Samstag, 17. Dezember 2011

Schlangen


Der kleine Carlo hatte seine Spielzeugschlange im Bus liegenlassen. Als seine Oma bei der Fundstelle der Busgesellschaft anrief, um sich zu erkundigen, ob man vielleicht eine Schlange in einem Bus der Linie 32 gefunden hätte, sagte eine Stimme: Eine richtige Schlange? Offenbar war es nicht unüblich, dass Leute Schlangen im Bus liegenlassen. Man liest ja auch immer von ausgebüchsten Schlangen, die die Besatzungen von Streifenwagen beschäftigen.

Ich persönlich habe ja gar kein Verhältnis zu Schlangen. Die fünfzig Pfennig, die ich vor mehr als einem halben Jahrhundert bezahlen musste, um in der Turnhalle der Schule einen Mann zu sehen, der eine Stunde lang Schlangen zeigte, die tun mir immer noch leid. Aber Schlangen sind natürlich wichtig, Alles Unheil der Welt fängt damit an, mit dieser Schlange, die Eva im Paradies einen Floh ins Ohr setzt. Der heilige ➱Patrick hat angeblich die Schlangen aus Irland vertrieben, doch das ist nur eine Legende. Da war überhaupt nichts zu vertreiben, weil es da keine Schlangen gab. Eidechsen vielleicht, aber definitiv keine Schlangen.

In Dänemark gibt es natürlich Schlangen, denn der König Christian IV trug ein ➱Amulett mit dem Kopf einer Natter die ein Goldstück im Maul hatte. Nach diesem Goldstück hatte sie geschnappt, als es dem König zur Erde gefallen war. Woraufhin ihr der König flugs mit dem Schwert den Kopf abhieb. So leicht lassen sich Könige ihr Gold nicht wegnehmen. Mein Opa hätte mit seinem Knotenstock, mit dem er immer Kreuzottern verjagte, dieses Kunststück nicht hingekriegt. Denn mein Opa hatte auf Spaziergängen immer diesen Knotenstock dabei, der am unteren Ende eine kleine Gabel hatte. Damit er Kreuzottern und Ringelnattern aus dem Heidekraut aufpicken konnte. Die zappelnden Dinger hielt er dann triumphierend hoch, um einen kleinen Vortrag über die Gefährlichkeit von Kreuzottern zu halten. Irgendwie gab es in meiner Jugend mehr Kreuzottern, ich habe lange keine mehr gesehen.

Das schöne Wort Natter, das schon das Althochdeutsche kennt und das in Luthers Bibel noch vorkommt, ist auch so gut wie ausgestorben. Das Rechtschreibprogramm dieses Computers kennt sie auch nicht mehr. Die Engländer haben keine Natter, da heißt sie adder. Ursprünglich hieß sie da aber auch adder. Ist nur durch die falsche Schreibung eines Mönchs entstanden, der statt a nadder die falsche Trennung an adder niederschrieb. Wahrscheinlich wäre es interessant, mal ein Buch über Schlangen in der englischen Literatur zu schreiben. Ein Buch über das ➱Schwein in der Weltliteratur gibt es ja schon. Ich kannte den Autor. Er hat mich jahrelang damit genervt, damit ich ihm alles über Schweine in der englischen Literatur zusammensuchte. Damals gab es noch kein Google, da war man noch auf sein Gedächtnis und seine Findigkeit angewiesen. Das erste, was ich dem Autor präsentierte, war P. G. Wodehouse, denn was wären die Blandings Castle Romane ohne Schweine?

Und mit P.G. Wodehouse bin ich auch schon beim Thema. Er liebte Schlangen. Also nicht nur diese newts, die überall vorkommen, wie in Right Ho, Jeeves. Was übrigens einen amerikanischen Wodehouse Fanclub bewogen hat, sich das Acronym ➱NEWTS zuzulegen. Nein, Wodehouse mochte Schlangen. Und er schrieb sie natürlich in sein Werk, lesen Sie doch mal eben das Kapitel VIII von ➱The Indiscretions of Archie. In Barry Phelps' Buch Wodehouse: Man and Myth habe ich die schöne Anekdote gelesen, wo Beverley Nichols und andere Freunde mit Wodehouse in den Londoner Zoo gehen: Nichols and Wodehouse were once in a party that went to the London Zoo where, Nichols tells us, Plum had a passionate desire to see the snakes, which was frustrated by the rest of the group. Whenever Plum asked after the snakes his friends drew his attention to the charms of other fauna, such as the antelopes. Wodehouse would dutifully look at the antelopes and admire them but...

Alles schön und gut, aber es sind eben keine Schlangen. Die kommen, neben den newts und all dem anderen Getier, natürlich auch in der Textsammlung A Wodehouse Bestiary vor, doch das kann noch nicht das letzte Wort zu dem Thema sein. Die Textsammlung The Serpent's Tale: Snakes in Folklore and Literature von Gregory McNamee auch nicht, aber es ist schon einmal ein Anfang.

Der schönste Roman in dem Schlangen vorkommen, ist meiner Meinung nach ➱Erwin Einzingers Blaue Bilder über die Liebe. 1992 im Residenz Verlag erschienen, leider völlig vergriffen. Der Roman hat seinen Titel nach einer Bilderreihe von Jiri Georg Dokoupil. So ein Bild kostet heute im Kunsthandel schon 200.000 Euro. Da sind die Schlangen schon billiger, die der Held in fremden Hotelzimmern oder in BMWs aussetzt. Ein BMW ist auch ein guter Platz für eine Giftschlange.

Das letzte Mal, dass ich mit Schlangen zu tun hatte, liegt schon Jahrzehnte zurück. Ich leitete kommissarisch die Theater AG eines Gymnasiums, und wir führten Arthur Kopits Indians auf. Da kommt ein Schlangentanz drin vor, solche Schlangenrituale sind für Indianer ja wichtig, wie wir seit ➱Aby Warburgs Vortrag wissen. Ich wollte die Szene ja streichen - wo bekommt man Schlangen her? - aber die Truppe wollte unbedingt einen Schlangentanz haben. Also entwarf ich einige Schlangen, die dann liebevoll von einigen Mütter der jugendlichen Schauspielern genäht wurden. Sie sahen ein wenig nach überdimensionalen Kreuzottern aus. Meine beiden Technikfreaks, die die Beleuchtung steuerten, besorgten sich ein Stroboskop, und in dem zerhackten Disco-Licht tanzten die Indianer mit ihren Schlangen. Am Ende warfen sie die Schlangen ins Publikum. Sah eindrucksvoll aus. Allerdings blieben die Schlangen nach der Premiere verschwunden; die Mütter mussten wieder ran, Schlangen nähen. Bei den nächsten Aufführungen stellten wir Saalordner am Ausgang auf, die die Schlangen einsammelten. Es gab herzzerreißende Szenen, weil kleine Kiddies die erbeuteten Schlangen an sich pressten und sie nicht wieder hergeben wollten.

Ja, das sind schon faszinierende Biester. Die Schlange, die der kleine Carlo in der Linie 32 verloren hatte, ist nicht wiedergefunden worden, seine Oma hat ihm eine andere gekauft. Die Firma Schleich hat alle möglichen Tiere im Programm, aber die Schlange stellen sie nicht mehr her, bei Ebay kann man allerdings noch fündig werden. Dafür braucht man auch kein ➱CITES Zertifikat.

Ich bin jetzt natürlich in Versuchung, über den Shelby ➱Cobra Sportwagen zu schreiben. Aber ich mache erstmal Schluss. Aber ich habe noch ein kleines Schlangengedicht von Emily Dickinson:

A narrow fellow in the grass
Occasionally rides;
You may have met him, - did you not?
His notice sudden is.

The grass divides as with a comb,
A spotted shaft is seen;
And then it closes at your feet
And opens further on.

He likes a boggy acre,
A floor too cool for corn.
Yet when a child, and barefoot,
I more than once, at morn,

Have passed, I thought, a whip-lash
Unbraiding in the sun, -
When, stooping to secure it,
It wrinkled, and was gone.

Several of nature's people
I know, and they know me;
I feel for them a transport
Of cordiality;

But never met this fellow,
Attended or alone,
Without a tighter breathing,
And zero at the bone.

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