Donnerstag, 26. April 2012

Etiquette


Haben die keine Schneider in Paris? Haben die keinen Protokollchef im Élysée-Palast, der darauf achtet, dass sie den Mann so nicht aus dem Haus lassen können? Zugegeben, neben Carla Bruni sehen kleine Männer nicht so gut aus. Vielleicht hat Sarkozy sie ja auch nur deshalb geheiratet, damit alle Leute auf sein Trophäenweibchen gucken und nicht auf seine schlimmen Klamotten. Es ist tragisch für soziale Aufsteiger, die auch noch kleinwüchsig und ein klein bisschen größenwahnsinnig sind - diese drei Dinge gehören wahrscheinlich immer zusammen - wenn sie sich nicht einmal vernünftig anziehen können. Vergleichen wir Nicolas Sarkozy nicht mit Napoleon (obgleich er das wahrscheinlich heimlich macht), der war größer als 1,65. Dessen ständig kolportierte kleine Körpergröße ist nichts als ein Umrechnungsfehler. Und außerdem war er besser angezogen.

Dies Photo von Sarkozy und Bruni zeigt das Ehepaar bei einem Empfang für den Scheich Hamad bin Chalifa Al Thani im Élysée-Palast. Es wäre mir entgangen, wenn ich nicht eine Email von einem Hamburger Freund bekommen hätte, in der die Frage gestellt wurde Kann man so rumlaufen? Kann man offensichtlich, sollte man aber nicht. Wie ein schmieriger Oberkellner sähe Sarkozy aus, schrieb mein Freund. Ja, so sieht es aus. Keine Lackschuhe - gab es keine bei Berluti? Oder kauft man da seit dem Elf Aquitaine Skandal nicht mehr? Stilbewusste Engländer würden zur Abendgarderobe ja immer noch diese ➱Lackpumps mit Seidenschleifchen tragen (➱hier können Sie einen netten kleinen Artikel von Kurt Tucholsky über Escarpins lesen). Das kann sich Sarkozy aber nicht erlauben, weil er immer Schuhe mit hohen Absätzen trägt, damit er größer wirkt.

Er sollte mit solchen Schuhen aber vorsichtig sein, die Stufen zum Elysium sind gefährlich. Wie es hier Hillary Clinton, sowie die Gattin von Jean-François Cirelli und die Sängerin Mylene Farmer leidvoll erfahren müssen. Aber noch einmal zurück zu dem Abendanzug von Sarkozy. Die Hosen sind zu lang, die Jackettärmel erst recht. Und das Jackett zu groß. Wer hat ihm das geliehen? Unmöglich dieser tiefsitzende Knopf bei der Figur. Und wer trägt noch den Vatermörderkragen zum Smoking? Immerhin trägt er keinen schwarzen Langbinder zum dinner jacket wie das jetzt bei amerikanischen Filmschauspielern eingerissen ist, die das black tie nicht so richtig begriffen haben. Und auch sicher keine Schleife binden können. Und weshalb hat das Magazin Esquire vor Jahren den kleinen Sonnenkönig Sarkozy auf Platz 6 der bestgekleideten Herren der Welt gesetzt?

Fragen über Fragen. Dies hier ist ein korrekter Abendanzug, allerdings darf den nicht jeder tragen. Es ist der Royal Court Dress (in der undress Version), den der englische König in den dreißiger Jahren für die Mitglieder der königlichen Familie erfunden hat. Weil die Windsor Uniform doch für das tägliche Leben ein wenig unpraktisch geworden war. Wenn Charles ein normales dinner jacket trägt, ist das (wie all seine Anzüge) beinahe immer zweireihig. Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen, obgleich manche Puristen die Nase rümpfen, weil das zweireihige dinner jacket modehistorisch noch jung ist, es taucht erst in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts auf. Wurde gerne von einem Verwandten von Charles getragen, der damals auch Prince of Wales war. Wenn David (der später Edward VIII sein wird) Zweireiher trägt, beweist er aber auch, dass kleine Männer durchaus Zweireiher tragen können. Denn der spätere Duke of Windsor ist nur zwei Zentimeter größer als Sarkozy.

Der Prince of Wales ließ sich das Jackett übrigens in midnight blue machen, weil diese Farbe bei künstlichem Licht nach seiner Ansicht schwärzer als schwarz war. Da wir schon mal dabei sind: das dinner jacket sollte schon ziemlich schwarz sein, es sei denn, Sie spielen in einer Band. Dann dürfen Sie so etwas wie das da oben tragen. I did not like that green coat you wore when I last saw you—you look best in black—which is a great compliment, for people must be very distingué in appearance, in order to do so, schreibt Edward Bulwer-Lytton in seinem Roman ➱Pelham.

Ein Roman, in dem der Dandy Russelton (Beau Brummell in disguise) den wunderbaren Satz ausspricht: "Coat!" said Russelton, with an appearance of the most naive surprise, and taking hold of the collar, suspiciously, by the finger and thumb; "coat, Sir Willoughby! do you call this thing a coat?" Das würde er angesichts Sarkozys Jackett wohl auch sagen. Ich habe Bulwer-Lyttons Satz you look best in black natürlich aus dem Grunde zitiert, weil sein Roman Pelham auch einen historischen Wendepunkt markiert. Von nun an gibt es abends nur noch ➱men in black, vorher war buntes Pfauengefieder angesagt.

Das hier ist auch eine königliche Kreation. Der Vorläufer des heutigen dinner jacket, dies Kleidungsteil, das die Amerikaner ➱Tuxedo nennen (in Europa nennt man es um 1900 Monte Carlo) Bei den Amerikanern bedeutet dinner jacket heute offensichtlich etwas anderes, wie Sie diesem schreiend komischen ➱Video mit Wendi Braswell entnehmen können. So ähnlich wie das hier auf der Zeichnung (die von der hervorragenden Seite The Black Tie Guide stammt) muss das Jackett ausgesehen haben, das sich der Prince of Wales im 19. Jahrhundert von dem Schneider ➱Henry Poole für informelle Abendgesellschaften in Sandringham hat anfertigen lassen (➱hier finden Sie den Eintrag im Hauptbuch von Henry Poole für diese Bestellung). Das Wort dinner jacket taucht zum ersten Mal im Jahre 1891 auf, vorher hieß das Teil Dress lounge oder Dress jacket. Man trägt es im Theater und bei Konzerten, für die ganz feine Abendgesellschaft ist weiterhin der Frack de rigueur. Aber das Jackett, das keine Schöße mehr hat und das man nicht zuknöpfen kann, ist natürlich beliebt, weil es so praktisch ist. But it is an error for gentlemen to go to public dinners or to assemblies where ladies are present in dinner jackets; yet they will do it, urteilt 1898 der London Tailor.

Wir wissen nicht genau, wie das Jackett für Bertie ausgesehen hat, wir wissen nur, dass es nicht mehr die Schwalbenschwänze der Frackjacke hatte. Ähnliche Jacketts existierten ja schon, seit Lord Spencer sich seine Frackschöße am Kamin versengt und sie kurzerhand abgeschnitten hatte. Diese Form findet sich noch heute im ➱mess jacket, das immer wieder für die Herrenmode propagiert wurde, sich aber nie durchgesetzt hat. Vielleicht hätte Sarkozy es mal mit einem solchen Jackett wie dem hier oben versuchen sollen. Dies elegante dunkelblaue Jackett mit Seidenrevers sieht ein wenig so aus wie die Hausjacke von Sherlock Holmes. Also das, was er trägt, wenn er vom Kokain bekifft ist und die Buchstaben V und R (für Victoria Regina) in die Wand schießt.

Und in der Tat ist das englische smoking jacket der Vorläufer für das dinner jacket. Und ein smoking jacket ist natürlich nicht dem dem deutschen Smoking gleichzusetzen. Nein, das ist diese viktorianische Jacke, die sich die Herren bei einer Abendgesellschaft an Stelle der Frackjacke überstreiften, wenn sie sich nach dem Essen in einen Salon oder die Bibliothek zurückzogen, um sich eine Zigarre oder eine Pfeife anzuzünden. Damit der Frack nicht so nach Tabak stank. Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, im Esszimmer zu rauchen. Das zählt zu den Errungenschaften einer neueren Zeit. In den achtziger Jahren gab es in England - wahrscheinlich verursacht durch Bücher wie ➱The Official Sloane Ranger Handbook und ➱The Young Fogey Handbook - eine Renaissance dieses Kleidungsstückes. Dazu passen natürlich prima diese fiesen dunklen ➱Wildlederslipper mit aufgesticktem goldenen Löwenkopf (oder Familienwappen).

Im England der achtziger Jahre, als diese neue Sorte Mensch mit Namen ➱Sloane Ranger auftauchte, war es chic, alte dinner jackets zu tragen. Möglichst aus der Savile Row und möglichst vom Großvater, falls der schon eins besessen hatte. Falls nicht, musste man die Oxfam Shops und die Secondhand Dealer zwischen Portobello Road und Fulham Road abklappern. Oder zu Jeremy Hackett gehen, der damals natürlich noch nicht in der Sloane Street saß, sondern gerade mit seinem Partner Ashley Lloyd-Jennings einen Laden in der King's Road aufgemacht hatte, von seinen Konkurrenten als dealer in dead men's clothes bespöttelt. I have a cursed hankering after certain musty old values, sagt Dorothy Sayers' Lord Peter Wimsey in Gaudy Night.

Und diese neuerwachte (oder schon ewige) Sehnsucht nach dem shabby chic, nach den Produkten klassischer englischer Schneiderkunst, als die Eleganz eines Landes noch in der Anzahl der Frackmäntel gemessen wurde, wusste Hackett geschickt zu bedienen. Seine Kunden, sagt er, would come in and fight over certain jackets. So you could see what they liked, and we started to reproduce it. Das war der Beginn einer success story, die (genau wie die Erfolgsgeschichte von Ralph Lauren) zeigt, dass der style anglais nicht totzukriegen ist. Nun ist er ➱Mr Classic und hat alles erreicht. Aber an seinem Akzent muss er noch ein wenig arbeiten, der ist definitiv nicht ➱upper class.

Das hier ist in gewissen Teilen der britischen Insel natürlich auch als Abendkleidung zulässig. So etwas ➱hier dagegen ganz und gar nicht. Man sollte allerdings - wie dieser ➱Herr hier - besser Schotte sein, um so etwas zu tragen. Aber auch für dieses Kleidungsstück gibt es eine gewisse Etikette. Obgleich grundsätzlich jeder Träger dieses nationalen Kostüms berechtigt ist, einen skean dhu im Strumpf zu tragen, sollte man bei Abendeinladungen davon Abstand nehmen. Die noch förmlichere Version dieses Kleidungstückes (die dem Frack entspricht) sieht übrigens ➱so aus. Im nächsten Absatz habe ich diesen Dressman noch einmal, allerdings ist er da etwas jünger.

Ob man dieses Teil hier wirklich braucht, weiß ich nicht so genau. Man trägt es in den Teilen des ehemaligen Empire, in denen Palmen wachsen. Aber man kann es offensichtlich auch im Sommer in England tragen. Das Jackett ist nicht weiß, sondern eher cremefarben, und es hat normalerweise kein Seidenrevers. Es hat aber, wie man hier auf dem Photo sehen kann, echte Knopflöcher am Ärmel. Ich habe so ein Teil im Schrank, aber nur, weil ich in einem Secondhandladen nicht widerstehen konnte. Von einem einstmals reputierlichen Schneider der Savile Row gestichelt, hat es mich einen Fuffi gekostet. Ich habe es noch nie zu tragen gewagt, aber wenn mich Miss Moneypenny anruft und M mich nach Jamaica schickt, dann packe ich das Jackett natürlich ein.

Ein wenig aus der Mode scheint der Frack zu sein, für den das Englische das schlichte schöne Wort ➱tails hat (auf einer Einladungskarte steht natürlich white tie). Wir sehen hier das enfant terrible der englischen Politszene Alexander Boris de Pfeffel Johnson, bekannter unter dem Namen Boris Johnson. Immerhin hat er eine weiße Weste, das ist für Politiker schon mal gut. Aber dann: die Hände in den Taschen, sieht so ein Gentleman aus? Die Schneider sollten für diese Sorte Klientele die Taschen zunähen. So wie die Croupiers im Spielcasino zugenähte Taschen an ihren dinner jackets haben. Und dann diese Pochette! da kann er sich doch gleich die Parkkarte von der Tiefgarage in die Tasche stecken.

Das hier würde einem arbiter elegantiarum schon besser gefallen als der Frack von Bozza. Einen scheunen Kerl wie den blonden Hans kann ja nichts entstellen. Es ist ein Photo aus dem Film Der tolle Blomberg. Das Ganze wäre perfekt, wenn das dieses Einstecktuch nicht wäre. Wir sind im 19. Jahrhundert, der Baron Gisbert von Romberg (die Vorlage für die Filmfigur) ist 1897 gestorben, da gab es noch keine Brusttaschen auf der Frackjacke. Da gibt man sich soviel Mühe mit der richtigen Manschette des Frackhemdes und dann so etwas.

Ist das hier die Zukunft? Das ist der etwas umstrittene Dirigent Christian Thielemann im Frack. Mit einem normalen Umlegekragen und einem schwarzen (oder weißem) Kummerbund oder nur das weiße Hemd in die Hose gewürgt.  Das sind so die Augenblicke, wo man glauben möchte, dass das Wort Kummerbund wirklich von Kummer kommt und nicht von den Engländern aus Indien mitgebracht wurde, wo es kamar-band heißt. Das Ganze sieht schrecklich aus, vor allem, wenn man ihm beim Dirigieren zusieht. Wie eine Zigarren-Bauchbinde. Da wäre noch Platz für Werbung drauf. Wenn er mit Gewalt originell sein will, dann soll er doch einen roten Frack tragen, wie das die Kapellmeister zu Mozarts Zeiten taten.

Da ich gerade bei Westen bin: natürlich kann man zum Smoking anstelle des Kummerbund (bei dem die Falten immer nach oben offen sein sollten!) auch eine schwarze Weste tragen. Wenn man allerdings eine ganze Nacht lang tanzen will/muss, ist die Weste nicht so praktisch. Dieses Photo hier habe ich, glaube ich, schon einmal in dem Post ➱Morning Coat verwendet. Ich nehme es noch einmal, weil ich diese kleine Detail, diese eingeknöpfte weiße Weste, so wunderbar finde. Im wirklichen Leben habe ich es nur einmal gesehen. Es war ein Vormittag mit einer feierlichen Veranstaltung, ich weiß nicht mehr, was es war. Aber ich weiß, dass Kapitän Ernst Biet einen dunkelgrauen Flanellanzug trug, in dessen Weste dieses weiße Untergilet eingeknöpft war. Wirkte wahnsinnig cool. Irgendwie sind die grauen Flanellanzüge, die in den fünfziger und sechziger Jahren eine Art Standard waren, völlig verschwunden. Schade eigentlich. Als wir das Haus verließen, musterte Käptn Biet uns alle noch einmal unauffällig durch. Bei dem Mann, dem der Norddeutsche Lloyd die größten Passagierschiffe anvertraut hatte, wäre bestimmt kein Mitglied der Mannschaft in unvorschriftsmäßiger Uniform an Deck gelassen worden. Ich bin mir sicher, dass er Sarkozy nicht aus dem Haus gelassen hätte.

Und dann gibt es noch das hier. Stammt aus der der neuesten ➱Cerimonia Kollektion von Pal Zileri. Eine dandyeske Variante des Morning Coat. In Deutschland gibt es die Firma Wilvorst (die zum Brinkmann Imperium gehört), die so etwas Ähnliches für Hochzeiten verkauft. Sicher nicht in der Qualität, die Pal Zileri liefert, aber auch etwas schräg. Die Firma Odermark in Goslar (bei der die Maßkonfektion von Brinkmann, zum Beispiel die von Eduard Dressler angesiedelt war) gehört seit zwei Jahren auch zu Wilvorst, ich weiß nicht, ob das jetzt gut oder schlecht ist. Man ist ja froh, wenn überhaupt noch ein Bekleidungshersteller in Deutschland bleibt.

Ob ein Anzug wie dieser von Pal Zileri nun die Zukunft der Herrenmode ist, überlassen wir mal dem sich ständig wandelnden Geschmack. Und geben das letzte Wort heute an Joachim Ringelnatz, der das alles sehr positiv sieht:

Es lebe die Mode!

Für die Mode, nicht dagegen
Sei der Mensch! – Denn sie erfreut,
Wenn sie sich auch oft verwegen
Vor dem größten Kitsch nicht scheut.

Ob sie etwas kürzer, länger,

Enger oder anders macht,
Bin ich immer gern ihr Sänger,
Weil sie keck ins Leben lacht.

Durch das Weltall sei's gejodelt
Allen Schneidern zum Gewinn:
Mode lebt und Leben modelt,
Und so haben beide Sinn.


1 Kommentar:

  1. Bezüglich meiner kleinen gehässigen Bemerkung über Jeremy Hacketts Akzent erhielt ich folgende E-Mail: "Jay - I find Hackett's accent perfectly all right: articulate, well-enunciated unaffected speech - definitely not uncouth prole, and not snobbishly genteel - after all, he serves the would-be upper class and does not lay claim to being the offspring of a pedigree family". Besser kann man es sicher nicht sagen, vielleicht ist es sogar sehr sympathisch, dass er seinen Wurzeln treu geblieben ist. Er ist sich dieses Problems selbst durchaus bewusst, wie ich letztens in einem Interview las.

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