Sonntag, 30. März 2014

Sommerzeit


Haben Sie heute schon auf ihre Uhr geguckt? Es ist wieder mal Sommerzeit. Keiner will sie, sie ist auch für nix nütze, aber dennoch gibt es sie. Aus gegebenem Anlass stelle ich hier einmal einen alten Post ein. Für den Fall, dass Sie mich zum Datum der Zeitumstellung im Jahre 2010 noch nicht gelesen haben. Das Erstaunliche an dem Post ist, dass er in den letzten vier Jahren überhaupt nicht gealtert ist. Und alles, was in dem Post steht, ist wahr. Für die unglaublich erscheinende Geschichte, dass eine deutsche Universität eine sauteure elektrische Zeitsteuerungsanlage der Genfer Nobelfirma Patek Philippe wegschmeißt, kann ich mich verbürgen. Der Post erscheint heute in einem etwas neueren Gewand als im Jahre 2010, es gibt neue Illustrationen, und einige Links wurden eingefügt.

Ich habe gerade entdeckt, dass es schon einmal einen Post mit dem Titel ➱Sommerzeit gegeben hat. Das wusste ich gar nicht mehr. In jenem Post wird Vladimir Putin erwähnt, der in seinem Reich die Sommerzeit gerade abgeschafft hat. Putin besitzt viele Uhren, aber die Frage einer englischen Zeitung How did Vladimir Putin afford his £450,000 watch collection worth six times his annual salary? bleibt ebenso unbeantwortet, wie die Frage nach der Sommerzeit. Aber eine andere Frage können wir an dieser Stelle endlich einmal beantworten. Putin soll ja massgeschneiderte Anzüge von ➱Brioni tragen, das hat ihm wohl sein Kumpel empfohlen, der ihn auch als einen lupenreinen Demokraten bezeichnet hat. Allerdings sind die Ärmel von seinen Anzügen immer zu lang. Und das hat seinen Grund: wir sollen die Luxusuhren nicht sehen. Das ist russische Bescheidenheit.

Heute ist es mal wieder so weit: Sommerzeit. Man weiß zwar nicht, wofür es gut ist, aber man fügt sich. Die meisten wissen auch nicht, ob sie ihre Uhren vor oder zurück stellen sollen. Aber im Laufe des Tages erfährt man das ja irgendwie. Dass die Zeitumstellung irgendwelchen Nutzen hat, wird von vielen Wissenschaftlern inzwischen bestritten. In den Nachrichten warnen Förster vor Wildunfällen: der Berufsverkehr ist jetzt eine Stunde früher unterwegs, dem Wild, das über die Straßen wechselt, hat man noch nicht gesagt, dass jetzt Sommerzeit ist. Hirsche, Rehe und Wildschweine müssen sich auch erst an die Zeitumstellung gewöhnen. Diese Radionachricht ist kein verfrühter Aprilscherz, ich habe das selbst vor Jahrzehnten gesehen. Wenn auf dem Truppenübungsplatz Munster das Schießen um 12 Uhr aufhörte, war um fünf nach zwölf das Damwild auf der Schießbahn. Eindrucksvolle Demonstration eines natürlichen Zeitgefühls.

Seit der Chefingenieur der Canadian Pacific Railway, Sandford Fleming, für eine Festlegung der Zeitzonen gekämpft hat, und seit die International Meridian Conference in Washington 1884 die Zeitzonen mit dem Nullmeridian in Greenwich festgelegt hat, haben wir wenigstens einheitliche Zeitzonen. Vorher gab es selbst in Deutschland von Ort zu Ort eine verschiedene Zeit. In der Sternwarte von Greenwich gibt es auf dem Boden eine Markierung für den Nullmeridian, im Flamsteed House ist es eine grüne Leuchtstoffröhre. 

Flamsteed House (das hat ➱hier inzwischen einen Post) heißt nach dem ersten Astronomer Royal John Flamsteed. Der hat viele Dinge am Himmel entdeckt, seine Entdeckungen wurden ihm prompt von Sir Isaac Newton gestohlen. Im Messen der Zeit sind sich die Engländer im 18. Jahrhundert nicht grün, das muss der Autodidakt John Harrison erfahren, der die ersten genau gehenden Uhren der Menschheitsgeschichte bauen wird. Hat nur Ärger mit Nevil Maskelyne, dem Astronomer Royal. Harrisons Uhren H1 bis H4 stehen heute im Museum von Greenwich. Sie gehen auch seit 1933 wieder, seit der Commander Rupert Gould in den zwanziger Jahren angefangen hatte, sie zu reparieren. Zum Nullmeridian ist Greenwich schon 1738 geworden, allerdings hat die Welt das erst 1884 anerkannt. Damals hieß die Zeit noch GMT (Greenwich Mean Time), seit 1968 heißt sie UTC, Universal Time Coordinated. GMT ist als Zonenzeit für die Westeuropäische Zeit geblieben.

Time is money, hat Benjamin Franklin gesagt. Genauer heißt es: Remember that Time is Money. (..) In short, the Way to Wealth, if you desire it, is as plain as the Way to Market. It depends chiefly on two Words, Industry and Frugality; i.e. Waste neither Time nor Money, but make the best Use of both. Auf dem ersten One Third of a Dollar Schein, den Franklin 1776 für den Continental Congress entworfen hat, ist die Sonne und eine Sonnenuhr zu sehen. Neben der Sonne steht das Lateinische fugio, unter der Sonnenuhr steht Mind your Business.  Business und Leben werden jetzt abhängig von der Zeit. Wir sind besessen von der genauen Zeit, obgleich wir die eigentlich gar nicht brauchen. Dass die Züge pünktlich abfahren, ist lange vorbei. Die genauesten Schweizer Armbanduhren mit Chronometerzertifikat versagen gegen billige Quarzuhren. ➱John Harrison, der in einem geradezu epischen Kampf gegen Behörden und Konkurrenten (worüber ➱Dava Sobel mit Longitude ein schönes Buch geschrieben hat) zu seinem Lebensende endlich den ausgelobten Preis des Longitude Wettbewerbs beanspruchen konnte, würde über eine Quarzuhr nur staunen können. ➱Captain Cook hat mit einer ➱Kopie von Harrisons Uhr No. 4 die Südsee vermessen. Könnte man heute auch mit einer billigen Quarzuhr machen. Die silberne Schweizer Taschenuhr, die sich mein Opa vor hundert Jahren zur Hochzeit gekauft hat, geht heute immer noch. Dass eine billige Quarzuhr in hundert Jahren noch geht, wage ich zu bezweifeln.

Genau gehende Uhren (hier eine alte Omega Constellation mit dem Bild eines Observatoriums auf dem Boden) kosteten früher ein Vermögen und waren nur etwas für die so genannten besseren Leute, heute ist die Zeitmessung demokratisiert. Man bekommt eine genau gehende Quarzuhr heute schon als Werbegeschenk. 

Aber dennoch kann die Zeitmessung ins Geld gehen. An einer (hier nicht zu nennenden) deutschen Universiät fielen vor Jahren die Uhren in Hörsälen und auf Fluren aus. Solche Uhren werden gesteuert von einer so genannten Mutteruhr, wenn diese elektrisch gesteuerte Hauptuhr eine Macke hat, können auch alle anderen Uhren auf dem Campus nicht mehr richtig gehen. Als nach einer Woche die Universität immer noch zeitlos war, rief ein Dozent (der auch Uhrensammler war) den zuständigen Referenten an, um ihm zu sagen, dass er einen tüchtigen Uhrmacher habe, der sich auch mit Elektrouhren auskenne. 

Der Referent druckste am Telephon herum und sagte dann, man habe beschlossen, billige Quarzuhren für die Hörsäle anzuschaffen. Das Jahresende sei nahe, und man habe noch Geld im Etat. Man nennt dieses Phänomen in Behörden auch Novemberfieber, die Haushaltsmittel müssen ausgegeben werden, weil die einzelnen Titel nicht ins neue Jahr übertragen werden können. Ein Mitarbeiter einer italienischen Universität soll in dieser Situation einmal 13.000 Kugelschreiber gekauft haben. Aber, sagte der Referent, Ihr Uhrmacher kann die Uhr gerne abbauen und sie behalten. Was der auch tat. Die Mutteruhr in der Größe von zwei Gefrierschränken stammte von der Firma Patek-Philippe in Genf. Die bauen die feinsten (und teuersten) Uhren der Welt. Eine solche Uhr steuert die Uhren des Schweizer Parlaments, alle Uhren im Vatikan. Und auch die Uhren des englischen Parlaments werden von eine Patek-Philipp gesteuert. Auf so etwas kann man ja gerne verzichten, wenn man in Schilda wohnt und vom Novemberfieber besessen ist. An der Patek war, wie ein elektrisches Durchmessen ergab, lediglich ein elektrischer Widerstand kaputt. Großhandelspreis 60 Cent. So billig kann die Zeit sein. Die billigen Quarzuhren, die die Universität angeschafft hatte, haben nie richtig funktioniert.


Das Bild oben (unter dem Bild von Putin) zeigt die ➱Harrison H1 von 1735. Wenn Sie ganz viel Geld haben, baut Ihnen die Firma ➱Sinclair Harding in England die H1 nach.

Samstag, 29. März 2014

Denton Welch


I wrote about the night bird cries, the sea sounds and the lonely barking, and I liked what I wrote in flashes; but something was wrong with it. There is always something wrong with writing. So I tore the paper up at last, liking the untouched memory so much better, not wanting it forced into the insincerity of words. Als der Schriftsteller und Maler (hier ein Selbstportrait) Denton Welch das schreibt, ist er schon am Sterben. Sein Buch A Voice Through A Cloud erscheint erst posthum. Denton Welch  ist immer noch ziemlich unbekannt, obwohl es sogar hier in Deutschland den Versuch gab, den englischen Dichter (der am 29. März 1915 in Shanghai geboren wurde) bekannter zu machen.

Es ist immer ein bisschen geheimnisvoll, immer lauert eine düstere, laszive Ahnung von Perversität im Hintergrund, und viele Sätze glitzern geradezu beim Lesen, schrieb Elke Heidenreich. Das ist dreißig Jahre her, da brachte der Zweitausendeins Versand Denton Welch in Übersetzungen heraus. Übersetzt nicht von irgendjemandem, kein Geringerer als Carl Weissner hat Freuden der Jugend (In Youth is Pleasure), Jungfernfahrt (Maiden Voyage) und Schicksal (A Voice Through a Cloud) ins Deutsche übertragen. Dieses schöne Bild, das ein wenig an die Präraffaeliten und die Surrealisten erinnert, heißt Harvest. Es hängt heute in der Tate Gallery, in deren Katalog sich ein langer ➱Text dazu findet.

Alles, was er schreibt (und malt), vollbringt er in den wenigen Jahren, die ihm nach dem schrecklichen Unfall bleiben. Den Unfall und die Monate danach im Krankenhaus hat er auch in A Voice Through a Cloud beschrieben: I began to long, as I had before, for some special smell, some special music that would fill me, lift me up and carry me away, float me off the rocks of my body and sweep me into some wideness, some vast expanse of blue-grey nothingness. Es ist ein Wunder, dass er den Unfall überlebt hat. Das Krankenlager macht ihn jetzt zum Schriftsteller. I want to finish my story and my book and get them to the publishers, schreibt er 1947. Ein Invalide, der aber das Leben bejaht.

Und der sogar eines Tages wieder Fahrrad fährt: A good subtitle for a biography of Denton Welch might be 'A Bike in the Hedge', so much is his leisure and his Journals taken up with picnicking in fields, looking round country churches or exploring the overgrown parks of once grand houses. The bike would not be locked, as this was Kent in the 1940s, a county (though it had seen the Battle of Britain) still sunk in rustic tranquillity and seclusion.  Schreibt Alan Bennett im Vorwort zu dem Buch Denton Welch: Writer and Artist von James Methuen-Campbell. Sie können Alan Bennetts Vorwort ➱hier lesen. Es lohnt sich immer, ➱Alan Bennett zu lesen. Das Bild aus dem Jahre 1935 oben ist von dem englischen Maler Gerald Mackenzie Leet, der Welch kennenlernte, als beide am Goldsmiths' College Malerei studierten.

Denton Welch hat seinen Freund Gerald Leet als Mark Lynch in A Voice Through a Cloud und als Gerard Hope in A Novel Fragment (in: A Last Sheaf, 1951) hineingeschrieben. Er wusste, das Leet ein besserer Maler war als er. Ein guter Buchillustrator ist Welch sicherlich gewesen. Falls Sie sich über das seltsame Haus auf diesem Bild von Welch wundern sollten: das ➱Coffin House in Kent gibt es wirklich. Dieses Bild hat nichts mehr mit dem Präraffaeliten gemeinsam, es sieht - wie viele seiner Zeichnungen - eher ein bisschen nach ➱Samuel Palmer aus.

After I had run away from school, no one knew what to do with me, heißt es am Anfang von Welchs erstem Roman Maiden Voyage. Ein Rezensent bei Amazon hat über den Helden des autobiographischen Romans gesagt: Holden Caulfield's better mannered, fey, hyper-perceptive English cousin. Der Vergleich mit ➱Salingers The Catcher in the Rye ist sicherlich interessant, beide Autoren sind ungefähr gleich alt, als sie ihren Roman schreiben. Auch ihre Helden haben das gleich Alter. Das gilt allerdings auch für Padgett Powells Roman Edisto, der häufig mit dem Catcher verglichen wird (und über ➱den ich immer noch einmal schreiben wollte). Und man sollte bei einer solchen Betrachtung sicherlich auch noch ➱Alain-Fourniers Le Grand Meaulnes einbeziehen.

Es ist eine erstaunliche Prosa, mit der Welch das Leben seines jugendlichen Helden beschreibt. Nachdem er aus der Public School (Repton) fortgelaufen ist, schickt man ihn wieder zu seinem Vater nach China zurück. Er ist sechzehn: 'Foreigners are not very popular here,’ Mr Butler told me at breakfast. ‘So I don’t think you ought to go out alone.’ My heart sank. I hated to be dependent on other people. They would never want to do what I wanted to do. I began to feel imprisoned. I took up the moth-eaten balls and the old tennis racket which were lying in the hall, and went into the garden. I hit the balls fiercely against the stable doors until I was too hot and unhappy to go on. I sat brooding on the steps. I might have been in Sydenham for all I could see – a European villa and a line of poplars; yet outside lay a Chinese city which I was longing to explore. After lunch I decided that I could stand it no longer. Mr Butler and Mr Roote were still deep in their morning’s discussion, so I let myself quickly out of the back gate and walked along the sandy lane which led into the country. Mr Butler could not mind my walking in the country, I thought. Everything was still and silent, in an early-afternoon torpor. The only sound came from the stunted bushes which squeaked and grated linguistically as the wind passed through them. Pillars and scarves of dust and sand rose up from the ground, eddying and swirling themselves into flat sheets which hovered in the air. Harsh spears of grass stuck up through the sand. The soles of my shoes began to burn and I looked round vainly for some shady place. I enjoyed the dreamlike stillness and wanted to stay out for as long as possible. I thought that if I walked on I might find a place. The road led towards the hills. Across the sandy plain the city walls stood up like cliffs. Turrets and bastions were ruined cottages, crumbling into the sea.

Les enfants s'ennuient le dimanche, hätte er in der Villa in China bleiben sollen, da wo es aussieht wie in Sydenham? Die Welt von Welch ist eine andere Welt als die von Salinger oder Padgett Powell, es ist eine Welt zwischen China und England. Denton Welch hätte einer von den Bright young things wie Stephen Tennant (hier ein Photo von Cecil Beaton) oder Brian Howard sein können (an dieser Stelle sollten Sie jetzt unbedingt den Post ➱Wildlederschuhe lesen), doch das ist eine andere Generation. Als Denton Welch zu schreiben beginnt, hat der Zweite Weltkrieg schon begonnen, da ist Evelyn Waughs Brideshead Revisited schon ein Abgesang auf eine Generation. Es ist eine Welt, die Edith Sitwell kennt, die den jungen Denton Welch zum Schreiben gebracht hat und im Vorwort zu Dentons erstem Roman schrieb the author appears to be that very rare being, a born writer. Allerdings hat es immer wieder Kritiker gegeben, die Welch mit Tennant verglichen haben. Wie in dem schönen Satz über Welch: this cross between Stephen Tennant and James Dean, a stroppy teenager with a taste for Dresden and "mer-cats".

An Lob von anderen Schriftstellern hat es Welch nie gefehlt, William S. Burroughs hat Such a marvelous writer gesagt und ihn als einen seiner wichtigsten Einflüsse bezeichnet. Nicholson Baker, mit der Frage konfrontiert: Which writers are egregiously overlooked or underrated? antwortete auf seine eigene Weise: All writers are underrated. They’re all trying to do their best. It’s hard to finish a book. But Denton Welch deserves more of a fuss. Also John McNulty and that Long-Winded Lady, Maeve Brennan. Shakespeare is probably the most overrated writer of all time, although I must say his sonnets are incredible. Ich finde das mit Shakespeare sehr witzig. Nicholson Baker ist ja ein Schriftsteller, der immer die Lektüre lohnt, mein Lieblingsbuch ist U+I, aber das habe ich in dem Post ➱John Updike schon einmal gesagt. Alan Bennett, der Denton Welch schon las, als der noch nicht angesagt oder Kult war, sagte etwas ernsthafter: Denton Welch's subject matter had a richness and a colour that links him with very unlike writers, such as Dylan Thomas, Edith Sitwell and Christopher Fry, all of whom were standing out against the drabness of their times. Elke Heidenreich hatte schon das richtige Näschen, als sie viele Sätze glitzern geradezu beim Lesen schrieb, denn vieles glitzert in dieser Prosa wirklich:

I greedily embraced the never-ending sadness of human life. At that moment I wanted to be overwhelmed by it. Nothing else but the sadness of destruction seemed real. I would sink down, be its victim, fall asleep in it. How can I describe the deep vibrating pleasure I felt? Perhaps it was a little like the moment just before a child bursts into tears. He knows he is going to cry, he does nothing about it, he has no shame, he wants to be drowned, to be swallowed up forever in his own unhappiness. Das Unglücklichsein, das hat er gelernt. Er hatte schon früh das Gefühl, dass er häßlich sei, dass niemand ihn liebt. Das Gefühl wird ihn niemals verlassen: When you long with all your heart for someone to love you, a madness grows there that shakes all sense from the trees and the water and the earth. And nothing lives for you, except the long deep bitter want. And this is what everyone feels from birth to death. Nur in manchen Augenblicken, wenn er daran zurückdenkt, als Vater und Mutter noch lebten, scheint er für einen Augenblick glücklich zu sein: I thought of the happiest times; when I had been a little boy, sitting by the library fire in my thick, quilted kimono, eating bread and butter and drinking hot milk, while he read to me, as I have described before. Und so wappnet er sich mit den kleinen Erinnerungen gegen das Leben  (und den Tod): it was the little things... which served him best as defences against his growing weakness and his prescience of an early death.

Der Schriftsteller Jocelyn Brooke, dessen Werk thematisch viele Ähnlichkeiten mit Welch hat, hat die Tagebücher von Welch aus der Zeit von 1942 bis 1948 herausgegeben. Er hat über die Journals gesagt: it was the little things – not only dolls’ houses and chinoiserie, but things seen on a country walk, a ruined church, a flower, a young man bathing – which served him best as defences against his growing weakness and his prescience of an early death. Das Puppenhaus, das hier erwähnt wird, stammt aus dem 18. Jahrhundert, Welch hat es in der Zeit der Rekonvaleszenz liebevoll restauriert. Es steht heute im ➱Victoria & Albert Museum. Es ist diese Liebe zu den vielen kleinen Dingen, die ihn kennzeichnet.

Auch in seiner Prosa hat er immer den Blick für das Detail: I wish that people should mention the tiny things of their lives that give them pleasure or fear or wonder. Ich zitiere hierzu einmal eine Stelle aus den Tagebüchern: Why should we not admit That this is what takes place? How trying to maintain That optimist's grimace! Beauty is not less deep If it should die at last, The greatest prize men keep Is glory that is past. To-night I know all things, My heart has eyes. To-night I know all things, My heart has eyes of flesh, My spirit has birds' wings. 2 August, Monday I am sitting close to the shut-up cricket pavilion the Oxon Hoath estate under a young tree, close to a broken wire fence. The wind is blowing fiercely and the sky is thick with grey clouds. As I was reading Robert Louis Stevenson a soldier ran past in his braces, swinging a brown beer bottle. He also wore a smart peaked cap, not a forage cap. I wondered where his tunic was. He seemed to be in a great hurry. I jumped up to to watch him. He disappeared hobbling over the humpy path. 

Es sind diese Kleinigkeiten, die Hosenträger des Soldaten, die braune Bierflasche, die Mütze, die in der Erinnerung haften bleiben. Der Soldat (ohne Uniformjacke) erinnert uns daran, dass Krieg ist. Aber der Krieg dringt kaum in die Welt von Welch ein, dies ist die im Edwardian Age stehengebliebene Welt eines pastoralen Englands. Und Welchs obsessive Liebe zur Detailbeschreibung hätte wahrscheinlich auch Proust gefallen. Wenn jemand das Pfirsich Melba Dessert beschreibt als: It's like a celluloid cupid doll's behind... This cupid doll has burst open and is pouring out lovely snow and great big clots of blood, dann kann man Elke Heidenreichs Satz Es ist immer ein bisschen geheimnisvoll, immer lauert eine düstere, laszive Ahnung von Perversität im Hintergrund, und viele Sätze glitzern geradezu beim Lesen nur zustimmen.

Die Vergleiche mit Proust liegen natürlich auf der Hand, auch die autobiographischen Romane von Denton Welch versuchen, die temps perdu zurückzugewinnen. Richard Hell hat den Engländer als British baby Proust bezeichnet, was sicherlich sehr witzig ist: Delicacy of perception is precisely the same thing as delicacy of description. Denton Welch is like a British baby Proust in his astounding grasp of his own (usually ‘mundane’) experience. Nothing much happens in his books but the most wonderful writing.
Man kann das mit dem most wonderful writing jederzeit überprüfen, all seine Bücher sind erhältlich, auch die in deutscher Sprache erschienenen Werke sind neu oder antiquarisch zu finden.

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Donnerstag, 27. März 2014

von Kügelgen


Die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts waren für das Rheinland verhängnisvoll geworden. Unter den Hammerschlägen der Französischen Revolution begannen die Stützen des alten Staatenbaues zu sinken. Unordnung und wüster Streit erfüllten das schöne Land, und mancher Mann, der dort zu Hause war, entfremdete seiner Heimat. So auch mein Vater. Von Rom, wo er als Maler seine Studien beendet hatte, zog es ihn nicht zurück nach seinem Vaterlande, vielmehr wandte er sich infolge der Einladung eines Freundes dem Norden zu. Da lernte er in Reval meine Mutter kennen, gewann ihre Hand und zog mit ihr nach Petersburg, wo er viel Arbeit fand. So beginnt der Sohn des Malers Gerhard von Kügelgen seine Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Er neigt da am Anfang zur Übertreibung, sein Vater (der am 27. März 1820 starb) fand in St Petersburg nicht nur Arbeit, er machte da ein Vermögen. Die Zarenfamilie, die er malte, war spendabel. Dies hier ist kein russischer Graf, das ist Christian Friedrich, der Bruder des Malers ➱Caspar David Friedrich.

Dessen Lehrer und Freund Kügelgen gewesen ist. Wenn das Bild überhaupt von Kügelgen ist, es wird vielen Malern zugeschrieben: Kügelgen, Caspar David Friedrich selbst und einem Kopenhagener Maler namens C.Chr. A Böhndel. Es ist ein Bild, das ich liebe. Früher habe ich es jahrzehntelang jede Woche einmal im Kieler Schloß betrachtet, aber da hängt es leider nicht mehr, es ist mit der Sammlung der Stiftung Pommern nach Greifswald gewandert. Dies Bild von Kügelgen zeigt Alexander I als jungen Mann, konventionell gemalt. Aber nicht besonders gut, Franz Krügers ➱Bild von 1824 ist wesentlich besser. Franz Krüger, der Pferde-Krüger, hat ➱hier übrigens schon einen viel gelesenen Post.

Gerhard von Kügelgens Sohn Wilhelm ist auch Maler geworden. Vielleicht ein besserer als sein Vater. Aber man wird ihn wegen etwas anderem im Gedächtnis halten. 1924 schrieb der Herausgeber der Jugenderinnerungen eines alten MannesWenn der bescheidene, zurückhaltende alte Mann es wüßte, was seine Persönlichkeit jetzt, sechzig Jahre nachdem er schwach und krank im stillen Kügelgenhaus zu Ballenstedt mit Bienenfleiß an seinen "Jugenderinnerungen" feilte, dem deutschen Volke bedeutet, und daß die Selbstbezeichnung, die er mit stiller Resignation und leiser Ironie prägte, ihm längst schon zum in Alldeutschlands Gauen volkstümlichen Ehrennamen geworden ist!! Es ist ein ein erstaunliches Buch (➱hier im Volltext), das die Lektüre immer noch lohnt.

In dem vorzüglichen Goethezeit Portal ist über das Buch zu lesen: Wilhelm von Kügelgens "Jugenderinnerungen eines alten Mannes", 1870 postum erschienen, anvancierten bis weit in die 1920-er Jahre zu einem wahren Kultbuch des deutschen Bürgertums. Der vermeintlich idyllische Rückblick auf eine scheinbar 'besonnte Vergangenheit', wie die Autobiografie des ehemaligen Hofmalers und Kammerherrn des letzten Herzogs von Anhalt-Bernburg rezipiert wurde, entpuppt sich bei näherer Betrachtung jedoch nicht nur “als Bilderbuch alter Erinnerung”, sondern auch als Memorial des Todes, dem Toten-Gedenken und Todes-Gedanken zugleich eingeschrieben sind. Dabei wird deutlich, wie sehr Kügelgen seine “Genickblicke” kunstvoll ordnet und durchkomponiert. Wenn Sie den ganzen Artikel von Anton Philipp Knittel lesen wollen, dann klicken Sie ➱hier.

Und da ich gerade ich gerade bei der Familie von Kügelgen bin, möchte ich noch einen Kügelgen vorstellen, den Kieler Medizinprofessor ➱Alkmar von Kügelgen. Dessen Urgroßvater ein Vetter von Wilhelm von Kügelgen war. Den habe ich im Blog schon einmal erwähnt, als ich über ➱Dinkelacker Schuhe schrieb. Ich zitiere die Passage mal eben: Mein Gesprächspartner aus München war nach Kiel gekommen, weil er hier Medizin studiert und den Laden von ➱Kelly's noch in guter Erinnerung hatte. Die Medizin besaß ja an der Kieler Universität einen guten Ruf. Vor ➱1970 war Kiel für viele die einzige Chance auf ein Medizinstudium. Weil da der berühmte Alkmar von Kügelgen (ein Nachfahre von dem Goethe-Kügelgen) lehrte. Und der beurteilte die Studienplatzbewerber nicht nach ihren Noten, sondern nach ihrer charakterlichen Eignung. Wenn jemand Geige spielte, wenn jemand gebildet war und ein interessantes Hobby hatte, spielten Schulnoten für Alkmar von Kügelgen keine große Rolle. Englische und amerikanische Spitzenuniversitäten haben bei der Auswahl ihrer Studenten immer ähnlich gehandelt. Viele, die nach ihrem Abizeugnis niemals hätten Medizin studieren können, bekamen in Kiel eine Chance. Sie sind genau so gute oder schlechte Ärzte geworden, wie die, die einen Notendurchschnitt von 1,0 hatten. Viele sind Alkmar von Kügelgen heute noch dankbar, er genoss bei der Studentenschaft (obgleich er ein strenger Prüfer war) großes Ansehen. Sein Schüler Eckhard Schiffer hat ihm in Der kleine Prinz in Las Vegas: Mit spielerischer Intelligenz den Herausforderungen unserer Zeit begegnen ein kleines Denkmal gesetzt.

Nach Alkmar von Kügelgen sollte derjenige, der Medizin studieren und ein tüchtiger Arzt werden wollte, als Junge ein Segelflugzeug gebastelt haben, in einer Kammermusikbesetzung Cello bis zum frühen Haydn gespielt haben und möglichst nicht sitzengeblieben sein. Das mag elitär klingen, ist aber nichts anderes, als ein Auswahlverfahren, das englische und amerikanische Universitäten schon immer bevorzugt haben. Gut, in Amerika kann man auch als football Star ein Stipendium bekommen (➱Tommy Lee Jones hat seins in Harvard wohl deshalb bekommen), aber das allgemeine Prinzip, dass man extracurricular activities bei Bewerbungen stark berücksichtigt, das gilt schon. Mein Bruder hat in keiner Kammermusikbesetzung Cello bis zum frühen Haydn gespielt, aber ein Hochseesegelschein und eine Radtour ganz um die britische Insel gaben im Gespräch mit Alkmar von Kügelgen den Ausschlag. Er ist sicher ein guter Arzt geworden, trotz der Defizite in Kammermusik.

Unser augenblickliches Bildungssystem, das von einer Bildungsministerin, die ihren Doktortitel dem gezielten Betrug verdankte, als Erfolgsgeschichte gerühmt wurde, lässt keinen Raum mehr für extracurricular activities. G-8 und BA-Studium sind das Ende der Bildung. Es ist schade, dass es Menschen wie Alkmar von Kügelgen nicht mehr gibt. Vielleicht wäre es Zeit für eine Rückbesinnung. Und damit der Schluss (hier illustriert durch Kügelgens Allegorie der Trauer) nicht zu pessimistisch ausfällt, habe ich noch eine kleine Anekdote, die sich in Oxbridge zugetragen haben soll. Ein gelangweilter Professor gibt einem Kandidaten bei einem Prüfungsgespräch eine Aufgabe. Sagt Surprise me! und setzt sich dann hinter sein Pult und beginnt, in der mitgebrachten Sunday Times zu lesen. Der Kandidat schaut sich das einen Augenblick an, geht dann leise nach vorne und zündet die Sunday Times an.

Alle Bilder (bis auf das Selbstportrait von Wilhelm von Kügelgen) sind von dem Maler Gerhard von Kügelgen.

Montag, 24. März 2014

Provisorische Regierung


Die überraschende Nachricht von der in Paris ausgebrochenen Revolution. Louis Philippe ist geflüchtet und die Republik proklamiert. Ich glaube, wir sehen jetzt einer ebenso interessanten als ernsten Zeit entgegen, die auch hemmend in mein innerstes Privatleben eingreifen kann! schreibt der Kieler Jurist Carl Rathlev am 29. Februar 1848 in sein Tagebuch. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, dass die Zeit jetzt ebenso interessant als ernst sein wird.

Was Rahtlevs wahrscheinlich nicht gewusst hat: Louis Philippe war schon einmal auf der Flucht. Damals ging er allerdings nicht ins Exil nach England, da war er in Schleswig-Holstein. 1796 lebte er unter dem Namen Ludwig Philippe de Vries in Friedrichstadt (das Neberhaus, in dem er wohnte, steht immer noch) und verdient sich seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer. Und Tanzlehrer. Dazu fällt mir jetzt nur Mozarts Arie aus ➱Figaros Hochzeit ein:

Se vuol ballare, signor contino,
il chitarrino le suonerò, sì,
se vuol venire nella mia scuola,
la capriola le insegnerò, sì.


Es wäre übertrieben zu sagen, dass der halbe französische Adel während der Französischen Revolution in Schleswig-Holstein war, aber es sind doch sehr viele hier: Dieses reitzende Ländchen zog angesehene Familien an, [...] von ermüdendem Herumirren und Vertreiben einen Ruhesiz zu finden. Das monarchische Dänemark bot damals eine Sicherheit an, welche die republicanische Schweiz nicht gewährt hat, schreibt August Adolph von Hennings, den man den eigentlichen Apostel der Aufklärung in den Herzogtümern genannt hat.

Man hatte noch keine Photographen im Jahre 1848, so wissen wir es nicht genau, wie es ausgesehen hat an jenem 24. März in Kiel, als hier eine Provisorische Regierung die Macht übernimmt. Vierunddreißig Jahre nach dem ➱Kieler Frieden blickt Europa wieder einmal für einen Augenblick auf Kiel. Dies Bild stammt nicht aus dem Jahre 1848, es wurde von dem Maler Hans Olde begonnen und dann von dem Kieler Maler Julius Fürst (von dem das Landesmuseum eine bezaubernde kleine ➱Mondnacht im Kieler Hafen besitzt) fertiggestellt. Ein halbes Jahrhundert nach dem Ereignis von 1848 gemalt, sagt das Monumentalgemälde (318 x 468 cm) wahrscheinlich mehr über den wilhelminischen Geist als über den Geist von 1848.

Das Bild fälscht auch ein klein wenig die Wirklichkeit, man hat die Herren Theodor Olshausen und Hans Reimer Clausen auf das Bild gemalt, die damals gar nicht in Kiel waren, weil sie in Kopenhagen mit dem dänischen König verhandelten. Genauer gesagt feilscht Olshausen mit Orla Lehmann, dem mächtigen Anführer der sogenannten Eiderdänen um die Frage, ob die Eider oder die Königsau die Grenze Dänemarks sein soll. Es gibt von Hans Olde noch eine zweite Version des Bildes, bei der wieder Hartwig Beseler vor dem Rathaus die Proklamation der Provisorischen Regierung verliest.

Ernstes Schweigen lag über der vielhundertköpfigen Menge, die sich der bedeutsamen Stunde wohl bewusst war... Ihrem Gefühl Ausdruck gab die Menge im Absingen des als Gebet durch die stille Nacht zum Himmel aufsteigenden Lied ’Schleswig-Holstein meerumschlungen’. Und als wir zu der Strophe kamen, wo es heißt ’Gott ist stark auch mit den Schwachen, wenn sie gläubig ihm vertraun’, entblößten alle ihre Häupter, hat der Chirurg Friedrich von Esmarch geschrieben. Die Erfahrungen auf den Kriegsschauplätzen werden ihn zu einem der berühmtesten Chirurgen des 19. Jahrhunderts machen. Im Krieg können Chirurgen immer lernen, das bestätigt wieder einmal den Satz, dass der Krieg der Vater aller Dinge ist.

Sie können die Proklamation hier lesen. Der Name Olshausen fehlt noch auf der Proklamation, er ist noch kein Mitglied der Regierung. Weil er, wie gesagt, noch in Kopenhagen ist, wo sein Status von Tag zu Tag zwischen Gast und Geisel wechselt. Aber dann lässt man ihn doch das Schiff nach Kiel nehmen. Der Name F. Reventlou auf der Proklamation täuscht ein klein wenig, es ist natürlich ein Friedrich Graf von Reventlou. Aber man gibt sich in diesem Tagen gerne bürgerlich. Friedrich Prinz zu Schleswig-Holstein, der neue Kriegsminister, verzichtet allerdings nicht auf seinen Titel. Der fährt gleich mit einer kleinen Truppe von Lauenburgischen Jägern, organisierten Turnern und Studenten (verstärkt durch sechzig Bauernburschen aus Segeberg, bewaffnet mit jungeichenen Knüppeln) von Neumünster mit der Eisenbahn nach Rendsburg und nimmt am frühen Morgen des 24. März die dänische Festung ein.

Es ist wirklich unheimlich praktisch, dass die Eisenbahnlinie direkt zur Festung führt. Ich glaube, dass dies das erste Mal ist, dass die Eisenbahn - also noch vor dem Krimkrieg und dem amerikanischen Bürgerkrieg - eine militärische Bedeutung im Krieg bekommt. Der Prinz zu Schleswig-Holstein ist schon einmal Gegenstand eines ➱Posts in diesem Blog gewesen (und nein, ich habe die Geschichte mit den dänischen Pisspötten da natürlich nicht ausgelassen), deshalb belassen wir es hier einmal bei der kurzen Schilderung dieses Überraschungscoups, der keine Tote oder Verletzte fordert. Die Mannschaften schließen sich nach einer flammenden Rede des Prinzen der schleswig-holsteinischen Sache an, manche Offiziere schließen sich dem Prinzen an. Aber die meisten fühlen sich durch ihren Fahneneid gebunden und treten die Reise nach Kopenhagen an.

Aber glaubt man am 24. März 1848 in Kiel wirklich, dass Dänemark das so hinnimmt? Glaubte man in Kiew, dass Putin bei all dem ruhig zuschaut? Wenige Wochen nach der Proklamation der Provisorischen Regierung ist Krieg. Die deutsche Revolution von 1848 hat kein gutes Ende: Das war ’ne heiße Märzenzeit, Trotz Regen, Schnee und alledem! Nun aber, da es Blüthen schneit, Nun ist es kalt, trotz alledem! Wenn Sie Freiligraths Lied gesungen hören wollen, klicken Sie ➱hier einmal Hannes Wader an. Das Bild zeigt den dänischen Dampfer Hekla, der 1848 Theodor Olshausen von Kopenhagen nach Kiel zurückbrachte, jetzt taucht er als dänisches Kriegsschiff wieder vor Kiel auf.

Der Krieg findet, wie wir daraus schließen können, auch auf dem Wasser statt. Vor Eckernförde verlieren die Dänen die Gefion und die Christian VIII, das war selbst der Londoner Times einen Artikel wert. Und die kleine Flotte des Deutschen Bundes unter Kapitän Brommy liefert sich vor Helgoland ein Seegefecht mit den Dänen. Zwingt die dänische Flotte, sich in den Schutz der englischen Kanonen auf Helgoland zu begeben. Brommy wird Admiral (lesen Sie ➱hier mehr), aber entschieden ist nichts. Der Krieg schleppt sich weiter dahin.

1850 verliert Schleswig-Holstein die Von der Tann, das einzige dampfgetriebene Kanonenboot der Flotte. Bei diesem Gefecht ist die Hekla wieder dabei gewesen. Aber auf See wird auch nichts entschieden, die Thesen von Admiral Mahan (die Wilhelm II zum Aufbau der deutschen Flotte bringen) über die Verbindung von Land- und Seestreitkräften, gelten nicht für diesen Krieg. Was der Clausewitz der See aus dem Zusammenspiel zwischen Royal Navy und Wellington in Portugal und Spanien abgeleitet hatte, funktioniert in Schleswig-Holstein nicht. Erst die Schlacht von Idstedt entscheidet alles zugunsten Dänemarks. Aber die Schleswig-Holsteinische Frage, zu der Lord Palmerston gesagt hatte: Only three people... have ever really understood the Schleswig-Holstein business—the Prince Consort, who is dead—a German professor, who has gone mad—and I, who have forgotten all about it, bleibt weiter unbeantwortet. Erst Preußen wird im Zweiten Schleswigschen Krieg bei den Düppeler Schanzen die Antwort finden. Man kann alle Fragen mit Waffengewalt beenden.

Soldaten aus aller Herren Länder finden sich in diesem seltsamen Krieg. Wie der Schotte Hugh Halkett (der ➱hier schon erwähnt wird), der Held von Waterloo. Der ist jetzt hannöverscher General, er wird die Dänen bei Oeversee schlagen. Er kennt sich in Schleswig-Holstein inzwischen aus, denn im Kosackenwinter (lesen Sie hier mehr dazu) war er fünfunddreißig Jahre zuvor schon einmal hier. Die Herrschaft der Provisorischen Regierung in Kiel ist kurz gewesen. Mit dem Vertrag von Malmö löst sie sich auf. Danach gibt es eine Gemeinsame Regierung. Aber der Krieg geht weiter. Nach der Schlacht von Idstedt werden viele Bewohner der Herzogtümer Schleswig und Holstein auswandern, wie zum Beispiel Olshausens Gefährte Hans Reimer Clausen, der nach Amerika geht.

Karl Friedrich Lucian Samwer, der als Leutnant an der Einnahme der Festung Rendsburg teilgenommen hatte, und danach Adjutant des Prinzen von Noer war, musste 1852 nach der Restaurierung der dänischen Herrschaft Schleswig-Holstein verlassen. Nach Samwer heißt heute noch eine Straße in Kiel. Die in die Olshausenstraße mündet. Die Olshausenstraße wiederum mündet in die Beselerallee, die wiederum in die Reventlouallee. Da sind sie in den Straßennamen alle wieder vereint. Wir haben auch für die Fregatte Gefion eine Straße. Und für den Unteroffizier Preußer, der sie in Brand schoß, natürlich auch. Die Kieler, die bei Aldi in der Preußerstraße einkaufen, werden wahrscheinlich nicht wissen, warum die Straße so heißt.

Nur der Prinz von Noer hat keine Straße. Aber dafür ziert er mit seinem Bruder in Dänemark die Böden der Pisspötte. Den Kieler Juristen Carl Rathlev kenne ich durch das Buch von Martin Rackwitz, Kieler Tagebücher aus dem Vormärz und der schleswig-holsteinischen Erhebung. Martin Rackwitz, der mal mein Student war (es ist immer schön zu sehen, dass aus denen etwas geworden ist), hat noch ein zweites Buch zu dem Thema 1848 geschrieben: Märzrevolution in Kiel 1848: Erhebung gegen Dänemark und Aufbruch zur Demokratie. Mehrere Bücher von Martin Rackwitz sind in der Reihe der Sonderveröffentlichungen der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte erschienen, und auf deren Seite gibt es ➱heute auch eine Würdigung des Erinnerungstages vom 24. März 1848.

Freitag, 21. März 2014

Play Bach


Den Werbeprospekt Play Bach für die Tournee von 1975 gab es bei meinem Hinterhofhöker unberechnet obendrauf, weil ich ein halbes Dutzend Bücher gekauft hatte. Bücher sind bei dem Hinterhofhöker billig. Sehr billig. Hinterhofhöker ist eigentlich nicht das richtige Wort für den Besitzer des Ladens, der Mann ist ein Gentleman. Alter preußischer Adel. In seinem ➱Laden gibt es Antik und Trödel, Gebrauchtmöbel aus Haushaltsauflösungen und immer wieder gute Bilder. Da muss man jede Woche einmal reinschauen. Tun viele. Die ehemalige Ministerpräsidentin ➱Heide Simonis habe ich da auch schon mehrmals gesehen. Man kommt da nicht wieder raus, ohne was in den Händen zu tragen.

Aber das mit dem Play Bach Prospekt, das war schon reine Nostalgie. Drei Jahre nach dieser Deutschlandtournee hatte Loussier das Leben on the road satt. Da war er zwanzig Jahre lang mit seinem Jacques Loussier Trio unterweg. Er, der Bassist Pierre Michelot (der zuvor mit Django Reinhardt und dem Quintette du Hot Club de France gespielt hatte) und Christian Garros. Garros hatte mit Miles Davis und Lester Young gespielt und Louis Armstrong und Ella Fitzgerald begleitet. Das war schon eine hochkarätige Besetzung. Das Trio löste sich 1979 auf, Loussier kaufte sich ein Schloss und wurde Winzer. Hielt es aber nicht lange in seinem Château Miraval aus, 1985 dreihundert Jahre nach Bachs Geburtstag war er wieder mit einem neuen Trio auf der Bühne. Bis heute. Inzwischen sind zum Repertoire des Trios noch ➱Erik Satie, ➱Claude Debussy, ➱Maurice Ravel, ➱Antonio Vivaldi, ➱Robert Schumann und andere hinzugekommen.

So toll man Jacques Loussier vor allem in Deutschland damals fand, er war nicht der der erste, der dem Publikum eine Fusion von klassischer Musik und Jazz offerierte. Wenn man will, kann man zwischen Paul Whitemans Symphonic Jazz, Gershwins Rhapsody in Blue und Gunther Schullers Third Stream Bewegung in den fünfziger Jahren eine Vielzahl von Beispielen finden. Falls Ihnen der Name des amerikanischen Musikwissenschaftlers und Jazzmusikers Gunther Schuller gerade nichts sagt, sollten Sie mal eben in dies kleine ➱Video Journey into Jazz hineinschauen. Allerdings war keins dieser Experimente beim Publikum so erfolgreich und hielt sich so lange wie Jacques Loussiers Play Bach Trio.

Man sollte vielleicht noch anfügen, dass Loussier in diesem Jahr achtzig wird. Die Aufnahmen mit ihm kann man gar nicht mehr zählen, über fünf Millionen CDs des Jacques Loussier Trio sind in den ersten zehn Jahren verkauft wurden. Wenn Sie einen Tip haben wollen: die Decca Aufnahmen aus der Zeit von 1960 bis 1964 sind meiner Meinung nach das Beste. Ich habe irgendwann die Übersicht verloren, aber fünf CDs habe ich auf jeden Fall, die ersten Platten nicht mitgezählt. Ich glaube auch, dass das reicht. Irgendwann wird es zu viel, dann legt man reumütig Bach im Original auf. Also ➱Glenn Gould oder Rosalyn Tureck. Denn eigentlich braucht man keine Verjazzung von Bach durch Loussier. Wir wissen alle, dass das J in J.S. Bach für JAZZ steht.

Falls Sie die Pianistin Rosalyn Tureck nicht kennen sollten, kann ich nur raten: hören Sie sich ➱hier ihre Aufnahme der Goldberg Variationen an. Danach werden Sie sich all ihre CDs kaufen. Heute ist das nicht so schwer, vor einem Vierteljahrhundert, war man glücklich, wenn man eine ergatterte. Glenn Gould hat das nicht so gerne ganz laut gesagt, aber er verdankt Rosalyn Tureck doch sehr viel. Hat er später auch öffentlich zugegeben, dass sie die einzige gewesen sei, die ihn beeinflusst habe.

Doch mit dem Auftauchen des neuen Stars, auf den sich die Medien damals schnell stürzten, gerieten die Verdienste der zwanzig Jahre älteren amerikanischen Pianistin schnell in Vergessenheit. Und man darf auch nicht vergessen, dass Pianisten wie Glenn Gould und Van Cliburn von einer jüngeren Generation ähnlich begeistert begrüßt wurden, wie man damals James Dean begrüßt hatte.

Ich bekam in den fünfziger Jahren bei jeder sich bietenden Gelegenheit, die Schallplatten der Archiv Produktion der Deutschen Grammophon in den vornehm grauen Hüllen geschenkt. Meine ersten ➱Glenn Gould und ➱Van Cliburn Platten musste ich mir selbst vom Taschengeld kaufen, Gustav Leonhardts Goldberg Variationen (wenn Sie die hören wollen, klicken Sie ➱hier) bekam ich geschenkt. Ich möchte die Verdienste des niederländischen Cembalisten nicht kleinreden. Aber ich mochte ihn nicht (ich habe schon in dem Post ➱Wanda Landowska etwas zu diesem Thema gesagt). Wenige Jahre später mochte ich ihn noch viel weniger.

Das lag nicht nur an Glenn Goulds Goldberg Variationen, sondern an dem Film Die Chronik der Anna Magdalena Bach von Jean Marie Straub. Einer der langweiligsten Filme der ➱Swinging Sixties. Der universitäre Filmclub hatte mich gezwungen, einen einseitigen lobhudelnden Text über den Film zu verfassen, der bei der Vorführung des Films abends in der Mensa verteilt wurde. Und wer spielte Johann Sebastian Bach in diesem Film? Sie ahnen das schon, dass es jetzt nur eine Antwort geben kann: Gustav Leonhardt. Meine schöne Filmrezension, in mühsamer Arbeit auf Wachsmatrize getippt und hundertfach abgezogen, lag am nächsten Tag überall zerknüllt in der Mensa herum oder wurde von Studenten zum Falten von Papierflugzeugen benutzt. Aber ich besitze natürlich heute noch eine CD von Gustav Leonhardts Goldberg Variationen. Wenn Sie sich anderthalb schöne Stunden machen wollen, können Sie jetzt natürlich auf YouTube den ganzen ➱Film von Straub sehen.

Man kann es sich kaum vorstellen, dass Glenn Gould mit seiner Art Bach zu spielen, Gustav Leonhardt mit seinem Cembalo und Jacques Loussier gleichzeitig erschienen (ja, und Elly Ney trat damals auch noch auf). Und dass die Beatles auch schon auf der Bühne standen, auch wenn sie noch The Quarrymen oder ich weiß nicht wie hießen. Wenn man so aussieht, wie der ganz junge Loussier, dann spielt man noch konventionell. Aber im Leben von Loussier ist wenig konventionell. Als er das Pariser Konservatorium verließ, tourte er mit rumänischen Zigeunern in Kuba und begleitete Charles Aznavour und die Sängerin Catherine Sauvage.

Wenn man das macht, dann kann man nicht mehr zu dem nerd image von dem Bild da oben zurück, dann braucht man eine neue Erscheinung. Loussier versuchte auszusehen wie Serge Gainsbourg, und auf den Photos in dem Werbeprospekt - der hervorragende Photographien, aber nicht den Namen des Photographen enthält - ist ihm das auch gelungen. Es kam um 1960 darauf an, wie man sich inszenierte. Klassische Musik war ein Markt geworden, die Wochenzeitung Die Zeit gab damals mit Christoph Eckes Entscheidungshilfen für den Plattenkauf. Und ➱Karajan mit seiner Segelyacht, seinem Porsche und seinem Photomodel beherrschte den Klassikmarkt. Jemanden wie Günter Wand hätte man nicht verkaufen können.

Am Ende eines Konzerts von Loussier stand, das versichert uns der Prospekt, Bachs Präludium Nr 1 in C-Dur. Das kennt jeder Klavierschüler (➱hier gibt es eine Lernhilfe). Man lernt schnell, wie es ➱aufgebaut ist. Die linke Hand ist einfach, aber die rechte hat viel zu tun. Je häufiger man es spielt, desto besser wird es einem gelingen, das spielt sich dann beinahe von selbst. Es ist ein spielerisches Element in Bach, das einen mitnimmt (der amerikanische Pianist Jeremy Denk, der gerade eine Aufnahme der Goldberg Variationen vorgelegt hat, demonstriert das ➱hier sehr schön). In der Jacques Loussier Version des Präludiums spielt der Pianist es zuerst beinahe solo, Bass und Schlagzeug begleiten unauffällig, aber sie dynamisieren das Ganze. Und dann, nach anderthalb Minuten ist das ganze Trio da, hören Sie einmal ➱hinein.

Das Präludium gehörte zu den Standards eines jeden Loussier Konzerts. Eine Melodie, die nicht totzukriegen ist. Auch wenn Gounod ein Ave Maria daraus macht, selbst in einer Kitschversion von ➱Hayley Westenra kann man es noch klar erkennen. Wenn es schon sein muss, dann hören wir doch lieber die ➱Version von Maria Callas. Neben dem Präludium spielte das Trio auch bei jedem Konzert die Klavierversion des Chorals der Kantate Jesu bleibet meine Freude. Das Stück hatte ja schon Myra Hess für das Klavier bearbeitet, ihre schöne ➱Version sollte man einmal gehört haben. Sie hat das Stück während des Krieges in der National Gallery gespielt, in den Konzerten (lesen Sie ➱hier alle dazu), die sie mit Kenneth Clark organisiert hatte. Das ist schon eine seltsame Sache: da bombardieren die Deutschen London und unten in der National Gallery sitzt eine Dame und spielt Bachs Jesu, Joy of Man's Desiring. Der englische König hat sie 1941 für ihre wartime concerts geadelt.

Es gibt noch, und ich zitiere das als kleine Kuriosität, neben dem Jesu, Joy of Man's Desiring von Myra Hess eine andere Bachmelodie, die den Engländern bekannt ist. Weil die Firma Hamlet ihre Zigarren fünfunddreißig Jahre lang in allen Werbespots mit der Melodie aus der Suite No. 3 in D-Dur, gespielt von Jacques Loussier, anbot. Klicken Sie doch einmal Beispiel ➱1 und ➱2 an. Besonders die Nummer Zwei. Sie können sich auch hier eine ganze Sammlung anschauen, witzig und sophisticated.

Wenn man Purist ist, kann man natürlich auf die Fusion von Klassik und Jazz verzichten, kann ohne Jacques Loussiers Play Bach CDs leben. Man braucht bei Bachs Cellosuiten (die ➱hier einen langen Post haben) nicht zu der Version von Henk van Twillert zu greifen. Aber auf seinem Yamaha Bariton Saxophon klingen die ganz toll. Klicken Sie mal ➱hier. Das Erstaunliche ist, dass Bach das alles aushält. Auf YouTube stellen stolze Eltern das ➱Menuett aus dem Notenbüchlein der Anna Magdalena Bach, gespielt von ihrer fünfjährigen Tochter ➱Sonja. Schrecklich, aber es bleibt immer noch ein bisschen Bach übrig. Ich habe mal einem Straßenmusikanten einen Fünf Euro Schein dafür gegeben, dass er aufhört, das Menuett auf seiner Klarinette zu spielen. Es gibt Grenzen. Wahrscheinlich sind es solche Augenblicke des Lebens, die den Bremer Dichter ➱Konrad Weichberger zu den Zeilen veranlassten:

Laß du doch das Klavier in Ruhe;
es hat dir nichts getan;
nimm lieber deine Gummischuhe
und bring mich an die Bahn -


Ich habe natürlich einen Grund, Loussiers achtzigsten Geburtstag am 26. Oktober nicht abzuwarten, um diesen Post zu schreiben: Johann Sebastian Bach hat heute Geburtstag und etwas anderes ist mir gerade nicht eingefallen.