Sonntag, 31. August 2014

preloved


A whale-ship was my Yale College and my Harvard, sagt der Erzähler in Melvilles Moby-Dick. Sowohl ➱Herman Melville als auch sein alter ego Ishmael haben nie eine Universität besucht. Aber auch außerhalb von Schulen und Universitäten kann man etwas lernen. Ich habe an einer ➱Volksschule, einem Gymnasium, einer Heeresoffiziersschule und zwei Universitäten sicherlich etwas gelernt, aber für das wirklich Leben kann man an anderen Stellen mehr lernen.

Ich denke da gerne an die Jahre zurück, in denen ich in den Semesterferien Bierfahrer gewesen bin. Jeder liebt Bierfahrer. Bierfahrer dürfen ihren Lastkraftwagen überall hinstellen, das nimmt ihnen niemand übel. Und wenn man die Kneipen beliefert, die am Hafen im Rotlichtbezirk liegen, bekommt man einen Einblick in das pralle Leben, das einem die Universität nie bietet. Vor allem, wenn man vom Chef vorher detaillierte Anweisungen bekommt: Da bringste keine Buddel Jägermeister und kein' Kasten Sekt rein, bevor die nich Käsch gezahlt haben.

Obgleich Rotlichtbezirk und Universität sich manchmal auch berühren, damit meine ich nicht nur, dass ich in in meinem ersten Jahr in Hamburg in St. Pauli wohnte. Wir hatten in Kiel einmal einen berühmten amerikanischen Schriftsteller (dessen Name hier natürlich ungenannt bleibt) als Gastprofessor. Der kam aus dem amerikanischen Süden, und er war in dem Wintersemester im kalten deutschen Norden todunglücklich. Besoff sich regelmäßig und landet im Hafen im Puff. Und dann rief die Polizei von der Wache Falkstraße (wo damals aus unerklärlichen Gründen beinahe jeder Polizist eine Rolex am Arm hatte) im Institut an und sagte, sie hätten hier einen betrunkenen Amerikaner, der behauptete, Professor an der Uni zu sein. Ob wir den mal abholen könnten? Das auf dem Bild ist natürlich nicht unser Gastprofessor, das ist Alec Guinness.

In dem englischen Schwarzweißfilm Last Holiday aus dem Jahre 1950. Da muss Alec Guinness von seinem Arzt erfahren, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hat, da er eine tödliche Krankheit hat - das ist aber, wie wir schon ahnen, eine Fehldiagnose, die ihn hier in das Schaufenster eines Bestattungsunternehmers schauen lässt. Alec Guinness kauft sich in einem Second Hand Laden die Garderobe (beachten Sie in der ➱Szene des Kleiderkaufs doch das Innere des Geschäfts, das sich wohltuend von den Firmen Braun oder Patrick Hellmann unterscheidet) eines verstorbenen Adligen und mietet sich in einem vornehmen Hotel ein. Es ist diese alte Geschichte von Kleider machen Leute. Der Film hat leider kein happy ending, was natürlich daran liegt, dass das Theaterstück von J.B. Priestley geschrieben wurde. Aber die Sache mit den Klamotten, die die Umwelt beeindrucken, ist doch von schöner symbolischer Bedeutung.

Denn die wirklich guten Dinge, die liegen oder hängen nicht in den Läden, die so aussehen wie dieser. Die findet man bei den Second Hand Dealern. Wo man auch häufig ungestört von Verkäufern die Ware Naht für Naht inspizieren kann. Was habe ich nicht schon alles in der Hand gehabt! Dass ich in einem Laden ein Hermés Jackett für DM 19,95 verschmähte, aber mit einem Teil von R. Böll (das von Kiton war) für DM 39,96 glücklich aus dem Laden ging, das habe ich ➱hier schon erzählt. Ich habe dort auch Anzüge von Henry Poole in der Hand gehabt, leider zu groß für mich, aber ich habe sie natürlich genau studiert.

Neuerdings macht sich in dieser Szene statt des Begriffes second hand der Terminus preloved breit, das hat dann gleich so einen ökologischen Touch. Es scheint einen Markt dafür zu geben. Schon nennen sich Firmen Slowear,
und viele Herstellern waschen die Baumwolle wieder und wieder, damit das neue Jackett möglichst alt aussieht. Schreiben dann noch wie ➱Raffaele Caruso Old Cotton hinein, damit man das auch lesen kann. Als Jeremy Hackett noch frühmorgens die Stände auf der Portobello Road nach alten Savile Row Teilen abflöhte, bespöttelte man ihn als dealer in dead men's clothes.

Als der Nachschub ausging, ließ er die alten Teile nachschneidern und machte mit seinem Partner Ashley Lloyd-Jennings einen Laden in der King's Road auf. Retro Tweed Jacketts sind noch immer im Programm, mit farbigem Futter, echten Ärmelknopflöchern (lesen Sie ➱hier mehr zu dem Thema) und Drehteufel (Bild oben) unter dem Kragen. Auch dieser Laden war ein Erfolg (lesen Sie ➱hier mehr zu Hackett), heute trägt ein kleines Modeimperium seinen Namen. Auch wenn es längst anderen gehört. So britisch die ➱Jacketts von Hackett auch daherkommen (die anfangs, als Hackett noch zur Richemont Gruppe gehörte, noch von Magee geschneidert wurden), sie sind natürlich nicht the real thing. Um einen Eindruck davon zu bekommen, sollte man in Hamburg einmal ➱Rudolf Beaufays besuchen, aber auch im Internet kann man etwas finden. Gehen Sie doch einmal zu der Seite ➱Savvy Row.

Einen Anzug wie diesen trug ich, als ich jung war. So etwas kaufte ich mir von meinem Verdienst als Bierfahrer (oder dem Sold eines Leutnants bei Wehrübungen) bei ➱Hans Kalich in der Böttcherstraße. Der ließ sich von deutschen Schneidern immer Anzüge in den gängigen Größen machen, die nur seinen Namen und ein klitzekleines Etikett Deutsche Schneiderarbeit trugen. Und sehr englisch aussahen. Ich wollte, wenn nicht genau so wie Alec Guinness in den Anzügen des Lords, gerne so aussehen, wie ein älterer Universitätsdozent. Von dem Kopenhagener Gastprofessor Otto Norn (den ich schon in dem Post ➱Dänische Kunst erwähnt habe) war ich begeistert, weil der auch englische Tweedanzüge trug.

Und eine Halbbrille als Lesebrille. So etwas hätte ich auch gerne gehabt, aber meine Augen waren vorzüglich. Als ich ein älterer Universitätsdozent war, trug ich keine Tweedanzüge und keine Westen mehr, sondern bevorzugte italienische Jacketts aus leichten, dünnen Stoffen. Und eine Lesebrille habe ich inzwischen auch. Kommt nicht von Fielmann (wo jetzt schon schleswig-holsteinische ➱Polit-Rentner Reklame machen müssen), sondern vom Optiker um die Ecke. War nicht billig, ist aber erstklassige Qualität. Und damit bin ich wieder beim Thema, bei der erstklassigen Qualität und den Preisen. Und beim Thema der Quadratur des Kreises.

Dieser Herr ist wahrscheinlich in Düsseldorf bekannter als hier in Norddeutschland. Es ist Heinz-Josef Radermacher, einer der besten Schneider Deutschlands. Für mein Radermacher Jackett musste ich bei einem Secondhand Dealer neunzig Euro auf den Tisch legen. Das kam mich hart an, hatte ich doch wenige Wochen zuvor ein nagelneues Attolini Kaschmirjackett für nur 39 Euro gekauft. Aber eins muss man dem Düsseldorfer Schneider, der nicht so flamboyant auftritt wie sein Kollege Jürgen Ern, lassen, sein Produkt hat eine traumhafte Qualität.

Nicht so traumhaft ist natürlich all das, was die gleiche Qualität verspricht, aber zu einem Discountpreis offeriert wird. Und so klangvolle Namen wie Prince of Wales hat. Eine Firma, die für viele Kunden zu einem Albtraum wurde. Der Mann, dem diese Firma gehörte, hat sich inzwischen auch den Firmennamen Prinz von Preußen sichern lassen. Bei dem Namen fällt mir nur die Sache mit der Juraklausur ein, die ich ➱hier schon einmal erzählt habe. Ich weiß aber nicht, ob der Unternehmer noch im Geschäft ist, oder ob er nach den Deals, die er in Deutschland, Österreich, der Schweiz und England durchgezogen hat, mal wieder im Gefängnis sitzt. Er soll angeblich in Norwegen eine neue Firma planen, da passt es gut, dass der gebürtige Amerikaner einen norwegischen Pass hat.

Würden Sie von dem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen? Oder einen Maßanzug, der in der Savile Row genäht wurde? Der Mann, dem Sprüche wie Entdecken Sie den Unterschied zwischen Perfektion und Konfektion leicht von der Zunge gingen, heißt Ricky Kripalani, er ist vorbestraft. Wurde in Deutschland wegen Betruges 530 Fällen verurteilt. Vorher fuhr er einen McLaren Mercedes für eine Viertelmillion Franken, hatte eine Ferienwohnung auf Ibiza, die 50.000 Franken die Woche kostete und war in der Zürcher Partyszene für seine Großzügigkeit, was das Spendieren von Champagner angeht bekannt. Es lebt sich immer gut von dem Geld von anderen.

Er konnte offenbar Menschen für sich einnehmen, eine ehemalige Mitarbeiterin erinnert sich an ihn: Das kuriose an der Sache ist: ich habe Verständnis mit all den Menschen, die auf Ricky Kripalani “rein fallen”. Ich habe nie zuvor einen Menschen kennengelernt, der andere so begeistern kann. Der einen mit nimmt auf einer Reise, einen motiviert bis ins unglaubliche und egal ob es regnet oder stürmt: immer ein charmantes Lachen im Gesicht hat. Dazu einen Charme versprüht und mit links auch mal zehn Anzüge auf einen Sitz verkauft…

Seine Tätigkeit In Deutschland und Österreich war dem Spiegel im Jahre 2005 den ➱Artikel Niete in Nadelstreifen wert. Sein Geschäftsmodell war immer das gleiche: Maßanzüge aus der Savile Row gegen Vorkasse zu versprechen, und sie dann nicht nicht liefern. Manchmal kam die bestellte Ware auch beim Kunden an, kam dann aber nicht aus England, sondern wohl eher aus Thailand. Manches scheint auch von der Firma Lords of Sweden, die seinem Onkel Ashok Jethanad Kripalani gehört, gefertigt worden zu sein. Er hat ja auch nichts aus seiner dreieinhalbjährigen Gefängnisstrafe gelernt, im letzten Jahre war er wieder mit der gleichen Masche in der Schweiz aktiv. Diesmal lief alles über eine Firma namens Sartoriani. Die aber auch schon wieder pleite ist. Unter diesem Namen hatte Kripalani auch eine Firma in der Londoner Savile Row, darüber steht mehr in einem Post über Made to Measure Kleidung, den es hier demnächst einmal geben wird.

Ich hatte die Geschichte, die ich damals im Spiegel gelesen hatte, noch nicht vergessen. Und als eines Tages ein Prince of Wales Jackett bei ebay auftauchte, dachte ich mir: warum nicht? Der Händler versicherte, es käme aus Adelsbesitz, Händler schrecken ja vor nichts zurück. Das Etikett mit dem Prince of Wales habe ich gleich herausgetrennt, so etwas muss nicht sein. Ob Prince Charles jemals erfahren hat, was da mit seinem Namen gemacht wurde? Das braune Kaschmirjackett mit dem Fischgrätmuster verrät ansonsten keinen Hersteller, es ist wirklich reine Schneiderarbeit.

Wohl nicht aus der Savile Row, aber ich weiß nicht, wo es herkommt. Was sie hier sehen ist die Kante eines Stoffes, in die der Weber seinen Namen gewebt hat. Hier ist es Wain Shiell & Son aus Huddersfield, auf deren Etiketten früher Britains Finest Cloth stand. Die Firma gehört heute zu Scabal, wie mir der nette Herr Nikolaus Degorsi vor Jahren erzählt hat. In meinem Jackett finden sich die Stoffkanten, sorgfältig in die Taschen genäht, die zwar nicht Wain Shiell & Son sagen, aber dafür Pure Cashmere Woven in Scotland. Und ein erstklassiger Kaschmirstoff ist es auch.

Das Jackett hat alles, was ein Jackett vom Schneider ausmacht. All diese vielen kleinen Dinge, die man erst beim genauen Hinschauen bemerkt. Der Kragen ist umgeklappt und auf dem Futter vernäht, da wo er an das Revers stößt, die Knopflöcher (alle funktional) sind alle von Hand umsäumt, die Patten der Taschen sind vorne rund und hinten gerade. Das Jackett hat auch noch eine Billettasche, wie ich das liebe. Und es passt wie angegossen. War dies ein Vorzeigestück der Firma mit dem Namen des englischen Kronprinzen? Für 19 Euro ist es wirklich nicht schlecht, und ich fühle mich gar nicht kriminell, wenn ich dies kriminelle Jackett trage. Wie mögen die anderen Teile ausgesehen haben? Also die wenigen, die beim Kunden ankamen?

Nach meiner Theorie wird jede Täuschung, der keinerlei höhere Wahrheit zugrunde liegt und die nichts ist als bare Lüge, plump, unvollkommen und für den erstbesten durchschaubar sein. Nur der Betrug hat Aussicht auf Erfolg und lebensvolle Wirkung unter den Menschen, der den Namen des Betrugs nicht durchaus verdient, sondern nichts ist als die Ausstattung einer lebendigen, aber nicht völlig ins Reich des Wirklichen eingetretenen Wahrheit mit denjenigen materiellen Merkmalen, deren sie bedarf, um von der Welt erkannt und gewürdigt zu werden. Das ist jetzt nicht die Lebensmaxime von Ricky Kripalani, das ist die Ansicht von Felix Krull.

Freitag, 29. August 2014

Silbermedaille


Nein, ich erzähle heute nicht noch einmal die ➱Geschichte, wie der Zweier mit Steuermann des Vegesacker Rudervereins 1952 die Silbermedaille gewann. Es geht heute um eine andere Silbermedaille. Jack Butler Yeats (der am 29. August 1871 geboren wurde), war der Bruder von William Butler Yeats. Der hat den Literaturnobelpreis bekommen und war einer der berühmtesten irischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, aber sein Bruder Jack war auch berühmt. Nicht nur, weil er 1897 den ersten Sherlock Holmes Comic gezeichnet hatte. Ich weiß nicht so genau, ob die Figur des Chubblock Homes ➱Sir Arthur Conan Doyle gefallen hat, aber ich wollte diese Kuriosität mal eben erwähnen.

Jack Butler Yeats, der mit Oskar Kokoschka befreundet war, ist natürlich als Maler berühmt geworden, aber noch größer ist sein Ruhm als erster irischer Medaillengewinner bei den Olympischen Spielen. Er gewann nämlich 1924 bei den Olympischen Spielen in Paris eine Silbermedaille. Nicht etwa im Schwimmen. Das ➱Bild The Liffey Swim von 1923 könnte das vermuten lassen. Nein, Jack Butler Yeats gewann seine Silbermedaille mit diesem Bild bei den Kunstwettbewerben (die es von 1912 bis 1948 gab) der Olympischen Spiele. Offensichtlich galt hier das Citius, altius, fortius nicht.

Die Kriterien der wirklich guten Kunst galten wohl auch nicht. Die Kunstkampfrichter sind wahrscheinlich ein bisschen blind gewesen, die Goldmedaille ging an den Luxemburger Jean Lucien Nicolas Jacoby für dieses Rugby Bild. Was ja nun künstlerisch überhaupt nicht mit dem Bild von Jack Butler Yeats (das das erste Bild des Künstlers war, das die National Gallery of Ireland kaufte) konkurrieren kann.

Vielleicht hatte man in Paris nur Angst vor der Moderne. Jean Lucien Nicolas Jacoby gewann 1928 mit seinem Bild von ➱Wasserballspielern wieder eine Goldmedaille, aber da hat sich Yeats nicht mehr beteiligt. Wenn man solch schöne Bilder malt wie dieses Bild von einem Lotsen, der zu einem Schiff übergesetzt wird, dann hat man wohl bei den künstlerisch blinden olympischen Kampfrichtern keine Chancen.

Die Silbermedaille von Yeats kann man wie das Bild vom jährlichen Schwimmwettbewerb im Liffey in der National Gallery of Ireland sehen. Den Schwimmwettbewerb gibt es immer noch. Erinnert sich noch jemand an Jean Lucien Nicolas Jacoby? Aber wie Pierre de Coubertin sagte: The important thing in the Olympic Games is not winning but taking part, for the essential thing in life is not conquering but fighting well.

Donnerstag, 28. August 2014

Goethe


Das hat einer schon, lange ist’s her, konstatiert über jene Epoche, die wir heute gerne die klassische nennen – und der das Entstellen der Messestadt Frankfurt beobachtete: „Man begann damals das Gebiet hinter dem Bahnhof zu verändern. Die alten Schreberhäuslein wurden niedergelegt. Verleger hielten mit ihren Bücherständen Einzug. Aber bald herrschte, wo vordem des Lebens Rankenwerk gewuchert, die neue Unübersichtlichkeit des Geistes. Modische Eitelkeit.“ Goethe hieß der Mann. Auf zum Jahrmarkt der Eitelkeiten. So stand es 1985 in der Zeit, in einem Artikel von dem Feuilletonchef Fritz J. Raddatz. Ein Goethe Zitat kommt ja immer gut an, auch wenn sich der Olympier (der heute vor 265 Jahren geboren wurde) hier nur über so triviale Dinge wie den Frankfurter Bahnhof und die Frankfurter Buchmesse ärgert. Wenige Monate vor diesem Artikel hatte sich Fritz J. Raddatz mit dem Zitat Wir hurtigen Verwurstler und Erzeuger der Häppchen-Kultur sehr schön selbst charakterisiert. Die Frankfurter Allgemeine fügte dem wenig später noch den Titel Oberscharlatan des deutschen Feuilletons hinzu.

Denn die Worte Goethes standen nicht bei Goethe, die standen als kleine Satire in der Neuen Zürcher Zeitung. Zu Goethens Zeiten gab es in Frankfurt noch keinen Bahnhof und keine Buchmesse. Raddatz hatte, wieder einmal, nicht ordentlich gelesen. Und dann begann etwas, was man heute einen shitstorm nennt. Und Raddatz flog bei der Zeit raus. Der Gräfin Dönhoff war er ewig böse: Der Rauswurf hat mich sehr gekränkt. Und besonders gekränkt hat mich die Verhaltensweise der Dönhoff, ich fand das denunziatorisch, deutsch-typisch. Sie hat auf Seite eins eine Glosse gegen mich geschrieben, statt sich, wie sich das gehört, vor einen angegriffenen Mitarbeiter zu stellen. Wenig später bezeichnete er sie als die Inge Meysel des Journalismus.

Ja, der Fritz Raddatz, der hat Stil. Er hielt sich für einen Dandy, obwohl er nur ein Geck war. Und er hat in seinen Tagebüchern auch gleich eine Anklage parat: 12. Oktober 1985 – Was ist es nun, was mich so furchtbar verhaßt macht? Es kann ja wohl nicht die ewig vorgehaltene Automarke, die Hemden aus England oder die Bilder an den Wänden eine Ursache sein?“ Kann es sein, daß in diesem Satz der Numerus falsch ist? Und daß er gar kein Fragesatz ist? „Homosexuell, jüdisch-schnell, zu sehr und zu oft Überlegenheit vorführend? Geht es noch selbstgefälliger, noch ➱peinlicher?

Goethe ist nicht unbedingt mein Liebling. In der Schulzeit habe ich mich um diese sogenannten Klassiker (sprich Goethe und Schiller) gedrückt. Und ich las mich - jede Woche mindestens ein Buch - durch die Sammlung der deutschen Klassiker in der Bibliothek des Lehrerzimmers. Dr Hans Ludwig ➱Schaefer, den alle Welt Edu nannte, hatte mir das erlaubt. Die Bibliothek des Lehrerzimmers war ein kleiner Raum, dessen Wände nur aus Bücherregalen bestanden, das einzige Möbelstück war ein mit grünem Wachstuch bezogenes Feldbett, auf dem Schüler nach Ohnmachtsanfällen oder mit Nasenbluten plaziert wurden. Ich hatte den Ehrgeiz, bis zum Abitur durch die Sammlung der Klassiker durch zu sein. Inklusive von Arnims Kronenwächtern. Ich habe es damals geschafft, meinen Plan zu verwirklichen. Unter Auslassung von Goethe und Schiller. Und ohne Ohnmacht und Nasenbluten.

Neben den Büchern aus dem Lehrerzimmer las ich alles, was mein Freund Peter mir empfahl. Ich las auch früh ➱Arno Schmidt (und alles, was er liebte) und ➱Ezra Pound (und alles, was er empfahl). Der Goethepreisträger Arno Schmidt hatte zu Goethe ja ein etwas seltsames Verhältnis (lesen Sie ➱hier mehr), einerseits schätzte er vieles von Goethe, andererseits schrieb er solch wunderbare Bosheiten: Bei Goethe ist der Roman keine Kunstform, sondern eine Rumpelkiste : gewaltsam aneinander gepappte divergente Handlungsfragmente, hineingestreute übel an den Hauptfaden geknüpfte Novellen, Aphorismen, einander widersprechende Erziehungsmaximen, allgemeine Waidsprüchlein (todsicher den ungeeignetsten Personen in den Mund gelegt: was läßt er zum Beispiel das rührende Kind Othilie für onkelhaft weltkundige “Gedankensplitter” in ihr Tagebuch schreiben ! - vom fragwürdigen Wert mancher Bemerkungen noch ganz zu schweigen !) - Das beste Beispiel sind die Wanderjahre : hier hat er so recht die Schubladen ausgekehrt : Quer durch die Eifel sagen wir Soldaten ja, wenn dem Feldkoch wunderliche Eintöpfe entwischt sind.

Es gibt interessantere Sachen als Goethe in der deutschen Literatur. Manche davon kommen auch in meinem Blog vor. Goethe weniger. Es gibt einen kleinen ➱Post für den Geheimrat. Er taucht natürlich in dem Post ➱Tischbein auf, auch in ➱Germanisten und ➱Schlittschuhlaufen. Ein Post, der übrigens erstaunliche Leserzahlen aufweist, aber wahrscheinlich nicht wegen Goethe. Und die kleine wahre Geschichte, die in ➱Schmutzige Lyrik steht, die empfehle ich heute zur Lektüre. Und falls Sie um Goethe bisher einen Bogen gemacht haben, hätte ich eine Leseempfehlung für Sie: Unser Goethe: Ein Lesebuch, herausgegeben von den Goethe Spezialisten ➱Eckhard Henscheid und F. W. Bernstein.

Und für alle, die Goethe gar nicht mögen, hätte ich noch ein wenig Schmäh von dem Österreicher Thomas Bernhard (aus Auslöschung: Ein Zerfall): Goethe sei der Gebrauchsdeutsche, habe ich zu Gambetti gesagt, sie, die Deutschen, nehmen Goethe ein wie eine Medizin und Glauben an ihre Wirkung, an ihre Heilkraft; Goethe ist im Grunde nichts anderes, als der Heilpraktiker der Deutschen, hatte ich zu Gambetti gesagt, der erste deutsche Geisteshomöopath. Sie nehmen sozusagen Goethe ein und sind gesund. Das ganze deutsche Volk nimmt Goethe ein und fühlt sich gesund. Aber Goethe, habe ich zu Gambetti gesagt, ist ein Scharlatan, wie die Heilpraktiker Scharlatane sind und die Goethesche Dichtung und Philosophie ist die größte Scharlatanerie der Deutschen.

Seien sie vorsichtig, Gambetti habe ich zu diesem gesagt, seien sie vor Goethe auf der Hut. Allen verdirbt er den Magen, nur den Deutschen nicht, sie glauben an Goethe wie an ein Weltwunder. Dabei ist dieses Weltwunder nur ein philiströser Schrebergärtner. Gambetti hatte laut aufgelacht, als ich ihm erklärte, was ein Schrebergarten ist. Das hatte er nicht gewusst. Insgesamt, habe ich zu Gambetti gesagt, ist das Goethesche Werk ein philiströser philosophischer Schrebergarten.

In nichts hat Goethe das Höchste geleistet, sagte ich, in allem nur das Mittelmaß zustande gebracht, er ist nicht der größte Lyriker, er ist nicht der größte Prosaschreiber, habe ich zu Gambetti gesagt, und seine Theaterstücke sind gegen die Stücke Shakespeares beispielsweise so gegeneinander zu stellen, wie ein hochgewachsener Schweizer Sennenhund gegen einen verkümmerten Frankfurter Vorstadtdackel. Faust, habe ich zu Gambetti gesagt, was für ein Größenwahnsinn! Der total missglückte Versuch eines schreibenden größenwahnsinnigen, hatte ich zu Gambetti gesagt, dem die ganze Welt in den Frankfurter Kopf gestiegen ist, Goethe, der größenwahnsinnige Frankfurter und Weimarianer, der größenwahnsinnige Großbürger auf dem Frauenplan. 

Goethe, der Kopfverdreher der Deutschen, der sie jetzt schon einhundertfünfzig Jahre auf dem Gewissen hat und zum Narren hält. Goethe ist der Totengräber des Deutschen Geistes, habe ich zu Gambetti gesagt. Wenn wir ihn Voltaire, Descartes, Pascal, entgegensetzen zum Beispiel, habe ich zu Gambetti gesagt, Kant, aber natürlich auch Shakespeare, ist Goethe erschreckend klein. Dichterfürst, was für ein lächerlicher, dazu aber grunddeutscher Begriff, hatte ich zu Gambetti gesagt. Hölderlin ist der große Lyriker, hatte ich zu Gambetti gesagt, Musil ist der große Prosaschreiber und Kleist ist der große Dramatiker. Goethe ist es dreimal nicht.


Dienstag, 26. August 2014

Landschaftsgärten


Kann ich Tom Stoppards Stück 'Arcadia' als ein Thema der Zwischenprüfung nehmen? fragte mich die Studentin. Warum nicht. Ich war für alles offen, was Studenten mir anboten. Ich hasste nur die Studis, die versuchten, mit irgendwelchen Schmalspur Themen durchzukommen. Nicht bei mir. Tom Stoppards Arcadia ist nicht unbedingt ein Theaterstück, das ich mir für eine Prüfung ausgesucht hätte. Ich zitiere dazu mal eben die ersten Sätze des Wikipedia Artikels'Arcadia' is a 1993 play by Tom Stoppard concerning the relationship between past and present, order and disorder, certainty and uncertainty. It has been praised by many critics as the finest play from one of the most significant contemporary playwrights in the English language.

Aber ich wusste, dass ich ihr das zumuten konnte. Sie war eine unserer besten Studentinnen, hatte eine Proseminararbeit über Faulkner geschrieben, die so hoch über dem Durchschnitt war, dass ich eine Kopie an den Faulkner Spezialisten Peter Nicolaisen schickte. Sein brieflicher Kommentar war: sehr schön. Mehr kriegte er an Lob nie hin, so war er eben. Ich weiß nicht, was die Manja an dem Stück interessierte, mich interessierte natürlich das Thema des englischen Landschaftsgartens.

Weniger die Sache mit dem Et in Arcadia Ego, so wollte Stoppard das Stück zuerst nennen, um damit auf den frühen Tod von Thomasina hinzuweisen (das Thema des Todes in dem Et in Arcadia Ego wurde ➱hier schon einmal angesprochen). Die Sache mit dem Eremiten interessierte mich natürlich auch, und ich wundere mich heute über mich selbst, dass ich noch nie einen Post über den ➱Ziereremiten (englisch: ornamental hermit) geschrieben habe.

Seit Edith Sitwell über die ornamental hermits geschrieben hat (lesen Sie ➱hier mehr), sind die ja etwas bekannter geworden. Allerdings muss man Hans Ost widersprechen, der in Einsiedler und Mönche in der deutschen Malerei des 19: Jahrhunderts behauptet: Als Staffage haben sie eine ähnliche Funktion wie etwa der Gartenzwerg. Das Bild von Arkadien oben (ohne Ziereremiten) stammt von dem Amerikaner Thomas Cole, die Photographie darunter zeigt den von Humphrey Repton entworfenen Park für Kenwood House, im Hintergrund kann man die Silhouette Londons sehen. Und dieses Bild hier zeigt mit Gordon Campbells The Hermit in the Garden die neueste Publikation zu dem Thema.

Diese Anzeige, mit der ein Ziereremit gesucht wird, wurde von dem Honourable Charles Hamilton aufgegeben. Der Bewerber wurde allerdings nach drei Wochen gefeuert, da er sich nachts heimlich in die Dorfkneipe zu schleichen pflegte. In Stoppards Sidley Park hat man auch Probleme mit dem Eremiten:

Lady Croom: And who is to live in it?
Noakes: Why, the hermit.
Lady Croom: Where is he?
Noakes: Madam?
Lady Croom: You surely do not supply an hermitage without a hermit?
Noakes: Indeed, madam --
Lady Croom: Come, come, Mr Noakes. If I am promised a fountain I expect it to come with water. What hermits do you have?
Noakes: I have no hermits, my lady.
Lady Croom: Not one? I am speechless.
Noakes: I am sure a hermit can be found. One could advertise.
Lady Croom: Advertise?
Noakes: In the newspapers.
Lady Croom: But surely a hermit who takes a newspaper is not a hermit in whom one can have complete confidence.


Ziereremit, follysham ruins und Ha-Ha (sie müssen auf diesem Bild schon genau hinsehen, um den Ha-Ha zu entdecken) begegneten mir zuerst vor beinahe einem halben Jahrhundert in einer Vorlesung von Alfred Kamphausen über das 18. Jahrhundert. Der Mann, der als erster Malskats Truthähne von Schleswig als Fälschung erkannte und dem die Kieler das Freilichtmuseum Molfsee verdanken, war damals wohl der einzige deutsche Kunsthistoriker, der sich für dieses Thema interessierte. Er hat auch ein 1952 ein Buch Gotik ohne Gott: Ein Beitrag zur Deutung der Neugotik und des 19. Jahrhunderts publiziert. Das war sehr deutsch und sehr philosophisch (und Ortega y Gasset gewidmet), kein Vergleich mit Kenneth Clarks Klassiker The Gothic Revival von 1928, aber immerhin einer der ersten deutschen Beiträge zu dem Thema.

Stoppards Theaterstück (hier eine kurze Inhaltsangabe) spielt auf zwei verschiedenen Zeitebenen, einmal im Jahre 1809 und zum anderen am Ende des 20. Jahrhunderts. Wir springen einmal ins Jahr 1809. Lady Croom ist sehr unglücklich darüber, wie der Landschaftsarchitekt Richard Noakes ihren klassischen Landschaftsgarten verändern will: Lady Croom: Your drawing is a very wonderful transformation. I would not have recognized my own garden but for your ingenious book - is it not? - look! 

Here is the Park as it appears to us now, and here as it might be when Mr Noakes has done with it. Where there is the familiar pastoral refinement of an Englishman's garden, here is an eruption of gloomy forest and towering crag, of ruins where there was never a house, of water dashing against rocks where there was neither spring nor a stone I could not throw the length of a cricket pitch. My hyacinth dell is become a haunt for hobgoblins, my Chinese bridge, which I am assured is superior to the one at Kew, and for all I know at Peking, is usurped by a fallen obelisk overgrown with briars -
Noakes: (Bleating) Lord Little has one very similar-

Lady Croom: I cannot relieve Lord Little's misfortunes by adding to my own. Pray, what is this rustic hovel that presumes to superpose itself on my gazebo?
Noakes: That is the hermitage, madam.
Lady Croom: I am bewildered.
Brice: It is all irregular, Mr Noakes.
Noakes: It is, sir. Irregularity is one of the chiefest principles of the picturesque style -


Lady Croom: But Sidley Park is already a picture, and a most amiable picture too. The slopes are green and gentle. The trees are companionably grouped at intervals that show them to advantage. The rill is a serpentine ribbon unwound from the lake peaceably contained by meadows on which the right amount of sheep are tastefully arranged - in short, it is nature as God intended, and I can say with the painter, 'Et in Arcadia ego' 'Here I am in Arcadia,' Thomasina.

Thomasina: Yes, mama, if you would have it so.
Lady Croom: Is she correcting my taste or my translation?
Thomasina: Neither are beyond correction, mama, but it was your geography caused the doubt.
Lady croom: Something has occurred with the girl since I saw her last, and surely that was yesterday. How old are you this morning?
Thomasina: Thirteen years and ten months, mama.


Lady Croom: Thirteen years and ten months. She is not due to be pert for six months at the earliest, or to have notions of taste for much longer. Mr Hodge, I hold you accountable. Thomasina Coverly ist nicht nur pert, sie ist auch genial, sie hat die die Chaostheorie und den Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verstanden, bevor die formuliert wurden.

Der junge Wissenschafter Valentine Coverly wird 180 Jahre später sagen: She didn't have the maths, not remotely. She saw what things meant, way ahead, like seeing a picture. Und Stoppard legt Valentine auch den wunderbar absurden Satz in den Mund: My mother's lent him her bicycle. Lending one's bicycle is a form of safe sex, possibly the safest there is. My mother is in a flutter about Bernard, and he's no fool. He gave her a first edition of Horace Walpole, and now she's lent him her bicycle. Für diejenigen, die aus dem vielschichtigen Stück von Stoppard nichts mitnehmen: den Satz Lending one's bicycle is a form of safe sex, possibly the safest there is, den sollten wir uns merken.

In der Zeitebene von Valentine Coverley tritt auch Hannah Jarvis (hier gespielt von Felicity Kendal bei der Premiere des Stückes) auf, die ein Buch über den Garten von Sidley Park schreibt. Und die über die Bemühungen von Noakes sagt: English landscape was invented by gardeners imitating foreign painters who were evoking classical authors. The whole thing was brought home in the luggage from the grand tour. Here, look – Capability Brown doing Claude, who was doing Virgil. Arcadia! And here, superimposed by Richard Noakes, untamed nature in the style of Salvator Rosa. It's the Gothic novel expressed in landscape. Everything but vampires.

Schöner kann man den Konflikt zwischen den Vertretern des klassischen Landschaftsgartens (wofür Namen wie Sir Humphrey Repton und Lancelot 'Capability' Brown stehen) und den neuen Befürwortern eines picturesque style (wie Richard Payne Knight oder Sir Uvedale Price) nicht auf den Punkt bringen. Alles Wichtige, was zu dem englischen Landschaftsgarten gesagt und geschrieben wurde (einschließlich Thomas Jeffersons ➱Notizen zu englischen Gärten) findet sich in dem 390-seitigen Materialband The Genius of Place: The English Landscape Garden 1620-1820 und John Dixon Hunt und Peter Willis. John Dixon Hunt ist bei diesem Thema wohl der bedeutendste englische Forscher, und sein Buch The Figure in the Landscape: Poetry, Painting, and Gardening during the Eighteenth Century ist sicherlich eins der besten Bücher, das wir haben.

Der schwarz-weiße Stich weiter oben, der so schön den Gegensatz zwischen Klassik (Grecian) und Romantik (Gothic) verdeutlicht, stammt aus Humphry Reptons Fragments on the Theory and Practice of Landscape Gardening (dieses Bild ist auch aus dem Buch). In Jane Austens Roman Sense and Sensibility haben beide Auffassungen ihre Vertreter. Marianne Dashwood, die zur romantischen Sicht neigt, kann die ganze Diskussion schon nicht mehr hören: "It is very true,” said Marianne, “that admiration of landscape scenery is become a mere jargon. Everybody pretends to feel and tries to describe with the taste and elegance of him who first defined what picturesque beauty was. I detest jargon of every kind, and sometimes I have kept my feelings to myself, because I could find no language to describe them in but what was worn and hackneyed out of all sense and meaning.”

Edward Ferrars dagegen, der Mariannes Schwester Elinor heiraten wird, hat eher die gleiche Ansicht wie Lady Croom in Stoppards Stück: “I am convinced,” said Edward, “that you really feel all the delight in a fine prospect which you profess to feel. But, in return, your sister must allow me to feel no more than I profess. I like a fine prospect, but not on picturesque principles. 

I do not like crooked, twisted, blasted trees. I admire them much more if they are tall, straight and flourishing. I do not like ruined, tattered cottages. I am not fond of nettles, or thistles, or heath blossoms. I have more pleasure in a snug farm-house than a watch-tower — and a troop of tidy, happy villagers please me better than the finest banditti in the world.” Die Diskussion über den englischen Landschaftsgarten wird nicht mehr allein von Gartenarchitekten und Philosophen geführt, sie hat inzwischen den englischen Roman erreicht. Das Bild über dem glücklichen Paar (Hugh Grant und Emma Thompson) zeigt The Leasowes, einen der ersten Landschaftsgärten in England. Die Ruine ist in diesem Fall mal keine sham ruin.

Mein Freund Peter in Hamburg schrieb mir letztens, warum ich nicht endlich einmal über den englischen Landschaftsgarten schriebe, also gartenkunst aus aesthetischer perspektive as compared mit der uebrigen kunst? Er vertiefte diesen Satz am nächsten Tag durch: womit ich dich weniger zu gartenarchitekturhistor. exkursionen veranlassen wollte, sondern um eine reflexion ueber die erstaunliche beibehaltung des mittlerweile geradezu archaischen begriffs SCHOENHEIT in der gartenkunst as compared mit den anderen ( kuensten ); also weniger capability brown oder jene dame, deren namen ich im moment nicht parat habe, sehe aber ein photo von ihr, immer mit einer rosenschere am guertel, als vielmehr AESTHETIK als philosoph. disziplin, hier angewendet auf hortikultur ( worueber auch herr bredekamp nachgedacht hat ).- schoenen sonntag; morgen ist das affentheater endlich vorueber: 3 kreuze macht p.  Mit dem affentheater ist offensichtlich die Weltmeisterschaft gemeint, und mit der Dame mit der Rosenschere ist wohl Gertrude Jekyll gemeint, die hier schon einmal erwähnt wird.

Warum schreibe nicht nicht einmal über Landschaftsgärten? Es ist ja nicht so, dass ich das Thema in den letzten vier Jahren völlig vermieden hätte. Der Bremer Landschaftsgärtner Wilhelm Benque kommt hier und da schon vor, Albrecht Roth, dem wir den Vegesacker Stadtgarten verdanken, auch. Und auch den Fürsten Pückler habe ich schon mehrfach erwähnt. Und wie Schierensee in Schleswig-Holstein, kommt auch der Englische Garten in München, den ein Amerikaner konzipierte, hier schon vor. Wenn Sie Garten oder Park im Suchfeld eingeben, werden Sie viele Ergebnisse bekommen, mal abgesehen von dem Post über den Air Marshal Keith Park. Und eigentlich hätte ich schon als ich im Juni und Juli die Post schrieb, die 18th Century im Titel haben, einen Post über den englischen Landschaftsgarten (hier Stourhead), einen der größten Exportartikel Englands im 18. Jahrhundert, schreiben sollen.

Was mich davon abhielt ist die Tatsache, dass ich dann unweigerlich die Geschichte erzählen muss, die ich noch nie öffentlich erzählt habe, weil sie für einen Kollegen sehr peinlich ist. Aber die Geschichte ist sehr komisch, sie könnte gut in einem Universitätsroman stehen: Wir hatten vor vielen Jahren einen Gastvortrag über englische Landschaftsgärten. Das war nichts Sensationelles, man könnte etwas pointiert sagen, dass englische Landschaftsgärten (hier noch einmal Chatsworth) in der Anglistik ein ausgelutschtes Thema sind. Schon als Rudolf Sühnel (der hier einen viel gelesenen Post hat) sein Der englische Landschaftsgarten in Wörlitz als Gesamtkunstwerk der Aufklärung schrieb, war das nicht mehr neu. Der Vortragende hatte die wichtigste Literatur zu dem Thema gelesen, hatte in England zahlreiche Gärten besucht, fleißig photographiert und illustrierte jetzt seinen Vortrag durch eine Vielzahl von Dias. Das war eine solide Sache. Für die Studenten war das sicher sehr nützlich.

Allerdings - das allerdings musste jetzt kommen - war es für viele nicht so ganz neu. Weil meine Kollegen Götz und Bobby schon eine Vielzahl von Seminaren zu dem Thema angeboten hatten und sogar Exkursionen mit dem Unibus nach England organisiert hatten. Der Vortragende trug also Eulen nach Athen. Aber es kam noch schöner. Nach dem Vortrag, nach dem Beifall, gab es die übliche kleine Fragestunde. Wobei diese Fragen jetzt sehr pointiert kamen, weil sie von Fachleuten gestellt wurden. Der Gastredner musste schon bei der ersten Frage passen. Und nun geschah etwas ganz Unerwartetes: in der ersten Reihe erhob sich ein Herr, wandte sich zum Publikum und beantwortete fachkundig die Frage. Die Geschichte wiederholte sich noch mehrfach. Wäre dies ein Theaterstück gewesen, Tom Stoppard hätte seine Freude daran gehabt.

Nach dem Vortrag verschwand der Unbekannte aus der ersten Reihe, blieb auch nicht zu dem sogenannten gemütlichen Beisammensein (was immer das Fürchterlichste an diesen Veranstaltungen ist), zu dem man ihn gerade eben noch eingeladen hatte. Das ersparte ihm auch den Anblick, dass der Gast sein Jackett auszog und sich (mit Schlips) in einem kurzärmligen Hemd zeigte. Für solche Anblicke ist, glaube ich, der Ausdruck fremdschämen erfunden worden. Ein Kollege hatte mir unmittelbar nach dem Vortrag zugezischelt: das war übrigens von Buttlar. In dem Augenblick war mir die ganze Dimension der Komik klar. Der Mann, der alles besser wusste als der Vortragende, war Adrian von Buttlar gewesen, seit wenigen Tagen Ordinarius für Kunstgeschichte in Kiel. Und wenn es einen Fachmann Nummer Eins für das Thema Landschaftsgarten in Deutschland gibt, dann ist das Adrian von Buttlar.

Aus dessen Büchern der Vortragende auch einen Großteil seines Wissens bezogen hatte. Hätte er das am Anfang des Vortrages gesagt, wäre ihm diese Peinlichkeit erspart geblieben. Adrian von Buttlar hat über den Landschaftsgarten promoviert, der Text der Dissertation ist in überarbeiteter Form in das Buch Der Landschaftsgarten gewandert, das 1980 bei Heyne in der Reihe Heyne Stilkunde erschienen war. Das war eine ganz hervorragende Reihe, ich habe den Band Neugotik von Christian Baur schon in dem Post über die englische Architektur des 18. Jahrhunderts erwähnt. Von Buttlar hat das Buch über den Landschaftsgarten noch einmal umgeschrieben und erweitert, es erschien dann als Der Landschaftsgarten: Gartenkunst des Klassizismus und der Romantik bei DuMont. Ein Buch, das man jedem Englandliebhaber empfehlen kann. Und falls Sie eine Gartenreise planen, klicken Sie doch mal diese Seite an.

Von noch größerem Einfluss für die Geisteswissenschaft war das Buch Der Englische Landsitz, 1715-1760: Symbol eines liberalen Weltentwurfs, das 1982 im Mäander Verlag in Mittenwald erschien. Keine deutschsprachige Publikation zum 18. Jahrhundert in England vergisst es, dieses Buch zu zitieren. Das Buch ist leider so gut wie vom Markt verschwunden, aber ich glaube der Verlag hat noch Exemplare (auf jeden Fall habe ich mein Exemplar von dort).

Es war natürlich passend, dass von Buttlar die Professur in Kiel erhielt. Denn hier hatte Jahrhunderte zuvor der erste große deutsche Theoretiker des Landschaftsgartens gewirkt. Hirschfeld hat im Auftrag des dänischen Schatzkanzlers, des Grafen Schimmelmann, auch einen Garten angelegt. Das Geld kommt von Schimmelmann, und es ist im Sklavenhandel verdient. Diese kleine Bemerkung muß gestattet sein: Teile der wunderbaren Landschaftsgärten Schleswig-Holsteins im 18. Jahrhundert verdanken ihre Entstehung dem Sklavenhandel. Oder dem Opiumhandel, mit dem Söncke Ingwersen aus Gelting ein Vermögen macht. Und sich natürlich auch einen repräsentativen Landsitz mit Landschaftsgarten zulegt. Der Adel (aus Schimmelmann wird irgendwann ein Graf, aus Ingwersen ein Baron von Geltingen) will im 18. Jahrhundert repräsentieren, und die Idee des englischen Landschaftsgartens greift schnell auf den Kontinent über. Wird zu Fürst Pücklers finanziellem Ruin.

Wenn Sie mehr über den Namensgeber vom Fürst Pückler Eis wissen wollen, kann ich nur die Lektüre seiner Briefe aus England (hier im Volltext) und seine Andeutungen über Landschaftsgärtnerei (hier im Volltext) empfehlen. Und die Lektüre des schönen Buches Der grüne Fürst von Heinz Ohff. Ob Heinz Ohff über Turner, Fontane oder Schinkel schreibt, seine Bücher sind immer ein Leseerlebnis. Es wird schwer in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts einen Essayisten und Schriftsteller zu finden, der so belesen und gebildet ist wie Ohff. Und der so verständlich schreibt.

Unter der Vielzahl der Publikationen von Adrian von Buttlar findet sich auch ein Titel, für den ihm die Schleswig-Holsteiner besonders dankbar waren, nämlich der monsterdicke Band Historische Gärten in Schleswig-Holstein, den von Buttlar zusammen mit Margita Marion Meyer herausgegeben hat. Die erste Auflage war schnell ausverkauft, aber jetzt scheint das Buch (650 Seiten Text, 100 Seiten wissenschaftlicher Apparat, reich illustriert) wieder lieferbar zu sein. Sönke Ingwersens Garten ist natürlich auch drin.
Es gibt einen hübschen kleinen Witz, in dem ein Tourist einen englischen Lord fragt, wie er es denn hinbekäme, dass er einen solch gepflegten Rasen hätte. Das sei ganz einfach, antwortete der Lord, man müsse ihn nur jede Woche mähen. Und setzte dann noch hinzu: Und das neunhundert Jahre lang. Ein Landschaftsgarten wird nicht von einem auf den anderen Tag fertig, da werden Dörfer umgesiedelt, Flüsse umgelegt, und die Bäume brauchen Zeit, um zu wachsen. Häufig erleben diejenigen, die den Garten in Auftrag gegeben haben, seine Fertigstellung nicht mehr. Häufig sind sie auch am Ende ihres Lebens pleite, Fürst  Pückler ist wohl nicht der einzige, der sich finanziell übernimmt. Alles nur für eine künstliche Natur, die natürlicher wirkt als die wirkliche Natur (und wo garantiert auch kein Riesen-Bärenklau wächst). 

Die junge Thomasina erlebt in Stoppards Arcadia nicht mehr, wie Richard Noakes den Garten umgestaltet hat. Wir erfahren in der letzten Szene (in der sich beide Zeitebenen des Stückes vermischen), dass sie am Vorabend ihres siebzehnten Geburtstags in einem Feuer umgekommen ist. Und Septimus Hodge wird eines Tages als Eremit im Garten von Sidley Park leben. 180 Jahre später wird Hannah Jarvis herausfinden, dass der Eremit von Sidley Park, den man für einen Idioten hält, Byrons Freund Septimus Hodge war. Der in seiner Hütte lebt und an den Theorien von Thomasina arbeitet: Hannah: Don't you see? I thought my hermit was a perfect symbol. An idiot in the landscape. But this is better. The Age of Enlightenment banished into the Romantic wilderness! The genius of Sidley Park living on in a hermit's hut!