Montag, 22. Juli 2013

Wiederholungstäter


Ich habe eine kriminelle Vergangenheit. Ich begann meine Tätigkeit als Literaturwissenschaftler vor Jahrzehnten mit einer Anzahl von Publikationen zur englischen und amerikanischen Detektivliteratur. Bücher, Aufsätze in Fachzeitschriften, Lexikonartikel, Rezensionen. So etwas war damals ein Tabubruch. Den tausendsten Artikel über die Figur des Sir John Oldcastle als Vorbild für Shakespeares Falstaff zu schreiben, das war O.K. Zum ersten Mal in einer Fachzeitschrift über Raymond Chandler zu schreiben, das war Igitt. Auf jeden Fall in Deutschland. Ich bekam schnell meine 15 minutes of fame, aber es wurde auch lästig. Ich beschloss nach einigen Jahre, alle Publikations- und Vortragsangebote freundlich abzulehnen. Ich verschenkte hunderte von Krimis und behielt nur die besten. Die wanderten mit der ganzen Sekundärliteratur in einen schönen alten Schrank. Vor die Tür stellte ich einen schweren Ledersessel. Der hält mich davon ab, diese Tür zu öffnen. Nie wieder Krimi. Daran habe ich mich auch gehalten, aber als ich Blogger wurde, fragte ich mich: Gilt der alte Schwur noch?

Meine ersten vier Wochen als Blogger waren frei von literarischen Morden, aber im Februar 2010 gab es ➱hier doch einen kleinen Chandler Essay. ➱Raymond Chandler hat morgen 125. Geburtstag, was mich vor die Frage stellte: schreiben oder nicht schreiben? Aber nach kurzem Zögern habe ich mir gesagt was soll's und habe einen richtig fetten Chandler Essay geschrieben, der hier morgen stehen wird. Die Raymond Chandler Fans unter den Lesern werden mir vielleicht dankbar sein. Im täglichen Leben haben wir ja für alle Meinungsänderungen Argumente parat. Wie uns schon Benjamin Franklin versicherte: So convenient a thing it is to be a reasonable creature, since it enables one to find or make a reason for everything one has a mind to do.

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