 3. November 2011

Made in Germany


Einer der Freunde meiner Eltern war ein Bremer Wollkaufmann, der zweimal im Jahr mit seiner ➱Isabella (Bremer schworen ja auf Bremer ➱Autos) nach Neumünster fuhr. Das ist über ein halbes Jahrhundert her (damals sah die Herrenmode so aus wie auf diesem alten Cover eines Modemagazins), heute würde kein Bremer Wollkaufmann mehr freiwillig nach Neumünster fahren. Aber damals bedeutete Neumünster noch viel in der Welt der Tuche, ein englisches Fachlexikon verzeichnete sogar einen Begriff wie Neumuenster Tweed, und Hermann Marsian mit seiner Bekleidungsfabrik Maris war (neben der Firma Nortex) einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Das Industriezeitalter begann in Neumünster 1824, als die Tuchfabrik Renck eine Dampfmaschine aus England importierte. Wenn aus dem Flecken Neumünster im Jahre 1870 eine Stadt wird, stiftet der Tuchfabrikant Renck einen Park. Den Renckschen Park gibt es heute noch, vom Rest der textilen Herrlichkeit (die natürlich auch eine Geschichte der Ausbeutung der Arbeiter ist, darüber vielleicht ein anderes Mal mehr) ist nichts mehr zu sehen. Als alles den Bach runter ging, versuchten sich Marsian et.al. mit Fabrikverkäufen und vertickten Rheumadecken an Omas auf Bustouren in die Lüneburger Heide. Heute haben sie in Neumünster nur noch ein Textilmuseum und das einzige, was heute noch fashionistas an Neumünster interessiert, ist die Firma Julius Harai.

Es ist nicht nur die Industrie in Neumünster, die im letzten halben Jahrhundert untergegangen ist. Von den Anzugfabriken von Flensburg (Anders Matthiesen, Herrenkleiderfabrik) bis Lübeck (Hermann Rieckmanns Firma Rikson, vorher in Stettin) ist nichts geblieben. Und auch in den anderen traditionellen Zentren der deutschen Konfektionsindustrie (wie Mönchengladbach, Barmen-Elberfeld, Kräwinklerbrücke [Tuchfabrik J.W. Lausberg] und dann der ganze Raum Ostwestfalen) sieht es kläglich aus. Die Kieler HELA Kleiderwerke waren natürlich irgendwie mit Hettlage&Lampe verbandelt (daher der Name), die ursprünglich aus dem westfälischen Dorf Mettingen stammten. Man nennt Mettingen auch die Wiege des europäischen Textilhandels, mit gutem Grund. Denn die Hettlages und die Lampes stammten wie die Brenninkmeyers, Boeckers und Stockmanns aus diesem westfälischen Kaff. Wenn eines Tages die Kieler HELA Kleiderwerke in der Rendsburger Landstraße, die auf Herrenhosen spezialisiert waren, ihren Laden dichtmachten, gab es in Schleswig-Holstein keinen erwähnenswerten Hersteller mehr (die kleine Produktionsstätte von ➱Jil Sander ist auch längst geschlossen worden).

Wo sind sie alle hin? Warum haben wir in Deutschland in vielen Sparten eine florierende Industrie und sind Weltmeister im Exportieren, aber haben niemanden mehr, der gute Büxen näht. Weil der Chinese eine 裤子angeblich billiger näht. Ich habe letztens jemanden sagen hören, an deutschen Produkten der HAKA gäbe es nur noch die Firma Trigema und die Firma Regent. Die Firma Trigema ist die mit dem Affen und dem Eigentümer Wolfgang Grupp, der auch der König von Burladingen genannt wird. Er trägt immer etwas überkandidelte Kleidung, hat aber häufig sehr vernünftige Ansichten. Die Firma Regent hat keinen Affen und keinen Wolfgang Grupp und auch nicht so viel Fernsehauftritte, vielleicht sollten sie im fränkischen Weißenburg mal darüber nachdenken. Entweder Affe oder Fernsehen, anders geht das heute nicht. Vor allem, wenn man noch ein Regent und noch kein König ist.

In den sechziger Jahren gab es keine Schwierigkeiten, eine gute deutsche Hose in einem Laden zu finden. Ganz oben auf der Qualitätsskala waren zwei Firmen, HELA und Regent. HELA gab es (trotz der Namensgleichheit) nicht bei Hettlage & Lampe sondern nur beim Herrenausstatter, also da, wo man auch Regent Hosen kaufen konnte. Die Qualität dieser ➱Hosen, das weiß ich aus eigener Erfahrung, war unübertroffen - ich träume manchen Regent-Hosen aus den sechziger Jahren immer noch nach. Um an solche Qualität heranzukommen, muss man heute für eine Hose aus Italien von Valentini oder Incotex viel Geld auf den Tisch legen. Aus irgendwelchen Gründen geht in Italien noch das, was anderswo nicht mehr geht. Während es kaum noch deutsche Weber gibt (waren Gaenslen & Völter die letzten, die zumachten?) und auch in ➱Bradford und Huddersfield nur noch einige Firmen wie Wain Shiell (die jetzt Scabal gehören) existieren, gibt es in Italien noch Webereien en masse.

So furchtbar viel mehr als gute Hosen machte die Firma Regent vor fünfzig Jahren auch noch nicht. Sie steckten ja auch noch in den Anfängen, es gibt die Firma erst seit 1946 - und es gibt eine zahlenmäßig große Konkurrenz. Gegründet wurde Regent von dem Schneidermeister Henryk Barig und Michael Aisenstadt, zwei Polen, die als Kriegsgefangene nach Weißenburg gekommen waren. Die Festung Wülzburg oberhalb von Weißenburg, in der im Ersten Weltkrieg schon Charles de Gaulle interniert war, diente im Zweiten Weltkrieg als Internierungslager. Der Prager Komponist Erwin Schulhoff ist hier in der Gefangenschaft gestorben. Unsere beiden jüdischen Internierten haben die Gefangenschaft überlebt und begannen nach Kriegsende in Weißenburg mit der Herstellung von Oberhemden. Wie mögen sich die beiden in dem fremden Land gefühlt haben? Die Firmengründer Henryk Barig und Dr. Michael Aisenstadt machen sich auf, Handwerk und Design nach ihren eigenen Vorstellungen zu verschmelzen, steht auf der Regent Internetseite. Gefolgt von dem noch schwachsinnigeren Satz: Zuerst stellte man nur Hemden her, doch zeigen sich bereits hier außergewöhnliches Raffinement und ein selbstbewußter Gestaltungswille. Wer so etwas schreibt, der glaubt auch, dass die Kunden den Intelligenzquotienten einer Roßhaarplackeinlage haben. Ich glaube die beiden waren 1946 froh, mit dem Hemdennähen ein Auskommen zu haben.

Mit dem Anfang nach 1945 hat die Firma gegenüber vielen Textilfirmen einen Vorteil (an den damals werbemäßig allerdings niemand dachte): sie ist frei von einer dunklen Vergangenheit wie sie zum Beispiel die Firma Hugo Boss auszeichnet. Die haben sich ihrer Nazi-Vergangenheit ja erst sehr, sehr spät gestellt (immerhin sind sie im Jahre 2000 der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beigetreten). In den Hochglanzprospekten einer Weltmarke macht sich eine Nazi-Vergangenheit nicht so gut, und man verdrängt wie der Rest der deutschen Konfektionsindustrie diese Zeit sehr gerne. Lesen Sie doch einmal den Wikipedia Artikel zu Herbert Tengelmann, dann wissen Sie was ich meine. Über den Kriegsverbrecher ➱Walter Többens aus meinem Heimatort, der einmal der größte Textilunternehmer im Warschauer Getto war, habe ich schon einmal geschrieben.

Mein erstes Regent Jackett kaufte ich mir im Sommerschlussverkauf 1965 bei dem Schneidermeister H. Kolbe in den Großen Bleichen in Hamburg für 75 Mark, das war ein Viertel meines monatlichen Wechsels als Student. Ich wusste, was ich tat, denn ich kannte die Firma damals schon. Was natürlich daran lag, dass mir ➱Albert Dahle von der Vegesacker Firma Karl Kass immer die Fachzeitschriften wie zum Beispiel das ➱Herrenjournal lieh (oder manchmal auch schenkte). Im Herrenjournal der damaligen Zeit spielte allerdings die Firma Regent keine große Rolle, sie gehörten nicht zu den Marktführern, was die Zahlen anbetrifft. Und was die Qualität anbetrifft muss man sagen, dass es damals noch eine Vielzahl von kleinen Firmen gab, die auf dem gleichen handwerklichen Niveau produzieren konnten. Das ist - um einen Vergleich zu geben - ähnlich wie in der Schweizer Uhrenindustrie: auch da gibt es vor fünfzig Jahren noch eine Vielzahl von inhabergeführten Uhrenfabriken, die qualitativ auf dem gleichen Niveau wie die großen Namen sind. Aber außer den Sammlern kennt heute keiner ihre Namen mehr. Sie sind genau so untergegangen wie die westdeutsche Konfektionsindustrie (oder die westdeutsche Photoindustrie). Unter anderem deshalb, weil sie Qualität hergestellt haben.

Das Regent Jackett, das für die damaligen Verhältnisse erstaunlich leicht war - was sicherlich daran lag, dass da keine dick verklebten Einlagen drin waren, die die Kleidung der 50er Jahre geradezu schuß- und bißsicher machte - hatte innen drin noch nicht das elegante, coole Firmensignet. Auf dem hellbraunen Bemberg Seidenfutter prangte ein barockes Phantasiewappen, so wie es sich für einen Regenten gehörte. Zu der Zeit, als mich mir das Jackett kaufte, hatte Regent beim Deutschen Patent- und Markenamt eine neue Wortmarke namens Esquire registrieren lassen. Ich zitiere mal eben aus dem Registerauszug, danach galt der neue Markenname für: Anzüge, Sakkos, Hosen, Sport- und Freizeit- Bekleidungsstücke, Herrenmäntel, Herren-Oberbekleidungsstücke aus gewebten, gewirkten und gestrickten Stoffen, sämtliche Waren für den Export bestimmt. Der Markenname Esquire wurde erst im Jahre 2005 aus dem Register gelöscht. Mein erster Auftritt mit dem schönen neuen dunkelgrünen Glencheck Jackett entbehrt übrigens nicht einer gewissen Komik, weil ich mir im Nordexpress von Hamburg nach Bremen das Abteil mit einem dänischen Herren teilte, der genau das gleiche Jackett anhatte wie ich. Wir vermieden jegliche Konversation.

Die Firma Regent stellte in den sechziger Jahren, nachdem sie zuerst von der Hemdenproduktion zur Produktion von Casuals (wie Skianzüge und Freizeitjacken) übergegangen war, inzwischen das volle Programm der HAKA her, in erstklassiger Qualität und vielleicht ein wenig langweilig. So wie der Herr oben auf seinem roten Mercedes 190 SL. War werbemäßig ein klein bisschen blöd, wo jeder in Deutschland bei diesem Auto nur an Rosemarie Nitribitt dachte, aber die ikonographische Beigabe Mercedes musste im Wirtschaftswunderland eben sein. War ja auch wie Regent (und hundert andere kleine Hersteller) Made in Germany. Aber obgleich man schon von den geheimen Verführern gehört hatte, war man in der Werbung immer noch ein wenig naiv (Windsor hatte von Anfang an eine bessere Werbung). Das gilt auch für das Bild unten aus dem Herrenjournal, heute würde es solche Modezeichnungen nicht mehr geben. Sie verraten natürlich viel über den Geist der Zeit, mehr als manche Geschichtsbücher. Der französische Historiker Lucien Febvre hat einmal seinen Kollegen empfohlen, sich weniger mit Helden und Schlachten zu beschäftigen und sich stattdessen dem Studium der Knöpfe, sprich der Alltagskultur, zu widmen.

Die in den sechziger Jahren gegründete Firma ➱Windsor war modisch wagemutiger als Regent. Damals unterschieden sich beide Firmen kaum in der Qualität ihrer Produkte, sie unterschieden sich auch kaum im Preis. Regent hatte sich noch nicht in die Höhen bewegt, wo ➱Brioni (gleich alt wie Regent) und Kiton (gegründet 1968) herrschten. Und all diese anderen Italiener: ➱Caruso, Belvest, ➱Nervesa, Pal Zileri, ➱Ermenegildo Zegnayou name them. Zu denen noch andere Firmen kamen, die ein trading up vollzogen hatten, wie zum Beispiel Canali (früher Cafra) oder Corneliani.

Aus einer wohl repräsentativen Umfrage des Jahres 1987 kann man entnehmen, dass Regent auf Platz 88 einer Bekanntheitsgradliste stand. Windsor hatte es immerhin auf Platz 44 geschafft, Boss auf 11. Trigema war auf Platz 26, so ein Affe macht doch viel aus. Numero Uno war natürlich Adidas. Die Firma Van Laack war mit einem Bekanntheitsgrad von 13% nur auf Platz 116. Aber der berühmte Hemdenhersteller aus Mönchengladbach wurde das Schicksal für die damals still dahin siechende Firma Regent.

Die traditionsreiche Firma war 1986 von den Enkeln der Firmengründer an eine gewisse IPG Fashion Holding verkauft worden, hinter der die Familie Quandt steckte. Sicherlich die reichsten Leute in Bayern wenn nicht in Deutschland. Günther Quandt verdankt den Nazis seinen Aufstieg und sein Vermögen, weshalb er nicht in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, das wissen die Götter. Der Quandt Junior Stefan holte sich mit Rolf Schuemann einen Spezialisten ins Haus und gab ihm viel Spielgeld, damit der aus Van Laack einen Weltkonzern machte. Flagship Stores in New York und an der Rue de Fauborg St. Honoré in Paris, Old Bond Street in London und solche Dinge. Man entwickelte einen Zehnjahresplan, um ganz oben in der Welt dabei zu sein. Und dazu gehörte natürlich nicht nur ein Ziel von 35 Luxusboutiquen weltweit, dazu gehörte eine Vollkollektion. Also kaufte man die Firma Regent in Weißenburg. Und seitdem haben die Jacketts und Anzüge von Regent den berühmten Dreilochknopf der Firma Van Laack.

Man kann hier natürlich mit Brecht sagen Ja, mach nur einen Plan Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan Geh' n tun sie beide nicht. Der gesunde Menschenverstand hätte einem sagen können, dass das nichts wird, aber mit dem gesunden Menschenverstand ist das so eine Sache, wenn die Marke... ganz oben direkt unter der Luxusschiene positioniert werden soll. Dazu gehörte, dass Regent seine Preise verdoppelte, weil man ja jetzt der deutsche Brioni (oder ➱Kiton) sein wollte. Was erstmal dazu führte, dass die meisten gutbürgerlichen Herrenausstatter in Deutschland Regent aus dem Sortiment schmissen. Irgendwann verlor Stefan Quandt das Interesse an seinem Spielzeug und Van Laack und Regent standen zum Verkauf.

Mir wäre es ja eigentlich völlig gleichgültig, wie Jungmillionäre ihr Geld verbrennen, aber ich möchte an dieser Stelle doch einmal an die Adresse der Quandts sagen, dass die vielen Zwangsarbeiter sicher dankbar gewesen wären, wenn sie einen klitzekleinen Teil von den Millionen bekommen hätten, die in den Quandt Jahren bei Van Laack für Werbung verpulvert wurden. Denn im Gegensatz zu der Firma Hugo Boss, die der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft beigetreten sind, hat sich die Familie Quandt hartnäckig geweigert, die von ihnen ausgebeuteten Zwangsarbeiter in irgendeiner Form zu entschädigen. Der NDR hat vor Jahren einen hervorragenden Dokumentarfilm, ➱Das Schweigen der Quandts, gesendet, den man glücklicherweise unter dem obigen Link im Internet sehen kann. In dem Film tritt auch ein Sven Quandt, von Beruf Rallye-Fahrer auf, der so schöne Sätze sagt wie: Wir müssen endlich mal versuchen, das zu vergessen. Es gibt in anderen Ländern ganz ähnliche Dinge, die passiert sind. Auf der ganzen Welt. Da redet keiner mehr drüber.

Der nächste Besitzer von Regent hieß Tombolini. Er heißt immer noch so, die Mutterfirma mischt sich nach den ersten Irrungen und Wirrungen nur nicht mehr so ein. Dass sie noch da sind, kann man ganz unten auf der Internetseite von ➱Regent sehen. Von einer Verlagerung der Produktion nach Italien ist nicht mehr die Rede, auch der Ausbau der Produktion in Wroclaw (als die Stadt noch Breslau hieß, war sie ja mal eins der Zentren der deutschen Herrenkonfektion) ist vom Tisch. Man will wieder Made in Germany sein. Das ist ja sicherlich im Zeitalter einer immer groteskere Formen annehmenden Globalisierung begrüßenswert, wenn auch ein Wagnis. Ich werde es nicht vergessen, wie Heinz Dressler, der Besitzer der Firma Eduard Dressler, kurz vor dem Untergang seiner Firma in einem Interview fassungslos berichtete, dass ihm die Gewerkschaften vorgeworfen hätten, zu lange am Standort Deutschland festgehalten zu haben. Da ist er wieder, der angebliche Standortnachteil. Für die Firma Sig Sauer in Eckernförde (oder Heckler & Koch in Oberndorf) ist das überhaupt kein Thema, die Welt wäre wahrscheinlich unglücklich, wenn Handfeuerwaffen nicht aus Deutschland kämen. Aber bei so etwas Zivilem wie der Herrenoberbekleidung bricht gleich das große Lamentieren aus, wenn vom Standort Deutschland die Rede ist. Zu teuer, nicht zu bezahlen. Ein Kleidungsstück reist heute in seiner Entstehung einmal um die Welt (kostet offensichtlch nix), lesen Sie doch einmal diese ➱Rezension von Pietra Rivolis Buch The Travels of a T-shirt in the Global Economy: An Economist Examines the Markets, Power, and Politics of World Trade. Oder lesen Sie gleich Naomi Kleins Buch No Logo, kommt aufs gleiche raus.

Sie sind wagemutig in Weißenburg, wenn sich sich gegen diesen Globalisierungsunsinn stellen. Angeblich honorieren die Kunden das. Man kann es nur hoffen. Die Frage bleibt, welche Zielgruppe man erreichen will. Die von der Geiz ist Geil-Seuche Befallenen sind wahrscheinlich nicht die Kunden der Zukunft. Man lässt in der Firma durchblicken, dass Helmut Schmidt immer Regent getragen hätte. Das ist keine gute Reklame, genau so schlecht wie das Werbephoto mit diesem Dorian Gray Verschnitt hier (nein, nicht dem da unten). Was soll aller schneiderischer Aufwand, wenn das hinterher so aussieht? Hält irgendjemand in der Firmenleitung so etwas für verkaufsfördernd?

Helmut Schmidt sah trotz Regent immer so aus, als trüge er C&A Anzüge, in denen er zwei Tage gepennt hatte, damit kann man werbemäßig keinen Blumentopf gewinnen. Und die Werbung mit Ex-Kanzlern ist sowieso ein zweischneidiges Schwert, wenn wir an den Brioni-Kanzler Schröder denken. Wenn man in Weißenburg einfließen lässt, dass Franz Josef Strauß Anzüge von Regent getragen habe, dann ist das vielleicht in Bayern ein Verkaufsargument, aber auch nur da. Nirgendwo sonst. Kann man nicht einmal fett damit werben, dass man zu Hause in Deutschland sehr gute handwerkliche Qualität herstellt? Der Werbespot mit Ernst Post von der Firma ➱Liqui Moly ist doch voll O.K. Man sollte auch nicht andeuten, wie ich es mal gelesen habe, dass viele Industrielle (zum Beispiel Jürgen Schrempp) und Banker Anzüge von Regent tragen. Damit konnte man vielleicht einmal werben, als die noch nicht Nieten in Nadelstreifen hießen und Banker noch kein Schimpfwort war.

Man sollte auch nicht ständig den Vergleich mit Brioni und Kiton suchen. Regent braucht mehr Werbung titelte die Badische Zeitung vorgestern. Ganz  meine Meinung, allerdings war damit nicht die Firma in Weißenburg gemeint, sondern eine Rotweinsorte, die nicht in Konkurrenz zum Spätburgunder trete, sondern eine ideale Ergänzung und vor allem bei internationalen Weinkennern beliebt sei. Das sollte man sich bei Regent mal merken. Und da ich gerade bei konstruktiver Kritik bin: Lieber Herr Diehm, wenn Sie als Firmenchef so herumlaufen - meinetwegen. Aber das da am Arm, das geht nun gar nicht. Ich fasse es nicht, in der Welt, die sich um Stil bemüht, trägt noch jemand eine Rolex! Wie war die Schlagzeile der Süddeutschen zum ➱MCM Revival? Richtig, Aääh, mach das weg!!! [P.S. Man hat bei Regent reagiert, das Bild von Detlev Diehm mit der Rolex am Arm findet sich nicht mehr im Netz]

Ich habe seit Jahrzehnten immer wieder mal Teile von Regent gekauft, vieles trage ich nach Jahrzehnten noch. Ich habe auch einen tollen Smoking von Regent, habe ich gleich das Etikett draus entfernt. Für mich sind das Kleidungsstücke, keine Reliquien oder Statussymbole. All denen, die eine Firmenlabel-Vergötterung betreiben, die an die sapeurs in Brazzaville (oben) erinnert, empfehle ich die Lektüre des wunderbaren Buches Meine Kleider von Alfred Kantorowicz. Danach nehmen Sie das nicht mehr so ernst.

Die Werbung könnte ja auch einmal betonen, dass diese Sachen zum Leidwesen der Firma auch sehr lange halten. Slow Wear ist heute doch ein angesagtes Thema. Und was ich bei aller Grandiosität der Werbung vermisse: wo ist der Humor? Also jetzt mal von Trigemas Affen abgesehen. So ein bisschen schöner tongue in cheek Humor, wie es die Engländer können. Paul Smith fällt mir da als erstes ein, der nimmt ja auch eine Menge Geld für seine Anzüge. Aber er verkauft sie mit Witz und Esprit. Mein Regent Jackett aus dem Jahre 1965 ist mir irgendwann zu klein geworden, ich habe es einer Schultheatergruppe geschenkt und konnte es noch einige Jahre auf der Bühne bewundern.

Irgendwann wurde es aus dem Fundus geklaut. Wahrscheinlich läuft heute noch ein Teenie damit rum. Die Sachen halten ja lange. Das dunkelblaue Jackett auf meinem Photo hier auf der Seite ist beiläufig gesagt auch von Regent, das habe ich auch schon lange. Zeitlosigkeit ist nicht gerade umsatzfördernd für einen Hersteller, ich weiß. Aber auch damit könnte man werben. Im Internet gibt es eine Website, die sich dem Buy British verschrieben hat. Könnte das nicht für deutsche Hersteller ein Vorbild sein, eine ähnliche Sache zu machen?

Ich habe mir einige Abbildungen von der interessanten Seite ➱Gentleman's Gazette gemopst, ich hoffe Sven Raphael Schneider verzeiht mir das. Und wenn Sie diesen Artikel nicht im Jahre 2011 gelesen haben, sondern jetzt erst lesen, dann wissen Sie, dass Regent insolvent ist. Aber es gibt noch Hoffnung - und die heißt ➱C&A. Hier sind Philippe Brenninkmeijer und der Eichstätter Bauunternehmer Andreas Martin Meier, die die Firma gerade gekauft haben und sie wieder in die schwarzen Zahlen bringen wollen.

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