Dienstag, 11. November 2014

Jacques Tourneur


Jacques Tourneur, der heute vor 110 Jahren in Paris geboren wurde, gilt als Regisseur von amerikanischen Kultfilmen. Das war nicht immer so. In Hollywood ließ man den Sohn des französischen Drehbuchautors Maurice Tourneur zuerst nur bei der second unit arbeiten, danach durfte er B-Pictures drehen. Aber was hat er aus denen gemacht! Vor allem, wenn er wie in Cat People und Out of the Past Nicholas Musuraca als Photographen und Val Lewton als Produzenten hatte. Musuraca wird inzwischen schon von manchen Kritikern mit dem berühmten Gregg Toland verglichen, der Citizen Kane photographiert hatte.

Musuraca kommt aus Italien, Jacques Tourneur aus Frankreich, der Produzent des Films Out of the Past Val Lewton aus der Ukraine. Der amerikanische Film Noir verdankt der Alten Welt viel, es ist das Erbe der Schwarzweiß Photographie des Expressionismus, das vielleicht über den Umweg des französischen Poetischen Realismus (man denke an ➱Le jour se lève und Le Quai des brumes) nach Amerika gekommen ist. Und vielleicht ist der deutsche Photograph Eugen Schüfftan an allem schuld (Sie können ➱hier mehr lesen).

Und für diese Bilder aus Mexico aus dem Film Out of the Past habe ich auch den passenden Ton: It was hot in Taxco. You say to yourself, "How hot can it get?" And then in Acapulco, you find out. She had to wind up here... ... because if you wanna go south, here's where you get the boat. All I had to do was wait. Near the plaza was a little café called La Mar Azul next to a movie house. I sat there in the  afternoons and drank beer. I used to sit there half-asleep with a beer and the darkness... ... only that music from the movie next door kept jarring me awake. And then I saw her coming out of the sun... Die Lady trägt weiß, aber die Farbe, die wir mit Unschuld verbinden, täuscht. Es wäre besser tiefschwarz. Oder blutrot.

An solchen Bildern wie hier aus The Stranger on the Third Floor (das ist natürlich ➱Peter Lorre auf der Treppe) merkt man das Erbe des deutschen Expressionismus noch deutlich. Für viele Filmhistoriker ist The Stranger on the Third Floor mit Musuracas Kameraarbeit der erste echte Film Noir gewesen. Obgleich man immer bedenken muss, dass Carnés Filme Le Quai des brumes, Hôtel du Nord und Le jour se lève zeitlich vor diesem Film liegen. Nicholas Musuraca wird nicht nur für die Photographie von Stranger on the Third Floor verantwortlich sein, er wird auch für das nächste Jahrzehnt den Stil der RKO Filme bestimmen. Und auf einer abstrakteren Ebene könnte man sagen, dass jetzt europäische Regisseure, Schauspieler und Komponisten den Stil des amerikanischen Films definieren. Hitler hat sie aus Europa vertrieben, aber den Schrecken haben sie mitgebracht.

Einen deutschen Schrecken hat es in Amerika schon einmal gegeben. Hundert Jahre vor dem Film Noir. Da schreibt ein gewisser Edgar Allan Poe: I speak of these things here, because I am led to think it is this prevalence of the "Arabesque" in my serious tales, which has induced one or two critics to tax me, in all friendliness, with what they have been pleased to term "Germanism" and gloom. The charge is in bad taste, and the grounds of the accusation have not been sufficiently considered. Let us admit, for the moment, that the "phantasy-pieces" now given are Germanic, or what not. Then Germanism is "the vein" for the time being. To morrow I may be anything but German, as yesterday I was everything else. 

These many pieces are yet one book. My friends would be quite as wise in taxing an astronomer with too much astronomy, or an ethical author with treating too largely of morals. But the truth is that, with a single exception, there is no one of these stories in which the scholar should recognize the distinctive features of that species of pseudo-horror which we are taught to call Germanic, for no better reason than that some of the secondary names of German literature have become identified with its folly. If in many of my productions terror has been the thesis, I maintain that terror is not of Germany, but of the soul, — that I have deduced this terror only from its legitimate sources, and urged it only to its legitimate results.

Der Schrecken ist kein Importprodukt aus Deutschland, sagt ➱Poe, er kommt aus der Seele. Aus der amerikanischen Seele. Von daher scheint es nur folgerichtig, dass sich lange vor den Filmkritikern die Psychologen für den Film Noir interessieren. Wie Martha Wolfenstein und Nathan Leites in ihrem Buch Movies: A Psychological Study. Das Buch erschien 1950, und die Autoren danken im Vorwort Margaret Mead, Geoffrey Gorer und David Riesman. Hier schreiben keine Filmkritiker über den amerikanischen Film, jetzt wird Hollywood von Psychologen, Anthropologen und Soziologen analysiert und seziert.

Gleichzeitig mit diesem Buch hatte Barbara Deming ihr Manuskript von Running Away from Myself: A Dream Portrait of America Drawn from the Film of the Forties vollendet, aber davon sind in den fünfziger Jahren nur Teile erschienen, dann war das City Lights Magazine pleite. Beide Studien sind sich im Ansatz ähnlich (auch Raymond Borde und Etienne Chaumeton werden in A Panorama of American Film Noir so vorgehen. Ebenso Michael Wood in America in the Movies or Santa Maria, It Had Slipped My Mind). Die Bücher folgen, wenn man so will, Siegfried Kracauers Studie From Caligari to Hitler (1947), indem sie Filme als eine Art Symptom einer kranken Gesellschaft interpretieren. Dazu passt es wohl, dass der englische Filmkritiker Richard Winnington den Film Out of the Past einen outcry of the national masochism nannte, ein Produkt einer Gesellschaft proceeding rapidly on its way to nowhere. Winnington, den der berühmte Filmkritiker Philip French bewunderte, kann so schön fies sein.

Die Handlung von Out of the Past ist ein klein wenig verworren und unübersichtlich. Eigentlich ist sie total bescheuert. Genau so wie die Handlung in Truffauts Verfilmung von dem Roman Waltz into Darkness (die ➱hier einen langen Post hat). Beide Filme haben viele Ähnlichkeiten. Unheilbringende Frauen. Egal, ob sie Jane Greer heißen und dunkelhaarig sind. Oder blond sind wie ➱Barbara Stanwyck in Double Indemnity, ➱Nina van Pallandt in The Long Goodbye oder Catherine Deneuve in Waltz into Darkness.

Ich habe in dem Post ➱Gilda (den sollten Sie jetzt doch einmal schnell lesen) über den amerikanischen Mann geschrieben: Er möchte ja jemanden haben so rein wie Doris Day, die er zuhause Mammie vorstellen kann. Da wo Mammie den besten 'apple pie' Amerikas macht. Aber eigentlich möchte er natürlich lieber ein bad girl haben, jemanden wie Rita Hayworth. Wo man auch noch weiß, dass die eigentlich Mexikanerin ist und Rita Cansino heißt. 

Im Western gibt es immer heißblütige Mexikanerinnen und die Nutten im Saloon mit Netzstrümpfen und goldenem Herzen. Der amerikanische Film typisiert eben gern. In 'High Noon' hat der Sheriff Will Kane (Gary Cooper) die heiße Mexikanerin Helen Ramirez (gespielt von Katy Jurado), aber er gibt ihr den Laufpass, weil da diese eiskalte Westküstenschönheit namens Grace Kelly ankommt. Das war eine etwas unzulässig vereinfachte Paraphrase des Buches von Martha Wolfenstein und Nathan Leites. Es ist ein weites Feld, aber es steckt in dem Buch doch sehr, sehr viel, was die fragile Beziehung zwischen Männern und Frauen im amerikanischen Film betrifft. Oder auch Männer und Frauen im amerikanischen Roman, wozu Leslie A Fiedler in Love and Death in the American Novel eine Menge zu sagen hat. Unter anderem, dass der amerikanische Roman im 18. Jahrhundert und der gothic novel steckengeblieben ist. Die Reste davon bekommen wir im Film Noir serviert.

Der ehemalige Privatdetektiv Robert Mitchum möchte in einem kleinen Kaff neu anfangen, möchte seine Vergangenheit vergessen. Aber die holt ihn in Gestalt einer femme fatale ein. Da kann er zu Jane Greer sagen You're like a leaf that the wind blows from one gutter to another, er wird sie nicht los. Did you miss me? fragt sie ihn, und er antwortet: No more than I would my eyes. Dem folgt Where should we go tonight? - Let's go to my place. Wenn Sie das ganze Drehbuch lesen möchten, dann klicken Sie ➱hier.

Es ist eine Liebe - oder ein Hass - bis in den Tod. Eine andere Art Liebestod als bei Richard Wagner. Build my gallows high, baby, sagt Mitchum zum Schluss und zitiert damit den Originaltitel der Romanvorlage. Die letzten Worte von Jane Greer sind You dirty, double-crossing rat. Das ist diese Art von Ende, das Romanautoren wie James Mallahan Cain und Cornell Woolrich (den Jacques Tourneur ebenso wie Truffaut verfilmt hat) lieben. James Mallahan Cain (➱James Mallahan Cain, ➱Ossessione) hat zwar am Drehbuch von Out of the Past mitgearbeitet, wird aber in den credits nicht genannt. Vielleicht hätte man ➱Raymond Chandler als Drehbuchautor nehmen sollen. Aber auch ohne Chandler gilt Out of the Past heute als einer der wichtigsten Filme des amerikanischen Film Noir. Auch der Dialog, der aus aus einer Vielzahl von coolen one liners besteht, kam wohl so erst in der letzten Fassung zustande, die man Frank Fenton zuschreibt (der aber genau wie James Mallahan Cain nicht bei den credits auftaucht).

Es wird viel geraucht in dem Film: There is a lot of smoking in "Out of the Past." There is a lot of smoking in all noirs, even the modern ones, because it goes with the territory. Good health, for noir characters, starts with not getting killed. But few movies use smoking as well as this one; in their scenes together, it would be fair to say that Mitchum and Douglas smoke at each other, in a sublimated form of fencing. The director is Jacques Tourneur, a master of dark drama at RKO, also famous for "Cat People" (1942) and "I Walked with a Zombie" (1943). He is working here for the third time with the cinematographer Nicholas Musuraca, a master of shadow but also of light, and Musuraca throws light into the empty space between the two actors, so that when they exhale, the smoke is visible as bright white clouds.

Das sagt Roger Ebert in seiner langen Besprechung des Films, die es sich zu lesen lohnt. Beim ersten Treffen mit dem Bösewicht Kirk Douglas bietet Douglas Mitchum eine Zigarette an. Der sagt nur Smoking und hält seine Hand mit der Zigarette hoch. Die Zigarette trägt (auf jeden Fall in den vierziger Jahren) zur coolness des Helden bei. Roger Ebert hat über ein Gespräch mit Robert Mitchum Jahre später geschrieben:

"Did you guys have any idea of doing a running gag involving cigarette smoking?" I asked him.
"No, no."
"Because there's more cigarette smoking in this movie than in any other movie I've ever seen."
"We never thought about it. We just smoked. And I'm not impressed by that because I don't, honest to God, know that I've ever actually seen the film."
"You've never seen it?"
"I'm sure I have, but it's been so long that I don't know."

Wenn man so cool ist wie Mitchum, dann guckt man sich seine Filme gar nicht erst an.

Der Franzose Bertrand Tavernier war bei seinem Interview mit Jacques Tourneur überrascht, welch großen Einfluss auf seine Filme Tourneur dem Produzenten Val Lewton einräumte, der für Tavernier beinahe den Status eines auteur besaß. Die Zusammenarbeit seit Cat People, zwar nur ein B-Picture aber ein riesiger Erfolg, war für Val Lewton und Jacques Tourneur  gleichermaßen künstlerisch wie finanziell befriedigend. Cat People hatte 135.000 $ gekostet und spielte 1942 vier Millionen Dollar ein, Citizen Kane hatte im Vorjahr nur eine halbe Million gebracht. Val Lewton und Jacques Tourneur drehten dann noch I Walked with a Zombie, The Leopard Man, The Curse of the Cat People und The Body Snatcher zusammen, aber so gut wie Out of the Past war keiner dieser Filme.

Wenn deutsche Filmkritiker über den Film Noir schreiben, dann werden sie gerne lyrisch. Wie Wolf-Eckart Bühler (der heute Reiseführer schreibt) 1977 in seinem Essay In einem Geisterhaus mit Direktton. Notizen zu Jacques Tourneur: Selbst aus der Leere zieht Tourneur keine Lehre, sondern nur wieder — neue Leere. Am liebsten würde er gar nichts erzählen. Das ist keine Haltung. Erst recht keine Manier. Es IST. Oder: es ist, was NICHTS ist. Es gehört zu Robert Mitchum... Das Filmphoto ist aus Cat People, ich wollte mal eben die Tourneursche Leere illustrieren.

Beinahe ebenso schön schreibt Fritz Göttler (der auch einen kleinen Band zu Out of the past herausgebracht hat): Die tiefste Einsamkeit. Die schwärzesten Nächte. Die brutalsten Morde. Die verrückteste Liebe. Der gemeinste Verrat… Wenn’s um den Film Noir geht, ist alles ultimativ, das Genre definiert sich heutzutage vor allem über Superlative, über Absolutheitsansprüche. Besonders gern wird über Fetische kommuniziert, über traumhafte Situationen. Das Kettchen an Barbara Stanwycks Fuß, wenn sie die Treppe hinabsteigt vor den trägen Augen des Versicherungsagenten Fred MacMurray, in 'Double Indemnity'. 

Die Materialisierung in flirrender Mittagssonne von Jane Greer vor den nicht minder müden Augen von Robert Mitchum, in einer mexikanischen Bar in 'Out of the Past'. Die schlafverklebten Augen, wenn Dana Andrews, der unter dem Bild der toten Laura/Gene Tierney eingepennt ist und diese nun leibhaftig vor ihm steht… (…) Eigentlich ist Film Noir, als Begriff, seit langer Zeit tot, totbenutzt wie ähnlich geläufige Termini: surreal, existentialistisch, postmodern. Wie diese ist Noir benutzerfreundlich, sagt alles und beschwört noch jede Menge diffuser Echos dazu.

Jacques Tourneurs ➱Meisterwerk Out of the Past ist immer noch leicht als DVD erreichbar (zum Beispiel in der Reihe Arthaus Retrospektive als Goldenes Gift). Bessere Literaturhinweise als die auf deutsche Kritiker hätte ich auch parat: Zu Chris Fujiwaras Buch Jacques Tourneur: The Cinema of Nightfall gibt es hier eine Rezension. Ein Klassiker zum amerikanischen Kino bleibt das Buch von Martha Wolfenstein und Nathan Leites Movies: A Psychological Study. Zu den good-bad girls, die ein wesentliches Element des Film Noir sind (aber bei Tourneur nicht vorkommen, weil da die Girls nur bad sind), hätte ich ➱hier einen kleinen Lexikonartikel.Und die Post ➱Nymphos und ➱Veronica Lake könnte ich auch noch empfehlen.

Ich wollte vor vielen Jahren mal auf einem Amerikanistentag in den Workshop zum Thema Women in Film Noir, wurde da aber höflich rausgeschmissen. Es war für women only. Auch das kann Wissenschaft sein. Ich nehme an, dass sich die Damen aufgesagt haben, was in E. Ann Kaplans Women in Film Noir stand. Wenn man wissen will, wie es mit den Männern im Film Noir bestellt ist, dann kann ich den Klassiker von Barbara Deming Running Away From Myself: A dream portrait of America drawn from the films of the forties und das neuere In a Lonely Street: Film Noir, Genre, Masculinity von Frank Krutnik empfehlen.

Der Robert Mitchum von 1942 sieht dem Robert Mitchum, der 1975 in Farewell, My Lovely ➱Charlotte Rampling als femme fatale an seiner Seite hat, erstaunlich ähnlich (der Film ist ➱hier ganz zu sehen). Ist es noch derselbe ➱TrenchcoatThe role doesn't bother me. I've been doing the role for years. I've worn that trench coat of mine in half the pictures I've been in, hat Humphrey Bogart einmal gesagt. Der amerikanische Mann braucht im Film Noir (wie im Roman Noir) seinen Trenchcoat, seinen Hut und seine Zigarette. Aber dieser Schutzschild hilft ihm nicht gegen das Klima der Angst, das Amerika befallen hat. Aus dem amerikanischen Traum ist im Film Noir ein amerikanischer Alptraum geworden.

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