Sonntag, 24. November 2013

Trismegistus


That of all the several ways of beginning a book which are now in practice throughout the known world, I am confident my own way of doing it is the best——I’m sure it is the most religious——for I begin with writing the first sentence——and trusting to Almighty God for the second. Das wäre ein schöner Romananfang. Aber der Autor beginnt sein Buch nicht mit diesen Worten, die finden sich erst im zweiten Kapitel des achten Buches. Unser Autor mit dem Hang zur Weitschweifigkeit beginnt seinen Roman so:

Ich wollte, mein Vater oder auch meine Mutter, oder eigentlich beide – denn es wäre wirklich Beider Pflicht und Schuldigkeit gewesen – hätten sich ordentlich zu Gemüthe geführt, was sie thun wollten, als sie mich zeugten. Hätten sie sich gehörig vor Augen gestellt, wie viel von dem abhänge, was sie gerade thaten, daß es sich nicht nur um die Erschaffung eines vernünftigen Wesens handle, sondern daß möglicherweise die glückliche Bildung und Beschaffenheit seines Leibes, vielleicht auch sein Geist und das eigenthümliche Gepräge seines Gemüthes und sogar – sie wußten wenigstens das Gegentheil nicht – das Glück seines ganzen Hauses von den Launen und Stimmungen beeinflußt werden konnten, die in dem Momente gerade die maßgebenden waren, hätten sie das Alles gehörig erwogen und überlegt und demgemäß auch gehandelt, so bin ich lebhaft überzeugt, daß ich eine ganz andere Figur in der Welt gespielt haben würde, als diejenige ist, in welcher mich der geneigte Leser vermuthlich erblicken wird. Ja ihr lieben Leute, glaubt mir nur, diese Sache ist nicht so unerheblich, als Manche von euch glauben mögen. Ihr habt wol alle davon gehört, wie die thierischen Regungen vom Vater auf den Sohn übertragen werden u. s. w. und noch vieles Andere in dieser Richtung. 

Nun gut, ich kann euch mein Wort daraufgeben: neun Zehntel von eines Mannes Vernunft oder Unvernunft, von seinen Erfolgen und Mißerfolgen in dieser Welt hängen von seiner Bewegung und Thätigkeit, von den verschiedenen Spuren und Geleisen, in die man sie bringt, ab, so daß, wenn sie einmal im Gange sind, – gleichviel ob auf gutem oder schlechtem Wege, darum gebe ich keinen Groschen –, sie dahin poltern wie ein Verrückter. Indem sie aber immer wieder denselben Weg treten, machen sie am Ende eine so ebene und glatte Straße daraus wie ein Gartenpfad, und wenn sie einmal daran gewöhnt sind, bringt sie der Teufel selbst oft nicht mehr daraus.
     Höre, Alter, sagte meine Mutter, hast du nicht vergessen die Uhr aufzuziehen? – Ach du meine Güte! rief mein Vater ungeduldig, gab sich jedoch zugleich Mühe, seine Stimme zu mäßigen, – hat seit Erschaffung der Welt eine Frau ihren Mann jemals mit einer so dummen Frage unterbrochen? – Was sagte denn Ihr Herr Vater vorher? – O Nichts.

Hier redet jemand mit dem Leser. Mit uns. In der Hoffnung, dass wir ihn lieb gewinnen: I have undertaken, you see, to write not only my life, but my opinions also; hoping and expecting that your knowledge of my character, and of what kind of a mortal I am, by the one, would give you a better relish for the other: As you proceed further with me, the slight acquaintance which is now beginning betwixt us, will grow into familiarity; and that, unless one of us is in fault, will terminate in friendship. Er hat viel Zeit, um uns seine Geschichte zu erzählen. Es wird ein langes Zwiegespräch mit dem Leser: Writing, when properly managed, (as you may be sure I think mine is) is but a different name for conversation. Und wir brauchen viel Zeit, um die Geschichte zu lesen. Es gibt keine short cuts zu diesm Roman. Weil der Autor seine Geschichte mit vielen Abschweifungen erzählt, denn schließlich ist er den Überzeugung: Digressions incontestably are the sunshine; they are the life, the soul of reading. Glücklicherweise teilen viele englische Autoren des 18. Jahrhunderts (und ihre Leser) diese Überzeugung.

Trismegistus hätte er heißen sollen, der da gerade gezeugt wird, als Mrs Shandy die Frage stellt Pray my Dear, have you not forgot to wind up the clock? Es ist ein Ritual im Hause für Walter Shandy, am ersten Sonntag des Monats die Standuhr aufziehen und Sex mit der Gattin zu haben. He shall be christened Trismegistus, brother, sagt der Vater zu Onkel Toby. Aber da hat seine Gattin etwas in den falschen Hals gekriegt, der Junge wird vom Pfarrer Yorick (der natürlich von Shakespeares Yorick in Hamlet abstammt) auf den Namen Tristram getauft.

Er ist der Held des Romans The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman, dessen Anfang Sie oben sie oben in der Übersetzung von Adolf Seubert lesen können. Es war diese Übersetzung, die ich zuerst las, weil ich mir vor fünfzig Jahren die Ausgabe in der Reihe von Fischers Exempla Classica gekauft hatte. Dieser Adolf Seubert ist Oberst in der württembergischen Armee gewesen, und ich vermute einmal, dass er Tristram Shandy übersetzt hat, weil darin soviel über den Festungsbau im 18. Jahrhundert steht.

Wahrscheinlich wäre die Übersetzung von Johann Joachim Christoph Bode, Tristram Schandis Leben und Meynungen (Hamburg 1774), besser gewesen. Sie ist im Laufe der Jahrhunderte immer wieder überarbeitet worden, unter anderem von ➱Fritz Güttinger. Wenn man sich heute den Roman in deutscher Übersetzung kauft, sollte man die Übersetzung von Michael Walter bevorzugen, der für seine Leistung mit dem Johann Heinrich Voß Preis ausgezeichnet wurde. Wenn wir ehrlich sind, geht natürlich nichts über das Original. Meinen Band in der Reihe der Exempla Classica habe ich immer noch, aber ich kaufte mir später die englische Everyman Ausgabe. Weil die damals am preisgünstigsten war. Sie ist inzwischen weggeschenkt, denn ich besitze jetzt den Roman in der sogenannten Florida Edition, etwas Besseres gibt es nicht.

Und ja, ich weiß, dass es eine graphic novel von Martin Rowson gibt. Sogar schon auf deutsch. Vergessen Sie es. Read, read, read, read, my unlearned reader! read—or by the knowledge of the great saint Paraleipomenon—I tell you before-hand, you had better throw down the book at once; for without much reading, by which your reverence knows I mean much knowledge, you will no more be able to penetrate the moral of the next marbled page (motley emblem of my work!) than the world with all its sagacity has been able to unravel the many opinions, transactions, and truths which still lie mystically hid under the dark veil of the black one. Und damit wir auch wissen wie the next marbled page aussieht, gibt es in der Originalausgabe natürlich diese Abbildung (in der Penguin Ausgabe der Florida Edition ist sie leider nur schwarzweiß). Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung, alles ist in diesem Buch enthalten.

Laurence Sterne, der Autor des wunderbaren Werkes, über das Arno Schmidt sagte, daß es zu den zehn größten Büchern gehöre, die bisher in englischer Sprache geschrieben worden sind, wurde heute vor dreihundert Jahren geboren. Seine Schriften fanden in Deutschland Bewunderer und  Nachahmer, oder, wie Jean Paul (der von allen Sterne am nächsten kommt) so schön boshaft sagte: Als man Sterne in Deutschland zuerst ausschiffte, zog er hinter sich einen langen wässerigen Kometenschweif damals sogenannter (jetzo ungenannter) Humoristen, welche nichts waren als Ausplauderer lustiger Selbstbehaglichkeit.

Ich weiß nicht, aus welchen Gründen Heinrich Heine Jean Paul nicht mochte, denn er sagt im fünften Kapitel von Die romantische SchuleWie Lorenz Sterne, hat auch Jean Paul in seinen Schriften seine Persönlichkeit preisgegeben, er hat sich ebenfalls in menschlichster Blöße gezeigt, aber doch mit einer gewissen unbeholfenen Scheu, besonders in geschlechtlicher Hinsicht. Lorenz Sterne zeigt sich dem Publikum ganz entkleidet, er ist ganz nackt; Jean Paul hingegen hat nur Löcher in der Hose. Mit Unrecht glauben einige Kritiker, Jean Paul habe mehr wahres Gefühl besessen als Sterne, weil dieser, sobald der Gegenstand, den er behandelt, eine tragische Höhe erreicht, plötzlich in den scherzhaftesten lachendsten Ton überspringt; statt daß Jean Paul, wenn der Spaß nur im mindesten ernsthaft wird, allmählich zu flennen beginnt und ruhig seine Tränendrüsen austräufen läßt. Nein, Sterne fühlte vielleicht noch tiefer als Jean Paul, denn er ist ein größerer Dichter. Dichter können ja so gemein zu ihren Kollegen sein.

Ich kann mich heute sehr kurz fassen. Tristram Shandy bleibt immer eine Leseempfehlung, man sollte sie nicht aufschieben. Meist sagt man angesichts der immer wieder gelobten Werke der Weltliteratur: das lese ich im Alter. Aber das Leben ist jetzt. Und was wäre das Leben, wenn man alles aufschiebt? The desire of knowledge, like the thirst of riches, increases ever with the acquisition of it. Als Leser dieses Blogs sind sie auf die Lektüre von Tristam Shandy gut vorbereitet, denn auch dieser Blogger glaubt daran: Digressions incontestably are the sunshine; they are the life, the soul of reading. Ich kann mich heute auch aus einem anderen Grunde kurz fassen, weil es ➱hier vor drei Jahren schon einen langen Post zu Laurence Sterne gab. Ich musste den damals an seinem Geburtstag schreiben, weil ich nicht wusste, ob ich an seinem dreihundertsten Geburtstag noch Blogger sein würde. Die Empfehlung für den Film A Cock and Bull Story (die Photos auf dieser Seite stammen aus dem Film), die sich in dem Post findet, gilt auch weiterhin. Wunderbar schräg und komisch, richtig shandyesque.

3 Kommentare:

  1. Ganz gewiss habe ich nichts gegen abschweifende Bücher. Oder Bücher mit diversen, im ersten Augenblick völlig unnötigen Nebenhandlungen. Ebenso bin eich ein Freund historischer Romane.
    In diesem Fall allerdings haben Sie es geschafft, und das ist neu, eine gewisse Ablehnung gegenüber diesem Werk zu erzeugen. Es scheint zu weitschweifig. Nun ja....

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  2. Es sind in der deutschen Ausgabe nur 784 Seiten!

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