Dienstag, 6. März 2012

American Wristwatches II


Meine Movado Curviplan sieht natürlich viel schöner aus als dieses Modell hier, das Werk (cal. 510) ist aber das gleiche. Damals war Movado eine wirklich feine Marke, und solche Rechteckuhren schenkten sich zum Beispiel Hollywoodstars zu Weihnachten. Louella Parson schenkte 1929 ihrem (dritten) Ehemann Harry eine goldene Movado, der Dramatiker und Theaterdirektor Moss Hart schenkte dem Designer Alban Conway eine elegante goldene Rechteckuhr. Man kann die Liste der Namen beliebig verlängern. Anonym bleibende Schweizer Bürger schenken 1946 Winston Churchill eine goldene Movado. Gut, er bekommt damals in der Schweiz eine Menge Uhren geschenkt (auch eine goldene IWC, die habe ich mal im Museum bewundert), aber niemand kommt auf die Idee, ihm eine ➱Rolex zu schenken. Ich erwähne das als alter Rolexhasser nur mal so ganz nebenbei. Movado ist zwar eine Schweizer Marke, aber ihr Hauptabsatzgebiet ist in den dreißiger Jahren Amerika. Viele Schweizer Firmen sind auch als Firma (manchmal nur als eine Art Briefkastenfirma) in Amerika aktiv, viele haben schon seit den 1890er Jahren eine Firmenvertretung in den USA. Als die Schweiz zu ihrem Erstaunen und Entsetzen merken musste, dass in der neuen Welt qualitativ bessere ➱Uhren gebaut wurden als in der Schweiz. Wo selbst die einfachen Qualitäten einer Uhrenfabrik eine (maschinell gebogene) Breguetspirale hatten.

Um Zölle zu vermeiden, exportieren Schweizer Firmen nur die Uhrwerke ihrer Uhren. Das Gehäuse wird dann in Amerika hergestellt. Um den Zoll zu betrügen, deklarieren sie die Werke als unadjusted, selbst wenn die Uhrwerke in mehreren Lagen feingestellt wurden. Die für Amerika bestimmten Schweizer Werke werden mit einer Abkürzung markiert, wie zum Beispiel MXI für Movado. Steht auch auf meinem Werk drauf, und selbstverständlich unadjusted, was angesichts der Qualität des Werkes natürlich eine ziemliche Frechheit ist, meine Movado erreicht nach beinahe 80 Jahren noch Chronometerwerte. In den fünfziger Jahren fliegt der Betrug der Uhrenindustrie (in den beide Seiten, Schweiz und Amerika, verstrickt sind) vor einem Untersuchungsausschuss auf. Swiss watches, adjustments. Hearings before the Permanent Subcommittee on Investigations of the Committee on Government Operations, United States Senate, Eighty-fourth Congress, first and second sessions. June 29, 30, 1955, and January 10, 1956 heißt das Ganze, es füllt mehre Bände.

Meine zierliche Curviplan (man macht es sich gar nicht klar, wie lütt diese dreißiger Jahre Uhren sind), hat natürlich ein amerikanisches Gehäuse, Movado USA steht innen drin. Und natürlich hat sie eine Modellnummer, eine Gehäusenummer und eine Werknummer. Damit können Sammler heute ihre Herstellungszeit genau bestimmen. Es funktioniert nicht bei allen Marken, aber manche Firmen geben bereitwillig Auskunft, manche haben auch für Sammler hervorragende, informative Internetseiten. 

Dass die Uhrengehäuse nicht von der Uhrenfirma selbst stammen, ist in Amerika die Regel. Schon zu den Zeiten der Taschenuhr konnte der Kunde für eine Uhr von Hamilton, ➱Illinois oder ➱Edward Howard (wenn Sie einmal schöne amerikanische Taschenuhren sehen wollen, dann klicken Sie ➱hier) eine Vielzahl von Gehäusen der unterschiedlichsten Hersteller ordern. Das war - um diesen Vergleich zu ziehen - früher bei Rolls Royce nicht anders, die lieferten auch nur Motor und Chassis. Die Karosserie bestellte man bei Park Ward oder bei Mulliner, bespoke coachbuilder heißt das im Englischen, die Analogie zur Savile Row liegt natürlich auf der Hand.

Die Vielzahl der Gehäusehersteller führt natürlich in den zwanziger und dreißiger Jahren dazu, dass sich die Firmen wie zum Beispiel Keystone, Star, Cress-Arrow (Gehäuselieferant für IWC, LeCoultre und Vacheron Constatin) oder Schwab & Wuischpard (wenn Sie ➱hier klicken, sehen Sie eine schöne Art Déco Hamilton mit S+W Gehäuse) gegenseitig im Styling übertrumpfen wollten. Ich habe oben als Bild einmal das Goldgehäuse einer amerikanischen Bulova eingestellt, man beachte diese kunstvollen Verzierungen des Gehäuses. An den amerikanischen Uhren toben sich die Designer des Art Déco aus. Die Verzierungen des Chrysler Buildings sind nichts dagegen.

Insbesondere die gekrümmte Form, die sich dem Handgelenk anpasst, scheint es den Amerikanern in dieser Zeit angetan zu haben. Gruen propagiert seine Curvex (oben auf dem Werbeplakat haben wir eine schöne Analogie von Frauenkörper und Gruen Curvex), Movado kommt mit der Curviplan. Für Movado ist das Ganze natürlich ein Festessen, weil sie schon vor dem Ersten Weltkrieg ihre Polyplan auf den Markt gebracht hatten, die erste und einzige Uhr, bei der das Uhrwerk (oben) wirklich der gekurvten Form des Gehäuses angepasst war. Für eine Movado Polyplan müsste man heute mehr als zehntausend Euro ausgeben, eine Curviplan kann man schon für einige Tausender bekommen. Eine Gruen (natürlich das Original, nicht das später gebaute Modell mit dem Quarzwerk) ist heute immer noch verhältnismäßig preiswert, für einen Fuffi kriegt man sie allerdings wohl kaum noch. Meine erste Erfahrung mit unserer neuen Euro-Währung war, dass alle Flohmarkthändler die D-Mark Preise 1:1 umgerubelt hatten. Aber das haben viele andere unbemerkt und leise auch getan.

In das amerikanische Goldgehäuse von der Bulova - Bulova ist die einzige der amerikanischen Uhrenfirmen, die eigene Gehäusefabriken in Providence (und Pforzheim) besitzt - kommt in Amerika ein Schweizer Werk. Firmen wie Gruen, Bulova und ➱Benrus beziehen ihre Werke aus der Schweiz, Manufakturen wie Hamilton, Elgin und Waltham stellen ihre eigenen Werke in Amerika her. Ein Rechteckwerk wie das Hamilton cal. 982 (das vorher von E. Howard hergestellt worden war, Hamilton hatte Anfang der dreißiger Jahre Howard und Illinois gekauft) wird man in der Schweiz auch nicht so häufig finden. Breguetspirale, Goldchatons, mit einem Goldplättchen verschraubter Deckstein für das Ankerrad, Streifenschliff. An diese Qualität kommen Elgin und Waltham kaum heran. Gruen und Bulova mit ihren Schweizer Werken manchmal schon.

Gruen hat neben seinem Sitz auf dem ➱Time Hill in Columbus (Ohio) einen Firmensitz in Biel, neben der Fabrik von Aegler. Meistens kaufen die Gruens ihre Werke bei den befreundeten Aeglers, die Familien Gruen und Aegler machen auch Sonntagsausflüge zusammen. Aegler (Mitglied der ➱Alpina) hat noch eine Vielzahl anderer Kunden, zum Beispiel eine Firma die Rolex heißt. Die kauft ihre besseren Uhrwerke bei Aegler. ➱Rolex ist keine Manufaktur sondern ein schlichter Etablisseur, zur Manufaktur wird Rolex erst, als sie die Firma Aegler aufkauft. Das ist erst wenige Jahre her. Wenn zwei Uhrenfirmen den gleichen Lieferanten haben, bietet sich für Fälscher ein schönes Tätigkeitsfeld, wenn eine der beiden Firmen von Sammlern höher bewertet wird. Und so arbeiten immer noch Fälscher daran, aus einer preiswerten rechteckigen Gruen eine sauteure Rolex Prince zu machen, das ➱Werk beider Uhren ist das gleiche. Die Welt will betrogen werden.

Nicht alle rechteckigen Uhren der dreißiger Jahre enthalten auch rechteckige Formwerke. So etwas haben nicht alle Hersteller im Programm. Selbst bei der feinen Firma LeCoultre gibt es Engpässe, weshalb in der ersten ➱Reverso zum Beispiel ein Werk von Cyma drin ist. Aber die Amerikaner haben alle ein Rechteckwerk im Programm, sie können die ständig steigende Nachfrage nach den begehrten rechteckigen Armbanduhren befriedigen. Zwar werden immer noch Taschenuhren verkauft, aber die Armbanduhr setzt sich jetzt durch. In der Mitte der dreißiger Jahre werden zum ersten Mal mehr Armbanduhren als Taschenuhren verkauft.

Allerdings muss man sagen, dass es schwere Zeiten für die Uhrenindustrie sind. Die Vielfalt der Modelle und der Formenreichtum kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass dies der Schwanengesang der amerikanischen Uhrenindustrie ist. In der Automobilindustrie haben wir ein ähnliches Phänomen, all die Firmen, die wie Pierce-Arrow, Duesenberg, Cord und Auburn teure Luxuswagen gebaut haben, werden in der Great Depression untergehen. Die Schönheit des Designs und die aufwendigen Werbeanzeigen sind ihr Schwanengesang.

Viele Hersteller machen ihr Geld jetzt mit billigen dollar watches (die anstelle eines Ankerwerks ein billiges Stiftankerwerk haben), bei denen die Helden der amerikanischen Popular Culture auf die Zifferblätter wandern. Und so finden wir da Mickey Mouse, Li'l Abner, Popeye, Hopalong Cassidy und Dick Tracy. Heute sind diese Uhren, die einmal 2.98 $ kosteten, begehrte Sammlerstücke. character watches heißen diese Dinger, das character bezieht sich auf das Zifferblatt, nicht auf den Träger der Uhr.

Die Rettung für die amerikanische Uhrenindustrie ist der Zweite Weltkrieg, die Uhrenindustrie hat den eher kommen sehen als die Politik und sich darauf eingerichtet. Sie ist sofort bereit, die Streitkräfte mit Militäruhren (und Bombenzündern) zu beliefern. Hamilton baut jetzt Marinechronometer (hier ein Bild), die eine unglaubliche Ganggenauigkeit besitzen, beliefert aber den zivilen Markt so gut wie gar nicht mehr. Dass der normale Verbraucher jetzt keine amerikanischen Uhren mehr kaufen kann, führt natürlich dazu, dass die Schweizer Industrie noch stärker als zuvor in Amerika Fuß zu fassen kann.

Die Konzentration auf die Militärlieferungen hatte auch dazu geführt, dass die amerikanische Uhrenindustrie eine Entwicklung völlig verschlafen hatte: die der automatischen Armbanduhr. Lediglich Elgin wird nach dem Krieg ein ➱Automatikwerk präsentieren. Hamilton wird sich seine ersten Automatikwerke bei der Schweizer Firma Certina kaufen und später zum Eterna Ableger ETA wechseln. Wenn die Firma Büren ihr revolutionäres ➱Mikrorotorwerk entwickelt (das sich auch in der Dugena Super Automatik findet), kauft Hamilton gleich die ganze Firma. Aber da hat auch schon das Sterben der amerikanischen Uhrenindustrie begonnen. Elgin schließt als erste und verkauft sein Firmengebäude in Lincoln an die Universität von Nebraska. Gruen, Waltham und Hamilton gehen auch unter, ihre Namen werden von der Schweizer Industrie gekauft. Viele Firmen (wie zum Beispiel Gruen) vernichten bei Toresschluss auch ihr Firmenarchiv, was für Sammler und Historiker natürlich eine kleine Tragödie ist.

Was bleibt? Wenn die Zierpflanzen vergehen, bleibt das Unkraut. Die Firma Timex gibt es heute immer noch. In ihren Uhren sind solche Werke wie dies hier. Wenn man das mit dem vergoldeten Gruen Quadron Werk oben vergleicht, kann auch ein Laie sehen, dass hier ein horologischer Weltuntergang stattgefunden hat. Weil wir immer nur das Billige wollen, nicht die Qualität. Warum eigentlich?

Das Buch von Edward Faber und Stewart Unger, American Wristwatches: Five Decades of Style and Design ist bei Amazon.com noch lieferbar. Im Callwey Verlag gab es 1989 eine deutsche Ausgabe des Buches, die man mit Glück noch antiquarisch finden kann. Dr. Roland Ranfft hat auf dieser ➱Seite die größte Sammlung beinahe aller Uhrwerke der Welt, Mit erstklassigen Abbildungen, dafür sind ihm alle Uhrensammler ewig dankbar. Im Internet gibt es auch schöne Seiten zu den Firmen ➱Gruen und ➱Hamilton.

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