Samstag, 8. November 2014

Rickie Lee Jones


Der Begriff singer-songwriter wird ja heute etwas inflationär verwendet, aber wenn er auf jemanden wirklich zutrifft, dann ist das Rickie Lee Jones. Ich besitze ihre ersten Platten, aber ich wusste damals nichts über sie, als ich die kaufte. Die einzige Information waren die liner notes, aber das ist nun eine Literatursorte, die mit Vorsicht zu genießen ist. In meinem Second Hand Plattenladen um die Ecke tauchten damals Berge von interessanten Platten auf. Alles Neuware. Alles, was der amerikanische Plattenmarkt hergab. Der Besitzer des Ladens erzählte mir, dass er die Platten von jemandem hätte, der für ein großes Plattenlabel gearbeitet hatte und sich nach der Kündigung seine betriebliche Altersversorgung in Platten hatte auszahlen lassen. Und dann die Platten an Läden quer durch Norddeutschland vertickte.

Ich habe gekauft, was ich kannte. Und natürlich vieles, was ich nicht kannte. Meine ECM Plattensammlung datiert aus dieser Zeit. Ich kaufte nach dem Cover, gefiel mir das, wurde die LP gekauft. Der schöne englische Satz don't judge a book by its cover galt hier nicht. Es ist natürlich eine gefährliche Sache. Die Dory Previn LP habe ich nur gekauft, weil die Ex von André Previn auf dem Cover aussah wie die Ingrid. Musikalisch klang das eher nach einer Katze, die aus Versehen in die Waschmaschine geraten ist. Da konnte Ingrid besser singen. Der Vergleich mit der Katze in der Waschmaschine war mir damals beim Hören spontan gekommen. Aber inzwischen habe ich festgestellt, dass der berühmte Robert Christgau das auch schon gesagt hat: Previn doesn't just belabor a cliche, she flails it with barbed wire, and she never writes about a concrete situation when with extra words she can falsify it via abstraction. A feminist friend once persuaded me that such transparent pretension can only signal pain and bewilderment, but if I found a cat trapped in a washing machine, I wouldn't set up a recording studio there--I'd just open the door. 

Irgendwann bemerkte ich beim Erkunden des Angebots, dass manche LPs einen Aufdruck wie Lent for Promotional Use Only hatten. Das waren die besten Platten, wie zum Beispiel Grace Pool oder Phoebe Snow. Von dieser hier hätte ich auch die leere Hülle gekauft, so wie Judie Tzuke stellt man sich ein Kunstprodukt aus der Welt der Popmusik vor. Als mein Freund Ollie aus England kurz darauf zu Besuch kam, habe ich als erstes die Judie Tzuke Platte versteckt. Weil der Ollie nämlich alles über Rock'n Roll weiß, der brauchte so etwas nicht zu sehen. Er ist neben seinem Beruf immer auch DJ bei einem lokalen Sender und road manager kleinerer Bands gewesen.

Ollie erzählte mir, dass er eine kleine Erbschaft gemacht hätte und jetzt seine erste CD produzieren wollte. Er hätte da jemanden entdeckt. Die Frau auf dem Photo, das er mitbrachte, sah definitiv nicht nach Judie Tzuke und glitzy glamour aus, aber wenig später war PJ Harvey die Nummer Eins in England (ich habe das schon einmal in dem Post John Peel erzählt). Wenn Sie mehr über Ollies Leben erfahren wollen, dann kaufen Sie sein witziges Buch Volume: A Cautionary Tale of Rock and Roll Obsession, über das ein Rezensent schrieb: Have you ever been to a gig? Have you ever been obsessed with music? This is Oliver Gray's memoir of 30 years spent dabbling on the periphery of the music business. It involves 300 pages of disasters, near misses, humiliations, and the (very) occasional triumph.

Ich war nicht ganz hilflos in der schönen neuen Plattenwelt, ich hatte einen Spickzettel dabei. Eine kleine Zettelsammlung, die mir ein Student einmal gegeben hatte. Etwas lieblos aus einem kleinen Notizbuch gerissen, eng mit Namen beschrieben. Der Studi hatte mich in meinem Seminar über die amerikanische Lyrik gefragt, ob er ein Referat über amerikanische Plattencover halten könne. Wenn Sie die LP mit der Banane mitbringen, dann ja, sagte ich. Kein Problem, antwortete er, er besaß die Velvet Underground Platte mit dem Coverdesign von Andy Warhol wirklich.

Das Ganze war dann beinahe so, wie damals bei dem Marshall McLuhan Seminar, als Klaus Wellershaus vom NDR (der hier schon erwähnt wird) mit allem anrückte, was in San Francisco wichtig war. So eindrucksvoll das Referat meines Studenten war, die kleinen Zettel waren für mich natürlich viel interessanter. Sie brachten mich auf Townes van Zandt und Warren Zevon. Bei Nick Drake konnte ich mitreden, den hatte ich durch Zufall selbst entdeckt. Und Velvet Underground und Lou Reed (der ➱hier einen Post hat und auch in dem Post Delmore Schwartz erwähnt wird) waren mir spätestens seit Peter Zadeks Film vertraut.

Es ist ein seltsamer Film mit dem Titel Ich bin ein Elefant, Madame aus dem Jahre 1969. Der Film mit dem fetzigen Soundtrack von Velvet Underground ist vor dem Hintergrund der Bremer BVG Unruhen, also der 68er Revolution in Bremen, größtenteils am Alten Gymnasium gedreht worden. Hermann Rademann aus meiner Schule, einer der Hauptakteure der Bremer Revolution, hat auch eine klitzekleine Rolle darin (lesen Sie hier mehr dazu). Der Film ist ein formales Experiment, das nach vierzig Jahren vielleicht noch überzeugt (obgleich es wie alles aus der Zeit etwas dated wirkt). Das liegt auch an den Schauspielern wie Heinz Baumann und Margot Trooger. Vor allem der älteste Schauspieler in dem Ensemble, Günter Lüders, hat sehr starke Auftritte in diesem Film, und das ist auch mehrere Jahrzehnte nach der Uraufführung (ich saß damals dank guter Beziehungen in der Nähe von Zadek) sehr eindrucksvoll. Die Szene, wo Günter Lüders am Zwischenahner Meer sitzt oder die, wo er die Geschichte von der jüdischen Frau in der Bahn erzählt, gehören zu den stärksten Augenblicken des Films.

Wenn der Film unter Zadeks Namen läuft, dann muss man das ein wenig einschränken. Die Basis für das Drehbuch stammt von einem Roman von Thomas Valentin. Kurt Hübner hat den als Dramaturgen nach Bremen geholt. Er wird mit Hilfe des Freundes von Peter Zadek, Robert Muller, seinen Roman zu einem Theaterstück umschreiben (Muller schrieb auch die Drehbücher für Zadeks Nicolas Freeling Verfilmungen), das dann in Bremen Furore macht. Die Unberatenen heißt es, Bremens Äquivalent für Rebel Without a Cause. Ich habe es nie gesehen. Ich gucke mir als Schüler doch keine Schüler mit Schülerproblemen im Theater an. Aber alle Eltern diskutieren darüber. Wann guckst Du Dir denn endlich das Stück an? Du könntest da doch mit Anne Geertje hingehen. Anne Geertje ist zwar nett, und wir haben auch mal geknutscht, aber ich habe schon etwas anderes mit Gudrun vor. Auf keinen Fall Problemstücke über Schüler angucken.

Margot Trooger fand ich immer toll, ich habe mir ja den letzten Schrott von Wallace Verfilmung angesehen, wenn sie da mitspielte, deshalb dieses Photo. Wolfgang Menge hat das Drehbuch zu dem Film geschrieben. War nicht gut genug für Zadek: Er schrieb zwar einige schöne Teile des Buchs, aber am Ende verfasste ich mit Robert Muller das Drehbuch doch selbst. Bei der Wahrheitsliebe des egomanen Autors könnte das heißen, dass Zadek ein Dutzend Wörter von Menges Text geändert hat. Ich habe den Film nach der Premiere noch mehrfach gesehen. Ich kann ihn auch heute noch sehen, weil ich eine DVD besitze und mit dem Film immer ein bisschen von Bremen in den Sixties zu mir ins Wohnzimmer kommt. Soundtrack von Velvet Underground inklusive.

Neben den Rickie Lee Jones Platten steht eine auch Platte von einer Sängerin namens Willi Jones, die ich ganz witzig fand (nicht nur das Cover). Chris Willman von der Los Angeles Times war auch meiner Meinung: This knockout debut from a Texan-cum-New Yorker introduces a possibly major talent. Jones sounds like a Southern cross between Maria McKee and Edie Brickell and writes great hooks about hurricanes, the decline of marijuana, the manipulative matriarchy of Southern women, phone sex, Santa Ana winds and--in a randy duet with Willie Dixon--the difficulty of being a five-footer competing for men's affection with the "Long Legged Goddess" type. Catchy, cocky and terribly tender.

Ich habe nie wieder von Willi Jones gehört. Sie bleibt verschwunden wie Ingeburg Thomsen. Im Internet findet sich go gut wie nichts über sie, außer einer Besprechung im Daily Mirror von dem Engländer Tim Griggs: You can judge this 1990 release by its cover. Willi Jones is a lovely and exuberant performer who mixes pop, country, rock, and blues with Southern sass on this fine eponymous debut release. Almost every song is a winner, including "Cages and Walls," "Southern Hospitality," and "Where My City Stood." This album features Waddy Wachtel, former Eagle Bernie Leadon, Warren Bernhardt, Paulinho da Costa, Eric Johnson, Richard Tee, J.D. Souther, and a fun duet with blues legend Willie Dixon. The question is, with all the great talent assembled on this album, along with some great songs, plus a beautiful and talented singer/songwriter, why wasn't there at least one more album? It is a mystery why Willi Jones never got to sing and shake a tambourine on another release. Es gibt die Platte übrigens noch als CD, bei Amazon Marketplace ab einem Cent. Lohnt sich unbedingt.

Ich weiß nicht, wie alt Willi Jones heute ist, aber Rickie Lee Jones, deren musikalische Karriere gleichzeitig mit Dieter Bohlen begann, wird heute sechzig. Sie ist nicht meine Lieblingssängerin geworden, sie wandelte sich wie ein Chamäleon ja auch ständig. Man musste bei ihr schon sehr genau hinhören. Ihre Songs waren nichts, was man wie Muzak im Hintergrund laufen lassen konnte. Bei Jazz und Country kann ich das. Wenn man von klein auf (dank des amerikanisch besetzten Bremens) mit AFN und BFBS aufgewachsen ist (meine Eltern haben nie erfahren, dass ich mal aufs Dach gekrabbelt bin, um die Antenne für einen noch besseren Empfang der englischsprachigen Sender auszurichten), dann braucht man diese Musik im Hintergrund.

Im Augenblick läuft bei mir nur Mr Acker Bilk, weil der gerade gestorben ist. Ken Colyer, bei dem Acker Bilk angefangen hatte, ist schon lange tot. Englands anderer Trad Klarinettist Monty Sunshine ist auch tot. Nur Chris Barber (der hier einen Post hat und auf dem Photo auf Acker Bilks Klarinette spielt) ist von der alten Garde noch übrig geblieben. Ich habe als ehemaliger Bassist einer Skiffle Group (lesen Sie hier mehr) nur nostalgische Erinnerungen an diese Musik, schließlich habe ich damals mein Taschengeld für die Konzerte dieser Engländer ausgegeben.

In der Rezension zu Rickie Lee Jones' Album Balm in Gilead schrieb der Daily Mirror 2009: Thirty years since her astonishing Chuck E’s in Love debut, Rickie Lee remains a singular talent who gets a chance to fully flourish here with songs of innocence and experience. She wrote most of them over the past 20 years – sometimes good things take time to mature. Das lassen wir mal so stehen. Und wir hören in Chuck E’s in Love hinein, weil das der Beginn ihrer Karriere war :

How come he don't come and p.l.p. with me
Down at the meter no more?
How come he turn off the TV
And he hang that sign on the door?
We call and we call "How come?" we say
What could make a boy behave this way?

He learn all of the lines, and every time he
don't stutter when he talk
And it's true! It's true! He sure is acquired a
cool and inspired sorta jazz when he walk
Where's his jacket and his old blue jeans?
If this ain't healthy is it some kinda clean?

I think that Chuck E's in love
Chuck E's in love

I don't believe what you're saying to me
This is something I gotta see Is he here?
Look in the poolhall Is he here?
Look in the drugstore Is he here?
No, he don't come here no more

I'll tell you what I saw him
He was sittin' behind us down at the Pantages
And whatever it is that he's got up his sleeve
I hope it isn't contagious
What's her name? Is that her there?
Christ, I think he's even combed his hair!

Is that her? What's her name?
Oh, it's never going to be same.
But that's not her
I know what's wrong--
Chuck E's in love with the little girl who's singing this song

Chuck E's in love
Chuck E's in love with me.

Wenn Sie jetzt rätsen, was p.l.p. bedeutet, das ist amerikanischer Slang für public leaning post. Freunde, die für einen da sind und einem zuhören. Rickie Lee Jones kann sicher sein, dass wir ihr zuhören. Happy Birthday.

Ich weiß, dass auch Bram Stoker heute Geburtstag hat. Aber wenige Tage nach dem Gothick Post wollte ich Ihnen diese Welt nicht schon wieder zumuten. Abgesehen davon, dass er hier schon einen Post hat. Mein Student, der alles über die amerikanische Musikszene wusste, hat irgendwann sein Studium aufgegeben. Und ist in die Plattenbranche gegangen. Er wäre vielleicht als Lehrer an der Schule auch nicht schlecht gewesen. Besser als der Englischlehrer in Ich bin ein Elefant, Madame, der eine Platte auflegt und dann ist die Stunde gelaufen. So leicht kann man es sich mit der Popular Culture nicht machen. Auch die will ernstgenommen sein. Aber das wissen Sie ja schon, wenn Sie diesen Blog lesen, wo high und low bunt durcheinander gemischt werden. Und wenn Sie niemanden in der Nähe haben, der Ihnen alles über die Musikszene sagen kann, dann hätte ich einen Guru für Sie: Robert Christgau. Besser geht es nicht. War er von Rickie Lee Jones begeistert? Kann man nicht sagen, die Note A+ erreicht sie bei seinen Rezensionen nicht. Im Jahre 2000 schrieb er über das Album It's Like ThisProof a girl can sing standards and chew gum at the same time. Wir hören es uns trotzdem hier mal an.

2 Kommentare:

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