Sonntag, 24. Juni 2012

Baldessarini


Wenn ich doch nur dieses tolle Photo von der Wolford Strumpfreklame finden könnte, das ich einmal in Österreich im Skiurlaub photographiert habe. Ein beinahe nacktes Frauenbein auf einer Bretterwand mitten in der Schneewüste, sah toll aus. Sie fragen sich, was die Überschrift Baldessarini mit einem Werbeplakat einer österreichischen Strumpffirma zu tun hat? Ganz einfach, Werner Baldessarini, der Mann, der der Luxusmarke von Boss seinen Namen gab, ist da heute im Vorstand. Mit dem, was sich heute Baldessarini nennt, hat er nichts mehr zu tun. Er hat lediglich seinen Namen verkauft.

Die Marke Baldessarini gehört seit dem Jahre 2006 der Firma Ahlers in Herford. Deren Produkte brauchen Sie wahrscheinlich nicht unbedingt zu kennen. Ihr größter Gewinnbringer war das Eterna Hemd, zu dem ich nichts sagen kann, weil ich in meinem ganzen Leben kein Eterna Hemd besessen habe. Aber ich glaube es ist qualitativ nicht vergleichbar mit den Produkten einer anderen Firma, die Eterna hieß. Die stellte in der Schweiz Präzisisonsuhren her. Steht so auf dem Garantieschein der ➱Eternamatic, die ich von meinem Vater geerbt habe. Die Ahlers AG musste allerdings ihren Goldesel Eterna verkaufen, um Werner Baldessarini bezahlen zu können. Das soll irgendetwas zwischen sechs und zehn Millionen Euro gekostet haben. Ich weiß nicht, ob in dem Deal auch der Barbesitzer Charles Schumann drin war, der jahrelang das Gesicht der Baldessarini Linie von Hugo Boss war.

Früher stand auf dem Label unter dem markanten Schriftzug Baldessarini noch dezent Hugo Boss, jetzt wird der Name des Österreichers, der einen italienischen Opa hatte, noch einmal in Versalien wiederholt. Ohne das Hugo Boss, die Firma, die durch Baldessarini groß geworden ist. Da ist er der Chefdesigner gewesen, bis ihn eines Tages der Graf Pietro Marzotto zum Chef gemacht hat. Sie haben das eben richtig gelesen, die Firma Boss gehörte vor zwanzig Jahren den Italienern der Marzotto Gruppe. Heute gehört die Firma einem Investorenfond namens Permira, der die goldene Kuh Hugo Boss ➱über Gebühr melkt. Die Heuschrecken sind überall. Es gab 1998 viele Kritiker, die Werner Baldessarini nicht zutrauten, den Konzern Boss zu führen. Boss hat jetzt Deutschlands einzigen Vorstandsvorsitzenden, der keine Bilanz lesen kann, konnte man lesen. Aber er hat bei Boss die Weichen für die Zukunft gestellt. Und natürlich die Linie Baldessarini geschaffen. Das klingt im Wikipedia Artikel dann so: Unter der Leitung des damaligen Vorstandsvorsitzenden Peter Littmann und unter Baldessarinis Federführung als Chef-Designer wurde 1993 das nach ihm benannte hochpreisige Luxus-Label für den reiferen Herrn, Baldessarini, als Hugo Boss Top-Marke eingeführt.

Bei Boss hat inzwischen als Ersatz für die Baldessarini-Linie die Linie ➱Boss Selection eingeführt. Ganz nett, aber nicht mit Baldessarini zu vergleichen. Ich habe mal im Ausverkauf für billig Geld einen cremefarbenen Baumwollanzug gekauft. Das war optimistisch, draußen schneite es gerade. Die Baumwolle ist erstklassig, aber der Schnitt - das kann man bei Caruso besser. Der Anzug, mit dem man ein wenig aussieht wie ein italienischer Strizzi, ist nicht Made in Italy sondern Made in Turkey. Immerhin ist das Futter 100 % Cupro, das ist schon mal der erste Schritt in Richtung Qualität.

Das mit dem reiferen Herrn bei Wikipedia klingt irgendwie ein bisschen daneben, aber sei's drum. Hier sehen Sie zwei reifere Herren, Werner Baldessarini und seinen Freund Charles Schumann, ein Photo aus der Zeit, als Baldessarini offiziell noch Berater bei der Firma Ahlers war. Unter den beiden ist das neue Fimenlogo. Is it the good turtle soup or merely the mock? Die Antwort ist schnell gefunden, es hat heute nichts mehr mit der einstigen Qualität zu tun.

Baldessarini (neu) hängt jetzt schwer wie Blei bei Anson's rum (zu dem Bild hier sage ich nix). Wo ich schon ein paar Jacketts in Ruhe Naht für Naht untersucht habe. In der Anzugsabteilung von Anson's ist es meistens ruhig, und die beiden netten Verkäufer kennen mich, die lassen mich in Ruhe. Ich lasse andererseits die Baldessarini Jacketts und Anzüge auch in Ruhe. Ich nehme an, dass das ganze Geschäft über die Parfüms und die Jeans läuft, das ist ja bei vielen Marken so. Die Jeans sind O.K. Wenn man das grauenhafte Label abtrennt. Ich habe zwei oder drei, habe aber nie mehr als 39 € dafür bezahlt, 149 € VK ist ein etwas illusorisches Unternehmen, dafür kann man sich schon mit ein bisschen Suchen eine (oder mehrere) ➱Jacob Cohen Jeans kaufen. Das ganze Baldessarini Zeug wird ja auch bei Yoox und Zalando (und wie diese Firmen so heißen) weit unterhalb des Verkaufspreises verkauft. Oder bei Ebay. Neuerdings gibt es auch eine Uhrenlinie (von tollen ➱Designern designed), die kosten zwischen 300 und 400 Euro und werden bei Neckermann, Zalando und Amazon vertickt. Ist natürlich Quarz drin, igitt. Für den Preis kriegt man bei Ebay schon eine gute alte Eterna.

Ich habe im Spiegel vor Jahren gelesen, dass die Firma Ahlers einen ganz anderen Markt im Visier hat: Russland. Mit der Luxuslinie Baldessarini, die das Unternehmen vor zwei Jahren von Hugo Boss übernommen hat, ist Ahlers in Russland besonders erfolgreich. Baldessarini-Anzüge kosten 1.000 Euro aufwärts. "In Deutschland wird die Luft für solche Preislagen immer dünner", sagt Ahlers, "die Russen kaufen dagegen gern teuer ein." Vielen Dank, liebes Spiegel Archiv, aber dass die Anzüge tausend Euro aufwärts kosten, da habt ihr was verwechselt. Das war früher mal, als das noch richtige Qualität war.

Ist das hier die Zielgruppe (Du wollen Blume kaufen?) von Baldessarini? Ich habe bisher noch keinen Anzug von Baldessarini (lite) gesehen, der im vierstelligen Bereich lag. Aber es scheint sie zu geben. Wahrscheinlich in Russland. Der augenblickliche Baldessarini CEO Burkhard Stuhlemmer sagt zur Lage seiner Firma: Früher waren wir zu hochpreisig positioniert, das haben wir korrigiert. Die Marke Baldessarini schlägt die Brücke von Premium zu Luxus. Wir haben Anzüge für 499 € im Programm. Das sind Preise, die sich mit denen von Boss Selection vergleichen lassen. Eine solche Preislage bieten andere Marken auch. Diese haben aber keinen Anzug für 1.500 € im Programm, so wie wir. Umgekehrt beginnt für z.B. Zegna der Preiseinstieg bei 900 €. Dafür kann das Label nicht mit unseren Preiseinstiegslagen mithalten. In dieser Nische fühlen wir uns wohl. Wir machen Mode für den Mann, der angekommen ist und sich nichts mehr zu beweisen braucht.

Wir lassen das mal dahingestellt, ob sich die neue Firma mit Zegna vergleichen kann. Zur Zeit von Werner Baldessarini war das anders, da gab es nur Spitzenqualität. Die Hemden kamen aus Italien, hatten die Ärmel noch von Hand eingesetzt. So, dass die Naht des Ärmels nicht auf die Seitennaht des Hemdes stieß, was immer einen kleinen Knubbel macht. Das gab es bei Borrelli und Fray (und jetzt bei Ralph Lauren Purple), das war ein nettes Detail. Später waren die Hemden Made in Switzerland, da fiel das mit der Positionierung der Ärmelnaht weg, gegen die Stoffqualität war aber nichts zu sagen. Jacketts und Anzüge ließ Werner Baldessarini bei Caruso machen, diese Firma ist untrennbar mit ihm verbunden. Er hätte ja vielleicht auch ➱Regent nehmen können, warum nicht einmal in Deutschland produzieren? Schauen Sie dazu doch einmal bei ➱Wolfgang Grupp hinein, auch wenn sein Outfit ein wenig outriert ist, was er sagt, sollte man beachten. Aber vielleicht waren es Baldessarinis italienischen Wurzeln, die ihn nach Parma zu Caruso gehen ließen.

Gegründet wurde die Firma Raffaele Caruso von dem gleichnamigen italienischen Schneidermeister Ende der fünfziger Jahre. Also noch vor der Zeit, in der die Firma Kiton gegründet wurde. In ihren Anfangstagen trat Caruso noch unter dem Namen Ma.Co. auf, was für Manifacture e Confezioni stand. Wobei man beachten sollte, dass Manifacture zuerst kam. Die Werbung der Firma war zurückhaltend, von Zeit zu Zeit fand sich in der italienischen L'Uomo Vogue eine ganzseitige Anzeige. Sie hatten auch keine Werbung nötig, ihr Stand bei den Messen war immer umlagert. Weil es sich herumgesprochen hatte, dass hier eine Firma war, die mit einem hohen Anteil von Handarbeit beinahe die Qualität von Kiton bot. Allerdings für einen Bruchteil von deren Preisen - ideal für Herrenausstatter, die sich hier ihre Private Label Sakkos machen ließen. Und dann diese schöne Gewinnspanne hatten. Fritz Unützer in München setzte in seinem English House von Anfang an auf Caruso. Für ihn war die Firma das einzige Produkt in dieser Preislage (Sakkos um 600 bis 700 Euro VK), das in der Anmutung in die Nähe eines Kiton-Sakkos kommt.

Sie produzierten nicht nur Ma.Co. und R. Caruso oder nähten die Labels vornehmer Herrenausstatter in ihre Sakkos, sie waren auch die Produktionsstätte für eine Vielzahl von Firmen, die zwar einen großen Namen aber keine eigene Produktion hatten. Da waren sie ähnlich wie ➱Nervesa, die für Aquascutum, Nina Ricci, Francesco Smalto und Yves Saint-Laurent produzierten. Und so produzierten sie bei Caruso  Lanvin, Givenchy, Christian Dior (und neuerdings die teure Ralph Lauren Purple Linie). Von solchen hochklassigen Fabriken für Herrenkonfektion gibt es in Italien ja noch einige, ➱Santandrea (Mailand) - die auch einmal die Ralph Lauren Purple Linie produzierten - mit ihrer ➱Saint-Andrews Linie wäre nur ein Beispiel. Gab's mal kurz bei ➱Kelly's, flog aber wieder raus, weil Michael Rieckhof den Kunden ein weithin unbekanntes Label kaum vermitteln konnte. Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich. Häufig sind diese Firmen auch damit zufrieden, dass man sie gar nicht kennt, sie haben ihre Abnehmer, und die möchten sehr oft gar nicht, dass der Hersteller bekannt wird. Mittlerweile ist es in den zahlreichen Mode-Foren schon ein Gesellschaftsspiel geworden, herauszufinden, wer wann was hergestellt hat.

Die Zusammenarbeit mit Werner Baldessarini bedeutete für ➱Alberto Caruso ein Umdenken und eine Neuorientierung. It was Mr. Baldessarini that taught me to find the quality and underline it, hat Caruso in einem Interview gesagt. Das ist italienische Höflichkeit, was Qualität ist, wussten die in Italien schon vorher. Was für Caruso vielleicht noch wichtiger war, war die Tatsache, dass sie seit 1992 mit Enrico Borghetti in München einen Vertreter hatten, der die Marke in Deutschland vertrat. Ich kannte sie schon, bevor ich bei Kelly's mein erstes Caruso Jackett kaufte, weil ich damals ein Jahresabo von L'Uomo Vogue hatte und die Werbeanzeigen auswendig lernte. Was manchmal auch mir einer gewissen Wehmut verbunden war: all die schönen Dinge, sie würden nie über die Alpen kommen! Caruso kam jetzt, von Kiel (➱Kelly's) bis München (➱Unützer English House). Über die Jahre kam ein größerer Bekanntheitsgrad. Und höhere Preise.

Die Sache mit dem Bekanntheitsgrad schmeckt mir nun überhaupt nicht. Aus einem ganz simplen Grund: solange niemand die Marke kannte, konnte man die Jacketts bei Ebay für n'en Appel und 'nen Ei kaufen. Ich schäme mich überhaupt nicht zuzugeben, dass der größte Teil meiner Caruso Jacketts in Second Hand Läden und bei Ebay gekauft wurde. Ich möchte lieber keine Preise nennen, sie würden jedem Tränen in die Augen treiben, der je ein Caruso Jackett zum normalen Verkaufspreis erstanden hat. Es liegt daran, dass ich Mode nicht wirklich ernst nehme. Ich folge einfach Oscar Wildes Diktum I have the simplest tastes. I am always satisfied with the best. Aber ich habe keine Lust, dafür Geld auszugeben. Geld gebe ich für Bücher, CDs und ab und zu für Kunst aus.

In gewisser Weise hat Baldessarini Caruso groß gemacht. Dies hier ist das Etikett in der Brusttasche von einem Baldessarini Jackett, das von Caruso hergestellt wurde. Sind heute schon schwer zu finden. Baldessarini ist untergegangen, ist nur noch ein Name. Aber sonst ein Schatten seiner selbst. Aber was wird aus Caruso? Vor vier Jahren hat sich Umberto Angeloni bei Caruso (inzwischen ein börsennotiertes Unternehmen) eingekauft. Das ist nicht irgendjemand, der war jahrelang Mr. Brioni. Ist da weg, weil man ihm nach sechzehn Jahren als CEO den Stuhl vor die Tür gestellt hat. Wahrscheinlich hat es ihm auch nicht geschmeckt, dass Brioni jetzt dem Konzern Pinault-Printemps-Redoute (PPR) gehört. Kann man ihm nachfühlen.

Zuerst hatte Angeloni nur 35 Prozent des Unternehmens gekauft, aber dann hat er in den letzten Jahren seinen Anteil auf 80.1% erhöht. Er hat neuerdings seine eigene Linie, die ➱Uman heißt (die natürlich von Caruso produziert wird), jetzt mischt er die Konkurrenz auf. Und er hat gerade einen Deal mit ➱China eingefädelt. Wo soll das enden? La donna e mobile sang der Namensvetter des Firmengründers, der Modemarkt ist wie eine launische Diva, sind diese Expansionspläne und Joint Ventures wirklich von Nutzen? Wird die schon beinahe sprichwörtliche Qualität von Caruso leiden?

Hier sitzt die Firma Caruso noch nicht, das ist das Schloss der Fürsten von Soragna, die da seit beinahe siebenhundert Jahren wohnen. Die Firma Caruso sitzt ein bisschen weiter weg in einem Industriegebiet (wo sie auch einen ➱Fabrikverkauf haben). Ob der Principe Diofebo Meli Lupi di Soragna da einkauft, ist nicht bekannt. Die chinesische Firma, mit der Umberto Angeloni seinen neuen Deal plant, heißt China Garments Co. Ltd. Wahrscheinlich haben die früher blaue Mao-Jacken und Uniformen gemacht, jetzt wollen sie unter dem Namen SheJi-Sorgere italienische Luxusklamotten in China verkaufen.

In China gibt es mehr als eine Million Millionäre, die alle längst keine blauen Mao-Anzüge mehr tragen, die brauchen ja was zum Anziehen. Die wollen nicht die Billigklamotten tragen, die unter menschenunwürdigen Bedingungen in ihrem eigenen Land hergestellt werden. Oder die Billigklamotten, die unter ähnlichen Bedingungen von Chinesen als Made in Italy hergestellt werden, weil die schon große Teile des italienischen Marktes ➱(1)  ➱(2) unterwandert haben. Die Globalisierung nimmt immer seltsamere Formen an. Umberto Angeloni ist allerdings nicht allein mit seiner Sehnsucht, sich auf dem chinesischen Markt zu etablieren. Viele andere ➱Italiener sind schon da oder wollen da hin.

Ich habe die Marke Caruso in den letzten Jahrzehnten lieb gewonnen, ihre Jacketts passen mir immer perfekt. Selbst das älteste mit dem Stoff von Carlo Barbera passt immer noch gut. Ich brauche keine neuen mehr, ich kann leicht und locker dieses shop your wardrobe Spiel betreiben. Allerdings habe ich letztens doch wieder gesündigt und eins von diesen tollen alten Baldessarini (= Caruso) Cordjacketts gekauft. 30 Euro bei Ebay, ungetragen, Taschen noch zugenäht. Normalerweise trenne ich ja immer die Etiketten aus den Jacketts. Aber dieses bleibt drin. Es ist ein Etikett von ➱Möller in Hannover, das unter dem Namenszug ganz klein den schönen Satz trägt: Beschütze mich vor meinen Wünschen. Das hätten die ruhig größer schreiben können.

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