Mittwoch, 4. Dezember 2013

Primadonna assoluta


Am 2. Dezember 1923 wurde Maria Callas in New York geboren. Das wurde mir am Sonntagabend plötzlich klar, weil ich den Film Maria Callas Assoluta auf arte gesehen habe. Falls Sie den verpasst haben sollten, ➱hier ist er. Die 98 Minuten lohnen sich unbedingt. Natürlich hätte ich vorgestern über die Callas schreiben können. Aber ich wollte endlich den schon lange fertigen Post über ➱Inspector Lewis ins Netz stellen. Vielleicht schreibe ich ein anderes Mal über sie, ich besitze beinahe all ihre Aufnahmen. Sogar Norma, obgleich ich die Oper nicht ausstehen kann. Aber die Callas liebte die Rolle.

Ich könnte jetzt natürlich eine ehemalige Kollegin anrufen, die alles über die Callas weiß, hat sogar ein Buch über sie geschrieben. Sie schrieb nebenbei für die Zeitschrift Orpheus; es ist immer gut, dass man noch etwas anderes kann, wenn man an der Uni ist. Aber ich verschiebe einen langen Post zu Maria Callas mal in die ungewisse Zukunft. Maria Callas, die auf Photos selten aussieht, als ob sie glücklich sei (irgendwie scheinen die tragischen Rollen auf sie abzufärben), besaß ein Portrait von Maria Malibran. Jener Sängerin, die die Rolle der Operndiva für alle Zeiten definiert hat. In my living room hangs a large portrait of Malibran, the only other likeness in my home besides that of my teacher, Elvira de Hidalgo, sagt Callas in ihrer Autobiographie. Und einen Absatz später lesen wir den Satz: There are so many other similarities in our lives that sometimes I believe I am Malibran reincarnated. Vorher hatten das schon andere gesagt, so der italienische Sänger Nazzareno de Angelis, der lange an der Scala gesungen hatte: After this radio concert I forecast that in Maria Callas the spirit of Maria Malibran will be reborn.

Die Vergleiche mit Maria Malibran haben natürlich einen kleinen Schönheitsfehler, niemand, der das heute sagt, hat die Malibran je singen hören. Die Tonaufzeichnungsgeräte sind noch nicht erfunden, als sie 1836 stirbt. Aber man meint auch wohl mehr die Inszenierung ihres Lebens als öffentliche Person. Manche gehen an diesem Leben als gefeierte Diva zugrunde, wie Anita Cerquetti, die einmal als die Nachfolgerin der Callas gehandelt wurde und mit dreißig Jahren ihre Karriere aufgab.

Werner Schroeter, der 1968 auch einen kurzen ➱Film über die Callas gedreht hat, liebte die Oper. Er hat der Cerquetti in seinem Film Abfallprodukte der Liebe ein schönes Denkmal gesetzt. Dazu gibt es hier etwas mehr in dem Post ➱Grande Opéra. Isabelle Huppert, die in Abfallprodukte der Liebe auch mitwirkt, hat nach dem Tode Schroeters gesagt, dass er jetzt im Himmel beim Tee mit Maria Callas sitzt. Wenn man sich Maria Malibran als role model für das Leben nimmt, was bleibt dann? Ein kurzes Leben, ein langer Ruhm. Und die Verse von Lamartine auf dem Grabstein:

Beauté, génie, amour furent son nom de femme,
Écrit dans son regard, dans son cœur, dans sa voix.
Sous trois formes au ciel appartenait cette âme.
Pleurez, terre ! Et vous, cieux, accueillez-la trois fois !

Für die primadonna assoluta Maria Callas, deren Grab auf dem Friedhof Père Lachaise ist (und deren Asche über der Ägeis ➱verstreut wurde), habe ich auch ein Gedicht. Nicht von Lamartine. Es ist von dem Amerikaner Steve Orlen und hat den Titel In the House of the Voice of Maria Callas:

In the house of the voice of Maria Callas
We hear the baby’s cries, and the after-supper
Rattle of silverware, and three clocks ticking
To different tunes, and ripe plums
Sleeping in their chipped bowl, and traffic sounds
Dissecting the avenues outside. We hear, like water
Pouring over time itself, the pure distillate arias
Of the numerous pampered queens who have reigned,
And the working girls who have suffered
The envious knives, and the breathless brides
With their horned helmets who have fallen in love
And gone crazy or fallen in love and died
On the grand stage at their appointed moments—
Who will sing of them now? Maria Callas is dead,
Although the full lips and the slanting eyes
And flared nostrils of her voice resurrect
Dramas we are able to imagine in this parlor
On evenings like this one, adding some color,
Adding some order. Of whom it was said:
She could imagine almost anything and give voice to it.

Meine Lieblingsaufnahmen mit der Callas? Da brauche ich nicht lange nachzudenken. Das ist einmal Donizettis Lucia di Lammermoor mit ➱Ferruccio Tagliavini an ihrer Seite. Wo man manchmal nicht weiß, wer von den beiden der schönere Sopran ist. Und dann natürlich La Traviata mit Alfredo Kraus, der Live Mitschnitt aus Barcelona, ohne die ➱Aufnahme geht gar nichts. Und wenn Sie noch irgendwo preiswert diesen großen schwarzen Kasten Callas La Divina Complete (Limited Edition Box Set) sehen, kaufen Sie ihn! Es gibt Zeiten, da tut es einem unheimlich gut, einen Tag lang Maria Callas zu hören: She could imagine almost anything and give voice to it.

Und wir hören noch eben einmal in ihre ➱Lieblingsarie hinein.

2 Kommentare:

  1. Vor sieben Jahren schrieb ich an anderem Ort: "Die Qualität alter Callas-Aufnahme ist keinesfalls nur vom Preis abhägig. Die EMI hat lange Zeit im Hochpreis-Segment die Traviata ,live 1955 von der Scala, verkauft. Es rauscht nicht nur, nein, man hört als Begleitung ganz regelmäßig und deutlich den Souffleur jedenfalls in einer Qualität,die gar nicht akzeptabel ist.
    Die besten restaurierten Aufnahmen stammen aus dem Bremer Studio Thein und wurden als Doppel CD vor Jahren im Weihnachtsgeschäft von Tchibo verkauft. Unglaublich, was Reinigung vermag !

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  2. Recht vielen Dank für diesen Beitrag. Die Sendung auf Arte hab ich mir gleich angesehen. Hat mir sehr gefallen, viel wusste ich ja noch nicht. Auf jeden Fall werde ich mal nach einer schönen CD auf die Suche gehen.

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