Freitag, 17. Februar 2012

Armory Show


Myers, you will weep when you see what we've brought over, hat Arthur B. Davies zu dem Maler Jerome Myers gesagt. Davies ist der Präsident der Association of American Painters and Sculptors und zusammen mit dem Maler Walt Kuhn organisiert er die Armory Show. Die wurde heute vor 99 Jahren eröffnet, sie war Amerikas Begegnung mit der Moderne. Sie war die erste und zugleich letzte Ausstellung der Association of American Painters and Sculptors. Zuerst sollte sie ja nur eine Ausstellung amerikanischer Kunst sein, aber Davies und Kuhn haben dafür gesorgt, dass die europäische Malerei der Jahrhundertwende repräsentativ vertreten war. Amerika war nicht so ganz darauf vorbereitet, was es da sehen wird. So schreibt Myers: And when I did see the pictures for the first time, my mind was more troubled than my eyes, for Davies had unlocked the door to foreign art and thrown the key away. Our land of opportunity was thrown wide open to foreign art, unrestricted and triumphant; more than ever before, our great country had become an art colony: more than ever before we had become provincials.

Der Entwurf für das Plakat der International Exhibition of Modern Art und das Logo mit der pine tree stammten von Walt Kuhn. Er hatte sich darauf besonnen (Sie können alles über die Entstehung ➱hier in einem Originalbrief lesen), dass dieser Baum einmal die Flagge der amerikanischen Revolution gewesen war. Und eine Revolution sollte auch diese Ausstellung sein, Das wurde sie auch, auch wenn sie von vielen als ein Skandal empfunden wurde. Der Ausstellungsort war das des ehemalige Zeughaus des 69. New Yorker Regiments. Wo jetzt während der Ausstellung in allen (künstlich aus der Riesenhalle abgeteilten Räumen) auch Kiefern standen. Das Zeughaus dient auch heute noch allen möglichen Ausstellungen, wie in den letzten Jahren Ausstellungen von Comics  und Präsentationen von Victoria's Secret Unterwäsche.

Ein Jahr vor der Ausstellung hatte Arthur B. Davies den Katalog der Kölner Sonderbund Ausstellung in die Hände bekommen und hatte sofort Walt Kuhn (der einmal in München studiert hatte) nach Deutschland geschickt. Der kam am letzten Tag der Ausstellung in Köln an, als man schon begonnen hatte, die Ausstellung abzubauen. Doch was er sah, bestärkte ihn in dem Gedanken, die Konzeption dieser Ausstellung zu übernehmen. Kuhn reiste danach nach Paris weiter und besuchte dann zusammen mit Arthur B. Davies (den er per Telegramm nach Europa gerufen hatte) die Londoner Second Post-Impressionist Exhibition Ausstellung, die von Roger Fry organisiert worden war (von dem auch der Terminus Post-Impressionism stammte). Zuvor hatte das Organisationsgenie Kuhn aber dafür gesorgt, dass ein großer Teil der Kölner Ausstellung nicht an die Leihgeber zurück wanderte, sondern gleich nach New York verschifft wurde. Mit ein klein wenig Nationalstolz kann man heute sagen, dass ohne die Kölner Ausstellung (und natürlich ohne Walt Kuhn) nichts aus der Armory Show geworden wäre.

Man muss nicht nur ein gutes Auge und einen Kunstverstand haben, wenn man eine Ausstellung organisiert, man muss auch gute Beziehungen haben. Zu Künstler, zu Kunsthändlern und natürlich zu denjenigen, die das Geld haben. Walt Kuhns Freund John Quinn wird für die Armory Show eine der wichtigsten Persönlichkeiten werden, nicht nur, weil er mit der stolzen Summe von 5.808,75 Dollar der größte Käufer der New Yorker Exponate ist. Nein, der New Yorker Rechtsanwalt John Quinn arbeitet auch von Beginn an als unbezahlter juristischer Berater der Ausstellung. Und er schaffte es, den Kongress zu überzeugen, ein Gesetz von 1909 zurückzunehmen, das den Erwerb von ausländischer zeitgenössischer Kunst mit hohen Zöllen belegte.

Er ist ein erstaunlicher Mann gewesen: Sammler der Manuskripte von Joseph Conrad, juristischer Berater von James Joyce, Freund von Ezra Pound und T.S. Eliot und Mäzen von William Butler Yeats. Aus Dank für seine Leistungen darf er am 17. Februar 1913 auch die Ausstellung eröffnen. Da wird er sagen: It was time the American people had an opportunity to see and judge for themselves concerning the work of the Europeans who are creating a new art. Aber er wird auch auf die neue amerikanische Kunst eingehen: The members of this association have shown you that American artists - young American artists, that is - do not dread, and have no need to dread, the idea or culture of Europe. They believe that in the domain of art only the best should rule. This exhibition will be epoch making in the history of American art. Tonight will be the red-letter night in the history not only of American but of all modern art. The members of the Association felt that it was time the American people had an opportunity to see and judge for themselves concerning the work of the Europeans who are creating a new art. Now that the exhibition is a fact, we can say with pride that it is the most complete art exhibit that has been held in the world during the last quarter century.

Dies war nicht die Stimme Amerikas, die Stimme Amerikas war eher Teddy Roosevelt, der that's not art sagte. Er hatte die Ausstellung am 4. März besucht, das war eine kleine politische Demonstration, denn an dem Tag wurde Woodrow Wilson als Präsident vereidigt. Gegen den hatte er gerade die Wahlen verloren, da nimmt er jede Gelegenheit wahr, Woodrow Wilson zu brüskieren. Er hat dann auch noch eine Ausstellungsbesprechung veröffentlicht, relativ moderat und ausgewogen (man ist ja Politiker), aber letztlich ist er ein Kunstbanause. In dem Punkt spricht er den meisten seiner Landsleute aus der Seele. Wenn Politiker über Kunst reden, dann orientieren sie sich gerne am gesunden Volksempfinden. Von Woodrow Wilson sind keine Äußerungen über die Armory Show bekannt. Es gibt allerdings das Gerücht, dass Bilder seiner Ehefrau Ellen Axson Wilson in der Ausstellung gehangen hätten. Es wäre durchaus möglich (obgleich sie nicht im Ausstellungskatalog auftaucht), sie war immerhin eine ganz passable Malerin. Hatte sich sogar 1913 im Weißen Haus ein kleines Malstudio einrichten lassen.

Es stehen nicht nur Kiefernbäume in der Halle, natürlich gibt es neben den Gemälden auch Plastiken von Bildhauern. Auch von deutschen Bildhauern, Walt Kuhn hatte Wilhelm Lehmbruck in Köln getroffen und ihn überredet, zwei Plastiken in die New Yorker Ausstellung zu geben. Eine davon hatte es dem dilettierenden Kunstkritiker Teddy Roosevelt besonders angetan: Admirers speak of the kneeling female figure by Lehmbruck—I use “female” advisedly, for although obviously mammalian it is not especially human—as “full of lyric grace,” as “tremendously sincere,” and “of a jewel-like preciousness.” I am not competent to say whether these words themselves represent sincerity or merely a conventional jargon; it is just as easy to be conventional about the fantastic as about the commonplace. In any event one might as well speak of the “lyric grace” of a praying mantis, which adopts much the same attitude; and why a deformed pelvis should be called “sincere,” or a tibia of giraffe-like lengths “precious,” is a question of pathological rather than artistic significance. This figure and the absurd portrait head of some young lady have the merit that inheres in extravagant caricature. It is a merit, but it is not a high merit. It entitles these pieces to stand in sculpture where nonsense rhymes stand in literature and the sketches of Aubrey Beardsley in pictorial art. Heute ist man in der Skulpturensammlung der Staatlichen Museen Dresden glücklich, dass man einen Steinguss dieser Plastik besitzt, die als eins der wichtigsten Werke von Lehmbruck gilt.

Dass die gerade gegründete Association of American Painters and Sculptors auf Arthur B. Davies als Präsidenten gekommen war, mag heute erstaunen. Denn als Künstler gehörte er zwar zu der Ashcan School, hatte aber mit Malern wie John Sloane oder George Bellows wenig gemeinsam. Seine Kunst ist eher in einem märchenhaften Never Never Land mit weißen Einhörnern angesiedelt. Sein großes Vorbild ist der Franzose Puvis de Chavannes (von dem er auch 15 Werke ausstellt), der für mich einer der schrecklichsten Maler des 19. Jahrhunderts ist. Aber Davies besitzt ebenso wie Walt Kuhn ein großes Organisationstalent und hat Beziehungen zu Amerikas Geldadel, der im Gilded Age reich geworden ist. Davon abgesehen führte er still und verschwiegen ein Doppelleben, seine Frau und seine Kinder haben erst nach seinem Tod erfahren, dass er noch eine zweite Familie mit Frau und Kindern hatte. Ein Kritiker hat ihn einmal als den erfolgreichsten Bigamisten des Jahrhunderts bezeichnet. Wahrscheinlich muss man Bigamist sein, um Einhörner zu malen.

Amerikas Begegnung mit der europäischen Moderne wird zu einer großen Show. Die Ausstellung, die noch nach Boston und Chicago wandern wird, ist gut besucht. Vor allem an den Tagen, an denen der Eintritt frei ist. Die Kunstpostkarten von 57 verschiedenen Kunstwerken sind schnell ausverkauft. Die Presseberichterstattung ist - wie immer - sehr unterschiedlich. Noch vor Ausstellungseröffnung hatten die New York Times und die New York Sun mit Schlagzeilen wie It Will Throw a Bomb Into Our Art World and a Good Many Leaders Will be Hit oder Cubist, Futurists, and Post Impressionists Win First Engagement, Leaving the Enemy Awestruck eine Kriegsmetaphorik in die Kunstdiskussion gebracht.

America's first art war hatte begonnen. Gertrude Stein, die als Freundin Picassos natürlich für die moderne Kunst eintritt, wird in einem Spottgedicht verhöhnt:

I called the canvas 'Cow with cud'
And hung it on the line,
Altho' to me 'twas vague as mud
'Twas clear to Gertrude Stein


Wenn hier Getrude Stein genannt wird, so sollten noch eine Anzahl anderer Frauen genannt werden. Wie die Galeristin Clara Davidge (Tochter eines Bischofs) oder die Society Lady Mabel Dodge. Und viele andere. Ohne die kunstinteressierten oder schwerreichen Frauen wäre es vielleicht nichts mit der Armory Show geworden. In einem Resumé der Armory Show schrieb der amerikanische Kunstkritiker Meyer Shapiro Jahrzehnte nach dem Ereignis: Women, it is worth noting, were among the chief friends of the new art, buying painting and sculpture with a generous hand. Art as a realm of finesse above the crudities of power appealed to the imaginative, idealistic wives and daughters of magnates occupied with their personal fortunes . . . At this moment of general stirring of ideas of emancipation, women were especially open to manifestations of freedom within the arts. Emanzipation und Mäzenatentum gehen jetzt Hand in Hand. Auf jeden Fall für die, die es sich leisten können.

In dem Streit um den richtigen Weg der Kunst gab nicht nur Häme von der Presse - obgleich das Organisationskomitee auch mit beleidigenden Artikeln zu leben wusste. Besser eine schlechte Presse als gar keine Presse. Der Erfolg der Ausstellungen der Eight im Jahre 1908 und die Exhibition of Independent Artists 1910 kam wohl nur durch die Presse zustande, das hatte man schon gelernt. Einen Mitstreiter hatten die Organisatoren der Armory Show in der New York Sun. Die Zeitung, die ja heute noch berühmt ist durch ihren Artikel Yes, Virginia, there is a Santa Claus, trat mit glühenden Artikeln für die neue Kunst ein. Wenn Sie alles über die Publikumsreaktionen wissen wollen, dann sollten Sie dies vorzügliche Paper von Kristen M. Osborne lesen.

Und damit bin ich auch schon bei meinen Literaturhinweisen. Denn wenn ich jetzt nicht aufhöre, schreibe ich noch die ganze Woche an diesem Thema weiter. Normalerweise mäkle ich ja an Wikipedia Artikeln herum. Heute nicht, der deutsche Artikel zur Armory Show ist hervorragend! Wenn Sie noch mehr wissen wollen, dann gibt es nur das Buch von Milton W. Brown The Story of the Armory Show (enthält auch einen vollständigen Katalog aller Exponate). Auf dieser Seite der University of Virginia gibt es viele Abbildungen aus der Armory Show. Und wenn es noch etwas mehr an amerikanischer Kunst sein darf, dann sollten Sie Robert HughesAmerican Visions: The Epic History of Art in America lesen. Frech und fetzig geschrieben, keinen Augenblick langweilig, hervorragend illustriert.

Man weiß nicht, wie viele Amerikaner - begeistert oder hasserfüllt - die Ausstellung gesehen haben. Die Besucherzahlen, mit denen Historiker jonglieren, schwanken zwischen Hunderttausend und einer Viertelmillion. Am Ende der Ausstellung marschiert das Ausstellungskomitee voller Stolz zu den Klängen von fife and drum durch die Ausstellungshalle, man glaubt einen Sieg für die moderne Kunst errungen zu haben. Als beim Festbankett am Abend einer der Gäste ironisch einen Toast auf die akademische Malerei ausbringen will, bringt John Quinn den Anwesenden die Worte des Captain John W. Philip vom Schlachtschiff Texas in Erinnerung. Der hatte seiner Mannschaft, als sie die Versenkung des spanischen Schiffes Vizcaya bejubelte, zugerufen: Don't cheer, boys; the poor devils are dying. Der Spanisch-Amerikanische Krieg ist noch nicht so lange her, an den kann man sich noch erinnern. Da war Teddy Roosevelt mit seinen Rough Riders noch ein Kriegsheld, jetzt ist er dilettierender Kunstkritiker. Die Kriegsmetaphorik, mit der die New Yorker Zeitungen die Ausstellung eröffnet haben, wird bleiben. Vielleicht ist es von besonderer Symbolik, dass der Ausstellungsort die Armory, ein Zeughaus, ist.

Ein Jahr später beginnt der Erste Weltkrieg. Wenn Künstler in Europa Glück haben, dann dürfen sie im Krieg Tarnbemalung auf Flugzeugflügel malen wie Paul Klee. Der Krieg ist nicht nur der Vater aller Dinge, dieser Krieg gebiert auch die moderne Kunst. Sagt Modris Eksteins in seinem Buch The Rites of Spring: The Great War and the Birth of Modern Age. Es ist ein gefährlicher Gedanke, aber an Eksteins Kulturgeschichte ist etwas dran.

Die Bilder von amerikanischen Malern im Text waren alle Teil der über anderhalbtausend Ausstellungsstücke der Armory Show. Es sind von oben nach unten: ◻Albert Pinkham Ryder, den Davies persönlich durch die Ausstellung führte, in der zehn Bilder von ihm hingen ◻William Glackens  ◻George Bellows  ◻Charles Sheeler, dessen Bilder eher durch Zufall in die Ausstellung gelangten  ◻Arthur B. Davies ◻Alfred Henry Maurer  ◻John Sloan  ◻John Marin.


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