Dienstag, 31. Dezember 2013

31. Dezember


Und wieder hier draußen ein neues Jahr -
Was werden die Tage bringen?!
Wird's werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?


Das schreibt Theodor Fontane 1855 in London. Er hatte zuvor eine Reise durch Süddeutschland gemacht, bevor er nach London zurückkehrte. Und schrieb dann das ➱Gedicht Unterwegs und wieder Daheim. Ein Gedicht, in dem er sich zurücksehnt:

Ich möchte noch wirken und schaffen und tun
Und atmen eine Weile,
Denn um im Grabe auszuruhn,
Hat's nimmer Not noch Eile.


Er wird noch wirken und schaffen, bis er ➱Vor dem Sturm schreibt, werden aber noch zwei Jahrzehnte vergehen, bis zu Effi Briest sind es noch vier Jahrzehnte. Gott hat ihm Zeit gegeben. Und dass Gott uns Zeit gibt, darauf können wir alle nur hoffen.

Ich wünsche all meinen Lesern ein gutes neues Jahr.

Und wenn Sie noch etwas Fröhliches brauchen, dann lesen Sie ➱dies. Oder klicken Sie ➱hier.

Montag, 30. Dezember 2013

Han van Megeren


Am 30. Dezember 1947 ist der Holländer Henricus Antonius van Meegeren gestorben. Er war ein holländischer Maler. Dieser schöne Kitsch hier ist sein bekanntestes und beliebtestes Werk. Henricus Antonius van Meegeren, der gemeinhin Han van Meegeren genannt wurde, hatte noch einen anderen Namen: er malte auch als ➱Jan Vermeer. Verkaufte sogar dem Kunstsammler Hermann Göring einen angeblich echten ➱Vermeer. Wahrscheinlich wollte Göring unbedingt einen Vermeer haben, weil Hitler auch einen hatte (lesen Sie ➱hier alles dazu). Was mich bis heute fasziniert, ist die Frage, wie konnte man auf van Meegeren hereinfallen und seine Machwerke für echte Vermeers halten?

Wenn hier der Direktor und der Restaurator des Museums Boijmans (das heute Boijmans van Beuningen heißt) voller Stolz vor ihrem gerade entdecken Vermeer sitzen, dann fragt man sich: Sind sie beide blind? Selbst auf schlechten Abbildungen kann man sehen, dass das kein Vermeer ist. Man kann ja offensichtlich alles fälschen, Banknoten sowieso. Im Mittelalter hat man Urkunden gefälscht, das Privilegium Maius und die Konstantinische Schenkung sind Fälschungen.

Im 18. Jahrhundert waren gefälschte Gedichte wie ➱Ossian oder die angeblich mittelalterlichen Gedichte von ➱Thomas Chatterton die große Sache. Und in Italien verkaufte man den reichen Engländern auf ihrer Grand Tour gefälschte ➱Claude Lorrains und Salvator Rosas. Mit gefälschten Kunstwerken kann man natürlich mehr Geld verdienen als mit gefälschten Gedichten. Das hat vor wenigen Jahren der Skandal um die Sammlung Jäger gezeigt. Heute sind gefälschte ➱Louis Vuitton Taschen und gefälschte Rolex Uhren das große Geschäft. Uhren wurden schon früh gefälscht, um 1795 ersann der berühmte Abraham Louis Breguet eine Geheimsignatur für seine Uhren. Und dass die van Meegerens (und die von Guttenbergs) nicht aussterben, hat man gerade wieder daran gesehen, dass Galileo Galileis angebliche Skizzen vom Mond auch eine Fälschung waren. Da sieht der Professor Bredekamp ganz schön blöd aus. Vielleicht ist das Buch Echtes Geld für falsche Kunst von Klaus Ahrens und Günter Handlögten schon etwas veraltet, amüsant ist es auf jeden Fall.

Mein Triumph als Fälscher war meine Niederlage als schöpferischer Künstler, hat Han van Meegeren gesagt. Mit dem Kriegsende folgte für ihn eine lange Untersuchungshaft, ein ➱Prozess, der Einzug des Vermögens. Kurz nach seinem Prozess ist er gestorben. Aber in Holland war er eine Art Volksheld, der Mann, der Göring einen gefälschten Vermeer verkaufte.

Und das rechtfertigte er als nationale Tat, da er von Göring kein Geld sondern hunderte beschlagnahmter Kunstwerke bekommen hatte. Die er ganz bestimmt zurückgegeben hätte. Hier wird gerade Görings falscher Vermeer von amerikanischen Soldaten beschlagnahmt. Han van Meegeren hat sich nicht als Fälscher gesehen, er wollte angeblich denen, die seine Kunst abgelehnt hatten nur sein wahres Genie beweisen. Auf jeden Fall hat er das später behauptet: Ich glaubte nicht an die Unfehlbarkeit der Kunstexperten, und daher entwickelte ich einen Plan, die Herrscher des Kunsthandels, die meine Bilder als drittklassig eingestuft hatten, auf die Probe zu stellen.

Aber diese Erklärung, dass er in einem Stadium der Verzweiflung, in das ihn die Ablehnung durch die Kritiker gestürzt hätte, diesen Racheplan ersonnen hätte, ist eine freche Lüge. Er war schon seit Jahrzehnten  als Fälscher im Geschäft. Wenn er technisch ein so guter Maler gewesen wäre wie ➱Odd Nerdrum (der sich hier selbstironisch in Rembrandtscher Pose malt), dann wäre er vielleicht wirklich eine Gefahr für die Experten und den Kunstmarkt gewesen.

Aber so gut wie Nerdrum war er nie. Lisa Zeitz schrieb zu van Meegerens (hier ein Selbstportrait des verkannten Genies) malerischen Qualitäten im Cicero: Für heutige Augen sind die alten Fälschungen hingegen alles andere als überzeugend. Stilistisch wirken die 'Vermeers' eher so, als hätte man biblische Szenen von Caravaggio mit den hohlwangigen Figuren von Karl Hofer und einem Filmplakat von Marlene Dietrich verquirlt. Doch in den dreißiger und vierziger Jahren meinte die Fachwelt allen Ernstes, neue Werke des verehrten alten Meisters entdeckt zu haben.

Wenn man sich ein Photo von Greta Garbo nimmt und sie dann in der Art von Vermeer malt, dann hat man einen Vermeer. Ist klar. Nicht alle sind auf die Fälschungen hereingefallen. Aber der Kunsthistoriker Abraham Bredius hatte das Bild von Jesus in Emmaus (links) für echt erklärt, das zählte damals für das Boijmans Museum. Vom Ruf, den Bredius einst hatte, ist heute nicht viel übrig geblieben. Sein Katalog der Rembrandt Gemälde hat heute nur noch historisches Interesse.

Bredius veröffentlichte im renommierten Burlington Magazine einen Artikel über den Vermeer, der eher nach einer emphatischen Liebeserklärung als nach wissenschaftlicher Kühle klingt: It is a wonderful moment in the life of a lover of art when he finds himself suddenly confronted with a hitherto unknown painting by a great master, untouched, on the original canvas, and without any restoration, just as it left the painter's studio. And what a picture! Neither the beautiful signature . . . nor the pointillés on the bread which Christ is blessing, is necessary to convince us that we have here—I am inclined to say—the masterpiece of Johannes Vermeer of Delft . . . quite different from all his other paintings and yet every inch a Vermeer. In no other picture by the great master of Delft do we find such sentiment, such a profound understanding of the Bible story—a sentiment so nobly human expressed through the medium of highest art.

Man hätte im Boijmans Museum nicht auf solch schwelgerische Töne hören sollen. Man hätte lieber auf das Auktionshaus ➱Duveen hören sollen, deren Direktoren Edward Fowles und Armand Lowengard (ein Neffe von Lord Duveen) nach der Besichtung des Abendmahls nur lakonisch sagten: a rotten fake. Der Direktor von Boijmans Dirk Hannema (der nach dem Krieg als Nazikollaborateur seine Stellung verlor) kaufte das Bild für 500.000 Gulden (heute etwas in der Größenordnung von zehn Millionen Dollar) an. Joseph Duveen war ein gebranntes Kind. Er hatte 1927 The Lace Maker (oben) und The Smiling Girl (unten)zwei sehr frühe Vermeer Fälschungen von van Meegeren - für ein kleines Vermögen angekauft, um sie Andrew Mellon weiterzuverkaufen.

Der berühmte ➱Wilhelm von Bode in Berlin hatte die Bilder, die ihm von einem dubiosen Engländer namens Harold Wright angeboten wurden, zu echten Vermeers erklärt (hatte allerdings zuvor einen ➱'Vermeer' aus dieser Quelle als bestenfalls aus Vermeers Umfeld stammend bezeichnet). Wilhelm von Bode erwähnt diese Episode aus verständlichen Gründen mit keiner Zeile in seiner Autobiographie. Doch man sieht auf einen Blick, dass diese frühen Vermeer Fälschungen ein bisschen wie ein Vermeer ausschauen und sehr wenig mit den geradezu karikaturhaften Fälschungen in van Meegerens Spätwerk gemein haben.

Die Direktoren von Duveen waren ja nicht die einzigen, die ihre Zweifel hatten. Und immer wieder werden Fälschungen früh erkannt. So ➱schreibt zum Beispiel der berühmte Dr Johnson an James Macpherson, der der Welt den Ossian präsentierte: I thought your book an imposture from the beginning, I think it upon yet surer reasons an imposture still. For this opinion I give the publick my reasons which I here dare you to refute. But however I may despise you, I reverence truth, and if you can prove the genuineness of the work I will confess it. Your rage I defy, your abilities since your Homer are not so formidable, and what I have heard of your morals disposes me to pay regard not to what you shall say, but what you can prove. You may print this if you will.

Aber es hören wenige auf ihn. Napoleon auf jeden Fall nicht, der wird noch Jahrzehnte später seinen geliebten Ossian mit nach St Helena nehmen: Ces pensées, ces sentiments, ces images sont bien autre-ment noble que les rabâchages de votre 'Odyssée'. Voilà du grand, du sentimental et du sublime, Ossian est un poète; Homère n'est q'un radoteur. Wahrscheinlich funktioniert das nur im Märchen, dass die Wahrheit schlagartig evident wird. Wenn da ein kleines Mädchen kommt und sagt: Aber er hat ja gar nichts an. Dies Bild ist natürlich ein echter Vermeer, das im Absatz darüber nicht. Das ist Scarlett Johansson in Das Mädchen mit dem Perlenohrring.

Die weltt die will betrogen syn, wusste schon Sebastian Brandt in seinem Narrenschiff. Da hat er auch ein kleines Kapitel, das ganz einfach Von falsch vnd beschiss heißt. Man sollte dieses schöne deutsche Wort nicht vergessen, das wir schon seit dem Mittelhochdeutschen haben. Da heißt es beschiz und bedeutet nichts anderes als Betrug. Und als beschisz steht es immer noch im Wörterbuch der Brüder Grimm. Aber wenn man es gerne vornehmer ausgedrückt haben will, es gibt den Satz von Sebastian Brandt auch auf Latein: Mundus vult decipi, ergo decipiatur.

Das Museum Boijmans van Beuningen machte Jahrzehnte nach dem Kauf von Christus und die Jünger in Emmaus gute Miene zum bösen Spiel und präsentierte Van Meegeren's Fake Vermeers im Jahre 2010 in einer Ausstellung. Die Ausstellung hatte großen Zulauf, die weltt die will betrogen syn. Das Bild im Absatz oben ist allerdings keine Fälschung, das ist ein echter van Meegeren. Sogar signiert. Aber auf Künstlersignaturen geben Kunsthistoriker schon lange nichts mehr.

Wenn Sie die ganze Geschichte nachlesen wollen, dann kann ich nur Jonathan Lopez' Buch The Man Who Made Vermeers empfehlen (sie können den Autor ➱hier sehen). Gut recherchiert und spannend wie ein Krimi, im Jahre 2009 sogar für einen Edgar in der Kategorie Best Fact Crime nominiert.

Samstag, 28. Dezember 2013

Friedel Anderson


Bis zum Weihnachtsfest wusste ich nicht, wer Friedel Anderson war. Aber dann packte ich Gabis Geschenk aus, das Buch von Friedel Andersson Die Elbe: Eine Malreise von der Quelle bis zur Mündung, 2006 - 2009. Da hat sich ein Maler jahrelang die Elbe entlang gemalt, von der Quelle bis zur Nordsee. Hat vor ihm noch niemand gemacht. Zuerst wollte er die Reisen mit einem Boot oder einem kleineren Schiff machen, hatte dafür auch schon den Sportbootführerschein gemacht, aber dann hat er den Plan doch als unpraktisch aufgegeben.

Im shz Portal habe ich über den Maler gelesen: Von der Seefahrt verstehe er nicht viel, sagt der Maler Friedel Anderson. Er male einfach nur, was er sieht, hört und riecht: Im Schwimmdock, auf der Gorch Fock, im Hafen, am Elbufer, auf Werften in Kiel, Hamburg, Skagen oder Bremerhaven. Friedel Anderson (Jg. 54) interessiert vor allem das Atmosphärische. Seine stärksten Bilder sind die reduzierten, die sich auf Boote im Wasser oder auf die Eisschollen am gefrorenen Glückstädter Fähranleger konzentrieren, auf die Faszination der Wellen, des Himmels und der gezielt gesetzten Lichtpunkte.

Friedel Anderson wurde 1954 in Oberhausen geboren und ist in der Nähe von Itzehoe aufgewachsen, dem Ort, von dem Schiller irrigerweise glaubte, dass er Itzehö ausgesprochen werde. Steht auf jeden Fall so in Friedrich Schillers Wallensteins Lager: I freilich! Und Er ist wohl gar, Mußjö, Der lange Peter aus Itzehö?

In Itzehoe lebt und arbeitet der Künstler auch heute. Er hat nach dem Abitur zunächst Kunstgeschichte an der Universität Göttingen studiert und danach Malerei an der Gesamthochschule Kassel bei Manfred Bluth (dessen Einfluss man in seinem Werk durchaus manchmal sehen kann). Das ist ein Name, der mir etwas sagt, weil der einmal einen Zyklus von Lithographien zu Herman Melvilles Moby-Dick gemacht hat.

In dem kleinen schwarzen Katalog der Ausstellung, die von Berlin zum Kennedy Haus in Kiel gewandert war, war zu lesen, Bluth sei ein Romantiker von heute, der über eine seltene, virtuose Treffsicherheit der Zeichnung verfügt, die sich gern auf den Pfaden des Sarkastischen, nicht selten auch des Schwarzen Humors bewegt. Na ja. Kritiker schreiben viel, aber Manfred Bluth (hier ein Bild von ihm), der Mitbegründer der Schule der Neuen Prächtigkeit hat uns damals für die Schleswiger Ausstellung 1976 (lesen Sie ➱hier alles dazu) seine Moby-Dick Lithographien zur Verfügung gestellt.

Es stimmt nicht ganz, wenn ich oben im ersten Satz behauptet habe, ich hätte noch nie Bilder von Friedel Anderson gesehen. Ich hatte schon einmal einige Bilder von ihm gesehen. Das war an einem schönen Spätsommertag 1990 bei der Eröffnung der Ausstellung Realisten der Gegenwart in der Galerie Kirchnüchel. Wir hatten die Nachbarn mitgenommen, die noch nie in einer Kunstausstellung waren und sich erst ein bisschen vor der für sie neuen Welt fürchteten. Es gab aber sogar Kaffee und Apfelkuchen für alle Besucher (und das waren nicht wenige), da fühlten sich die Nachbarn gleich wohl.

Und es waren nur Bilder norddeutscher Realisten an den Wänden, da wusste man, was auf den Bildern drauf war. Das ist bei Kunst ja nicht immer so. Friedel Anderson war mit Bildern vertreten, sein Lehrer Manfred Bluth auch. Und neben vielen anderen eine Frau namens Christine Reinckens, die wilde Akte malte. Bluth war damals wohl der berühmteste der ausstellenden Künstler. Klaus Fußmann, der seit zehn Jahren keine Ausstellung der norddeutschen Realisten auslässt, war damals nicht dabei. Von Manfred Bluth stammte auch das schöne Ausstellungsplakat (➱Strand, Meer und Himmel zeigend), das heute immer noch unter Glas gerahmt in meiner Wohnung hängt.

Wenn es auch neu ist, die ganze Elbe zu malen, muss man natürlich sagen, dass Maler diesen Fluss schon mal gemalt haben (auch wenn der Rhein häufiger gemalt wurde). Und an vielen Stellen des Flusses konkurrieren Anderssons Bilder mit Bildern, die keine Konkurrenz zulassen werden. Wie zum Beispiel diese Ansicht von Dresden im Abendlicht von Christian Clausen Dahl (zu dem es ➱hier einen schönen Post gibt). Und natürlich gibt es auch ➱Bilder von Caspar David Friedrich wie das kleine Elbschiff im Frühnebel im Wallraff Richartz Museum, die unübertroffen sind. Ein so scheußliches ➱Bild wie Ludwig Richters Überfahrt am Schreckenstein läuft natürlich außer Konkurrenz, das würde heute niemand mehr malen. Fand mal den Inbegriff der deutschen Romantik.

Manche Ansichten musste der Maler bei seiner Elbreise wohl malen, wie zum Beispiel die Augustusbrücke in Dresden. Die sieht allerdings - weil er sie auch im Winter malt - wie eine Variation von Gotthardt Kuehls ➱Bild aus. Aber vielleicht ist das auch gewollt, eine ironische Reverenz an den Dresdner Impressionisten. Dass er niemals ein Bild wie ➱dieses malen kann, das wird Andersson klar gewesen sein.

Doch was mäkle ich herum, der Band ist eine Augenweide. Und falls Sie zu Weihnachten einen Buchgeschenkgutschein bekommen haben, wäre das eine schöne Idee. Oder natürlich die Essays von ➱Rudolf Sühnel. Friedel Anderson hat auch einmal Schuhe gemalt. Die sind aber nicht so toll wie das Schuhbild von Gabi, von der ich auch dieses Buch geschenkt bekommen hatte.

Die Gabi, die natürlich Kunst studiert hat, hat mal meterweise billig schönen Dekostoff gekauft. Und dann Schuhe darauf gemalt. Weil Sie ja ein Schuhfreak ist, und am liebsten im Laden von Manolo Blahnik in London übernachtet hätte, als sie da zum ersten Mal war. Zuerst hat sie nur high heels in wilden Farben auf den Stoff gemalt, dann hat sich von mir ein Paar orangefarbene Budapester geliehen und die voll realistisch auf den Stoff mit dem floralen Muster gezaubert. Hängt im Goldrahmen (65x130) bei mir an der Wand. Hat niemand außer mir.

Donnerstag, 26. Dezember 2013

Rudolf Sühnel


Ich war letztens in der Universität. Zum ersten Mal seit fünf Jahren, es zieht mich da nicht hin. Fünfunddreißig Jahre sind genug; das Jahr, das ich mit Lehraufträgen drangehängt habe, zähle ich mal nicht mit. Aber ich musste da hin, um mir einen Vortrag anzuhören. Den Vortragsredner hatte ich dem Englischen Seminar vermittelt, er war längst emeritiert, wollte aber gerne an der Universität, von der er seinen Doktortitel bekommen hatte, einmal einen Vortrag halten. Ich hatte mir überlegt, ob ich zur Feier des Tages einen Anzug anziehen sollte, wie ich das früher immer tat. Dachte mir dann aber, dass ich damit sicher overdressed sei. Ich glaube, ich war mit meinem Luciano Barbera Jackett und der grauen Flanellhose schon overdressed, Anzüge trägt da niemand mehr. Der Gastredner trug einen Rollkragenpullover unter seinem Jackett (das Photo ist bei diesem Vortrag gemacht worden), so kenne ich Peter Freese seit beinahe fünfzig Jahren. Ich finde es cool, dass er seinem Stil treu geblieben ist.

Der Vortrag war hervorragend, ich hatte auch nichts anderes von ihm erwartet. Er verstand es wieder einmal, wie in seiner langen Karriere, Studenten nicht nur einen Stoff zu vermitteln, sondern ihnen etwas zu geben, das sie eines Tages als Lehrer gebrauchen konnten. Nach dem Vortrag hatten wir einen halben Tag, um alte Erinnerungen aufzufrischen. Wir hatten viel zu tratschen: Bücher, Verlage, Kollegen, das Leben. Mein Gast erzählte mir neben anderem eine Geschichte von Rudolf Sühnel, bei dem er in Heidelberg einmal studiert hatte. Den hatte er vor vielen Jahren auf einem Kongress wiedergetroffen; er überlegte sich, als er Sühnel sah, ob sich der hochbetagte Herr noch an ihn erinnerte. Aber Sühnel sagte ihm, er sei nur gekommen, um zu sehen, ob aus dem jungen Mann, dem er vor Jahrzehnten ein Gutachten schrieb, wirklich etwas geworden sei. Rudolf Sühnel ist beinahe hundert Jahre alt geworden. Ich habe ihn nur einmal getroffen, aber ich begegne immer wieder Menschen, die mir Geschichten von Rudolf Sühnel erzählen. Peter Freese war der dritte in diesem Jahr, der mir eine Geschichte von Rudolf Sühnel erzählte.

Ich lasse die jetzt einmal weg, empfehle stattdessen den Band Farewell aus dem Mattes Verlag, in dem sich seine Freunde und Wegbegleiter an ihn erinnern. Der Band wurde herausgegeben von Hiltrud und Erwin Poell, und für Erwin Poell hatte Sühnel einmal eine schöne Rede gehalten, die man hier im Internet lesen kann. Poell war kein Anglist, er war Buchgestalter, wahrscheinlich sogar der berühmteste in Deutschland. Zu Buchgestaltern, Buchbindern, Buchhändlern und Antiquaren hat Sühnel eine bibliophile Zuneigung gehabt, er hat auch ein kleines Buch über einen anderen Buchgestalter geschrieben: Gotthard de Beauclair. Für einen Gedichtband von de Beauclair (der auch Übersetzer und Dichter war) hat er das Nachwort geschrieben.

Diese Seite von Rudolf Sühnel ist ein Erbe aus seiner Zeit in Leipzig, wie er es in der Festgabe für den Buchbinder Willy Pingel beschrieben hat: Aus heutiger Sicht geradezu märchenhaft war die produktiv geballte Fülle, die die Buch- und Musikstadt Leipzig in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren aus allen Nähten platzen ließ, wenn auch die politischen Wirren nach verlorenem Krieg, der Kahlschlag der Inflation, das allein durch Bürgerfleiß geprägte Ambiente eine spartanische Kargheit erzwangen. Aber auf dem Augustusplatz, auf der Buchmesse, im Gewandhaus, im Hotel Hauffe, in Auerbachs Keller, bei Felsche, im Caffeebaum – überall sah man die markanten Köpfe der Verleger und Buchkünstler: Kippenberg, Rowohlt, Meiner, Brockhaus, Reclam, Hegner, Jess, Poeschel, Gilde-Dreßler, Hiersemann, Preetorius, Tiemann, Steiner-Prag, H. A. Müller, de Beauclair, Graf Kessler, Dorfner.

Aber wenn ich schon mit den oben angesprochenen Rudolf Sühnel Anekdoten geize, eine Geschichte soll doch noch präsentiert werden, sie stand im Brief eines Lesers, eines Mannes, der nichts mit der Anglistik zu tun hat. Er ist ein gebildeter Mann, wie man seinem Stil entnehmen kann, so etwas findet man heutzutage in der Anglistik kaum. Er hatte einen der ➱Posts zu Melvilles Moby-Dick gelesen und schrieb mir: Moby Dick spielt auch für mich eine wichtige Rolle - ich hab's gleich mehrfach gelesen; allerdings gebe ich gerne zu, dass mein Augenmerk nicht so wiederholt auf das Werk gefallen wäre, hätte nicht der Anglist, Rudolf Sühnel, mit dem ich in den 90er Jahren persönlich näher befreundet war - ein wöchentliches Treffen in einem guten Restaurant inklusive - mir Moby-Dick als den vielleicht gelungensten Roman überhaupt empfohlen. Der Roman bedeutete auch für Sühnel viel. Nachdem er sich in Bonn mit Homer und die englische Humanität: Chapmans und Popes Übersetzung im Rahmen der humanistischen Tradition habilitiert hatte, hielt er 1956 seine Antrittsvorlesung über Melvilles Moby-Dick: Versuch einer Deutung. Der Text ist (mit leichten Veränderungen) vielfach nachgedruckt worden, unter anderem als Nachwort zu der Insel Ausgabe von Moby-Dick.

Aber dann schrieb mir mein Leser noch (er bezog sich dabei auf den Post zu Ralph Lauren Purple Label): Vielen Dank für den Link zu Ihrem Artikel zu Ralph Lauren Purple Label. In der Tat schauen die Herren auf den Werbeseiten von Ralph Lauren nicht sehr klug aus der Wäsche, wie Sie bemerken; allerdings musste ich mit einem gewissen Widerwillen ob der Posen immer wieder hingucken, wie etwa bei einer Vogelspinne, die ich auch nicht erfreulich finde. Vielleicht haben sich die Werbeleute ja doch was dabei gedacht. Da Sie in dem Artikel Hemingway und Mann erwähnen: Beide waren große Themen des zu seinen späten Lebzeiten mit mir befreundeten Rudolf Sühnel; dieser hat nach Kriegsende versucht, Mann in Amerika zu besuchen und ihn nur um ein paar Tage verpasst, ließ sich jedoch von einer Haushälterin (glaube ich mich zu erinnern) eine Palme zeigen, unter der einer seiner großen Romane entstanden sein soll. "Ausgerechnet Doktor Faustus, diesen so deutschen Roman!" meinte Sühnel im Gespräch mit mir in seiner Wohnung im Hölderlinweg 14 in Heidelberg - those were the times. Auf den Spuren Hemingways aß Sühnel dann im kubanisch-amerikanischen Dunstkreis Delphin-Steak; man hatte wohl weniger Hemmungen seinerzeit (und auch Melville rechnet die Wale ja zu den Fischen). Bei der Kombination von Attraktivität und Bildungsarmut - die Ralph Lauren Models - muss ich unweigerlich daran denken, einmal, wie Attraktivität (auch hier trifft Lord Actons berühmter Spruch zu) jene korrumpiert, die sie haben, aber auch, und das scheint mir noch eigentümlicher, auch jene, die ihrer entbehren; besonders schmerzlich trifft das die klugen Köpfe. Und vergessen wir nicht jene, denen, wie dem Literaturwissenschaftler Friedrich Gundolf, beides zu Gebote stand ... wenn auch bei ihm kein langes Leben. 

Da kommt einer aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurück, und das erste, was er tut: er reist nach Amerika, um Thomas Mann zu besuchen (man kann übrigens auf dem Photo oben sehen, dass draußen vor dem Fenster Palmen wachsen). Was für einen Deutschen wohl kurz nach dem Krieg schwer gewesen wäre, aber der in Nottingham geborene Sühnel besaß auch einen englischen Pass. Dank dessen er auch die gehassten Nazis vermeiden konnte, er lehrte von 1934 bis 1939 in London. Da war er wieder in der Nähe des Warburg Instituts, für den Teubner Verlag und dessen Bibliotheca Teubneriana hatte er nach dem Abitur an der Dresdner Kreuzschule die Drucklegung der Warburg Vorträge über England und die Antike betreut. Der oben im Text erwähnte Friedrich Gundolf, bei dem Sühnel über Die Götter Griechenlands und die deutsche Klassik promovierte, ist nur halb so alt geworden wie Rudolf Sühnel. Nach dem Krieg war Sühnel wieder in Leipzig, dann folgten die akademischen Stationen Bonn, Berlin und Heidelberg. Das Anglistische Seminar der Universität Heidelberg findet in seiner Institutsgeschichte nur zwei Namen erwähnenswert: den Bremer Johannes Hoops (hier im Bild - irgendwann schreibe ich mal über ihn) und Rudolf Sühnel.

Wenn Sie mehr über Sühnel wissen wollen, lesen Sie den Nachruf von seinem Kollegen Horst Meller. Oder diesen Nachruf in der Welt, in dem sich der schöne Satz findet: Ob an der Freien Universität in Berlin oder später in Heidelberg, wo er dann gegen Ende des Jahrhunderts zusammen mit der Lyrikerin Hilde Domin und dem Philosophen Hans Georg Gadamer quasi das Dreigestirn der äußerst kommunikativen Weisen bildete: Sühnel, hoch geachteter Anglist und Literaturwissenschaftler, war ein Genie der Freundschaft, diskreter Mäzen und empathischer Anreger, ein lebensweltlich Liberaler, bei dem die Verteidigung des abendländischen Erbes jeden Ruch von Bitterkeit verlor. Da wundert man sich über das hohe Niveau der Welt, aber wenn man den Namen des Autors liest - Marko Martin - wird einem klar, dass hier ein Schriftsteller schreibt.

Der Anglist Helmut Schrey, der einen ganz anderen Lebensweg und einen ganz anderen Bildungshintergrund als Sühnel hatte, sagt irgendwo in seiner Biographie Abgesang, dass die deutsche Anglistik zwar keine großen Koryphäen hervorgebracht hätte, aber immer nett zu ihren Studenten gewesen sei. An dem Satz ist etwas Wahres dran, das Fach ist nicht so großartig. Aber vielleicht hätte Schrey bei den angeblich fehlenden Koryphäen besser den Zusatz außer Rudolf Sühnel in dem Satz untergebracht. Sühnel kommt in seiner Autobiographie nicht vor, in seiner Lebenswelt wohl auch nicht. Sühnel gehörte eher in die Welt der Baronin Gisela von Stoltzenberg, die ihn natürlich gekannt hat. Er konnte ebenso versiert über englische Landschaftsgärten schreiben wie über Rudyard Kipling, über die Aufklärung in England wie über Huckleberry Finn. Ich kenne in der Anglistik nicht viele, die eine solches Repertoire der Bildung besaßen.

Als Rudolf Sühnel sechzig wurde, erhielt er eine Festschrift mit dem Titel Lebende Antike. Als er achtzig wurde, erschien im Springer Verlag eine Auswahl seiner Essay unter dem Titel Make It New: Essays zur literarischen Tradition. Der Gelehrte, der die anglistische Redaktion beim Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen hatte, der Buchreihen wie Grundlagen der Anglistik und Amerikanistik beim Erich Schmidt Verlag herausgab, gehörte erstaunlicherweise auch zu den Gründungsvätern der Zeitschrift Das Argument. Die Heidelberger Akademie der Wissenschaften wählte ihn zum Mitglied, und der deutsche PEN-Club würdigte durch die Aufnahme sein essayistisches Werk. Er ist nicht vergessen. Jetzt ist gerade wieder ein Band seiner Essays erschienen: Quintessenz: Essays zur englischen und amerikanischen Literatur. Der Herausgeber Michael Hanke hatte mich vor Monaten gefragt, ob ich nicht als Rezension einige Zeilen über das Buch schreiben könnte. Ich habe ihm gesagt, ich würde es in meinen Blog schreiben, das würden mindestens tausend Leser lesen. Es sind Bücher wie dieses, die sich leider nicht so recht verkaufen werden. Der letzte Unsinn von Frank Schirrmacher (der auch einmal bei Sühnel studierte) verkauft sich, aber bei diesem schönen Buch hat der Verlag keine so großen Hoffnungen. Ich würde ja gerne noch etwas zu Frank Schirrmacher sagen, auf den Sühnel keine große Wirkung gehabt haben kann, verkneife mir das aber. Und bringe stattdessen lieber den Namen Manfred Frank ins Spiel, einen unserer gebildetsten deutschen Philosophen, der auch bei Sühnel studiert hat.

Den Michael Hanke kenne ich auch schon lange. Seit er in seinem ersten Semester mein Seminar Einführung in die englische Lyrik besuchte (er kann sich noch heute daran erinnern). Der dort verwendete Text hatte auch mit Rudolf Sühnel zu tun, weil der einer der Herausgeber von British and American Classical Poems war. Es ist ein Buch, das man jederzeit und für jedermann als Anthologie empfehlen kann. Reich bebildert, mit Worterklärungen und Kommentaren versehen. Zuerst war es, herausgegeben von Ludwig Herrig, im Jahre 1850 auf den Markt. Erreichte 1889 die 65. Auflage. Wurde dann 1905 von dem Anglisten Max Förster überarbeitet und erreichte 1930 die hundertste Auflage. 1966 haben Horst Meller und Rudolf Sühnel völlig neubearbeitet - es gefällt mir heute noch immer.

Michael Hanke war nicht der normale Anglistikstudent, der sich zufällig in meinen Kurs verirrt hatte. Er liebte Lyrik, hatte sogar einmal fünf Jahre als Privatsekretär für den Dichter Charles Causley gearbeitet. Er hat über John Crowe Ransoms Lyrik und europäische Dichtungstraditionen promoviert und sich mit einer Arbeit über den südafrikanischen Dichter Roy Campbell habilitiert. Und er hat eine Vielzahl von Büchern zur englischen Lyrik herausgegeben. In einem Band bin ich als Beiträger auch mit drin. Rudolf Sühnel natürlich auch. Wenn irgend jemand qualifiziert ist, aus dem Werk von Sühnel eine Auswahl der Schriften für eine Sammlung zu treffen, dann ist es sicher Michael Hanke, da hat der Verlag eine gute Wahl getroffen.

Der Name Rudolf Sühnel sagte mir schon etwas, als die Universität noch in weiter Ferne lag. Weil ich sein Nachwort zu Thackerays Die Geschichte des Henry Esmond in der Reihe von Fischers Exempla Classica gelesen hatte. Und das zu Jane Austens Emma. Und natürlich das zu Joseph Conrads Die Schattenlinie (mit der schwarz-weißen Silhouette eines Segelschiffs von Wolf D. Zimmermann drauf, das war damals mein Lieblingsroman). Das Abitur war noch fern, aber ich hatte den Plan, alle Bände von Fischers Exempla Classica Reihe und alle Bänder der Rowohlt Klassiker zu lesen. Mit einundzwanzig wollte ich durch die Weltliteratur durch sein. Na ja, ich habe es beinahe geschafft. Den Rest der Bildung überließ ich dem Zufall der Antiquariatsfunde und der Geschenke von Freunden.

Die Republik war bildungshungrig in den fünfziger Jahren, Deutschland war lange von der Kultur abgeschnitten gewesen. Die Bildungselite war sich nicht zu fein, Vorworte und Nachworte für die neu aufgelegten Werke der Weltliteratur zu schreiben. Und vieles von dem, was damals für Fischer, Rowohlt und Manesse geschrieben wurde, hat heute noch Bestand. Ich habe an anderer Stelle schon auf die hervorragenden Essays von Hans-Joachim Lang oder Fritz Güttinger (wie das Vorwort zu Boswells Biographie von Dr Johnson) hingewiesen. Es war vielleicht eine goldene Zeit der Philologie, materielle Not wurde durch geistigen Reichtum aufgewogen.

Ich wusste bei meinem Leseprogramm schon, dass ich Anglist werden wollte. Weil ich damals meine schwere Uwe Johnson Phase hatte. Und in dessen Roman Mutmassungen über Jakob kommt ein Anglist vor, da hörte ich das Wort Anglist zum ersten Mal. Und dann hörte ich einen Vortrag bei der Wittheit zu Bremen von Sühnels damaligem Bonner Kollegen Arno Esch über Shakespeares Hamlet. Da war das mit der Anglistik beschlossene Sache. Esch vertrat übrigens damals in seinem Vortrag die Ansicht, dass die Kernstelle von Hamlet nicht To be, or not to be ist, sondern das Zitat: We defy augury. There’s a special providence in the fall of a sparrow. If it be now, ’tis not to come. If it be not to come, it will be now. If it be not now, yet it will come—the readiness is all. Since no man of aught he leaves knows, what is ’t to leave betimes? Let be. Das weiß ich noch nach einem halben Jahrhundert. Weil ich damit damals auf jeder Party in Bremen geglänzt habe, ich bin schnell mit dem Aneignen von schlauen Gedanken anderer Leute.

Dass die Essays von Rudolf Sühnel Bestand haben, zeigt sich nirgends so klar wie bei dieser Auswahl der Essays zur englischen und amerikanischen Literatur. Der Philosoph Odo Marquard hat einmal gesagt: Erstens, es wird für mich weiterhin wichtig bleiben, Wissenschaft nie nur für Wissenschaftler zu formulieren. Philosophen etwa, die nur für Philosophen philosophieren, und davon gibt es viele, handeln ebenso unsinnig wie Sockenhersteller es täten, die Socken nur für Sockenhersteller herstellten. Rudolf Sühnel hat nie Socken für die Sockenhersteller der Anglistik hergestellt, er hat immer so geschrieben, dass ihn jedermann verstehen kann. Damals und heute noch. Das ist in der Anglistik selten geworden. Ich will jetzt nicht in Jeremiaden ausbrechen und den ubi sunt Topos bemühen. Aber diese Essays des letzten universalen Anglisten (so Hans-Joachim Zimmermann) mit ihrer immensen Bandbreite zeigen auch, dass etwas verloren gegangen ist. Es ist auch etwas verloren gegangen für all seine Freunde, seine Bekannten und seine ehemaligen Studenten, die ihn nie vergessen haben. In der Todesanzeige standen die Worte ... und es war alles, alles gut, diese letzten Worte aus Eichendorffs Taugenichts waren passend für ihn, der einmal der Vorsitzende der Eichendorff Gesellschaft gewesen war. Sein Schüler Jakob Köllhofer, der das Deutsch Amerikanische Institut in Heidelberg leitete, war auch einer der Vorsitzenden. Er hat in der Frankfurter Allgemeinen einen Nachruf geschrieben, der den schönen Titel Dem Menschengärtner hatte.  

Das Buch Quintessenz: Essays zur englischen und amerikanischen Literatur ist in diesen Tagen beim Mattes Verlag erschienen, die dreißig Euro (25 € Subkriptionspreis bis zum Jahresende), die es kostet, sind für die Bildung gut angelegt. Die Buchgestaltung ist natürlich von seinem Freund Erwin Poell.

Mittwoch, 25. Dezember 2013

1. Weihnachtstag


Wieder zu viel vom Kartoffelsalat und den Würstchen gegessen, jedes Jahr schwöre ich, dass ich's nicht mehr tue. Und, liebe Sabine, die Weihnachtsmandeln, die in der Tüte an dem Geschenk hingen, sind auch längst vertilgt. Mit dem Auspacken der Geschenke lasse ich mir Zeit, aber die beiden wunderbaren Bremensien über Bremen-Nord in den fünfziger Jahren und die Böttcherstraße, die habe ich schon bewundert. Ich war gestern stundenlang vom Netz getrennt, weil Vodafone zu blöd war. Für einen Blogger war das schon eine Entzugserscheinung. Konnte so auch keine tausend Weihnachtsmails verschicken. Aber ich habe es überstanden, habe eine CD mit engelsgleichen Stimmen eingelegt und ein Buch gelesen. Kann nie schaden.

Die Firma Vodafone hatte ja mal vor Jahren die ➱IWC Schaffhausen gekauft, was mich damals unheimlich geärgert hat. Zuerst hatte vor vielen Jahren die Firma VDO die IWC zusammen mit Jaeger Le Coultre und Favre-Leuba gekauft. Die Firmen standen in der Quarzkrise vor der Pleite und waren billig zu haben. VDO wurden eines Tages von Mannesmann geschluckt, und die dann wieder von Vodafone. Das ist das Monopoly Spiel des internationalen Kapitalismus. Wenn die Firma Vodafone die IWC behalten hätte, dann wäre diese traditionsreiche Schweizer Uhrenfirma (hier eins ihrer ersten Uhrwerke aus dem 19. Jahrhundert) heute bestimmt pleite. Der erster Berater von Vodaphone gestern Nacht am Telephon war ein Vollpfosten, er redete nur Unsinn. Das nennt sich Service Hotline. Nach einer halben Stunde erwischte ich einen anderen, wir brauchten uns nur eine Minute lang zu unterhalten. Ich bekam ein neues Kennwort und eine Viertelstunde später war ich im Internet.

Aber seien wir ehrlich, es geht natürlich ohne Vodafone und Internet. Und deshalb blicken wir am ersten Weihnachtstag einmal ein paar Jahrhunderte zurück und schauen in die Tagebücher von Samuel Pepys: 'Christmas-day (1662).—Had a pleasant walk to Whitehall, where I intended to have received the communion with the family, but I came a little too late. So I walked up into the house, and spent my time looking over pictures, particularly the ships in King Henry the Eighth's Voyage to Bullaen; marking the great difference between those built then and now. By and by, down to the chapel again, where Bishop Morley preached on the song of the angels, "Glory to God on high, on earth peace and good-will towards men." Bethought he made but a poor sermon, but long, and reprehending the common jollity of the court for the true joy that shall and ought to be on those days. Particularised concerning their excess in plays and gaming, saying that he whose device it is to keep the gamesters in order and within bounds, serves but for a second rather in a duel, meaning the groomer porter. Upon which it was worth observing how far they are come from taking the reprehensions of a bishop seriously, that they all laugh in the chapel when he reflected on their ill actions and courses. He did much press us to joy in these public days of joy, and to hospitality. But one that stood by whispered in my eare, that the bishop do not spend one groat to the poor himself. The sermon done, a good anthem followed with vials, and the king came down to receive the sacrament.

'Christmas-day (1668).—To church in the morning, and there saw a wedding in the church, which I have not seen many a day; and the young people so merry one with another, and strange to see what delight we married people have to see these poor fools decoyed into our condition, every man and woman gazing and smiling at them.

'Christmas-day (1668).—To dinner alone with any wife, who, poor wretch ! sat undressed all day till ten at night, altering and lacing of a noble petticoat; while I by her making the boy read to me the Life of Julius Ceasar, and Des Cartes's book of Music.'

Das wär's doch, die Kiddies Descartes vorlesen lassen! Wir leben inzwischen in einer anderen Welt. Das Buch von Claire Tomalin, Samuel Pepys: The Unequalled Self, habe ich nicht zufällig da oben abgebildet, es ist eine wunderbare Biographie, die zu Recht das Lob der Kritiker bekommen hat. Mehr zu Samuel Pepys gibt es ➱hier, es ist ein Autor, den man wie ➱Montaigne immer lesen kann. Nicht nur, wenn einen das Internet verlässt.

Dienstag, 24. Dezember 2013

Weihnachten


The sun is shining, the grass is green,
The orange and palm trees sway.
There's never been such a day
in Beverly Hills, L.A.
But it's December the twenty-fourth,—
And I am longing to be up North—


so beginnt Irving Berlins Song I'm dreaming of a white Christmas (dazu sollten Sie unbedingt ➱diese kleine Geschichte lesen). Gut, Palmen haben wir nicht, aber bei uns ist beinahe Frühling. Da können wir in die zweite Strophe einstimmen, die mit I'm dreaming of a White Christmas, Just like the ones I used to know beginnt. Weihnachten ist diesmal etwas anders, doch das hat es auch schon zuvor gegeben. So notiert Gilbert White am 27. Dezember 1768 in seinem Tagebuch: Weather more than April than the end of December. Hedgesparrow sings. Gleichgültig wie das Wetter ist, auch an diesem Tag soll in in diesem Blog natürlich ein Weihnachtsgedicht stehen. Genaugenommen sind es sogar zwei. Eins für die deutschsprachigen, das andere für die englischsprachigen Leser. Denn erstaunlicherweise sitzt die zweitgrößte Gruppe meiner Leser in den Vereinigten Staaten.

Das erste Gedicht ist ein Gelegenheitsgedicht von Theodor Fontane, es hat den Titel An Emilie und den Untertitel Zum 24. Dezember 1891.

Noch einmal ein Weihnachtsfest,
Immer kleiner wird der Rest,
Aber nehm ich so die Summe,
Alles Grade, alles Krumme,
Alles Falsche, alles Rechte,
Alles Gute, alles Schlechte -
Rechnet sich aus all dem Braus
Doch ein richtig Leben raus,
Und dies können ist das Beste
Wohl bei diesem Weihnachtsfeste.

Und das zweite Gedicht heißt ganz einfach Christmas und ist wie das ➱Adventgedicht wieder von  John Betjeman. Ich würde ja gerne T.S. Eliots Journey of the Magi nehmen, doch das habe ich zusammen mit dem schönen Gedicht von Andrew Hudgins schon ➱zweimal verwendet.

The bells of waiting Advent ring,
The Tortoise stove is lit again
And lamp-oil light across the night
Has caught the streaks of winter rain
In many a stained-glass window sheen
From Crimson Lake to Hookers Green.

The holly in the windy hedge
And round the Manor House the yew
Will soon be stripped to deck the ledge,
The altar, font and arch and pew,
So that the villagers can say
'The church looks nice' on Christmas Day.

Provincial Public Houses blaze,
Corporation tramcars clang,
On lighted tenements I gaze,
Where paper decorations hang,
And bunting in the red Town Hall
Says 'Merry Christmas to you all'.

And London shops on Christmas Eve
Are strung with silver bells and flowers
As hurrying clerks the City leave
To pigeon-haunted classic towers,
And marbled clouds go scudding by
The many-steepled London sky.

And girls in slacks remember Dad,
And oafish louts remember Mum,
And sleepless children's hearts are glad.
And Christmas-morning bells say 'Come!'
Even to shining ones who dwell
Safe in the Dorchester Hotel.

And is it true,
This most tremendous tale of all,
Seen in a stained-glass window's hue,
A Baby in an ox's stall ?
The Maker of the stars and sea
Become a Child on earth for me ?

And is it true ? For if it is,
No loving fingers tying strings
Around those tissued fripperies,
The sweet and silly Christmas things,
Bath salts and inexpensive scent
And hideous tie so kindly meant,

No love that in a family dwells,
No carolling in frosty air,
Nor all the steeple-shaking bells
Can with this single Truth compare -
That God was man in Palestine
And lives today in Bread and Wine.

Ich wünsche all meinen Lesern ein frohes Weihnachtsfest.

Montag, 23. Dezember 2013

Helmut Schmidt


Helmut Schmidt wird fünfundneunzig, da muss man gratulieren. Er kam schon einmal in diesem Blog vor, da kam er nicht so gut weg, wie Sie ➱hier lesen können. Aber das ist heute vergessen. Ich habe einmal eine Vorlesung in der Uni bei ihm gehört, 1965 in Hamburg. Da hatte ihm Karl Schiller einen Lehrauftrag verschafft. Er war in der Wirklichkeit nicht so groß, wie er gemacht wird. Wenn die bewegliche Wandtafel weit oben war, musste er hüpfen. Dabei rutschte ihm immer das weiße Oberhemd aus der Weste. Natürlich sind das Petitessen, aber man vergisst diese kleinen Details nie. Ein Journalist, der ihn für das Fernsehen interviewte, hat mir einmal erzählt, dass Schmidt eine Minute vor der Aufnahme sagte: Wir müssen die Stühle tauschen, Ihr Stuhl ist fünf Zentimeter höher als meiner. Aber natürlich ist er groß, das versichert uns auch Michael Lentz in seinem Gedicht Adoneus Helmut:

Der Schmidt ist groß. Wir
sind doch die Seinen stärkeren Mundes.
Wenn wir uns jetzt politischer meinen
süßen Gewissens schweren Befundes
sollte er weinen wichtigen Grundes
mitten in uns

Der Schmidt ist groß. Ach
dass wir nicht nur noch Zuschauer seien –
nirgendwo, niemals. Es überfüllt uns.
Fällt auseinander. Uns zu befreien
fallen auch wir als Fehlerdateien
mitten in uns

Der Schmidt ist groß. So
dass wenn er spricht sich lüftet der Schleier
den er genommen stürmend von uns samt
magisch das Duo Bieder und Meier
Landshut im Griff und Pyrrhus Befreier
mitten in uns

Der Schmidt ist groß. Er
ist wenn er spricht ein handelnder Klopstock
Rhetor im Dunstkreis geifernder Meiner
Regulus: Stern und strahlender Steinbock
ist er und bleibt der Redenden Richtblock
mitten in uns

Der Schmidt ist groß. Einst
Zünglein der vagen Doppelbeschlüsse
(Taten wie diese rekonstruiert man
wenn sie getan sind): Hochrüstung müsse
Durchblick gewähren – Zeilen durch Schüsse
mitten in uns

Der Schmidt ist groß. Er
denkt der Geschichte starrende Schmelze:
Was man auch immer tut (unterlässt) man
wird sich mit Schuld beladen wie Pelze
jagend durchs taube Untergehölze
mitten in uns

Aber ohne alle Ironie: Happy Birthday! Und wenn Sie ihn live sehen wollen, klicken Sie ➱hier.

Sonntag, 22. Dezember 2013

Vierter Advent


You never had it so good, versicherte der Premierminister Harold Macmillan 1957 der Nation. Und stellte noch mehr in Aussicht: You will see a state of prosperity such as we have never had in my lifetime - nor indeed in the history of this country. Der wirtschaftliche Boom war spät gekommen für die Engländer, den Deutschen, die den Krieg verloren hatten, ging es schon viel besser. Aber so schön dieser Slogan You never had it so good war, er war wie alle griffigen Slogans nicht ganz wahr. Der damalige Erzbischof von Canterbury nannte den Satz a dreadful phrase. Und er fügte hinzu: Whenever I hear it. I say to myself in the words of Our Lord, 'how hardly shall they that have riches enter into the Kingdom of Heaven'. Christentum und Kommerz bei den Engländern. Der alte Dubslav von Stechlin sagt dazu in Fontanes ➱RomanSie sind drüben schrecklich runtergekommen, weil der Kult vor dem Goldenen Kalbe beständig wächst; lauter Jobber, und die vornehmen Leute obenan. Und dabei so heuchlerisch; sie sagen Christus und meinen Kattun.

Mein heutiges Adventsgedicht stammt von John Betjeman, es wurde 1955 geschrieben. Es spiegelt schon ein wenig von dem Überdruss gegen den wuchernden Kommerz wider: We raise the price of things in shops, We give plain boxes fancy tops And lines which traders cannot sell Thus parcell’d go extremely well We dole out bribes we call a present To those to whom we must be pleasant. Das sind Zeilen, die typisch für John Betjeman sind, witzig und ein klein wenig bösartig. Aber er schreibt Gedichte, die die Leute verstehen. W.H. Auden hat in dem Vorwort zu Slick But Not Streamlined Betjeman mit seiner Lieblingstante verglichen: How else could he have entered so intimately into my childhood? How else could he be so at home with the provincial gas-lit towns, the seaside lodgings, the bicycle, the harmonium? Betjeman ist für ihn a man one has sung hymns with. Obgleich er zur upper middle-class gehört, ist er ein Mann des Volkes. Vom Aufschwung Englands hat auch Betjeman profitiert, seine Collected Poems von 1958 verkauften sich hunderttausend Mal. Doch so kritisch das Gedicht beginnt, Betjeman findet einen großartigen Schluss. Advent und Weihnachten sind dafür da, dass Media Markt tönen darf Weihnachten wird unterm Baum entschieden. Es ist eine Zeit des Innehaltens und des Nachdenkens.

Advent 1955

The Advent wind begins to stir
With sea-like sounds in our Scotch fir,
It's dark at breakfast, dark at tea,
And in between we only see
Clouds hurrying across the sky
And rain-wet roads the wind blows dry
And branches bending to the gale
Against great skies all silver-pale.
The world seems traveling into space,
And traveling at a faster pace
Than in the leisured summer weather
When we and it sit out together,
For now we feel the world spin round
On some momentous journey bound —
Journey to what? to whom? to where?
The Advent bells call out 'Prepare,
Your world is journeying to the birth
Of God made Man for us on earth.'
And how, in fact, do we prepare
For the great day that waits us there —
The twenty-fifth day of December,
The birth of Christ? For some it means
An interchange of hunting scenes
On coloured cards. And I remember
Last year I sent out twenty yards,
Laid end to end, of Christmas cards
To people that I scarcely know —
They'd sent a card to me, and so
I had to send one back. Oh dear!
Is this a form of Christmas cheer?
Or is it, which is less surprising,
My pride gone in for advertising?
The only cards that really count
Are that extremely small amount
From real friends who keep in touch
And are not rich but love us much.
Some ways indeed are very odd
By which we hail the birth of God.
We raise the price of things in shops,
We give plain boxes fancy tops
And lines which traders cannot sell
Thus parcell'd go extremely well.
We dole out bribes we call a present
To those to whom we must be pleasant
For business reasons. Our defense is
These bribes are charged against expenses
And bring relief in Income Tax.
Enough of these unworthy cracks!
"The time draws near the birth of Christ',
A present that cannot be priced
Given two thousand years ago.
Yet if God had not given so
He still would be a distant stranger
And not the Baby in the manger.

Samstag, 21. Dezember 2013

Nigella Lawson


Sie hätte ja Dosen mit Katzenfutter aufmachen und anrühren können, die englische Öffentlichkeit hätte sie auch geliebt. Men love her because they want to be with her, Women love her because they want to be her, schrieb der Guardian. Sie brachte Sex ins Kochstudio, da können die Fernsehköche von Jamie Oliver bis Tim Mälzer nicht konkurrieren. Die sind ja neuerdings überall im Fernsehen, seit den Tagen von Clemens Wilmenroth hat sich auf der Mattscheibe einiges getan. Nur fachmännisch die Zutaten erklären reicht nicht, das Publikum will mehr. Manche sind witzig, selbst wenn sie nicht kochen könnten und nur Dosen mit Kittekat aufmachen würden: es hat seinen Unterhaltungswert. Ich denke da an Jamie Oliver, Tim Mälzer, Rainer Sass und Horst Lichter. Aber die können natürlich im Gegensatz zu Nigella Lawson wirklich kochen.

Der schöne Satz: In der Küche ist, wie in allen Künsten, die Einfachheit der Ausweis der Perfektion von Brillat-Savarin (dem wir das wunderbare Buch Die Physiologie des Geschmacks verdanken), gilt nicht mehr uneingeschränkt. Es muss schon etwas mehr sein. Wie Sex Appeal. Sarah Wiener, die vielleicht Deutschlands Antwort auf Nigella Lawson ist, macht sich neuerdings für Mey Unterwäsche nackig. Für Mey U-Wäsche, man fasst es nicht. Wenn es wenigstens für Victoria's Secret wäre, würden wir ja nichts sagen. Aber muss das alles sein?

Im Gegensatz zu Nigella Lawson kann Sarah Wiener wahrscheinlich auch wirklich kochen. Ich kann mich noch an Nigella Lawson erinnern, da war sie noch keine Domestic Goddess (so der Titel eines ihrer Bücher), da schrieb sie Buchrezensionen in der Sunday Times. Stieg dann sogar zum deputy literary editor auf. War nicht so witzig wie ➱Jilly Cooper oder so schön bösartig wie ➱Julie Burchill, aber immerhin, das Studium der Tochter von Lord Lawson in Oxford machte sich bezahlt. Später schrieb sie dann Restaurantkritiken und wurde freie Journalistin. Dann wurde sie sexy Küchenfee, machte Millionen mit ihren Kochbüchern und heiratete den kunstsammelnden Multimillionär Charles Saatchi. Von dem ist sie aber schon wieder geschieden.

Jetzt ist sie gerade in allen Zeitungen, sie hat gerade vor Gericht gebeichtet, dass sie Kokain genommen hat. Der Telegraph witzelte: Lawson’s recipe for Ham in Coke now bears a less innocent interpretation. Was man nicht alles in der Küche gebrauchen kann! Alles was den Geschmack reizen konnte, wurde als Würze versucht. Man machte von Dingen Anwendung, deren Gebrauch wir heute nicht mehr begreifen können, wie Teufelsdreck, Baute und ähnliches Zeug, schreibt Brillat-Savarin in seiner Die Physiologie des Geschmacks. 

Ich weiß nicht, warum sich die Engländer heute so aufregen, das ganze 19. Jahrhundert über war die Nation doch rauschgiftsüchtig. Was glauben Sie denn, was in Mrs Winslow's Soothing Syrup drin ist? Nichts als Opium. Nennt sich nur anders, heißt Laudanum. Überall in der Literatur hinterlässt es seine Spuren. So sagt Victor Frankenstein in Mary Shelleys Roman: Ever since my recovery from the fever I had been in the custom of taking every night a small quantity of laudanum, for it was by means of this drug only that I was enabled to gain the rest necessary for the preservation of life.

Und Dr Watson macht sich so seine Gedanken über seinen Freund ➱Sherlock Holmes: Nothing could exceed his energy when the working fit was upon him: but now and again a reaction would seize him, and for days on end he would lie upon the sofa in the sitting-room, hardly uttering a word or moving a muscle from morning to night. On these occasions I have noticed such a dreamy, vacant expression in his eyes, that I might have suspected him of being addicted to the use of some narcotic, had not the temperance and cleanliness of his whole life forbidden such a notion. Und wir finden da auch den schönen Dialog: "Which is it today,” I asked, “morphine or cocaine?” He raised his eyes languidly from the old black-letter volume which he had opened. “It is cocaine,” he said, “a seven-percent solution. Would you care to try it?” Was für Sherlock Holmes richtig war, das kann für Nigella Lawson doch nicht falsch sein.

Natürlich gibt es bei Nigella Lawson auch Fisch. Das sollte erwähnt werden, wo es ➱hier letztens einen langen ichtyologischen Post gab. Wenn Sie sich nachts an den Kühlschrank schleichen und sich zwei Fischstäbchen von Käpt'n Iglo reinhauen, dann kann man das natürlich nicht verkaufen. Aber das Video Nigella Lawson Late Night Fish Finger Snack, das kann man verkaufen. Klicken Sie ➱hier. Was würde Käpt'n Iglo nur dazu sagen?