Freitag, 18. Mai 2012

Lützow


Vor 230 Jahren wurde der Freiherr Ludwig Adolf Wilhelm von Lützow geboren. Er war ein deutscher Held der Befreiungskriege gegen Napoleon. Er kommandierte ein Freikorps, das nach ihm benannt war. Die Lützowschen Jäger hatten schwarze Uniformen, was heute im Internet hunderte von selbsternannten Militärhistorikern begeistert. Napoleon sprach nur verächtlich von den brigands noirs. Von allen Freikorps waren die Lützowschen Jäger vielleicht die berühmtesten (den unglücklichen Schill wollen wir mal nicht erwähnen). Weil so viele Schriftsteller in dem Korps waren, und weil ➱Theodor Körner (hier gibt es eine vorzügliche Seite des Goethezeitportals) ein Lied auf Lützows wilde verwegene Jagd geschrieben hat. Vertont von Carl Maria von Weber und Franz Schubert. Mein Opa konnte es mit Inbrunst am Klavier singen. Kam in der Hitliste vaterländischer Gesänge bei ihm gleich nach dem Andreas Hofer Lied Zu Mantua in Banden. Aber mein Großvater war noch im 19. Jahrhundert aufgewachsen, da waren vaterländische Lieder eine Selbstverständlichkeit.

Später wurden die Lieder des Befreiungskrieges dann von den Nazis gesungen. Heute nur noch von Verbindungstudenten und Neo-Nazis. Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich den Deutschen Liederschatz von Ludwig Erk (der auch die Die Deutschen Freiheitskriege in Liedern und Gedichten herausgegeben hatte) noch beinahe vollständig beherrsche, ohne Verbindungstudent oder Neonazi zu sein. Weil Opa mir die Anfangsgründe des Klavierspiels an Hand von Erks Sammlung von patriotischen Liedern beibrachte. Mit solchen Anfängen wird man kein Konzertpianist. Man kann dann aber Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod? Bald wird die Trompete blasen: dann muss ich mein Leben lassen, ich und mancher Kamerad! spielen, nur dass das heute niemand mehr hören will. Es ist schon in Ordnung, wenn die Kiddies heute den ➱Flohwalzer oder den Ententanz üben und nicht mehr de la Motte-Fouqués Frisch auf zum fröhlichen Jagen, es ist nun an der Zeit lernen. Dennoch all das gehört zu unserer Geschichte (nein, nicht der Ententanz), auch wenn die patriotische Begeisterung der Freiheitskriege irgendwann von den Falschen appropriiert wurde (und heute noch wird, da muss man nur mal auf YouTube gehen).

Mit der Verherrlichung des Freiherrn von Lützow ist es heute nicht mehr so weit her. Weil unter dem Strich betrachtet sein Freikorps militärisch gesehen ziemlich bedeutungslos war. So bedeutungslos wie die Aktion von Adel und Lebuser Landsturm in Fontanes ➱Vor dem Sturm. Aber es ist die Summe all dieser Taten, die Summe all dieser paramilitärischen Einheiten, die den Widerstand gegen Napoleon ausmacht. Es ist der Bremer Hauptmann Böse, der auf eigene Kosten eine ➱Truppe ausrüstet, es ist der Hamburger Schriftsteller und Arzt Nikolaus Heinrich Julius, der die Hamburgische Legion als Stabsarzt begleitet, es ist der hannöversche Offizier Friedrich von der Decken, der The King's German Legion gründet und es sind tausend andere. Tausend andere unbekannte Helden. Und Heldinnen. Wie die Bremer Zimmermannstochter Anna Lühring, die unter dem Namen Eduard Kruse in das Lützowsche Freikorps eintrat.

Es ist dieser romantische Gedanke, durch die Wälder, durch die Auen streifende Jäger zu sein, diese kleine Schar von vaterlandliebenden Gesellen, die aufgebrochen sind ein wackres Werk zu thun. Und dabei nicht nur die Franzosen schlagen wollen, sondern (wie de la Motte-Fouqué dichtet): Wir woll'n ein Heil erbauen für all' das deutsche Land, im frohen Gottvertrauen, Mit rüstig starker Hand. Und der junge Theodor Körner schreibt seinem Vater: Deutschland steht auf. Der preußische Adler erweckt in allen treuen Herzen durch seine kühnen Flügelschläge die Hoffnung einer deutschen, wenigstens norddeutschen Freiheit. Meine Kunst seufzt nach ihrem Vaterlande – laß mich ihr würdiger Jünger sein! – Ja, liebster Vater, ich will Soldat werden, will das hier gewonnene, glückliche und sorgenfreie Leben mit Freuden hinwerfen, nun, sei’s auch mit meinem Blute, mir ein Vaterland zu erkämpfen!

Wenig später finden sich sich all die Freikorpsromantiker in regulären Truppenteilen wieder, die Berufsmilitärs hassen diese unorganisierten Guerillatruppen. Zumal die auch die höchste Desertionsquote haben und als Soldaten wie unser Turnvater Jahn häufig eine Katastrophe sind. Der Volksmund macht schnell aus der wilden, verwegenen Jagd eine stille, verlegene Jagd. Die Lützowschen Jäger werden dem russischen ➱General Tettenborn unterstellt. In Bremen ist man ihnen dankbar, weil es ein Scharfschütze von der schwarzen Schar der Lützower ist, der den französischen Stadtkommandanten Oberst Tuillier erschießt. Aber ansonsten hält sich die Begeisterung über Lützows Korps in Grenzen. 1849 urteilt Wigand's Conversations Lexikon über das Freikorps: Dieses Lützow'sche Freicorps war eine wilde verwegene Schaar mit einer glühenden Begeisterung und einem heldenkühnen Muthe, aber durch Umstände ist es nie recht an seinem Platze gewesen.

Der Leutnant Theodor Körner (links) hat den Krieg nicht überlebt, der Leutnant Joseph von Eichendorff und der Rittmeister de la Motte-Fouqué schon. Der wortgewaltigste Deutschtümler Ernst Moritz Arndt hat keine Uniform getragen. Das stille, idyllische Bild ganz oben ist von dem Maler Georg Friedrich Kersting, der auch bei den Lützowschen Jägern war. Es zeigt seine Freunde Heinrich Hartmann, Theodor Körner (in melancholischer Pose in der Mitte sitzend) und Friedrich Friesen auf Vorposten im Wald, diesem deutschen Wald, der jetzt in der Romantik zu einem Nationalsymbol wird.

Simon Schama hat das Kapitel über die Deutschen und den Wald in seinem großartigen Buch Landscape and Memory mit dem Titel Arminius Redivivus überschrieben. Und es ist kein Zufall, dass Kleist plötzlich die Hermannsschlacht aus der Mottenkiste der Geschichte holt. Es ist jetzt viel symbolischer Wald im deutschen Denken, vom Teutoburger Wald des Arminius bis zu Caspar David Friedrichs Bild vom französischen Chasseur im Walde. Und Georg Friedrich Kerstings Bild seiner Freunde im Wald.

Es ist ein Erinnerungsbild, alle drei Dargestellten haben den Freiheitskampf nicht überlebt, wenn sie auch zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten gestorben sind. Heinrich Hartmann, Student der Rechte in Heidelberg (links unten im Bild), starb neunzehnjährig in dem Gefecht an der Göhrde. In dem Kersting eine Haubitze eroberte und Körner verwundet wurde. Theodor ➱Körner (noch einmal das Goethezeitportal) starb bei Gadebusch in den Armen von Friedrich Friesen. Karl Friedrich Friesen, der Adjutant Lützows wurde 1814 in den Ardennen getötet. Die dänische Gräfin Elisa Davidia Margarethe von Ahlefeldt, die mit Körner und Friesen befreundet war (sie ist eigentlich viel interessanter als der Baron Lützow, mit dem sie einmal verheiratet war ), hat dafür gesorgt, dass Friesen 1843 ein Grab auf dem Berliner Invalidenfriedhof bekam. Bevor Kersting dies Bild malte, hat er bezaubernde kleine ➱Interieurbilder gemalt. Wenn man so will, ist auch dies ein Interieurbild, wir sind in diesem Wald zuhause. Er wird beinahe zum Wohnzimmer, so wie bei Kerstings Bild des Verlegers ➱Carl Friedrich Frommann. Das Grün (das auf jeder Reproduktion anders ist) gibt Geborgenheit, hüllt sie ein wie den Heiligen Georg auf Altdorfers ➱Bild.

Es gibt ein zweites Bild von Kersting, das Die Kranzwinderin heißt. Es ist ein Gegenstück zu dem Bild Auf Vorposten. Hier sind die Namen der drei Lützowschen Jäger in die Rinde der Eichen geritzt, während eine junge Frau in unschuldigem Weiß dabei ist, drei Kränze aus dem Laub einer deutschen Eiche zu winden. Symbole für Tod, aber auch Sieg, das Bild ist wie das Bild Auf Vorposten 1815 gemalt, da ist die Schlacht von Waterloo schon gewonnen. Die vielen patriotischen Veteranen werden schnell erfahren, dass der Traum von der Freiheit für die Herrschenden nur ein Traum von der Befreiung von Napoleon war. Es folgen die Pressezensur und die Karlsbader Beschlüsse, liberale und nationale Ideen gelten plötzlich als Volksverhetzung. Wir fallen immer von einem Extrem ins andere. Ich lasse das letzte Wort mal dem Freiherrn Joseph von Eichendorf.

An die Lützowschen Jäger

Wunderliche Spießgesellen,
Denkt ihr noch an mich,
Wie wir an der Elbe Wellen
Lagen brüderlich?


Wie wir in des Spreewalds Hallen,
Schauer in der Brust,
Hell die Hörner ließen schallen
So zu Schreck wie Lust?


Mancher mußte da hinunter
Unter den Rasen grün,
Und der Krieg und Frühling munter
Gingen über ihn.


Wo wir ruhen, wo wir wohnen:
Jener Waldeshort
Rauscht mit seinen grünen Kronen
Durch mein Leben fort.


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