Montag, 14. Januar 2013

Peter Finch


Als er den Oscar bekam, war er schon tot. Seine letzte Filmrolle war der durchgeknallte TV Moderator, der seine Hörer dazu bringt, die Fenster aufzureißen und I'm as mad as hell, and I'm not going to take this anymore! zu brüllen. Der Film hieß Network, und eigentlich hätte man Faye Dunaway, William Holden, Robert Duvall, Ned Beatty und andere gar nicht gebraucht, Peter Finch trägt den ganzen Film. Wenn man sich diese ➱Szene anschaut, muss man sagen, dass sie immer noch aktuell ist (und deshalb gibt es den Monolog, den Paddy Chajefsky geschrieben hat, einmal im Volltext):

I don't have to tell you things are bad. Everybody knows things are bad. It's a depression. Everybody's out of work or scared of losing their job. The dollar buys a nickel's worth. Banks are going bust. Shopkeepers keep a gun under the counter. Punks are running wild in the street and there's no one anywhere that seems to know what to do with us. Now into it. We know the air is unfit to breathe, our food is unfit to eat, and we sit watching our TVs while some local newscaster tells us that today we had 15 homicides and 63 violent crimes as if that's the way it's supposed to be. We know things are bad. Worse than bad. They're crazy. It's like everything everywhere is going crazy so we don't go out anymore. We sit in a house as slowly the world we're living in is getting smaller and all we say is, "Please, at least leave us alone in our living rooms. Let me have my toaster, and TV, and my steel belted radials and I won't say anything." Well I'm not going to leave you alone. I want you to get mad. I don't want you to protest. I don't want you to riot. I don't want you to write to your congressman because I wouldn't know what to tell you to write. I don't know what to do about the depression and the inflation and the Russians and the crying in the streets. All I know is first you've got to get mad. You've got to say, "I'm a human being. God Dammit, my life has value." So, I want you to get up now. I want all of you to get up out of your chairs. I want you to get up right now and go to the window, open it, and stick your head out, and yell, "I'm as mad as hell, and I'm not going to take this anymore!" I want you to get up right now. Get up. Go to your windows, open your windows, and stick your head out, and yell, "I'm as mad as hell and I'm not going to take this anymore!" Things have got to change my friends. You've got to get mad. You've got to say, "I'm as mad as hell and I'm not going to take this anymore!" Then we'll figure out what to do about the depression and the inflation and the oil crisis. But first get up out of your chairs, open your window, stick your head out and yell, "I'm as mad as hell and I'm not going to take this anymore!"

Was hätte dieser Mann für ein Theaterschauspieler werden können! Aber das, was der Engländer stage fright nennt, hielt ihn von der Royal Shakespeare Company und ähnlichen Institutionen ab (obgleich er häufig auf der Bühne zu sehen war). Laurence Olivier (den auch ständig the actor's nightmare, die Bühnenangst, plagte) hatte Finch nach dem Krieg in Australien auf der Bühne gesehen und ihm empfohlen nach London zu gehen. Peter Finch hat ziemlich schnell eine Affäre mit Oliviers Frau Vivien Leigh angefangen. Die war damals auf dem Weg nach unten, Alkohol und schwere Depressionen. Von daher war ihr die Rolle der Blanche Dubois in Tennessee Williams' Streetcar Named Desire geradezu auf den Leib geschrieben. Sie hat dafür ja auch den den Oscar bekommen (als Scarlett O'Hara in Gone with the Wind hatte sie den ersten bekommen). Alle anderen in dem Film waren method actors, sie nicht. Sie brauchte sich nicht in die Rolle einer durchgedrehten Schnapsdrossel hineinzuleben. Sie war Blanche Dubois.

Anfangs der fünfziger Jahre hat er einen Vertrag bei Rank unterschrieben (das hatte vorher schon ➱Dirk Bogarde getan), ich weiß nicht, ob das seiner Karriere wirklich förderlich gewesen ist. Rank hat nur eins im Sinn: Schauspieler zu box-office stars zu machen, gleichgültig, welche Rollen man ihnen zumutet. Natürlich sah Peter Finch als Kapitän Langsdorff im weißen Rollkragenpullover in Panzerschiff Graf Spee gut aus (er sollte eines Tages auch Lord Nelson spielen), natürlich gab es internationale Erfolge. Aber Finchs wirklich guten Filme kamen erst nach diesem Siebenjahresvertrag.

Damit meine ich neben so kleinen Filmen wie The Girl with Green Eyes (mit Rita Tushingham) Filme wie The Trials of Oscar Wilde, Far From the Madding Crowd oder Sunday Bloody Sunday. In Deutschland hatte The Trials of Oscar Wilde den Titel Der Mann mit der grünen Nelke, und der Verleih warb mit Sätzen wie Dieser Technirama/Technicolor Film zwingt jeden in den Bann der erschütternden Tragödie eines Künstlers, der wie Prometheus - gleichsam mit eisernen Fesseln - an den Felsen der Moral seiner Zeit geschmiedet war. So etwas kann man 1962 noch schreiben.

Gleichzeitig mit The Trials of Oscar Wilde war in England ein zweiter Oscar Wilde Film (mit Robert Morley in der Hauptrolle) in die Kinos gekommen. Jetzt kämpften zwei Studios um die Zuschauer (auch mit harten juristischen Bandagen, es geht angeblich um Copyright Verletzungen). The Trials of Oscar Wilde war da im Vorteil (obgleich er fünf Tage später in die Kinos kam), er war in Farbe, Breitwand und er hatte Peter Finch - womit ich nichts gegen ➱Robert Morley sagen will, der den Vorteil hatte, dass er Oscar Wilde ein wenig ähnelte, und diese Rolle schon auf der Bühne gespielt hatte. Doch The Trials of Oscar Wilde wollte mehr sein, als ein guter englischer Schwarzweißfilm hatte, der nur die Engländer interessierte. Ich sollte auch noch erwähnen:  der Farbfilm hatte den damals noch unbekannten Ken Adam als Bühnenbildner. Wenn Sie sich fragen, warum dieser höchst stilisierte Hintergrund diese seltsame Terracotta Farbe hat, dann hören Sie einfach ➱Ken Adam zu.

Das Szenenbild, das die viktorianische Welt leicht verfremdet, macht den noch unbekannten Ken Adam berühmt. Der Produzent Albert R. Broccoli wird sich zwei Jahre später an Ken Adam erinnern, wenn es um die Verfilmung von dem James Bond Roman Dr No geht. Ich habe Der Mann mit der grünen Nelke irgendwann in den sechziger Jahren gesehen, es war ein im höchsten Maße stilisierter Film. Aber irgendwie wirkte das Ganze auch kalt und künstlich. Wenn man sich ➱hier (unter dem Titel Processo a Wilde in vier Teilen) die Gerichtsverhandlung anschaut, dann hat man das Gefühl, dass dies die Deko für eine billige Fernsehproduktion ist.

Und irgendwie war der Oscar Wilde von Peter Finch nicht ganz von dieser Welt, zu elegant, zu arrogant, zu unbeteiligt. Beinahe schläfrig.  Ist dies die höchste Form der sprezzatura im Sinne Castigliones? Man glaubt es ihm nicht ganz, dass dies der Mann ist, der The Ballad of Reading Gaol schreiben wird. Variety urteilte damals über ihn Peter Finch gives a moving and subtle performance as the ill-starred playwright. Before his downfall he gives the man the charm that he undoubtedly had. The famous Wilde epigrams could well have been thought up by Finch. Das ist lauwarm, das ist keine wirkliche Begeisterung. Aber Finch kann natürlich mehr, wie er in den Filmen mit Schlesinger, ➱Far from the Madding Crowd und ➱Sunday Bloody Sunday gezeigt hat, wo unter der kühlen Oberfläche die Leidenschaft glüht.

Eigentlich hatte ich, als ich las, dass Peter Finch am 14. Januar 1977 gestorben ist, über die Verfilmung von Thomas Hardys ➱Far from the Madding Crowd (deutsch: Die Herrin von Thornhill) schreiben wollen. Doch dann hatte ich dies unbestimmte Gefühl, dass ich das schon einmal getan hätte. Wenn Sie in dem Suchfeld da oben links John Schlesinger eingeben, dann passiert ➱dies. Da kann sich John Schlesinger im Himmel der Regisseure wirklich nicht beklagen, dass er in diesem Blog zu wenig genannt wird.

Der Mann mit der grünen Nelke war 1962 in Deutschland nicht der Renner. 1962 war das Jahr von James Bond 007 jagt Dr No, Lawrence von Arabien, ➱Frühstück bei Tiffany und Der Schatz im Silbersee. Für den Spiegel sah in Der Mann mit der grünen Nelke einen achtbaren, wenn auch nur streckenweise fesselnden Film und lobte den sensibel spielenden Schauspieler Peter Finch. Eine kuriose Besprechung fand sich im Herrenjournal Nummer 3 (1962), die Zeitschrift bemühte sich damals, auch einen Kulturteil zu haben. Denn die Herrenwitze, die sie immer auf den letzten Seiten präsentierte, gehörten wohl nicht zur Rubrik Kultur.

Der größte Teil der Artikel war unsigniert, vieles hatte durchaus Niveau. Da gab es in den sechziger Jahren sogar schon eine Würdigung von Michelangelo Antonioni, mit dem Herausgeber der Zeitschrift Hermann Marten von Eelking bestimmt nichts anfangen konnte. Das ist sowieso ein interessantes Phänomen, dass sich in Modezeitschriften zu manchen Zeiten ein erstklassiger Kulturteil findet. Wie im Esquire von Anfang an, im amerikanischen GQ und dem britischen Arena in den neunziger Jahren, da müsste dieser Blogger eigentlich mal drüber schreiben. Der lange, mit zehn Schwarzweißphotos aus Der Mann mit der grünen Nelke reich bebilderte, Essay im Herrenjournal war eine nette Einführung in die Welt von Oscar Wilde. Als Filmrezension war er eher katastrophal, da es nur zwei, drei Sätze über den Film gab, Peter Finchs Leistung wurde überhaupt nicht gewürdigt.

Peter Finch (hier mit Jane Fonda unter dem Regenschirm) ist nicht alt geworden, keine 61 Jahre. It is arguable that no other actor ever chalked up such a rewarding CV in British films, and he accumulated the awards to bolster this view. There were tired and bad films among all these, but he emerged unscathed. Dead of a heart attack at 61, he did not emerge unscathed from a life of well-publicised hell-raising, and several biographies chronicle the affairs and the booze, but a serious appraisal of a great actor remains to be written, steht auf der Seite des British Film Institute. Die Biographien, auf die hier angespielt wird, sind die von Trader Faulkner (1979), Yolande Finch (1979) und Elaine Dundy (1980). Vielleicht kommt ja noch einmal eine gute Biographie, bis dahin haben wir seine Filme.

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