Freitag, 23. Dezember 2011

Stilleben


Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.

An den Fenstern haben Frauen
Buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein stehn und schauen,
Sind so wunderstill beglückt.

Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus ins freie Feld,
Hehres Glänzen, heil'ges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!

Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schnees Einsamkeit
Steigt's wie wunderbares Singen –
O du gnadenreiche Zeit!


Auf jeden Kitschpoeten des 19. Jahrhunderts würde man tippen. Aber Eichendorff? Ja, er ist's, im Jahre 1837. Zwei Jahre später malt Spitzweg seinen Armen Poeten. Die Romantik ist zu Ende, wir sind im Biedermeier. Jetzt sind Hausschuhe und Schlafmütze, Kitsch und Melodrama angesagt. Mir fällt zu dem Gedicht Weihnachten nichts anderes ein, als mal eben Eckhard Henscheid (dessen Eichendorff Buch Aus der Heimat hinter den Blitzen rot ich hervorragend finde) zu zitieren: Man merkt richtiggehend, wie ihm hier außer der Lerche auch Waldhorn, Waldesrauschen und Waldeinsamkeit fehlen. Eichendorffs lyrische Witterung tat gut daran, im Fortgang wieder schneelose Sterne und der Quellen Einsamkeit zu präferieren und dieses weihnachtliche Genre mit seinen offenbar stark ins Erbauliche und Frömmlerische zielenden Naturvalenzen zu lassen - nicht nur der Gegenstand, auch die Form seiner Lyrik ist nun einmal die von Wärme und Weichheit und dito Waldhorn.

Genug von der sentimentalen deutschen Innerlichkeit, lassen wir nach dem frömmelnden Eichendorff mit Thomas Hardy noch einen religiösen Zweifler zu Worte kommen. Sein Gedicht The Oxen, im zweiten Jahr des Ersten Weltkriegs geschrieben, erschien 1915 an prominenter Stelle. Nämlich in der Londoner Times vom 24. Dezember 1915. Den Bezug zum Krieg kann man nur aus der Zeile in these years herauslesen. Dass nicht nur die Weisen aus dem Morgenland in der Krippe knien, sondern auch die Ochsen, hat sich Thomas Hardy nicht ausgedacht. Es ist ein alter Volksglaube, eine Legende. Sie hat sich - ebenso wie der Glaube, dass in der Weihnachtsnacht die Tiere zu reden beginnen - im Südwestens Englands lange gehalten. Im Süden Frankreichs scheint es sie auch gegeben zu haben, und natürlich ist die Geschichte im Aarne-Thompson Index verzeichnet.

Der junge Thomas Hardy hatte die Geschichte noch erzählt bekommen, vielleicht hat er damals sogar daran geglaubt: Nor did it occur to one of us there To doubt they were kneeling then. Wir geben im Laufe des Lebens vieles auf, an das wir in der Kindheit geglaubt haben. Und derjenige, der im Gedicht spricht (und wir brauchen nicht daran zu zweifeln, dass es Thomas Hardy ist), scheint ein Bedauern über den Verlust des Kinderglaubens zu empfinden.

Die Sache mit den knienden Ochsen ist im 19. Jahrhundert noch sehr lebendig. Charles Dickens erwähnt sie in der Weihnachtsnummer 1851 in seiner Zeitschrift Household Words. Und der Reverend Francis Kilvert, der ebenso wie Hardy alles vom ländlichen Leben aufzeichnet, notierte in seinem berühmten Tagebuch: Speaking of the blowing of the Holy horn and the kneeling and weeping of the oxen on old Christmas Eve (to-night) Priscilla said, 1 have known old James Meredith fourty years and I have never known him far from the truth, and I said to him one day, "James, tell me the truth, did you ever see the oxen kneel on old Christmas Eve at the Weston?" And he said, "No, I never saw them kneel at the Western but when I was at Hinton at Staunton-on-Wye I saw them. I was watching them on old Christmas Eve and at twelve  o'clock the oxen that were standing knelt down upon their knees and those that were lying down rose up on their knees and there they stayed kneeling and moaning, the tears running down their faces." Auch Rudyard Kipling spielt in seinem Gedicht A Carol (wenige Jahre von Hardys The Oxen) ganz selbstverständlich den knienden Ochsen an: Our Lord Who did the Ox command To kneel to Judah's King...

Aber nun Thomas Hardys Gedicht The Oxen:

Christmas Eve, and twelve of the clock.
"Now they are all on their knees,"
An elder said as we sat in a flock
By the embers in hearthside ease.

We pictured the meek mild creatures where
They dwelt in their strawy pen.
Nor did it occur to one of us there
To doubt they were kneeling then.

So fair a fancy few would weave
In these years! Yet, I feel,
If someone said on Christmas Eve
"Come; see the oxen kneel

"In the lonely barton by yonder comb
Our childhood used to know,"
I should go with him in the gloom,
Hoping it might be so.

Der Ochse auf dem Bild von Rogier van der Weyden (oben) kniet nicht, aber der bei Gerard van Honthorst (obgleich er ein wenig abgeschnitten ist), der ist einwandfrei auf den Knien.











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