Samstag, 10. Dezember 2011

Premiere


Falls Sie es am Mittwoch auf arte verpasst haben: Sie haben nichts verpasst. Zum einen können Sie es sich ➱hier noch anschauen (und es wird sicher auch bald auf DVD lieferbar sein), zum anderen war diese teuerste ➱Don Giovanni Inszenierung das Geld der Eintrittskarte nicht wert (was bei der Premiere einige tausend Euro sein konnten). Große Namen wie Anna Netrebko, Peter Mattei und Bryn Terfel machen noch längst kein gutes Ensemble. Da hätte sich Daniel Barenboim mal lieber die Aufnahme von Fritz Busch (Glyndebourne 1936) zum Vorbild nehmen sollen. Die gibt es als CD bei ➱Naxos Historical, und sie ist musikalisch mehr wert als die Don Giovanni Aufführung in der Mailänder Scala.

Es gab neben zehnminütigen Beifall (und hörbaren Buh-Rufen) auch Pfiffe. Speziell für Barenboim. Das müssen musikalische Kenner gewesen sein, die sich nicht jeden Orchesterbrei als Mozart verkaufen lassen. So schrieb die Wiener Zeitung am Tag danach: Zur matten Inszenierung passt auch das Dirigat Daniel Barenboims. Bei der vor Opernbeginn gespielten Nationalhymne gibt es sogar Patzer. Barenboims Mozart ist dann eine Mischung aus mechanisch aneinander gereihten Einzelelementen ohne Doppelbödigkeit oder besondere Konturen. Arie reiht sich an Arie, die Rezitative versickern im Belanglosen, selten wird der Brei aus gediegenen Tempi und mittlerer Lautstärke aufgekocht.

Doch hören wir dazu noch eine andere Pressestimme (diepresse.com): Die anspruchsvollen "Loggionisti", die berühmt-berüchtigten Mailänder Opernfans, meldeten ihren Unmut mit einigen Pfiffen, was von Barenboim kritisiert wurde. "Ich bin liberal und denke, dass jeder seine Meinung ausdrücken soll. Wenn ich in einem Restaurant schlecht esse, gehen ich aber nicht in die Küche und brülle den Koch an", meinte der Dirigent nach Angaben der römischen Tageszeitung "La Repubblica" am Freitag. Beide Stimmen kommen aus Österreich, man lässt sich wohl nicht so gerne den Mozart von den Italienern wegnehmen. Aber Recht haben sie allemal.

Auch die Hamburger Welt stimmt in diesen Chor der Kritik an Barenboim ein: 1973 hat Daniel Barenboim die Oper erstmals beim Edinburgh-Festival dirigiert, und aus solchen Zeiten scheint bis heute sein lähmend langsames, ja langweiliges Mozart-Verständnis zu rühren: Es ist ganz im Gestrigen festgetackert. Dieser "Don Giovanni" glich so einer eigentlich ungenießbaren Mischung aus altem Hausschuh und aufgekochtem Teebeutel: völlig formlos und muffig geschmacksneutral. Ja, das kann man so sagen. Ich war während der Stunden vor meinem Fernseher so verärgert, dass ich mir mein Schreibbrett gegriffen habe und ähnlich schlimme Sätze auf einen DIN A 4 Bogen schrieb. Und inzwischen stehen ja Sätze, die auch ich hätte sagen können, im Netz. So der Kommentar von operalover in dem Blog ➱GesamtkunstwerkDie Inszenierung war enttäuschend, weil ziemlich nichtssagend. Auch musikalisch war das alles gehobener Durchschnitt und das ist zu wenig. Barenboim-Ware von der Stange und der Rest auch. Manches deutsche Stadttheater bringt gehaltvollere Mozartinszenierungen auf die Bühne!

Am Anfang dieser Inszenierung, die weniger eine Oper als eine Nummernrevue ist, macht Anna Netrebko (die ein wenig füllig geworden ist) im weißen Negligee mit Peter Mattei im Bett rum. Das mit dem Bett ist praktisch, weil gleich darauf der von Don Giovanni erstochene Komtur (Kwangchul Youn, der sehr gut bei Stimme war) auf dem selben Bett stirbt. Andererseits ist die Bettszene auch ein klein bisschen blöd, weil im Originaltext Donna Anna ihren Angreifer nicht erkannt hat, und es zu gar keinem Sex gekommen ist. Auf dieser Grundannahme beruht die ganze Oper. Aber was kümmert einen Regisseur heute noch ein Libretto? Es genügt ja, wenn sich der Dirigent noch an die Noten hält. Vor allem diesen Robert Carsen, den kümmert es nicht. Er möchte wohl gerne ein Jérôme Savary sein, ist es aber leider nicht.

Aber er bemüht sich. Mit einem Feuerwerk von inszenatorischen Einfällen, von denen manche für einen Augenblick ganz witzig sind. Vieles aber nur peinlich ist. In dieser Inszenierung ziehen sich ständig Leute an oder aus. Meistens aus. Ständig werden Kleiderständer mit Klamotten hereingerollt. Hat der Regisseur die Scala mit der Mailänder Modewoche verwechselt? Auf diesem Bild kleidet sich Don Giovanni gerade zum Abendessen um und lädt so ganz nebenbei den Komtur zum Essen ein. Der wird in die Staatsloge im Hintergrund hinein projiziert, die wiederum ein Spiegelbild des Zuschauerraums ist. Ganz toller Einfall, Theater im Theater undsoweiter. Sah blöderweise nur ein bisschen so aus wie die grummelnden Greise Statler und Waldorf aus der Sesamstraße.

Neben dem wahnsinnig witzigen Einfall, die Scala selbst zur Bühnendekoration zu machen - und dem ständigen ➱fourth wall break - ist das An- und Ausziehen ein wiederkehrendes, geradezu strukturierendes Element der Inszenierung. Für die Damen bietet sich da natürlich das deshabillé an, und so wird viel Unterwäsche getragen. Bei Zerlina (Anna Prohaska) soll dies weiße Nichts wahrscheinlich auch ein Brautkleid sein, es sieht aber aber nur nuttig aus. Und was sie bei ihrer Arie Vedrai Carino aufführt, wäre früher etwas für das Salambo in St. Pauli gewesen. Noch schlimmer ist es allerdings, wenn sich Barbara Frittoli als Elvira im schwarzen Unterkleid lasziv pantomimisch zu Leporellos (ein Rezensent taufte Bryn Terfel durchaus berechtigt in Le Prollo um) Registerarie auf der Bühne wälzen muss. Haben die da an der Scala keine Frauenbeauftragte für die Sängerinnen? Es ist erstaunlich, was Regisseure den Opernsängerinnen neuerdings zumuten. Klicken Sie doch mal eben (aus anderen Inszenierungen) die Damen ➱Netrebko und ➱Prohaska an.

Wenn sich die Angestellten der Royal Opera in London für einen Kalender ausziehen, der für einen ➱guten Zweck verkauft wird (also so etwas Ähnliches wie Calendar Girls), dann kann man ja noch sagen O.K. Aber beinahe Nackte in einer Oper, die nicht ➱Salomé heißt? Ist das nun ein Nachklang von Bunga Bunga? So niedlich sie ist, aber was soll der Nackedei, den Don Giovanni plötzlich neben sich hat? Falls Sie sie jetzt suchen: Sie finden die junge Dame ungefähr in der 150. Minute auf dem Video der arte Aufzeichnung.

Wenn man schon am Anfang der Oper mit dieser Sexszene von da Pontes Text abweicht, dann muss man das Ende natürlich auch tun. In diesem Punkt enttäuscht uns der Regisseur nicht. Zum einen ersticht der Komtur Don Giovanni mit seinem Degen. Das ist bei Mozart irgendwie etwas anders. Na ja, denken wir und schauen dem Todeskampf von Don Giovanni zu und dem schönen Theaterblut auf der Hemdbrust des Smokinghemdes (der Komtur trug auch noch sein blutiges Frackhemd aus der ersten Szene). Und dann singen die Übriggebliebenen am Ende Questo è il fin di chi fa mal! E de' perfidi la morte alla vita è sempre ugual! Weil dies ein dramma gioccoso ist. Und da siegt nun mal das Gute am Schluss. Denkste. Wenig später fahren sie alle zur Hölle. Und übrig bleibt der plötzlich wiedergenesene Don Giovanni, zynisch lächelnd und eine Ziggi rauchend (tut er das ganze Stück). Ist das jetzt der Gegenbeweis für den Aufdruck auf den Zigarettenschachteln, wonach Rauchen zum Tode führt?

Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, wenn ich mir an dem Abend auf zdf.neo den Wilsberg Krimi angeguckt hätte.

Ich habe im letzten Jahr schon einmal über ➱Don Giovanni geschrieben. Zu dem, was da steht, vor allem zu den Kaufempfehlungen, stehe ich nach wie vor. Eine DVD von dieser Inszenierung würde ich niemals zum Kauf empfehlen. Es sei denn, Sie wollten sich mit ein paar Opernfreunden einen wirklich lustigen Abend machen.

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