Donnerstag, 31. Dezember 2015

Silvesteransprache


Vor fünfundsechzig Jahren hat der Bundespräsident ➱Theodor Heuss in seiner Silvesteransprache den Deutschen ein Lied vorgestellt. Es hieß Hymne an Deutschland und nach seinem Wunsch sollte es die neue deutsche Nationalhymne sein. Es war seine zweite Ansprache zum Jahreswechsel, bei der ersten hatte er noch gesagt: Wir gehen in das neue Jahr mit einer seltsamen Mengung der Gefühle, sehr enthusiastisch war die ➱Rede damals nicht. Aber jetzt wird alles anders. Heuss hatte den mit ihm befreundeten Dichter Rudolf Alexander Schröder gebeten, ein Lied zu schreiben, denn das Volk der Dichter und Denker war ohne Hymne. Bei der Verkündung des deutschen Grundgesetzes hatten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates das Lied Ich hab mich ergeben Mit Herz und mit Hand gesungen, denn eine Nationalhymne besaß die junge Republik noch nicht.

Diesen Umstand sprach Heuss am Ende seiner Rundfunkansprache 1950 an: Aber das ungeheure Schicksal, das die staatlichen Zusammenhänge zerschlug, die volklichen verwirrte, schuf einen Geschichtseinschnitt, der mit dem alten Sinn- und Wortvorrat nicht mehr umfasst werden kann. Heuss hat dann den Text des Liedes vorgelesen:

Land des Glaubens, deutsches Land,
Land der Väter und der Erben,
uns im Leben und im Sterben
Haus und Herberg, Trost und Pfand,
seid den Toten zum Gedächtnis,
den Lebend‘gen zum Vermächtnis,
freudig vor der Welt bekannt,
Land des Glaubens, deutsches Land

Land der Hoffnung, Heimatland,
ob die Wetter, ob die Wogen
über dich hinweggezogen,
ob die Feuer dich verbrannt,
Du hast Herzen, die vertrauen.
Lieb und Treue halten stand,
Land der Hoffnung, Heimatland.

Land der Liebe, Vaterland,
Heil´ger Grund, auf den sich gründet,
was in Lieb und Leid verbündet
Herz mit Herzen, Hand mit Hand.
Frei, wie wir dir angehören
und uns dir zu eigen schwören,
Schling um uns dein Friedensband,
Land der Liebe, Vaterland.

Wir wissen, dass dieser Text sich nicht durchgesetzt hat. Auf YouTube kann man eine ➱Version davon von einer rechtsradikalen Gruppe namens Kahlkopf hören. Dazu sagen wir jetzt lieber nichts. Unsere Nationalhymne, die der Dichter Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland seinem Hamburger Verleger Julius Campe beim Strandspaziergang zum Kauf anbietet (Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber vier Louisd'or), hat eine lange ➱Geschichte. Ein ➱Trinklied ist es gewesen (das war die ➱Melodie der amerikanischen Nationalhymne auch einmal), aber wir wissen, dass das 1841 im britischen Helgoland gedichtete Lied eines Tages eine andere Bedeutung bekommen sollte. Die dritte Strophe ist uns aus dem Vormärz geblieben. Strophe eins und zwei sind gestrichen. Was eigentlich schade für die zweite Strophe ist:

Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang,
sollen in der Welt behalten ihren alten schönen Klang,
uns zu edler Tat begeistern unser ganzes Leben lang -
Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang!


Nach dem Ersten Weltkrieg dichtete ein gewisser Albert Matthai eine vierte Strophe zu Fallerslebens Lied, aber das lassen wir lieber weg. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Lied der Deutschen in manchen Besatzungszonen kurzzeitig verboten. Es ist aber heute nicht mehr verboten, das ganze Lied zu singen. Nur ist das dann nicht mehr die Nationalhymne. Das Horst Wessel Lied darf man heute allerdings nicht singen. Obgleich es nach § 86a StGB verboten ist, diese Nationalhymne der Nazis zu singen, kann man sich bei YouTube eine Vielzahl von Interpretationen anhören. YouTube ist ja sowieso eine wunderbare Plattform für Rechtsradikale und Neonazis.

Die erste Strophe des Lieds der Deutschen mit dem Deutschland, Deutschland über alles hat einen bösen Beiklang, und die Grenzen heißen auch nicht mehr Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt. Wir sollten aber einmal für einen Augenblick historisch denken, bevor wir den Text verdammen. Was Hoffmann von Fallersleben da im Jahre 1841 schreibt, ist eine Vision, ein Wunschbild. Im gleichen Jahr hatte er in seinen Unpolitischen Gedichten geschrieben:

Deutschland erst in sich vereint!
Auf! wir wollen uns verbinden,
Und wir können jeden Feind
Treuverbunden überwinden.


Aber dieses Deutschland gab es 1841 noch gar nicht, 1848 vielleicht für einen kurzen Augenblick. Adenauer und Heuss einigten sich ein Jahrhundert nach der 1848er Revolution auf das Hoffmann-Haydn’sche Lied mit der Zusatzvereinbarung Bei staatlichen Anlässen soll die dritte Strophe gesungen werden. So ganz klar und eindeutig war die ganze Sache allerdings nicht. Im Jahre 1990 beschäftigte sie das Verfassungsgericht. Wenn Sie sich mal ein kleines Vergnügen machen wollen, dann lesen Sie ➱hier das Urteil.

Die Nationalhymne wird bei Länderspielen gespielt, meist instrumental, das ist ungefährlich. Wir denken da nur an ➱Sarah Connors Brüh' im Lichte dieses Glückes. Die Fußballspieler singen die Hymne meist nicht, und der Rest des Stadions kriegt die dritte Strophe auch nicht richtig hin. Als im Jahre 1955 ➱Hans-Joachim Kulenkampff bei einem Städtequiz des Nordwestdeutschen Rundfunks Kandidaten nach der dritten Strophe der Nationalhymne fragte, ermittelte hinterher die Staatsanwaltschaft wegen Beschimpfung der Bundesrepublik gegen ihn. Nationalhymnen sind eine gefährliche Sache. Was war geschehen? Kulenkampff hatte bei der Quizveranstaltung drei Kandidaten nach der dritten Strophe des Deutschlandsliedes gefragt, keiner konnte sie aufsagen. Er musste einen vierten aus dem Publikum auf die Bühne holen, der kannte die neue Hymne. Und erhielt einen Preis von vierzig Mark.

Und gegen den Quizmaster ermittelte der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Dr. Gerd Hiete wegen Beschimpfung der Bundesrepublik (§ 96 des StGB). Ein CDU Politiker forderte, dass Kulenkampff für weitere Sendungen gesperrt werden solle. Das Verfahren wurde übrigens eingestellt, nachdem der Frankfurter Intendant Eberhard Beckmann argumentiert hatte, es habe sich um staatsbürgerliche Erziehung und keine Verunglimpfung der Republik gehandelt. Kulenkampff reagierte auf den juristischen Schildbürgerstreich in der letzten Folge des Städtequiz - und da zitiere ich mal eben den SpiegelDer Conférencier sagte zu einem aus dem Publikum auf die Bühne gebetenen Schlosser, der Preisfragen aus der Staatsbürgerkunde beantworten sollte: "Sie sind hoffentlich ein guter Staatsbürger." Die Bemerkung des Schlossers, er hoffe es zu sein, kommentierte Kulenkampff unter starkem Beifall: "Nun, das habe ich auch einmal gehofft". Gegen Sarah Connor wurde nie wegen Verunglimpfung der Hymne ermittelt.

Es wäre schön, wenn es bei YouTube Peter Ustinovs erste deutsche Fernsehshow vom Montag, dem 20.9.1971 zu sehen gäbe. Die widmete sich dem Kult der Nationalhymnen und war sehr, sehr witzig. Der in Schwäbisch-Gmünd evangelisch getaufte Baron von Ustinov sagte über Nationalhymnen: Ich hege keinen besonderen Respekt für Nationalhymnen. Sie sind gewöhnlich aggressiv und einfach grässlich, (...) die Texte reinweg lächerlich. (...) Und mir scheint es ein Zerrbild zu sein, dass wir dabei stehen, bei Beethovens Streichquartetten dagegen sitzen.

Auf ihrem Parteitag in Karlsruhe hat die CDU in diesem Jahr die Bundesregierung aufgefordert, sich dafür einzusetzen, das Grundgesetz im Artikel 22 um folgende Passage zu ergänzen: Die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland ist die dritte Strophe des Liedes der Deutschen mit dem Text von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und der Melodie von Joseph Haydn. Bisher stand im Artikel 22 nur der Satz: Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold. Allerdings kann das Grundgesetz nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden, und die ist wohl nicht so leicht zu bekommen. In diesem Jahr auf jeden Fall nicht mehr.

Fünfundsechzig Jahre nach der Silvesteransprache von Theodor Heuss ist unsere Hymne immer noch ein Thema. Wir machen uns das nicht leicht, auch wenn die meisten Deutschen die dritte Strophe wahrscheinlich nicht beherrschen. Da hat sich seit Kulenkampff wenig geändert. Unsere Nationalhymne bleibt eine unendliche Geschichte. Und falls Sie heute Sir Toby, Admiral von Schneider. Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom als Gäste von Miss Sophie vermissen, die sind alle hier.

Ich wünsche all meinen Lesern alles Gute für das neue Jahr.

Und noch mehr Nationalhymen gibt es hier: German German Overalls, Kurgäste, 3. Oktober, 25 Jahre, Joseph Haydn, God Save the King, Hanns Eisler, Schicksalstag, Einer wird gewinnen, WM, Fußballpoesie, Hochzeitsmarsch, Großer Zapfenstreich, Schnelldampfer Bremen, The Happy WandererNico, 14. Juli, Arkadien, Farbsymbolik, Het Wilhelmus, Stars and Stripes Forever, Stephen Foster, Jimi Hendrix, Rational Anthem, Amtszeit, Richard Nixon, Andante ma non troppo, Gone with the Wind, Montcalm, Québec, Hans Matthison-Hansen, Vilhelm Marstrand, Beresina

Dienstag, 29. Dezember 2015

Malerinnen


Das Jahr geht zu Ende, ich schreibe mal eben einen klitzekleinen Post. Für die kanadische Malerin Elizabeth Adela Forbes (eine geborene Armstrong), die am 29. Dezember 1859 geboren wurde. Sie hat hübsche impressionistische Bilder gemalt wie dieses Bild, das Blackberry Gathering heißt. Sie malt in einer Zeit, in der auch Paula Modersohn-Becker malt, aber ihre Bilder haben nichts von der Worpsweder Torf Tristesse.

Sie hat gute Lehrer gehabt, wie zum Beispiel William Merritt Chase in New York und Frank Duveneck in München. ➱Chase und ➱Duveneck haben in diesem Blog schon einen Post. Das halbe Jahr in München ist die unglücklichste Zeit in ihrem Leben gewesen, weil man sie als Malerin nicht ernst nahm. Das ist das Problem der Malerinnen, die man manchmal despektierlich als Malweiber bezeichnet, überall in dieser Zeit. Elizabeth Armstrong ist 1885 nach Newlyn in Cornwall gezogen, später nach St Ives. Als sie nach Newlyn kam, hatte sie ihr Studio in einem Schuppen, in dem der Fischer, bei dem sie wohnte, seine Netze verstaute. Ich habe in dem Post ➱Michael Ancher geschrieben: Fischer am Strand zu malen (und das einfache Volk bei der Arbeit), ist eine Modeerscheinung vom Ende des 19. Jahrhunderts. Das ist vielleicht ein wenig bösartig, aber es ist nun mal so. Die bürgerlichen Maler entdecken den einfachen Mann.

Forbes Leben in St Ives in Cornwall war dagegen schon etwas luxuriöser (dieses Bild ist nicht aus Cornwall, das hat sie in Holland gemalt). In St Ives hat sie ihren Ehemann, den Maler Stanhope Forbes, kennengelernt und mit ihm die Newlyn Art School gegründet. Die Maler von Newlyn kommen schon in den Posts ➱Frank Bramley und ➱George Spencer Watson vor), der Künstlerort St Ives taucht schon in den Post ➱Alfred Wallis (und in ➱Heringe) auf. Es wäre mir lieber, wenn die vielen tausend Leser, die den Post George Spencer Watson angeklickt haben, den Post zu dem Amateurmaler Alfred Wallis angeklickt hätten.

Elizabeth Forbes ist eine interessante und gute Malerin gewesen, aber ich habe das Gefühl, dass man sie heute kaum noch kennt. Sie beherrschte den Kupferstich sehr gut (sie hatte sich an den Stichen von Whistler geschult) und hat diese Technik in Zandvoort auch einige Zeit gelehrt. Und sie hatte auf Ausstellungen durchaus Erfolg. Wofür eine Medaille bei der Internationalen Ausstellung von Paris und eine Goldmedaille bei der World's Columbian Exposition sprechen. Manche Werke von ihr sind heute noch als Drucke der Renner. Dazu gehört auf jeden Fall das Bild ➱School is Out, das sie in Newlyn gemalt hat.

Aber ich nehme mir zum Schluss lieber dieses Fischermädchen, das sie 1884 in Zandvoort malte. Ist nicht so strahlend fröhlich wie ➱The Shrimp Girl von ➱Hogarth, aber das Bild hat etwas. Eine erstaunliche Abstraktion und doch viel Atmosphäre. Ich könnte jetzt noch länger über sie schreiben, aber ich wollte ja heute mal einen kurzenPost schreiben. Und deshalb erwähne ich zum Schluss nur noch die Biographie, die Judith Cook (zusammen mit Melissa Hardie and Christiana Payne) über die Malerin geschrieben hat: Singing from the Walls: The Life and Art of Elizabeth Forbes. Das Buch hat natürlich auch School is Out auf dem Umschlag.

Man hätte ja auch mal etwas anders nehmen können, wie zum Beispiel dieses Bild von ihrem Sohn (The Half Holiday, Alec home from school). Das Bild aus dem Jahre 1909 ist 2007 bei Sotheby's verkauft worden (es hat ➱hier eine sehr gute Beschreibung, da hat man sich bei Sotheby's mal Mühe gegeben). Die sommerliche Szene markiert auch die Wende im Leben von Elizabeth Forbes, die Ärzte diagnostizieren Tuberkulose und Unterleibskrebs, sie wird 1912 sterben. Sie braucht nicht mehr zu erleben, dass der Leutnant Alexander Forbes (➱hier von seinem Vater gemalt) an der ➱Somme stirbt.

Stanhope Forbes hat alle in der Familie überlebt, er ist neunzig Jahre alt geworden. In manchen seiner Bilder scheint er von seiner Frau beeinflusst worden zu sein. Bei diesem Bild einer stickenden Fischerfrau (The Harbour Window) ist es schwer zu sagen, ob es von Elizabeth oder von Stanhope Forbes ist. Es ist von Stanhope Forbes, und es bedeutete seine Aufnahme als Vollmitglied der Royal Academy. Die Ausbalancierung von Innen- und Außenlicht gelingt Stanhope Forbes viel gefälliger als Frank Bramley in seinem zwanzig Jahre zuvor gemalten Vorzeigestück A Hopeless Dawn.

Die Freiluftmalerei siegt über die braunsoßige Malerei des Realismus des 19. Jahrhunderts, man kann das am Vergleich von A Hopeless Dawn und The Harbour Window sehr schön sehen. Die Bilder der Queen of Newlyn (wie ein Nachruf sie 1912 nannte) haben immer wieder Käufer gefunden. Viele Bilder von ihr werden heute verauktioniert; was bei Sotheby's und Christie's angeboten wird, liegt preislich irgendwo zwischen fünfzig- und hunderttausend Pfund. Dieses kleine Aquarell hat sie gemalt, als sie (wie so viele Maler damals, die sich der plein air Malerei verschrieben) die Küste von der Bretagne bis Holland bereiste. Also, bevor sie in England eine neue Heimat fand.


Dieser Blog hat immer wieder Malerinnen vorgestellt, von denen manche nicht so bekannt waren. Das ist ja auch so eine geheime Maxime dieses Blogs, dass hier Dinge stehen, die woanders nicht stehen. Sie könnten auch noch in diese Posts hineinschauen: Anna Waser, Hannover, Claude, Charles Willson Peale, Sir Henry Raeburn, Angelika Kauffmann, Reiter, Berthe Morisot, Dänische Kunst, Skagen, Nordlichter, Fritz Overbeck, Heinrich Vogeler, Kunsthalle Bremen, Hinrich Wrage, Georg Trakl, Albert Weisgerber, Lichtgebet, John French Sloan, Lilla Cabot Perry, Henry James, Edwin Arlington Robinson, ythlaf, Einsamkeit, Jo Hopper (und Eddie), Vanessa Bell, Alfred Wallis, Kapitänshunde, Pop, Amanda Lear, Teckel & Corgwn, George IV, Franco Costa, Lilli Martius, Willi Vogel

Sonntag, 27. Dezember 2015

Michel Piccoli


Weshalb er in The Lines of Wellington mitgespielt hat, weiß ich nicht. Wahrscheinlich wollte er ➱Catherine Deneuve Gesellschaft leisten, die sich auch in diesen ➱Zelluloidschrott verirrt hatte. Aber vielleicht hat ihn das auch gereizt, er liebt ja kleine Rollen in Filmen zu spielen. Wie in Hitchcocks Topaz, wo er als Doppelagent agiert. Zugegeben, der Filmtod von Karin Dor (lesen Sie ➱hier mehr) ist gut gemacht. Ist aber nichts gegen die Szene, in der es Piccoli klar ist, dass er enttarnt worden ist. Er verlässt den Saal, geht still nach Hause und bringt sich um. Topaz ist einer der schlechtesten ➱Filme von Hitchcock, oder wie der Telegraph schrieb:

This really is the low point, without even star value to get us through a limply tortuous plot: it's about the uncovering of a Soviet spy in General de Gaulle's retinue. Save for a single overhead view of Karin Dor being shot, her purple dress spilling out in a lifeless pool beneath her, all imagination was absent, and the ending had to be recut in total desperation, without a shred of suitable footage to imply Michel Piccoli's suicide. Hitchcock blew this one, and knew it. Truffaut Fans gucken sich diesen Film natürlich nur wegen ➱Claude Jade an.

Michel Piccoli war elf Jahre mit ➱Juliette Gréco verheiratet (aus der ersten Ehe mit Éléonore Hirt hat er eine Tochter), jetzt ist er seit fünfunddreißig Jahren mit Ludivine Clerc verheiratet. Die der Wikipedia Artikel als Großgrundbesitzerin bezeichnet. Das mag sie auch sein, aber sie ist auch Drehbuchautorin und Schauspielerin, das sollte man nicht unterschlagen.

Er war immer mit schönen Frauen zu sehen, er hat gerne mit Romy Schneider zusammen gespielt, wie in Die Dinge des Lebens, Das Mädchen und der Kommissar oder hier in Trio infernal (und noch in anderen Filmen). Ich fand Sautets Melodram Die Dinge des Lebens damals ziemlich kitschig (finde ich wahrscheinlich heute noch). Es war für mich auch eine Enttäuschung, weil Sautet wenige Jahre zuvor einen klassischen Gangsterfilm wie Der Panther wird gehetzt mit Lino Ventura gedreht hatte (zu Lino Ventura gibt es hier einen Post). Aber Piccoli mochte Sautet und drehte viele Filme mit ihm.

Sautets Film ➱ Les choses de la vie mochte ich allerdings, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass Lea Massari da mitspielte. Von diesem Film hat es mal ein amerikanisches Re-Make gegeben, wo Richard Gere die Rolle von Michel Piccoli spielt. Gere kann man vergessen, aber die rothaarige Lolita Davidovich war auch in dem Film, und die vergisst man natürlich nicht. Piccoli war am Anfang seiner Karriere mit Bunuel berühmt geworden, und Bunuel ist eine ganz andere Sache als Sautet mit seinen love stories. Aber die Franzosen lieben das Erzählkino mit seinen Geschichten.

In ➱Claude Lelouchs Komödie Männer und Frauen, eine Gebrauchsanleitung bringt eine Figur den schönen Satz: der amerikanische Film erzählt eine kleine Geschichte mit riesigen Mitteln, der französische Film erzählt eine riesige Geschichte mit kleinen Mitteln. Und das wird er immer wieder tun. Schauen Sie doch einmal in diese wunderbare ➱Szene von Männer und Frauen, eine Gebrauchsanleitung, dann wissen Sie, weshalb die Franzosen diese Sorte Film immer wieder drehen werden. Truffaut hatte schon recht: Le cinéma c'est de l'art de faire faire de jolies choses à de jolies femmes.

Wenn Piccoli bei Sautet auch gradlinige Charaktere spielt, ist er doch in vielen anderen Filmen immer ein wenig zwielichtig. So wie hier in Belle de Jour: äußerlich der korrekte Bourgeois, aber doch geheimnisvoll, hintergründig. Er hat einmal gesagt, er würde gerne so spielen wie Munch malte. Er liebt es, seine Rollen mit ein wenig Theorie zu untermauern, er hat in Interviews viel über seine Rollen und seine Filme gesagt. Sie können auf dieser Seite der ➱Cahiers du Cinéma ein langes ➱Interview mit ihm lesen.

In Godards Le Mépris (Die Verachtung) hatte er seine erste Hauptrolle. Wir sehen ihn hier nackt mit Hut in der Badewanne, ➱Brigitte Bardot (die seine Ehefrau spielt) trägt eine Perücke. Er spielt einen Drehbuchautor in der Krise, so wie Godard in den sechziger Jahren ständig in einer Krise zu sein scheint. Ich habe an meinen Figuren oft bemerkt, dass ich eigentlich den Regisseur spiele. Die Regisseure delegieren ihr Geheimnis an mich, hat er einmal gesagt. Für Le Mépris gilt das auf jeden Fall.

Truffaut hatte keine großen Aversionen gegen Hollywood. Dort hat er 1962 Hitchcock interviewt, woraus dann sein großartiges Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? entstand ist. Und er flog nach Hollywood, um in Close Encounters of the Third Kind mitzuspielen. Godard dagegen weigerte sich vor fünf Jahren, den Ehrenoscar in Hollywood anzunehmen. Auf die Frage Why don’t you attend the award ceremony? antwortete er: I don’t have a visa for the US and I don’t want to apply for one. And I don’t want to fly for that long. Mit Michel Piccoli (hier mit Emmanuelle Béart in Die schöne Querulantin) hätte Hollywood nichts anfangen können. Topaz bleibt sein einziger Hollywoodfilm.

Mein Lieblingsfilm mit Piccoli, da brauche ich nicht lange nachzudenken, ist Eine Komödie im Mai (Milou en Mai). Ich glaube, es ist auch die einzige DVD mit ihm, die ich habe. Stimmt nicht ganz, da er mit einer Nebenrolle in Der Teufel mit der weißen Weste (Le Doulos) von Jean Pierre Melville auftaucht, und diesen ➱Regisseur habe ich komplett. Louis Malles Film Eine Komödie im Mai hat hier schon einen Post, der ➱Mai-Unruhen heißt.

Der französische Schauspieler Jacques Daniel Michel Piccoli wird heute neunzig Jahre alt. Seit siebzig Jahren ist sein Gesicht auf der Leinwand zu sehen, mehr als zweihundert Filme hat er gedreht. Arte TV lässt ➱hier seine Karriere in 5 Minuten und 28 Sekunden ablaufen. Und ich gratuliere ihm natürlich ganz herzlich. Und falls Sie noch mehr französischen Film haben wollen, könnten Sie ja einmal hier hineinschauen:


Waltz into Darkness, ➱Spielregeln, ➱Jacqueline Bisset, ➱Et Dieu… créa la femme, ➱Fanny Ardant, ➱Mireille Darc, ➱Katharine Ross, ➱Arletty, ➱Uschi Glas, ➱François Truffaut, ➱Bertrand Tavernier, ➱Fahrstuhl zum Schafott, ➱Alain Resnais, ➱Mai-Unruhen, ➱Henri Langlois, ➱Bourgeoisie, ➱Roman Polanski, ➱Michel Legrand, ➱Jacques Tourneur, ➱Ma Nuit Chez Maud, ➱La vie de chateau, ➱temps perdu, ➱Lastkraftwagen, ➱Aimez-vous Brahms?, ➱Bonnie und Clyde, ➱Robbe-Grillet, ➱Yves Montand, ➱Jean Gabin, ➱Lino Ventura, ➱Jean Desailly, ➱Jean-Louis Trintignant, ➱Mundharmonika, ➱Menschen am Sonntag, ➱Fantasy, ➱Blazer, ➱Raffaele Caruso, ➱Kulturwandel, ➱Paris, ➱Paris, Sommer 1959, ➱Sabbelkino, ➱Piloten, ➱Ray Bradbury, ➱Jacques Tourneur, ➱Angie Dickinson, ➱Steve Cochran, ➱Two-Lane Blacktop

Samstag, 26. Dezember 2015

Weihnachtsgeschenke


Weihnachtsgeschenke, Weihnachtsgeschenke. Ich habe sie noch nicht alle ausgepackt, habe noch nicht mal alle Briefe und Karten gelesen. Ich lasse mir damit immer Zeit, und in diesem Jahr ist das Weihnachtsfest ja sehr lang. Einige Geschenke möchte ich doch hier erwähnen, weil es Bücher sind, die auch meine Leser interessieren könnten. Und damit meine ich jetzt nicht, dass ich eine Erstausgabe von Chandlers The Simple Art of Murder geschenkt bekommen habe. Dazu können Sie natürlich viel in diesem ➱Post lesen. Nein, ich meine ein ➱Buch wie Ein Feentempel der Mode oder Eine vergessene Familie, ein ausgelöschter Ort: Die Familie Freudenberg und das Modehaus Herrmann Gerson von Gesa Kessemeier.

Ich bin auf das Thema der Vernichtung der Berliner Modewelt schon in den Post ➱Haute Couture und ➱Wilfrid Israel (und vielleicht auch in ➱Damenmode) eingegangen. Und ich will auch gerne im Vorbeigehen Bücher wie Gloria Sultanos Wie geistiges Kokain: Mode unterm Hakenkreuz (1995) oder Irene Guenthers Nazi Chic? Fashioning Women in the Third Reich (2004) erwähnen, die alle noch nicht das letzte Wort in der Aufarbeitung dieses zu lange vernachlässigten Themas sein können. Denn seit Uwe Westphals Buch Berliner Konfektion und Mode: Die Zerstörung einer Tradition 1836-1939 aus dem Jahre 1992 hätte man eine Vielzahl von Publikationen erwartet.

Aber wir tun uns da offensichtlich bei solchen Themen schwer. Ich habe mehrfach auf Uwe Westphals Buch hingewiesen, ein Buch, das für die Berliner Mode wohl wichtiger ist als die Schriften des Nazis Hermann Marten von Eelking (der schon ➱hier erwähnt wird, da gibt es auch einen Link zu seinem Buch über das modische Braunhemd). Uwe Westphal hat mir geschrieben und mich darauf aufmerksam gemacht, dass er gerade einen ➱Roman (Ehrenfried & Cohn) zu diesem Thema geschrieben hat. Dafür gibt es hier gerne ein wenig Werbung.

Aller guten Dinge sind drei. Ich kann nicht über alle Geschenke schreiben, habe  sie noch nicht alle ausgepackt. Selbstverständlich besaß ich Ausgaben von The Simple Art of Murder, aber eben keine Erstausgabe. Von Gesa Kessemeiers Buch hatte ich noch nie zuvor gehört, von dem dritten Buch auch nicht. Es ist von Christine L. Corton und heißt London Fog: The Biography. Meine Freunde schaffen es zu Weihnachten und an Geburtstagen immer wieder, mich zu überraschen. Da kann ich Themen, die mich interessieren, mittels der Jahresbibliographie der MLA bibliographieren, so lange ich will, irgendetwas entgeht mir immer. Und das bekomme ich dann geschenkt, Feste sind eine schöne Sache.

Christine L. Corton ist die Gattin von Sir Richard John Evans, dem Historiker, der eine auch in Deutschland bekannte Geschichte des sogenannten Dritten Reichs geschrieben hat. Wir könnten Sie auch Lady Evans nennen. Vor fünf Jahren hat sie von der Universität Kent einen Doktortitel für ihre Dissertation London Fog as a Cultural Metaphor in Victorian and Edwardian Literature erhalten, und die hat sie nun bis zum Clean Air Act von 1956 erweitert und umgeschrieben. Das Wetter in der Literatur ist ja ein schönes Thema für Doktorarbeiten, ich darf daran erinnern, dass ➱F.C. Delius schon 1971 die Dissertation Der Held und sein Wetter: Ein Kunstmittel und sein ideologischer Gebrauch im Roman des bürgerlichen Realismus vorgelegt hatte.

Aber London Fog: The Biography ist etwas anderes als das Buch von Delius, Ideologie kommt hier nicht vor. Dies ist eine Kultur- und Sozialgeschichte des Londoner Nebels. Natürlich habe ich erst die ersten Kapitel gelesen und kann noch nicht endgültig über das Buch urteilen, doch alle Rezensionen sind sehr lobend. Das Buch erinnerte mich manchmal ein klein wenig an dieses tolle Buch über die Cholera in Hamburg, das ich vor Jahrzehnten gelesen hatte.

Das musste ich erst suchen. Erkannte dann aber, dass der Rowohlt Band Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830–1910 von niemand anderem als dem Ehemann von Christine L. Corton war. Solch hervorragende kulturgeschichtliche Studien bleiben offensichtlich in der Familie. das ist irgendwie sehr witzig. Es sind immer wieder die Engländer, die solche Bücher schreiben. Der einzige Deutsche, der da mithalten kann, ist Wolfgang Schivelbusch, aber von dem habe ich auch lange nichts mehr gelesen.

Viele Leser haben mir Weihnachtsgrüße geschickt, verbunden mit dem Wunsch, dass es mit diesem Blog im Jahre 2016 so weitergehen möge wie bisher. Keine Sorge, deo volente nobis viventibus, wird das so sein.

Donnerstag, 24. Dezember 2015

Weihnachten


Die Geschichte ist alt, sie ist immer wieder erzählt worden. Es gibt viele Varianten von dieser Erzählung. Diese Geschichte hat einen Erzähler, und der versichert uns, dass die Geschichte wahr ist. Das müssen wir glauben: Schon viele haben versucht, die Ereignisse zusammenhängend darzustellen, die Gott unter uns geschehen ließ und mit denen er seine Zusagen eingelöst hat. Diese Ereignisse sind uns überliefert in den Berichten der Augenzeugen, die von Anfang an alles miterlebt hatten und die den Auftrag erhielten, die Botschaft Gottes weiterzugeben. So habe auch ich mich dazu entschlossen, all diesen Überlieferungen bis hin zu den ersten Anfängen sorgfältig nachzugehen und sie für dich, verehrter Theophilus, in der rechten Ordnung und Abfolge niederzuschreiben. Du sollst dadurch die Zuverlässigkeit der Lehre erkennen, in der du unterwiesen wurdest.

Und dann erzählt er mit einfachen Worten seine Geschichte: Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger von Syrien war. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum daß er von dem Hause und Geschlechte Davids war, auf daß er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe, die ward schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und siehe, des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

Ich wünsche all meinen Lesern ein frohes Weihnachtsfest. Und Frieden und Wohlgefallen.

Mittwoch, 23. Dezember 2015

Schöne Aussichten


Morgen Kinder wird's was geben, morgen werden wir uns freuen. Na ja, nicht alle. Wir geben mit diesem Cartoon mal eben denen das Wort, die sich nicht freuen werden. Sie kennen meinen ➱Lieblingscartoonisten schon, mit dem ich zur Schule gegangen bin und der zeichnet, seit ich ihn kenne. Er war schon mehrfach in diesem Blog (zuletzt, glaube ich, im ➱Januar). Jetzt zum Fest hat er wieder den Zeichenstift in die Hand genommen, und das hier kommt dabei heraus. Ja, Karikaturen sind geistige Akupunktur ohne therapeutische Absicht, wie der große ➱Ronald Searle sagte. Und wir hoffen natürlich, dass sich der kleine Pascal über die Königskobra freut.












Dienstag, 22. Dezember 2015

Wintersonnenwende


Heute ist der kürzeste Tag des Jahres, heute wendet es sich, heute ist der Tag des unbesiegbaren Sonnengottes (sol invictus). Da, wo wir im Deutschen mit dem Wort Wende eine Bewegung haben, haben die Engländer einen Stillstand: solstice. Das Wort, das seit dem 13. Jahrhundert in der englischen Sprache ist, kommt aus dem Lateinischen. Kommt von der Sonne (sol) und dem Stillstehen (sistere). Ich dachte mir, wie feiern den Tag mal mit einem kleinen Gedicht und diesem schönen Winterbild von ➱Lucas van Uden. Das Gedicht heißt Ice Moon Chronograph: 18, ich habe es in dem Blog von ➱Red Shuttleworth gefunden.

Abrupt warm-up, false April in December....
You half expect a baby rattler in the rocks.
Winter solstice: time for new laugh-movies,
songs of entombment, early-dark sadness.
Apocalyptic sunlight: the hound refuses kibble.

Wir können dem Gedicht entnehmen, dass es vor einem Jahr in der Gegend von Moses Lake im Staat Washington genau so warm war, wie es jetzt bei uns ist. Ein Phänomen, das gar nicht so ungewöhnlich ist, Kapriolen des Wetters hat es schon immer gegeben. Im Januar 1768 schreibt der Landpfarrer und Naturwissenschaftler Gilbert White: We have had a very severe frost and deep snow this month. My thermometer was one day fourteen degrees and a half below the freezing point, within doors. The tender evergreens were injured pretty much. Da liegt noch Schnee im englischen Selborne. Aber am Ende des Jahres notiert White: Weather more than April than the end of December. Hedgesparrow sings.

Und 1782, am Tag der Wintersonnenwende, ist es wieder so warm: Furze is in bloom... Shortest day. Das folgende Jahr ist meteorologisch noch interessanter: The summer of the year 1783 was an amazing and portentous one, and full of horrible phaenomena; for besides the alarming meteors and tremendous thunder-storms that affrighted and distressed the different counties of this kingdom, the peculiar haze, or smokey fog, that prevailed for many weeks in this island, and in every part of Europe, and even beyond its limits, was a most extraordinary appearance, unlike anything known within the memory of man. By my journal I find that I had noticed this strange occurrence from June 23 to July 20 inclusive, during which period the wind varied to every quarter without making any alteration in the air. The sun, at noon, looked as blank as a clouded moon, and shed a rust- coloured ferruginous light on the ground, and floors of rooms; but was particularly lurid and blood-coloured at rising and setting. All the time the heat was so intense that butchers' meat could hardly be eaten on the day after it was killed; and the flies swarmed so in the lanes and hedges that they rendered the horses half frantic, and riding irksome. 

The country people began to look with a superstitious awe, at the red, louring aspect of the sun; and indeed there was reason for the most enlightened person to be apprehensive; for, all the while, Calabria and part of the isle of Sicily, were torn and convulsed with earthquakes; and about that juncture a volcano sprung out of the sea on the coast of Norway. On this occasion Milton's noble simile of the sun, in his first book of Paradise Lost, frequency occurred to my mind; and it is indeed particularly applicable, because, towards the end, it alludes to a superstitious kind of dread, with which the minds of men are always impressed by such strange and unusual phaenomena.

As when the sun, new risen,
Looks through the horizontal, misty air,
Shorn of his beams; or from behind the moon,
In dim eclipse, disastrous twilight sheds
On half the nations, and with fear of change
Perplexes monarchs….

Den vorbeiziehenden Meteor im Absatz oben hat der englische Maler Paul Sandby gemalt (der wird schon in dem Post ➱Aquarellmalerei erwähnt). Diese Radierung stammt von Henry Robinson. In Deutschland haben wir 1783 das gleiche Wetter wie in England. Den ganzen Sommer lang notiert Georg Lichtenberg eine Anhäufung von Gewittern mit einer Vielzahl von Blitzen, insbesondere um Einbeck. Nun muss man dazu sagen, dass er gerade mit dem Thema Blitzableiter beschäftigt ist, da zählt jeder Blitz doppelt. Aber irgendetwas ist anders mit dem Wetter in diesem Sommer, ein nebliger Rauch scheint über allem zu liegen. ➱Lichtenberg schiebt es auf die armen Kolonisten an der holländischen Grenze, die das Moor abbrennen (diese Praxis wird erst 1923 verboten). Das steht auf jeden Fall in dem Gutachten, das der Professor Lichtenberg erstellt. Auch ein anderer Gelehrter, Christoph Gottfried Bardili, äußert sich 1783 Über die Entstehung und Beschaffenheit des außerordentlichen Nebels in unserer Gegend. Aber eigentlich ist er Philosoph und beschäftigt sich eher mit dem transzendentalen Nebel Immanuel Kants, den er nicht ausstehen kann. Aber die Herren tappen alle im wissenschaftlichen Nebel, wir wissen heute, dass Islands ➱Vulkane Schuld an dem Wetter sind (1816, dem Geburtsjahr der ➱Vampirliteratur, wird es einen ähnlichen Sommer geben).

Lichtenberg denkt nicht nur über Gewitter nach, er lässt auch an seinem Haus einen Blitzableiter anbringen, denn er weiß: Dass in den Kirchen gepredigt wird, macht deswegen die Blitzableiter auf ihnen nicht unnötig. Und er wäre nicht Lichtenberg, wenn er nicht auch über Wetter, Gewitter und Blitze spotten könnte: Der liebe Gott muß uns doch recht lieb haben, daß er immer in so schlechtem Wetter zu uns kommt.

Oder ich zitiere doch noch einmal Schopenhauer: Wir haben das Wetter nicht in der Hand. Genauso wie wir das schöne Wetter genießen, bleibt uns nichts anderes übrig, als das schlechte Wetter - wie alle Mühen des Alltags - zu »durchleben«.

Samstag, 19. Dezember 2015

Französische Herrenschuhe


Franzosen haben zu Schuhen ein besonderes Verhältnis. On reconnaît un homme chic à sa chaussure et à sa cravate, hat Henri Hellstern gesagt. Der handelte mit Schuhen, der muss so etwas sagen. Aber in Frankreich spricht sogar der Dichter schon einmal von seinen Schuhen, wie Rimbaud in der letzten Strophe seines ➱Gedichts Ma bohème (Fantasie)Où, rimant au milieu des ombres fantastiques, Comme des lyres, je tirais les élastiques De mes souliers blessés, un pied près de mon coeur!

Bei Henri Hellstern findet sich die wunderbare kleine Geschichte über die Wichtigkeit von Schuhen, mit der er seinen Satz On reconnaît un homme chic à sa chaussure et à sa cravate beweist: Témoin cette petite histoire. Un jour, sur les boulevards, je croise une péripatéticienne, elle regarde mes chaussures et me sourit. Une deuxième me croise encore et regarde mes chaussures et sourit. Étonné, je l'accoste et lui en demande la raison. Elle me répond: Dans notre métier, on regarde d'abord le pied, on voit alors à qui on a affaire et l'on est sûr du portefeuille, bien garni.

Henri Hellstern war einer von drei Söhnen von Louis Hellstern, der 1870 das Schuhhaus Hellstern in der Rue du 29 juillet begründet hatte. Um die Jahrhundertwende zog man an den Place Vendôme (und eine Filiale in Old Bond Street gab es auch), da waren die Hellsterns schon eine feste Größe in der Welt der Luxusschuhe (man hatte auch eine Schuhfabrik mit hundert Schuhmachern). Eigentlich stellten sie Herrenschuhe her, aber berühmt wurden sie für ihre Damenschuhe. Wie zum Beispiel diese aus dem Jahre 1921, die man im Metropolitan Museum of Art bewundern kann.

Die Hellsterns tauchen natürlich in dem Buch L'art de la chaussure von Marie-Josephe Bossan auf, einer Kulturgeschichte des Schuhs, die auch in deutscher und englischer Sprache erhältlich ist. Die Verfasserin versteht etwas von Schuhen (was ja leider im Bereich der vielen ➱Modebücher nicht immer der Fall ist): sie ist die Leiterin von Le musée international de la chaussure in Romans-sur-Isère, einer Stadt, die einmal das Zentrum der französischen Schuhproduktion war. Bevor man in die Schuhe in Spanien, Portugal oder Italien produzieren ließ.

Die Geschichte mit den péripatéticiennes, die Hellstern erzählt, ist der Geschichte ähnlich, die der ➱Herzog von Bedford erzählt. Aber wo da ein englischer Oberkellner der arbiter elegantiarum ist, sind es hier Pariser Bordsteinschwalben. Das sind kleine, feine kulturelle Unterschiede. Das Thema Schuhe bedeutet für Franzosen offensichtlich mehr als für Deutsche. Wir haben sicher auch Bordsteinschwalben, aber keinerlei Äquivalent für große bunte Magazine wie dies hier. Glücklicherweise habe ich jemanden in Frankreich, der mich in Bezug auf die bunten Magazine auf dem laufenden hält. Von Zeit zu Zeit schickt mir mein ehemaliger Student Patrick Schmidt, der jetzt als Übersetzer in Frankreich lebt, diese schönen Hochglanzprodukte zu. Ich habe Patrick Schmidt schon in dem Post ➱007 erwähnt, weil ihm Sean Connery mal ein Autogramm gegeben hat.

Über französische Herrenschuhe zu schreiben, bedeutet über Corthay, Aubercy (hier ihr Laden in Paris), J.M. Weston und Berluti zu schreiben, aber ich fange mal ganz anders an. Als ich noch am Schreiben des Posts ➱Italienische Herrenschuhe war, ersteigerte ich nebenbei dieses Paar Schuhe, das als feinste engl. Handarbeit einer kleinen englischen Manufaktur apostrophiert war. Es war mir klar, dass kein Wort davon wahr war, aber der Schuh war mir die 27 Euro wert. Inzwischen ist er angekommen, es ist wirklich ein guter Schuh. Ich hatte zuerst einen italienischen Fälscher vermutet, denn die Adresse auf der Innensohle war die kurioseste Sache.

19th. Sunset Street London stand da als Adresse des Schuhmachers. Gäbe es eine Sunset Street in London - und es gibt sie natürlich nicht - würde ein Engländer 19 Sunset Street schreiben. Ohne ti-eitsch und ohne Punkt. Aber die Italiener, die gerne ihren Schuhen englische Namen geben, waren diesmal unschuldig. Auf der Sohle stand cuir veritable: dieser englische Schuh kam aus Frankreich. War aber eine erstklassige Arbeit.

Qualitativ natürlich nicht ganz so toll wie Aubercy, deren Schuhe sind so hochfein, dass man gar nicht auf die goldene Schrift treten mag. Mein Aubercy Schuh hier ist natürlich keine unbezahlbare Maßarbeit, das ist RTW (Ready to Wear). Und Made in Italy, wahrscheinlich von Enzo Bonafè hergestellt. Aber hochfein und vornehm. Und auch ein wenig englisch. Bevor das Geschäft für Herrenmode in den fünfziger Jahren in ein Schuhgeschäft umgewandelt wurde, hat sich Monsieur Aubercy erst einmal in England fachkundig gemacht.

Die Anglomanie treibt seltsame Blüten, doch sie ist in Frankreich schon lange zu Hause. Sicherlich ist Voltaire mit seinen Lettres anglaises daran nicht unschuldig, um 1760 hat die Anglomanie ihren ersten Höhepunkt. Man bewundert die englischen Philosophen, imitiert ihre ➱Kleidung, fährt englische Kutschen und legt englische ➱Landschaftsgärten an. Ian Buruma, der hervorragende Bücher zur Kulturgeschichte geschrieben hat, hat die Formen der Anglophilie und Anglomanie in Europa sehr schön in seinem Buch Anglomania: Europas englischer Traum (das es antiquarisch sehr preiswert gibt) aufgezeigt.

Franzosen haben englische Namen gerne, der Laden mit dem Namen Old England in Paris war einmal ein Jahrhundert lang eine Bastion der anglophilen Franzosen. Und John Lobb (Paris) war auch einmal eine englische Bastion. Aber dann hat die Familie Lobb die Filiale an Hermès verkauft (das sind die mit dem ➱Roland Barthes Seidentuch), und diese Firma lässt heute in Northampton Fabrikschuhe mit dem Namen John Lobb herstellen. Die natürlich niemand mit den ➱John Lobb Schuhen aus London verwechselt. Und auch nicht mit den geflügelten Schuhen jenes Hermes, der der Gott der Kaufleute und der Diebe ist. Ich weiß nicht, weshalb mir die Sache mit den Kaufleuten und den Dieben immer einfällt, wenn ich den Namen Hermès höre.

Und dann wäre neben John Lobb noch ein englischer Schuhmacher zu nennen, der inzwischen auch schon in der der französischen Haute Couture Furore macht. Engländer in Paris sind nicht so außergewöhnlich, schließlich ist es ein Engländer gewesen, der die Pariser Haute Couture begründet hat (lesen Sie mehr in dem Post ➱Charles Frederick Worth). Unser heutiger Engländer heißt Jimmy Choo (er kann inzwischen OBE hinter seinen Namen schreiben), er wurde bekannt, weil er die Schuhe für Prinzessin Diana machte. Er ist (wie ➱Manolo Blahnik) berühmt für seine Damenschuhe.

Die sicherlich kleine Kunstwerke sind, Jimmy Choo ist ein gelernter Schuhmacher wie Salvatore Ferragamo. Nicht jedermann (oder jede Frau) kommt mit den Schuhen zurecht: Last week, I cracked my ankle just putting it into a Jimmy Choo, sagt Patsy Stone in Absolutely Fabulous. Patsy Stone ist natürlich Joanna Lumley, die solche Sätze überzeugend rüberbringt. Aber auch wenn Jimmy Choo inzwischen Paris erobert hat, er ist vom Modeteufel in Versuchung geführt worden und hat eine Kollektion für Hennes & Mauritz entworfen. Billige Schuhe, die wie Kunstleder aussehen, lesen Sie doch einmal diesen ➱TestberichtIst der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.

Jimmy Choo ist nicht der einzige ausländische Schuhmacher, der in Paris Erfolg hat. Auch die Schuhe von Laszlo Vass kommen bei den Franzosen gut an, vor allem ist man da auch von der charmanten Tochter von Vass begeistert. Was hier das Pariser Pflaster verschönert, ist natürlich nicht der Theresianer von Vass, sondern der neue U(=Ugolini)- oder K-Leisten, der den Schuh aussehen lässt wie die Schuhe von Berluti, Corthay oder Aubercy.

Der Sohn von Edouard Blanchard (der eine Schuhfabrik in Limoges gegründet hatte) war zu Anfang des 20. Jahrhunderts der Meinung, dass ein englischer Name wie J.M. Weston gut für das Geschäft wäre. Zumal er gerade aus Amerika zurückgekommen war, wo er in Boston die amerikanische Schuhindustrie und den Einsatz der Goodyear Maschine studiert hatte. 1922 eröffnete man ein Geschäft an der Ecke von Rue de Courcelles und Boulevard de Courcelles, 1932 kam ein Geschäft auf den Champs Elysées dazu (Sie können die Geschichte der Firma hier verfolgen).

Der loafer, den man 1946 herausgebracht hatte, wurde in Frankreich (und in Amerika) in den sechziger Jahren zu einem Kultgegenstand, das können Sie schon in dem Post ➱Blazer lesen. Der moccasin 180 gehörte zur Standardausstattung der minets, die vor dem Szenetreff ➱Drugstore Schlange standen. Ich finde dieses Photo immer wieder rührend, weil ich genau das, was diese jungen Herren tragen, damals auch getragen habe. Allerdings hatte ich keine J.M. Weston Schuhe an den Füßen.

Mein einziger J.M. Weston Schuh sieht genau so aus wie dieser hier, und die wirklich komische Geschichte des Kaufes steht in dem Post ➱Rosstäuscher. Der Schuh ist mir mit seiner doppelten Sohle ein wenig zu schwer für den täglichen Gebrauch, die Firma hat so einen Hang zum Rustikalen. Macht aber auch elegante Schuhe. Habe ich schon an den Füßen von Helge Sternke gesehen, der viel von dieser Marke hält.

Die Firma Berluti lassen wir heute einmal draußen vor. Zum einen hat sie mit ➱Wayward Cows schon einen Post, zum anderen kann man in dem Post ➱Kiton/Chiton die etwas schmutzige Geschichte eines Skandals lesen, in dem Berluti Schuhe eine Rolle spielten. Berluti macht zwar Maßschuhe in Handarbeit in Paris, aber die Masse der Schuhe, die den Namen Berluti tragen, kommt von der italienischen Firma Stefanobi (die auch die Schuhe für Lanvin machen). StefanoBi war einmal ein Teil der Firma Stefano Branchini, gehört aber jetzt ebenso wie Berluti zu Louis Vuitton. Ich will nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass die Firma Berluti in diesem Jahr 120 Jahre alt ist und zu diesem Anlass im Februar ein dickes Bilderbuch Berluti: At Their Feet von Glenn O'Brien erscheinen wird.

Die Haute Couture Häuser in Paris haben in vielen Fällen die Schuhmode nicht ausgelassen. Natürlich haben Sie keine eigenen Fabriken, sondern lassen die Schuhe für sich produzieren. Die dann von sehr unterschiedlicher Qualität sind. Über Karl Lagerfeld Schuhe wollen wir lieber nicht reden. Manchmal suchen die Couturiers die Verbindung zu berühmten Schuhmachern, wie zum Beispiel Chanel und MassaroAls der letzte des Namens noch in der Werkstatt arbeitete, hatte er ein knappes Dutzend Gehilfen - wie will man da all die Schuhe für Chanel machen? Aber man braucht einen berühmten Namen und eine über hundert jährige Geschichte, der Rest ist Show Business.

Beinahe alle Haute Couture Häuser haben Turnschuhe, Verzeihung: Sneakers, im Angebot. Die preislich weit über dem liegen, was mein Adidas Rom 1962 gekostet hat. Die Sneakers von Dior Homme liegen preislich bei 500 bis 800 €, das ist etwas, was ich ziemlich pervers finde. Das ist aber noch nichts gegen diesen Schuh von Balmain, der aussieht, als sei er aus dem Fundus von Star Wars geklaut worden. Wenn Sie das Luke Skywalker Feeling haben wollen: das Paar kostet 1.450 Euro.

Und bei ebay bot ein Händler das Modell mit dem sprechenden Namen Pik Pik von Christian Louboutin für 5.000 Euro an und setzte agressiv dazu: Bitte nur realistische Preisvorschläge machen, denn die Schuhe sind keine Ramschware und somit auch nicht für die breite Masse bestimmt!!! Wer sich die Schuhe nicht leisten kann, soll mir bitte keine lächerlichen Preisvorschläge im dreistelligen Bereich machen!!!

Neben den großen Namen wie Aubercy oder Pierre Corthay (sie können den Meister ➱hier bei der Arbeit sehen, gibt es in Frankreich eine interessante Mittelklasse von Firmen, die alle Schuhe herstellen, die auf den ersten Blick so aussehen wie diese Maßschuhe von Aubercy. Sie werden nicht das gute Leder und nicht die handwerkliche Qualität haben (und die meisten werden auch keinen Service anbieten, der den Schuh mit einer Patina versieht), aber sie haben Stil.

Da müssen sich Firmen wie Finsbury schon mal vorhalten lassen, dass sie Berluti für Arme produzieren. In der Welt, in der der Teufel Prada trägt, ist man schnell mit solchen Sätzen dabei. Eine dieser Firmen aus dem mittleren Bereich ist Finsbury, die Firma ist dreißig Jahre alt, und sie hat in Paris schon beinahe zwanzig Filialen. Die in Boulogne-Billancourt mitgezählt. Bei ➱Billancourt fallen mir immer die toten Hunde in der Seine, die alten Filmstudios und die Renault Fabrik ein, ich kann nicht anders. Sie können sich hier das Angebot der Firma anschauen, da ist auch ein Sonderangebot für das Weihnachtsfest dabei: zwei Paar Schuhe für 320 Euro.

Finsbury ist wieder einmal ein englischer Name (die Firma Crockett & Jones hat übrigens auch ein Modell Finsbury im Angebot), und die Firmen Bowen, Emling und Loding, die sich alle im ähnlichen Preissegment bewegen, haben auch so einen englischen Klang. Man liebt diesen chic à l’anglaise, deshalb nannte Eric Botton die von ihm 1986 in Lyon gegründete Firma auch Bexley. Die Firmen Septième Largeur und Markowski haben keine englischen Namen, die beiden Marken (und Bowen und Emling) wurden von Marcos Fernandez Cabezas (hier mit seinem Neffen Matthew Preiss) gegründet. Die Schuhe kommen allerdings nicht aus Frankreich, die werden in Spanien und Portugal (unter anderem bei Carlos Santos) hergestellt. Die Schuhe von Marc Guyot werden wohl auch bei Carlos Santos produziert.

Septième Largeur bietet auch (wie Berluti und andere) eine Patinierung an. Schuhe werden zu kleinen Kunstwerken. Nimmt man die dann mit nach Hause und stellt sie auf einem Podest aus? Ich dachte immer, dass der Butler die Schuhe putzt. Nein, im Ernst, wir putzen natürlich selbst, wir halten es da mit ➱Abraham Lincoln. Der einmal zu Diplomaten, die ihn im Garten des Weißen Hauses beim Schuhputzen antrafen und ihm vorhielten, In England no gentleman ever cleans his own boots, geantwortet haben soll: Indeed? Whose boots do they clean then? Die Pik Pik Schuhe von Christian Louboutin brauchen natürlich keine Patinierung, die können Sie zu Hause mit der Sprühdose patinieren.

Die erste Firma, die neben Berluti solch einen Patinierservice in Paris anbot, war Altan, eine kleine Werkstatt, die der aus der Türkei gekommene Schuhmacher Sukru Sensozlu nach seinem gerade geborenen Sohn Altan benannt hatte. Zuerst war Sensozlu nur Maßschuhmacher, inzwischen hat man auch eine RTW Linie und heißt Altan Bottier. Und man hat eben diesen Service, der die Schuhe anpinselt. Die Schuhe der Marke kommen aus Spanien und ➱Portugal, da können wir mal raten, wer die herstellt.

Altans Partner Samy Gouasmia, der 1998 mit ihm die Firma Altan Bottier gründete, hat jetzt eine eigene Firma, die Gustavia heißt. Die Schuhe, die um die 340 € kosten (dieser wholecut kostet 410 €), aber sehr viel teurer aussehen, kommen auch aus Portugal. Gustavia ist eine der vielen Firmen, die in den letzten dreißig Jahren neu auf der Bildfläche erschienen. Die Firmen haben manches gemein: ihre Schuhe liegen in der Preisgruppe von dreihundert Euro (nur Loding ist konsequent preiswerter), die Firmen wurden häufig von Zuwanderern gegründet, die Produktion ist in den meisten Fällen nicht in Frankreich, und die Schuhe sehen sehr gut aus. Sehen auch nach viel mehr aus. Wie gut sie nach zehn Jahren aussehen, weiß man nicht. Über die Qualität informiert die Seite Parisian Gentleman kontinuierlich, die häufig die Lederqualität und die Verarbeitung kritisiert.

Was mich zu meiner letzten Marke bringt, die ein wenig aus dem ganzen heraus fällt. Die Firma Heschung im Elsass gibt es schon seit 1934, sie ist mit ihren zwiegenähten Schuhen der Liebling von Jägern, Förstern und Wilddieben. Wenn Sie The Heritage Post abonniert haben und die Schuhe von Viberg oder Trabert nicht mögen, dann ist Heschung genau das Richtige für Sie. Ich habe seit Jahren dieses Modell hier (war mal bei Manufactum im Angebot), ein Schuh, der wunderbar für Regen, Schnee und Matsch ist. Und dabei noch ganz gut aussieht. Für einen Allwetterschuh ist er geradezu elegant. Elegante Schuhe kann man bei Heschung auch, und ganz nebenbei sollte man erwähnen, dass die Firma auch die Freizeitschuhe für John Lobb Paris macht.

Das wäre meine kleine Übersicht über die Welt der französischen Schuhe. Es ist eine Art window shopping, sie sind wunderschön anzusehen, aber man braucht sie nicht unbedingt zu haben. Sicherlich wäre es schön, einen Schuh von Aubercy oder Corthay zu besitzen, aber wie Claude Chabrol sagte: On ne peut pas tout avoir. Et puis d'abord où le mettrait-on? Und das Geld, das man spart, wenn man keine Schuhe von Berluti, Aubercy oder Corthay kauft, kann man in diesen Tagen auch spenden. Ich habe mit der französischen Literatur angefangen, ich möchte auch damit aufhören. Nicht mit Arthur Rimbaud, sondern mit ➱Léo Malet, dem Verfasser dieser schönen Paris Romane mit dem Helden Nestor Burma (der seiner Sekretärin Hélène immer Schuhe schenkt, die ihr nicht passen). Es ist die Geschichte, wie der Franzose Léo Malet in das deutsche KZ Sandbostel bei ➱Bremen kommt.

Zuerst hatte ihn die französische Polizei wegen eines angeblich surrealistisch-leninistischen Komplotts festgenommen, aber nach kurzer Zeit aus dem Gefängnis entlassen. Beim Versuch, nach Paris zu gelangen, gerät er in eine deutsche Militärstreife: Ich trug einen hellen Einreiher, den ich mir von einem der besten Schneider in Paris hatte maßschneidern lassen. Er hatte nicht allzu arg unter seinem Aufenthalt im Gefängnis von Rennes gelitten. An den Füßen trug ich wunderschöne Wildlederschuhe in Herbstblattfarbe, eine unglaubliche Farbe, die ich später nie wieder fand. Jacques Prévert hatte sie mir geschenkt, als er eines Tages seine Garderobe sortierte. Herbstblattfarben! Jacques Prévert. Dieser Anzug und Préverts Schuhe landeten mit mir im Stalag. Dort nahm man sie mir ab... Das Ausrufezeichen hinter Herbstblattfarben! hat er wahrscheinlich deshalb gesetzt, weil ihn die Schuhe an Préverts berühmtestes Chanson Les feuilles mortes erinnerten. Wenn die Schuhe auch verloren sind, jetzt sind sie Literatur. Wir werden die wunderschönen Wildlederschuhe in Herbstblattfarbe nie vergessen. Oder die Schuhputzer vom Broadway, über die Prévert das ➱Chanson Les cireurs des souliers de Broadway geschrieben hat. Als Léo Malet seinem Verleger den ersten Roman seiner Reihe Les Nouveaux Mystères de Paris verkauft hatte, kaufte er sich als erstes ein Paar teurer neuer Schuhe.


Noch mehr Schuhe in den Posts: ➱Cliff Roberts, Artisan, ➱Wiener Leisten, ➱Englische Herrenschuhe (Trickers), ➱Englische Herrenschuhe (London) ➱Englische Herrenschuhe (Alfred Sargent), ➱Schuhe aus Portugal, ➱Italienische Herrenschuhe, ➱Dinkelacker, ➱Kuckelkorn, ➱Kiton/Chiton, ➱wayward cows, ➱Lord Byrons Schuhe, ➱Militärisches Schuhwerk, ➱Wildlederschuhe, ➱Chelsea Boots, ➱Wirkungen, ➱Zeit der Unschuld, ➱Gamaschen, ➱Christian Rohlfs, ➱Laurence Harvey, ➱Blazer, ➱Morning Coat, ➱Fernandel, ➱Léo Malet, ➱Schuhcreme