Donnerstag, 4. April 2013

Edith Södergran


Ich begebe mich zögernd in Gefilde, von denen ich nicht viel weiß: schwedische Lyrik. Als Tomas Tranströmer vor zwei Jahren den Nobelpreis für Literatur erhielt, wusste ich nicht mal, wer der war. Inzwischen besitze ich die Ausgabe der Sämtlichen Gedichte des Hanser Verlags. Und irgendwann habe ich die auch mal zu Ende gelesen. Ich lese zu wenig. Ich schreibe zu viel. Doch was soll ich mich beklagen, es ist keine Sklavenarbeit, ich habe es so gewollt. Von Edith Södergran - die am 4. April 1892 in St. Petersburg geboren wurde -  hatte ich allerdings schon früh gehört, sie war mit fünf Gedichten in Enzensbergers museum der modernen poesie vertreten (Tomas Tranströmer war da nicht drin).

Das ➱Buch von Enzensberger war vor einem halben Jahrhundert meine Bibel. Ich habe es immer noch, nur den Schutzumschlag hat es mittlerweile verloren. Zwei der Gedichte waren von Enzensberger übersetzt, die restlichen drei von ➱Nelly Sachs. In dem Band Klauenspur, 1990 herausgegeben von Richard Pietraß (bei Reclam Leipzig) ist Enzensberger wiederum mit einer Nachdichtung von Södergran vertreten - der größte Teil der Übersetzungen stammt von Christiane Grosz, Klaus-Jürgen Liedtke, Brigitte Pietraß, Richard Pietraß, Brigitte Struzyk und Dorothea von Törne. Nelly Sachs und Hans Magnus Enzensberger sind nicht die einzigen deutschen Dichter, denen die finnlandschwedische Dichterin Edith Södergran am Herzen lag, schon 1978 hatte der Kieler Dichter Hans-Jürgen Heise (dessen Essays zur Lyrik immer lesenswert sind) in der Zeit eine schöne Rezension von dem Gedichtband Feindliche Sterne geschrieben, in der er auch auf das Nachwort von Horst Bienek einging (beide Texte ➱hier). Vor zehn Jahren hat Heinrich Detering, der neben seiner Tätigkeit als Literaturprofessor auch Gedichte schreibt, in der ➱FAZ die Übersetzungen von Klaus-Jürgen Liedtke rezensiert. Leider sind die Bücher von Pietraß und Liedtke inzwischen vom Markt verschwunden, auch Nelly Sachs' Band Schwedische Gedichte, in dem siebenundzwanzig Gedichte von Södergran waren, ist nicht mehr lieferbar. Aber da Edith Södergran heute Geburtstag hat, wollen wir den Faden der Erinnerung mal nicht abreißen lassen. Und so gibt es hier etwas Schwedisches (übersetzt von Richard Pietraß):

Gefährliche Träume

Geh nicht zu nah an deine Träume:
sie sind Rauch und können zerstieben −
sie sind gefährlich und können bestehn.

Sahst du deinen Träumen in die Augen:
sie sind krank und verstehen nichts −
sie folgen nur eigenem Sinn.

Geh nicht zu nah an deine Träume:
sie sind nicht wahr und sollten gehn −
sie sind ein Wahn und wollen dauern.


Wenn Sie lieber etwas im schwedischen Original haben wollen, dann hätte ich natürlich auch etwas aus ihrer ersten Gedichtsammlung Dikter von 1916. Da war sie vierundzwanzig Jahre alt, sechs Jahre später war sie schon tot. Das Gedicht mit der Anfangszeile Dagen svalnar mot kvällen ist hundertfach im Internet vertreten, es muss vielen Menschen heute noch etwas bedeuten, wobei traurige Liebesgedichte natürlich immer ihre Leser finden werden. Ich kann jetzt nicht sagen, weshalb meine erste Assoziation Ernst Josephsons Svarta Rosor war. Geht wohl auf eine zurückliegende schlimme ➱Kirsten Flagstad Phase zurück, die diesen Sibelius Klassiker mit Emphase gesungen hat. Falls sie so etwas mögen, hätte ich ➱hier noch ein Schmankerl. Nach dieser kleinen Digression komme ich doch endlich zu Dagen svalnar mot kvällen zurück:

Dagen svalnar mot kvällen…
Drick värmen ur min hand,
min hand har samma blod som våren.
Tag min hand, tag min vita arm,
tag mina smala axlars längtan…
Det vore underligt att känna,
en enda natt, en natt som denna,
ditt tunga huvud mot mitt bröst.

Du kastade din kärleks röda ros
i mitt vita sköte —
jag håller fast i mina heta händer
din kärleks röda ros som vissnar snart…
O du härskare med kalla ögon,
jag tar emot den krona du räcker mig,
som böjer ned mitt huvud mot mitt hjärta…

Jagsåg min herre för första gången i dag,
darrande kände jag genast igen honom.
Nu känner jag ren hans tunga hand på
min lätta arm…
Var är mitt klingande jungfruskratt,
min kvinnofrihet med högburet huvud?
Nu känner jag ren hans fasta grepp om
min skälvande kropp,
nu hör jag verklighetens hårda klang
mot mina sköra sköra drömmar.

Du sökte en blomma
och fann en frukt.
Du sökte en källa
och fann ett hav.
Du sökte en kvinna
och fann en själ -
du är besviken.

Ich hätte hier eine Gedichtanalyse, allerdings ist die auch in schwedischer Sprache. Ich habe aber ➱hier eine deutsche Übersetzung von dem Komponisten Caspar René Hirschfeld, der das Gedicht vertont hat. Ich könnte bei Vertonungen auch noch auf die Platte ➱Ett liv von Lill Lindfors hinweisen (aus der Platte gibt es ➱hier ein Video). Aber es gibt zum Schluss etwas viel Schöneres, nämlich ein kongeniales Video zu Dagen svalnar mot kvällen. Klicken Sie unbedingt ➱hier!

3 Kommentare:

  1. Lieber Jay,
    da die von Ihnen genannte Fassung von Hirschfeld leider nicht den vollständigen Text beinhaltet, bzw. mit Versatzstücken anderer Gedichte von Edith Södergran vermischt ist, habe ich eine eigene Übersetzung von "Dagen svalnar" angefertigt.
    Sie ist weit davon entfernt, perfekt zu sein. Ich hoffe dennoch, dass sie dazu beitragen kann, anderen Lesern den Zugang zu diesem schönen Gedicht etwas zu erleichtern.


    Der Tag wird kühl zum Abend hin...
    Trink die Wärme aus meiner Hand,
    meine Hand hat das gleiche Blut wie der Frühling.
    Nimm meine Hand, nimm meinen weißen Arm,
    nimm die Sehnsucht meiner schmalen Schultern...
    Es wäre wunderbar,
    in einer einzigen Nacht, einer Nacht wie dieser,
    dein schweres Haupt an meiner Brust zu spüren.

    Du warfst die rote Rose deiner Liebe
    in meinen weißen Schoß –
    ich halte in meinen heißen Händen
    die rote Rose deiner Liebe fest, die bald verblüht...
    O du Herrscher mit kalten Augen,
    ich nehme die Krone entgegen, die du mir reichst,
    die mein Haupt zu meinem Herzen niederbeugt.

    Ich sah meinen Herrn zum ersten Mal heute,
    zitternd erkannte ich ihn sogleich.
    Jetzt spüre ich rein seine schwere Hand auf
    meinem leichten Arm...
    Wo ist mein klingendes Jungfrauenlachen,
    meine Frauenfreiheit mit hoch erhobenem Haupt?
    Jetzt spüre ich rein seinen festen Griff um
    meinen zitternden Leib,
    jetzt höre ich den harten Klang der Wirklichkeit
    gegen meine zarten zarten Träume.

    Du suchtest eine Blume
    und fandest eine Frucht.
    Du suchtest eine Quelle
    und fandest ein Meer.
    Du suchtest eine Frau
    und fandest eine Seele –
    du bist enttäuscht.


    Vielen Dank für Ihren Essay zu Edith Södergran im Besonderen und Ihren Blog im Allgemeinen, ich lese sehr gern darin.
    Lars

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  2. Die
    "zurückliegende schlimme ➱Birgit Nilsson Phase",
    weswegen verweist der Link dann auf Kirsten Flagstadt?
    Für wen schlug denn nun Ihr Herz?

    Um das näher einzukreisen hilft vielleicht Hildesheimer - Tynset, p. 17f der Suhrkamp Ausgabe.

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  3. I am sorry, ich bringe die immer durcheinander. Es war natürlich eine Kirsten Flagstadt Phase, die alten Platten habe ich immer noch. Von Birgit Nilsson gibt es bei mir nichts im Plattenregal.

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