Donnerstag, 13. September 2012

Hoya


Sie brauchen den Ort nicht unbedingt zu kennen, liegt an der Weser, südlich von Bremen. Da sind die Engländer im Mai 1945 über die Weser gekommen, als sie ➱Bremen eroberten. In die Gegend fuhren wir früher einmal im Jahr zum Spargelessen. Später dufte ich da mehrmals im Jahr mit der Bundeswehr im Manöver üben, wie man möglichst schnell eine Panzergrenadierbrigade über die Weser kriegt. Bevor wir uns mit unseren Panzern, begleitet von englischen Truppen, in das Land von Wilhelm Raabe begaben. Und da ➱Krieg spielten, wo schon der englische General Eliott im 18. Jahrhundert gewesen war.

Rosel Zech ist in Hoya aufgewachsen. Und Heinrich Albert Oppermann hat hier gelebt. Hat Hoya in seinen Roman Hundert Jahre hinein geschrieben, den alle hartgesottenen Arno Schmidt Leser natürlich gelesen haben. Ich finde es cool, dass der mit seinen neun Bänden und 101 Kapiteln als Volltext ➱hier zu lesen ist. Der Wikipedia Artikel, der Rosel Zech und Oppermann erwähnt, hat keine Zeile für Ludwig Schweckendieck übrig. Es gibt aber in Hoya immerhin eine Schweckendieck Straße, ganz vergessen ist er nicht. Und mit diesem geheimnisvollen Schweckendieck komme ich noch einmal auf John Singleton Copley zurück.

Und auf sein in größtes Bild, auf jeden Fall flächenmäßig (543 x 754 cm), The Defeat of the Floating Batteries at Gibraltar, September 1782. Der Wikipedia Artikel datiert das Bild mit dem Jahr 1783, was ein klein wenig falsch ist. Denn im Jahre 1783 hat Copley den Auftrag von der City of London zu dem Bild bekommen, eigentlich nur deshalb, weil er Benjamin Wests Honorarforderungen unterboten hatte. Tausend guineas hatte er mit der City of London ausgemacht, doch am Ende möchte er noch einmal zusätzlich 500 guineas haben, bekommt jedoch nach langen, entwürdigenden Verhandlungen gerade mal einen Nachschlag von hundert guineas. Er hat acht Jahre an dem Monsterbild gemalt, hatte die Leinwand auf Rollen aufgehängt, damit er jeden Quadratmeter an seine Leiter heran rollen konnte.

Copley malt gegen die Konkurrenz an. Die haben zwar keinen lukrativen Staatsauftrag, aber sie haben alle von Copley gelernt: male ein sensationelles Bild von einem aktuellen Ereignis und stelle es in einer Einzelausstellung aus! Und so präsentiert George Carter (ja, der selbe, der mit ➱Copley in Italien war) 1784 seine Version der Schlacht, nachdem er im Jahr zuvor mit dem Bild vom Tod von ➱Captain Cook Furore gemacht hatte. 1785 stellt Joseph Wright of Derby sein nächtliches Gibraltar Feuerwerk (links) in Robins's Rooms, Covent Garden, aus. Und 1789 präsentiert John Trumbull sein Bild (weiter unten), das Horace Walpole als the finest picture he had ever seen painted on the northern side of the Alps bezeichnet hat. Angeblich. Der Satz findet sich nur in der Autobiographie von Trumbull, und der nimmt es mit der Wahrheit nie so genau. Die Würdigung der Heldentaten ist jetzt zu einer nationalen Aufgabe der Künstler geworden, wie ➱William Hayley in seiner Ode to Mr. Wright of Derby dichtete:

Rival of Greece, in arms, in arts,
Tho' deem'd in her declining days,
Britain yet boasts unnumber'd hearts,
Who keenly pant for public praise:
Her battles yet are firmly fought
By Chiefs with Spartan courage fraught:
Her Painters with Athenian zeal unite
To trace the glories of the prosp'rous fight,
And gild th' embattled scene with art's immortal light.


Erst 1791 ist das Bild endgültig fertig. Es zeigt den englischen General George Augustus Eliott im Jahre 1782 in dem Augenblick der Entscheidung, als es den in Gibraltar eingeschlossenen Engländern gelingt, die spanischen floating batteries zu zerstören. General Eliott ist in Deutschland kein Unbekannter, er war im Siebenjährigen Krieg hier, und er kommt in Wilhelm Raabes Roman ➱Das Odfeld vor. Copley hat das Bild in einem großen Zelt ausgestellt. Er hatte Schwierigkeiten einen Platz zu finden, überall wurde er wegen des Rummels, den es auslöste, vertrieben. Bis ihm der König gestattete, das Zelt vor dem Buckingham Palace aufzustellen. Push it nearer to my Wife's house - she won't complain, hat er gesagt.

Der Gouverneur von Gibraltar General Eliott muss natürlich im Mittelpunkt des Bildes sein, mit dieser herrischen Geste, die Generäle, die auf weißen Rössern sitzen, immer drauf haben. Und natürlich picobello gekleidet, wie hier auf einem anderen Bild von Copley. Die Engländer sind dreieinhalb Jahre ➱belagert worden, angeblich sind sie einmal von den Affen vor einem Überfall gewarnt worden. Aus dieser Zeit datiert auch die Legende, dass der Felsen solange britisch sein würde, wie die Affen dort hausten. Die letzten Monate waren die Engländer vom Rest Spaniens abgeschnürt. Sie hatten nichts mehr zum Essen, tausende waren an Skorbut und Seuchen erkrankt, aber der Gouverneur, der sich angeblich nur von Brot, Wasser und Gemüse ernährt, sieht aus wie aus dem Modejournal. Historienbilder gaukeln uns immer eine schönere Welt vor.

Wir lassen General Eliott, der wenig später Baron Heathfield of Gibraltar wird, auf seinem weißen Pferd sitzen und blicken einmal auf die Gruppe der Herren rechts von ihm. Wegen dieses Herrn hier ist Copley 1787 nach Hannover gereist, a pleasurable and professional excursion. Der General auf dieser Skizze heißt August de la Motte, er kommt aus einer weit verzweigten Familie, die eine Vielzahl von Offizieren hervorgebracht hat. Und natürlich auch unseren deutschen Dichter, den Rittmeister Friedrich de la Motte Fouqué. Generalmajor August de la Motte kommandiert eine hannöversche Brigade, die der König George III nach Gibraltar geschickt hatte.

Und er hat natürlich seine eigenen Offiziere dabei. Wie die Obristen Ernst August von Hugo (im Vordergrund), Bernhard Wilhelm von Schlepegrell (im Hintergrund) und Gustav Friedrich von Dachenhausen, die alle bei der Verteidigung von Gibraltar zu Helden werden. Und inzwischen alle dort zum Oberst befördert worden sind - de la Motte wird in Gibraltar 1777 noch zum Generalleutnant befördert werden. Copley hat sie auf seiner Reise nach Hannover (bei der er seine Frau und seine Tochter mitnahm) alle gemalt, er rechnete sich wohl aus, dass sich Kupferstiche von seinen detailgetreuen (bis ins behaarte Ohrläppchen von Oberst Schlepegrell) Skizzen auch in Deutschland gut verkaufen würden. Die Bilder von den vier deutschen Offizieren zählen zu dem Lebendigsten in Copleys Historienmalerei. Man kann die Mühsal der Kriegsjahre im milden und leicht resignativen  Gesicht von General de la Motte erkennen, er wird ein Jahr später in seiner Garnison an Entkräftung sterben. Der Generalleutnant Louis Heinrich Friedrich Sichart von Sichartshoff (der noch als Fähnrich bei Waterloo dabei war) wird auf der Basis von de la Mottes Tagebüchern den dritten Band seiner ➱Geschichte der Königlich-Hannoverschen Armee schreiben.

Die hannöverschen Truppen (hier Gustav Friedrich von Dachenhausen, der vierte Oberst, den Copley 1787 malt) werden nach dem Sieg über die Spanier und Franzosen vom König belobigt werden, sie dürfen ein spezielles Abzeichen an ihrer Uniform tragen. Belobigt wird auch der einfache Soldat Ludwig Schweckendieck aus Hoya, er bekommt eine kleine Erhöhung seines Solds. Er soll allerdings am 13. März 1797 mit 52 Jahren in Armut gestorben sein. In einer anderen ➱Quelle, in der er Schwependik heißt, wird über ihn gesagt: Dieser Soldat erhielt nachher von England eine lebenslängliche bedeutende Pension und hat um das Jahr 1820 noch in Hoya gelebt.

Schweckendieck, 1745 als Sohn des Nagelschmieds Johann Schweckendieck in Hoya geboren, war 1775 in das Bataillon de la Motte in Verden eingetreten. Dass er gleich eine Schiffsreise nach Gibraltar gebucht hat, war ihm damals nicht so klar, join the army and see the world. Zuerst war das da in Spanien noch sehr nett, vor allem für die Offiziere. Man macht kleinere Ausflüge in die Umgebung, ja es gibt sogar Schiffsreisen nach Italien und Nordafrika. Aber dann proklamieren die Amerikaner ihre Unabhängigkeit, und von nun an ist überall Krieg. Gibraltar wird zu einem Nebenschauplatz des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. 1779 erklären die Spanier England den Krieg, aber man fürchtet sich in Gibraltar nicht so sehr. Ob die Offiziere aus Deutschland an ihre Kameraden denken, die wenig später in Minorca eingeschlossen waren? Das ist jetzt nicht die Geschichte mit ➱Admiral Byng, Minorca wird schon wieder belagert. Und die Garnison der englischen Festung Fort St. Philip bestand aus hannöverschen Regimentern unter dem Kommando von General Heinrich Bernhard von Sydow. Von Zeit zu Zeit kommt die Royal Navy in Gibraltar vorbei, so Admiral Rodney 1780 und Admiral Darby 1781. In dem Jahr macht man einen heldenhaften Gegenangriff (hier von John Trumbull gemalt), bei dem sich die Regimenter der Hannoveraner besonders auszeichnen. Auf Trumbulls Bild ist nur Oberst von Hugo (ganz rechts außen) zu sehen, die anderen Hannoveraner sind ihm nicht so wichtig. Die kommen nicht aufs Bild.

Der Ring um die englische Festung Gibraltar zieht sich immer enger zusamen. Und dann kommt der 13. September 1782 mit dem größten Angriff auf die englische Garnison, die schon drei Jahre ausgehalten hat. Den 7.500 englischen (meist hannöverschen) Soldaten stehen 35.000 spanische und französische Soldaten gegenüber, dazu kommen auf Seiten der bourbonischen Alliierten noch einmal 30.000 Matrosen und Marinesoldaten auf den Schiffen. Und rund um das englische Fort herum kommen auch noch beinahe hunderttausend Schaulustige, die das Spektakel der englischen Niederlage sehen wollen. Daraus wird aber nichts.

Dank dessen, was auf diesem Bild von George Carter unten in der Bildmitte ist. Das ist ein spezieller Ofen, den der Schmied aus Hoya erfunden hat. Mit dem kann man gleichzeitig viele Kanonenkugeln (bis zu zweihundert in der halben Stunde) glühend heiß bekommen, um sie dann auf die floating batteries hinab regnen zu lassen. Das Ganze hat funktioniert, obgleich man zuerst Bedenken hatte und die glühenden Kanonenkugeln anfänglich noch nicht einsetzte. Das Ergebnis können Sie links auf Carters Bild sehen, brennende floating batteries, in die Luft fliegende Schlachtschiffe. Bei Carter ist das flammende Inferno etwas aufgeräumter als bei Copley. Und auf der rechten Seite gratuliert Eliotts Adjutant Major Valloton seinem General. Valloton hat diesen französischen Namen, weil sein Vater Schweizer war und als Bibliothekar von George II nach England gekommen war. Der Major, der im wirklichen Leben nicht so schlank war, wie auf diesem Bild, wird 1795 von einem irischen Mob getötet.

Das Bild oben war eine Skizze von Carter (viel lebendiger als das fertig ausgeführte Bild), dies ist die Version, die im Nationalen Armeemuseum hängt. Hier trägt General Eliott einen pinkfarbenen Uniformrock (auf dem Entwurf war er noch rot), das scheint eine seidene Uniform für das warme Klima gewesen zu sein. Aber abgesehen von dieser sartorialen Frage, drängt sich eine ganz andere Frage auf: Sehen Sie irgendwo auf dem Bild, dass jemand dem Ludwig Schweckendieck gratuliert? Georg Forster erwähnt das Bild Copleys in seiner lesenswerten Geschichte der Kunst in England (die den Ansichten vom Niederrhein als Anhang beigeben ist), und schreibt, dass der Maler Copley nicht allein die Heldenthaten der Land- und Seetruppen, sondern auch die Bildnisse der vornehmsten Officiere mit der ihm eignen Treue vorgestellt hat. Das ist es: die vornehmsten Officiere kommen immer auf das Bild, der Soldat Schweckendieck nicht. Der ist weder auf dem Bild von George Carter, noch dem von John Singleton Copley. Unsere hannöverschen Obristen und ihr General sind natürlich auch alle auf dem Bild von Carter, obgleich es mir unklar ist, weshalb der gute Schlepegrell im Katalog der National Portrait Gallery Schreppergill heißt.

So sehen Sieger aus. Das ist der englische Admiral Howe (von Copley gemalt), der kurz nach dem Sieg kommt, um mit dem Rest der französischen und spanischen Flotte aufzuräumen. Und um zu zeigen, dass man jetzt wieder ungehindert von Spithead nach Gibraltar segeln kann. Die englischen Maler haben jetzt volle Auftragsbücher. Wenn man in den Krieg zieht, lässt man sich malen. Wenn man als Held zurückkommt, will man in Öl verewigt werden. Wenn man nur ein einfacher Soldat wie Ludwig Schweckendieck ist, dann kann man froh sein, dass in der Heimatstadt heute noch eine Straße nach einem heißt.

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