Samstag, 31. Januar 2015

Initialen


Das wird ja nun um die Welt getwittert und per E-Mail verschickt. Der indische Ministerpräsident Narendra Damodardas Modi hat, als Präsident Obama Indien besuchte, einen Anzug getragen, in dessen pinstripes sein Name eingewebt war. Mit Goldfäden. Das ist schon in Ordnung, wenn man Präsident eines so reichen Landes wie Indien ist, dann kann man sich solchen Luxus leisten. Nur wer in Wohlstand schwelgt, lebt angenehm, wie schon François Villon sang. Nein, es ist natürlich nicht in Ordnung, es ist eher pervers. In seinem wunderbaren Buch Voltaire's Coconuts, or Anglomania in Europe schreibt Ian Buruma an einer Stelle: And I noticed something odd: the poorer the country the fatter and more expensively dressed its representatives were.

Dass Namen auf Kleidungsstücken stehen, ist nichts Neues. Kiddies kriegen Namensschilder in die Kleidung genäht, bevor man sie aufs Internat oder ins Schullandheim schickt. Bundesligatrainer haben seltsame Botschaften auf ihren Hemdkragen. Und im England von König Arthur trugen schon die Ritter Werbebotschaften auf ihrem Blech. Auf jeden Fall steht das so bei dem immer zuverlässigen Historiker Mark Twain in A Connecticut Yankee in King Arthur's Court. Aber mit dem Kleidungsstück von Modi wird kein Konfektionshersteller beworben (der Schneider des guten Stücks möchte auch anonym bleiben), dies ist sozusagen ein advertisement for myself.

Das geht ja mit diesen ganzen Beschriftungen und Initialen zu weit. Das einzige Kleidungsstück mit Initialen, das ich besitze, ist ein dunkelblauer ➱Schlips mit rosa Schweinchen drauf. Die kleinen Schweinchen stehen mit ihren Füßen auf den Initialen MCP, was in diesem Fall kein exklusiver englischer Klub ist, sondern schlicht und einfach male chauvinist pig heißt. Verkaufte sich in England wie geschnitten Brot. An Touristen, an wen sonst? So etwas würden echte Engländer nicht kaufen.

Der indische Ministerpräsident ist übrigens nicht der erste, der solch einen Anzug trägt. Auch Präsident Mubarak hat solch einen Anzug gehabt (Bild). Wo der jetzt wohl sein mag? Und auch er war nicht der erste. Prince Philip soll einen Anzug besessen haben, dessen Streifen aus lauter kleinen Ps bestanden. Aber der berühmteste Anzug ist der mit den Buchstaben PC. Dessen Stoff hatte der englische Premierminister 1977 in Huddersfield weben lassen.

Der Stoff war ein Gastgeschenk für den amerikanischen Präsidenten. Man kennt in diesem Fall sogar die Tuchfabrik, die den Stoff gewebt hat (angeblich waren da auch Goldfäden eingewebt). Es ist BH Moxon and Son in Kirkburton bei Huddersfield. Die hatten damals wohl auch den Stoff für Prince Philip gewebt. Die Firma mit dem Motto Semper Optimum existiert übrigens heute noch, während so viele Firmen dort haben schließen müssen (lesen Sie an dieser Stelle vielleicht noch den Post ➱Ermenegildo Zegna).

Der Premierminister James Callaghan hat sich von dem Stoff für Jimmy Carter noch ein paar Meter abgeschnitten, denn das JC passte ja auch für ihn. Carter durfte den schönen Stoff natürlich nicht behalten, der wanderte zum Schatzamt oder sonst wohin. Weil kein amerikanischer Präsident Geschenke behalten darf. Das gilt für deutsche Beamte ebenso. Und wenn Sie im öffentlichen Dienst sind und eine kleine Plastik von Herrn Müller-Lüdenscheidt und Herrn Dr. Klöbner geschenkt bekommen, nehmen Sie sie um Himmelswillen nicht an. Mit oder ohne Quietscheente. Ist völlig egal. Kostet viertausend Euro. Hat eine ➱Berliner Lehrerin, die das von ihrer Klasse geschenkt kriegte, zahlen müssen.

Mir hat niemand je einen pinstripe suit mit Initialen geschenkt. Nicht einmal mit meinen Initialen im Futter. Ich habe auch niemals Geschenke erhalten, die man als Bestechung interpretieren konnte. Ich kann meinem ehemaligen Arbeitgeber aber gerne mitteilen, dass ich in fünfunddreißig Jahren fünf herrenlose Dosen meines Lieblingstabaks Gold Block, die unbeaufsichtigt in meinem Postfach im Geschäftszimmer lagen, an mich genommen habe.

In seiner ➱Rede bei dem Staatsempfang sagte Präsident Obama, der seinen schlichten blauen Anzug von HartMarx trug (lesen Sie ➱hier alles zu den Anzügen der amerikanischen Präsidenten): What I didn’t know until now is that he once survived an attack by a crocodile. So he’s tough. And he also has style. One of our newspapers back home wrote, “Move aside, Michelle Obama. The world has a new fashion icon.” (Laughter.) Tonight, I was thinking about wearing a Modi Kurta myself. Es gab einmal Zeiten, da waren indische Politiker einfacher gekleidet.

Es ist nur Eitelkeit unter den Menschen. Das haben schon die Barockdichter beklagt, die das Motiv der vanitas vanitatum strapaziert haben. Oder Johannes Daniel Falk (dem wir Oh du fröhliche verdanken) in seinem satirischen Gedicht Die Eitelkeit:

Wie fröhnt doch Alt und Jung der schnöden Eitelkeit! 
Sie trägt den Purpurrock, sie trägt das Derwischkleid, 
Gibt Mönchen Kutt' und Gurt, den Weiheschleyer Nonnen, 
Styliten Säulen hier, dort Diogenen Tonnen. 
Selbst noch im Tod' ist sie mit ihrer Gunst nicht karg. 
Sie stellt die Gueridons; lauscht am Paradesarg; 
Trägt Fackeln vor der Bahr, und schnitzt auf Marmorsteinen 
Verhüllte Engel aus — will uns kein Mensch beweinen.

Das geht jetzt noch ➱endlos weiter, das erspare ich uns einmal.

Donnerstag, 29. Januar 2015

Cinecittà und die Mode


Am 29. Januar 1936 hatte Benito Mussolini den Grundstein für die römische Filmstadt Cinecittà gelegt. In den fünfziger Jahren bekam sie den Beinamen Hollywood on the Tiber. Die Amerikaner hatten entdeckt, dass man dort billiger als in Amerika Filme drehen konnte. Der hübsche kleine Film Roman Holiday (Ein Herz und eine Krone) wurde zum Beispiel hier gedreht. Das Filmgeschäft brachte viele Amerikaner nach Rom. Was sich für die gerade gegründete Firma Brioni (die sich nach der Insel benannte, die in den dreißiger Jahren das Zentrum des internationalen Jet Sets war) auszahlte. Sie können ➱hier mehr zur Geschichte der Firma lesen. Gregory Peck war aber nicht deren Kunde, der ließ sich seine Anzüge bei ➱Huntsman in der Savile Row machen. Und Audrey Hepburn vertraute natürlich dem Grafen ➱Hubert de Givenchy in Paris, kaufte aber ihre berühmten Ballerinas bei Salvatore Ferragamo.

Mussolini wusste, was das Kino bedeutete, Il cinema è l'arma più forte, hat er gesagt. Was man in den dreißiger Jahren hier in Rom dreht, sind systemstabilisierende Filme, die ein wenig den Hollywood Film der dreißiger Jahre imitierten. Man hat für diese Zeit den schönen Begriff Telefoni Bianchi gefunden, weil man in der dargestellten luxuriösen Welt immer weiße Telephone sehen konnte. Der in dem Post ➱Ermenegildo Zegna erwähnte Film La contessa di Parma ist natürlich auch ein Film mit weißen Telephonen.

Die italienischen Neorealisten haben diese Sorte Film gehasst, bei ihnen wird es keine weißen Telephone auf der Leinwand geben. Aber wer im neorealismo angefangen hat, wirft als Regisseur später durchaus wie Antonioni einen Blick auf die große Welt. Und ich habe den Verdacht, dass Anna Gobbi die lingerie von Silvana Mangano und Doris Dowling in Bitterer Reis auch nicht im Warenhaus um die Ecke gekauft hat. Noch dreht Visconti, der sich immer für Mode interessierte, Filme wie Ossessione und La Terra trema, noch ist er nicht bei den wunderbaren Kostümfilmen des Alterswerks angekommen.

Aber selbst in Rocco e i suoi fratelli hat man sehr genau auf die Mode der fünfziger Jahre geachtet. Sie können in einem Blog mit dem Namen ➱irenebrinnation mehr dazu lesen. Der Blog hat seinen Namen natürlich nach der Modejournalistin Irene Brin, die auch die italienische Mode stark mitgeprägt hat. Über sie hat Vittoria Caterina Caratozzolo vor einigen Jahren ihr interessantes Buch The Birth of Italian Look 1945-1969 geschrieben. Eins der allerbesten Bücher über die italienische Mode ist jedoch von Irene Brin selbst. Es heißt Usi e costumi (1920-1940), es hatte den deutschen Titel Morbidezza: Kleine Geschichte des Snobismus zwischen den großen Kriegen und erschien beim Rotbuch Verlag. Ja, sie haben richtig gelesen. Man bekommt es bei Amazon Marketplace ab einem Cent. Muss ich noch mehr sagen? Das Buch wurde übersetzt von Sigrid Vagt, die auch zwei Bücher von Michelangelo Antonioni übersetzt hat.

Die Filmstadt Cinecittà ist untrennbar mit dem Namen von Federico Fellini verbunden, weil der beinahe all seine Filme seit La Dolce Vita hier gedreht hat. Es ist ein klein wenig erstaunlich, dass es in diesem Blog so wenig zu Fellini gibt. ➱Michelangelo Antonioni kommt hier immer wieder vor, ➱Visconti auch. Sogar ➱Vittorio Gassman hat einen Post. Aber Federico Fellini hat keinen.

Dabei mag ich ihn. Ich habe beinahe all seine Filme gesehen, habe die meisten auf DVD, und die Drehbücher habe ich auch. Ich glaube, es wird langsam Zeit, einmal über Fellini zu schreiben. Und über Marcello Mastroianni und seine Anzüge. Und natürlich die Sonnenbrille: its never too dark to be cool. Der Italian Style, der sich seit den fünfziger Jahren in ganz Europa ausbreitet (selbst meinen kleinen Ort erreichte er, dank ➱Albert Dahle besaß ich 1960 zwei scharfe italienische Anzüge), wäre wohl nichts ohne den italienischen Film gewesen. Und was wäre er ohne die italienischen Photographen?

Womit ich nicht die neue Spezies Mensch namens Paparazzi meine. Ich habe den Photographen Federico Patellani, der viel während der Dreharbeiten photographierte, schon in den Posts ➱Vittorio Gassman und ➱Steve Cochran erwähnt (hier ist ein ➱Link zu seinem photographischen Werk). Patellani, der ein Jurastudium abgeschlossen hatte, photographiert ein klein wenig anders als die sensationsgierigen Paparazzi. Dieses Photo zum Beispiel braucht keine Interpretation, es sagt uns alles über den italienischen Mann.

Es ist eine ruhige Photographie, die bei all dem bisschen Glitzer und Glamour, den die Filmwelt nach Italien bringt, niemals vergessen lässt, dass Italien ein armes, vom Krieg gebeuteltes Land ist. Dieses Photo von Vittorio de Sica hat Patellani während der Dreharbeiten zu L'oro di Napoli gemacht. Es ist mir schleierhaft, wie Vittorio de Sica es immer schafft, so elegant auszusehen. Wenn hier heute vielleicht ein wenig viel Federico Patellani vorkommt, dann liegt das daran, dass die ➱Gabi mir vor vielen Jahren von einem Italienurlaub den Photoband Federico Pattelani: Fuori Scena mitgebracht hat.

Fellini hat dem Berufsstand der Paparazzi in La Dolce Vita ein Denkmal gesetzt. Vorbild für den Photographen Paparazzo (gespielt von Walter Santesso), den Marcello Rubini (Marcello Mastroianni) beschäftigt, ist Tazio Secchiaroli. Seinetwegen war König Faruk von Ägypten einst im Café de Paris an der Via Veneto so erbost, dass er einen Tisch umgeworfen hatte. Das verwackelte ➱Photo machte Secchiaroli reich. Und berühmt. Er beriet Fellini bei den Dreharbeiten von La dolce vita und wurde dann Filmphotograph. Und Leibphotograph von Mastroianni und Sophia Loren (Sie finden ➱hier Beispiele aus seinem Werk). Dieses Photo sieht aus wie eine Illustration zu Fellinis Satz Non c'è inizio né fine - esiste solo l'infinita passione per la vita. 

Eine andere italienische Photosammlung findet sich unter der Adresse ➱Foto Locchi. Die Kuratorin der Sammlung Erika Ghilardi hat über den italienischen Stil gesagt: Socially, Italian culture has its roots in the 30s. The grandmothers were paranoid about how you looked when you crossed the front door. Rich or poor, it was always a question of decorum. Personal decorum. It doesn't mean elegance. It means being decent. These were the fascist ideals. When you are told things like that so many times, it changes the mentality. Ich weiß nicht, ob man dieses decorum an den Faschisten festmachen sollte. Es geht viel weiter zurück, das hat Richard Sennett in seinem Buch The Fall of Public Man gezeigt. Das Bild hier wurde bei einer Modenschau im Palazzo Pitti in Florenz im Jahre 1955 gemacht.

Der Sala Bianca des Palazzo Pitti war nicht immer der Ort der Modenschau, die erste fand 1951 bei dem Marchese Giovanni Battista Giorgini zu Hause statt. Auf der Einladungskarte stand: The aim of the evening is to give emphasis to the value of our fashion. Ladies are keenly invited to wear clothes of purely Italian inspiration. Wir sehen den Marchese hier auf einem Photo aus dem Jahre 1956 links im Bild, mit ➱Frack und weißen Handschuhen.

Es sollte nicht verschwiegen werden, dass die Einkäufer von Bergdorf Goodman (New York) und I Magnin (San Francisco) auch anwesend waren. Giorgini schließt jetzt den italienischen Couturiers die Tür zum amerikanischen Markt auf. If there were no other reason to go to Florence and Rome just when spring begins, to whisper Italian fashion would fully justify our going, wird Carmel Snow 1953 schreiben. Sie ist nicht irgendjemand, sie ist die Chefredakteurin von Harper's Bazaar, ihr Wort hat Gewicht. Hier ein Abendkleid aus dem Atelier von Simonetta Colonna di Cesaró, 1953 in Harper's Bazaar abgebildet.

Giorgini gestattete auch ausgesuchten Firmen, Herrenmode auf seinen Laufstegen zu zeigen. Wovon die Firma Brioni sehr profitierte. Es sind jetzt viele Aristokraten im Modegeschäft. Nicht nur Grafen von Mussolinis Gnaden wie Ermenegildo Zegna, sondern Marchesen wie Giorgini oder Emilio Pucci, Herzoginnen wie Simonetta Colonna di Cesaró und Prinzessinnen wie Giovanna Caracciolo Ginetti und Irene Galitzine. Dieses Bild stammt nicht von einer Modenschau, es ist aus Antonionis Film Le amiche, der im Turiner Modemilieu spielt (wenn Sie den Film ganz sehen wollen, klicken Sie ➱hier). An Turin, das die Faschisten zur italienischen Modemetropole ausbauen wollten, läuft die Entwicklung in den fünfziger Jahren vorbei. Florenz, Mailand und Rom werden jetzt die Metropolen der Mode.

Bei der ersten Modenschau von Giorgini waren folgende Firmen dabei: Carosa, Fabiani und Simonetta (von denen man ➱hier Kleider sehen kann) und Emilio Schuberth, der viele Hollywood Stars einkleidet. Und dann sind da noch Vita NoberascoGermana Marucelli (la pioniera della moda milanese) und Jole (Jolanda) Veneziani. Das Bild zeigt die Modenschau von Giorgini, bei der zum ersten Mal ein Mann auf dem Laufsteg auftaucht. Es ist Angelo Vittucci, der für Brioni arbeitet.

Die drei Fontana Schwestern, Zoë, Micol und Giovanna Fontana, nennt man liebevoll die Mütter der italienischen Mode. Wir werden sie in  Erinnerung behalten, weil sie das Kleid entwarfen, das Anita Ekberg im ➱Brunnen in La Dolce Vita trägt. Und weil sie Ava Gardner eingekleidet haben. In ihren Rollen in The Barefoot Contessa (1954), The Sun Also Rises (1957) und On the Beach (1959) trägt sie immer Fontana. Die amerikanischen Studios haben zwar zu Hause Designer wie Edith Head (x-fache Oscar Preisträgerin) und Travis Banton, aber wenn die amerikanischen Diven erst einmal in Rom auf den Geschmack gekommen sind, verzichten sie gerne auf die Studioklamotten.

Bevor die Laufstege kamen, gab es die Schönheitswettbewerbe. Italien scheint einen unerschöpflichen Vorrat an hübschen Mädchen zu haben, die alle zum Film wollen. Wenigen wird das gelingen. Dieses Photo von Federico Patellani bietet mehr Fragen als Antworten. Wird es eine von ihnen bis zur römischen Cinecittà schaffen? Ein repräsentativer Bildband von Patellanis Werk hat den schönen Titel La più bella sei tu, und das ist ein Satz, an den viele zu glauben scheinen.

Lucia Bosé (hier auf einem Photo von Federico Patellani) hat es geschafft. Sie bewarb sich 1947 an der ersten Wahl zur Miss Italia und verwies ihre Konkurrentinnen Gianna Maria CanaleEleonora Rossi Drago und Gina Lollobrigida auf die Plätze (➱hier gibt es auch ein kleines Filmchen dazu). Wenn Sie wissen wollen, wie die Lollo bei dem Wettbewerb aussah, müssen Sie ➱dies anklicken. Ist aber nicht sehr schmeichelhaft. Nach der Wahl lernte Lucia Bosé den Grafen Luchino Visconti kennen, und schon ist sie im Filmgeschäft. Ihre Filme mit Antonioni wie Cronaca di un amore und La signora senza camelie gehören zu meinen Lieblingsfilmen. Dass sie auch in Muerte de un ciclista mitspielt, habe ich schon in dem Post erwähnt, der ➱Dieter Borsche heißt.

Die Kleider von Lucia Bosé in dem Film Cronaca di un amore waren von dem Grafen Ferdinando Sarmi, der 1942 schon die Ausstattung des Filmes Musica Proibita besorgt hatte. Er durfte auch in dem Film mitwirken, er spielt den Ehemann von Lucia Bosé (hier im Bild, wenn Sie bewegte Bilder haben wollen, klicken Sie ➱hier), aber er sah als Modeschöpfer für sich in Italien keine Zukunft. Er sagte in einem Interview mit Time im Jahre 1965: In Italy, when the oldest son tells his father he wants to be a dress designer, it's like a woman saying she intends to be a prostitute. Sarmi ging nach New York, wurde Chefdesigner von Elizabeth Arden und bekam später sein eigenes Modehaus.

Der internationale Jet Set, der Italien während der Mussolini Ära und während des Krieges gemieden hatte, kehrt jetzt auf die Halbinsel zurück. So wie dieses Ehepaar, das 1951 in Portofino Urlaub macht. Man kauft auch gerne mal in Italien ein. I introduced Liz to beer, she introduced me to Bulgari. The only word Elizabeth knows in Italian is Bulgari, hat Richard Burton gesagt. Der ältere Herr trägt normalerweise andere Hemden als dies hier. Früher kamen die aus der ➱Jermyn Street, aber die meidet er jetzt. Er könnte seine Hemden natürlich bei Charvet in Paris (wo er wohnt) kaufen, weil er dort Kunde ist. Aber bei diesem Italienurlaub bestellt der Rentner sich Hemden bei Battistoni in Rom.

Wo er sich in den folgenden Jahren auch gerne seine Anzüge machen lässt. Ich weiß nicht, ob Battistoni heute noch ein Schneideratelier hat, die RTW Anzüge scheinen von d'Avenza zu kommen. Ist auf jeden Fall besser als Zegna. Er kann nicht nach England zurück, da geht es ihm wie Guy Burgess in Alan Bennetts Stück An Englishman Abroad (lesen Sie ➱hier mehr). Ich kann das heute auch als ➱Film anbieten, die wunderbare Szene, in der die Schauspielerin Coral Browne in London für Guy Burgess bei seinem Schneider einen Anzug bestellt, findet sich ab der 50. Minute.

Bei Battistoni kaufen in diesen Tagen auch Marc Chagall, ➱John Steinbeck, Cole Porter, ➱Humphrey Bogart, Kirk Douglas, Marlon Brando und Gianni Agnelli. Am liebsten ist es den Italienern natürlich, wenn sie unter sich sind. Wie hier Guglielmo Battistoni und Vittorio de Sica. Der Schauspieler dreht jetzt auch Filme, seine Schuhputzer und Fahrraddiebe waren sehr erfolgreich, aber wenn man bei seinem Hemdenmacher auch amerikanische Geldgeber treffen kann, dann ist das schon O.K. Dass man in der römischen Cinecittà billig Filme drehen kann, das haben die schon selbst gemerkt. Wenn de Sica hier in Rom auch seine Hemden kauft, seine Anzüge lässt er sich in seiner Heimat Neapel bei ➱Gennara Rubinacci machen.

Die Italiener sind in den fünfziger Jahren dabei, modisch die Welt zu erobern. Man kann das an der schönen Symbolik dieses Photos ablesen. Das ist der Schuhmacher Salvatore Ferragamo, ganz Hollywood liegt ihm zu Füßen. Einige seiner Kundinnen wie ➱Rita Hayworth und ➱Lauren Bacall haben in diesem Blog auch schon einen Post. Ganz vorn kann man die Leisten von ➱Audrey Hepburn entdecken, die seine Lieblingskundin ist. All das ist inzwischen Geschichte. Das ➱Victoria & Albert Museum hat im letzten Jahr eine große Ausstellung veranstaltet, die den Titel hatte: The Glamour of Italian Fashion 1945-2014 (lesen Sie mehr unter ➱vam.ac.uk/italianfashion).

Das symbolträchtigste Bild der Epoche des dolce vita, ist wahrscheinlich dies von der Venus des Trevi Brunnens. Anita Ekberg ist vor wenigen Wochen im Alter von dreiundachtzig Jahren gestorben. Ich wollte erst über sie schreiben, aber dann saß ich an anderen Dingen. Vielleicht gibt es hier ja noch einmal einen Post, der La Dolce Vita heißt. Ich betrachte das heute mal als eine Schreibübung dafür. Und wir rufen Anita Ekberg ein ciao bella nach. Oder Fellinis Non c'è inizio né fine - esiste solo l'infinita passione per la vita. Und ich zitiere noch eben eine Strophe aus Bob Dylans I shall be free:

Well, my telephone rang it would not stop
It’s President Kennedy callin’ me up
He said, “My friend, Bob, what do we need to make the country grow?”
I said, “My friend, John, Brigitte Bardot
Anita Ekberg
Sophia Loren”
(Put ’em all in the same room with Ernest Borgnine!)

Mittwoch, 28. Januar 2015

Pudete, cuniculi!


Als ich letztens die Schlagzeile Kaninchenzüchter kritisieren den Papst las, dachte ich mir, die tollen Tage seien schon ausgebrochen. Aber das war todernst gemeint. Der Karikaturist, der hier schon häufig im Blog zu sehen war (zum letzten Mal tauchte er in dem Post ➱Blazer auf), hat mir gerade einen Cartoon geschickt, der den Titel Pudete, cuniculi! hat. Auf die Gefahr hin, dass ich mir den Zorn von Erwin Leowsky, dem Präsidenten des Zentralverbandes Deutscher Rasse Kaninchenzüchter, zuziehe, drucke ich den Cartoon hier mal eben ab.










Dienstag, 27. Januar 2015

Arnold Duckwitz


Harry von Duckwitz liebt die schönen Frauen und den Jazz. Er ist im diplomatischen Dienst, steigt da aber früh im Leben aus. Harry ist ein charmanter, scharfzüngiger Versager und Tunichtgut. Wir kennen ihn aus drei Romanen. Seine Lieblingstitel kann man auf den drei CDs Wie man mit Jazz die Herzen der Frauen gewinnt hören. Zusammengestellt nach dem Geschmack des legendären Frauenhelden Harry von Duckwitz, dem Held aus Joseph von Westphalens Romanen "Im Diplomatischen Dienst", "Das schöne Leben" und "Die bösen Frauen" Harry von Duckwitz kennt Titel, die selbst ausgewiesene Jazz-Hasserinnen weich werden lassen, steht auf dem Schuber. Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob man mit den CDs wirklich Frauen rumkriegen kann. Das, was der ➱Dr Achim Körnig mir auf CDs gebrannt hat (und was man mal vor Jahren in seiner Sendung namens Round Midnight bei einem bayrischen Privatsender hören konnte), ist viel besser.

Es war dem alter ego von Harry von Duckwitz, dem Grafen Joseph von Westphalen, der die drei schönen Duckwitz Romane geschrieben hat, später etwas peinlich zu erfahren, dass es wirklich einmal einen Duckwitz im diplomatischen Dienst gegeben hatte. Der hieß Georg Ferdinand Duckwitz, er kam aus einer alteingesessenen Bremer Familie und war Jahrzehnte im diplomatischen Dienst gewesen. Dann holte man ihn aus dem Ruhestand zurück. Der parteilose Duckwitz, der jetzt in ➱Lesum in einem von ➱Ernst Becker-Sassenhof gebauten Haus wohnte, wurde außenpolitischer Berater von Willy Brandt. Jetzt konnte er in der Ostpolitik das durchsetzen, was ihm Konrad Adenauer einst nicht erlaubt hatte.

1958 hatte der Außenminister Heinrich von Brentano Duckwitz als Leiter der Ostabteilung in das Bonner Auswärtige Amt geholt.  Duckwitz machte seine seine ganz eigene Ostpolitik, die wenig mit Adenauers Politik zu tun hatte. Adenauer feuerte ihn. Duckwitz wurde nach Neu Delhi versetzt. Wo er sich die Zeit damit vertrieb, die Lebensgeschichte des Kollegen Edmund F. Dräcker um einige Kapitel zu bereichern. Humor hatte er. Von ihm ist der schöne Satz überliefert: Adenauer haßt nur drei Dinge: die Russen, die Engländer und das Auswärtige Amt. Als er aus dem Ruhestand nach Bonn zurückkam, sagte er zu den Journalisten der Pressekonferenz: Wer mich für klug hält, sagt zu mir "Herr Doktor Duckwitz'; wer mich für fein hält, sagt "Herr von Duckwitz'; und wer was von mir will, sagt "Herr Doktor von Duckwitz." Aber ein von Duckwitz war er wirklich nicht, und sein Leben hatte nun ganz und gar nichts mit unserem Schwerenöter Harry von Duckwitz zu tun.

Dieser Duckwitz ist einer der Männer, die einem den Glauben an Deutschlands Zukunft wiedergegeben haben, hat der dänische Ministerpräsident Hans Hedtoft Hansen einmal über Georg Ferdinand Duckwitz gesagt. Ist es denn erstaunlich, daß wir diesen Mann so hochschätzen und meinen, unendlich tief in seiner Schuld zu stehen? Ich meine nicht allein politisch und national, sondern auch menschlich. Er gab uns mitten in einer dunklen, bösen und brutalen Zeit ... eine Bestätigung dafür, daß es auch unter den Deutschen noch Menschen, mutige und denkende Männer gab. Duckwitz hatte ihm im September 1943 anvertraut, dass die Deportation der dänischen Juden (die er vergeblich zu verhindern versucht hatte) unmittelbar bevorstehe.

Und noch vor Kriegsende hat Duckwitz in Verhandlungen mit Schweden, dem deutschen Statthalter in Dänemark Werner Best und mit dem Hamburger Gauleiter Kaufmann erreicht, dass die Deutschen in Dänemark und Schleswig-Holstein kampflos kapitulierten. Dies ist einer jener glücklichen Augenblicke, der mir die wohltuende Gewißheit gibt, nicht umsonst auf der Welt zu sein, vertraute er einem Freund an. Der dänische Historiker Hans Kirchhoff hat ihm in seinem Buch Den gode tysker ein Denkmal gesetzt. Eine Kurzfassung (mit Bildern) finden Sie ➱hier in der Gedenkschrift des Auswärtigen Amtes für Georg Ferdinand Duckwitz. Es lohnt sich, das zu lesen.
Die Dänen haben Duckwitz für seine Verdienste mit dem Komturkreuz des Danebrog Ordens geehrt. Und das Holocaust Zentrum Yad Vashem zählt ihn zu den ➱Righteous Among The Nations. In der Villa Frieboeshvile in der Hovedgade 2 von Lyngby hatte Duckwitz seit 1941 gewohnt. Er hat die Wohnung bei Kriegsende nicht aufgegeben, Kopenhagen lag ihm am Herzen. 1955 ist er dort deutscher Botschafter geworden. Für Theo Sommer war er in einem Nachruf eine der nobelsten Gestalten unseres diplomatischen Dienstes, dem ist wenig hinzuzufügen.

Der Urgroßvater des deutschen Botschafters in Dänemark hieß Arnold Duckwitz (Bild). Er wurde am 27. Januar 1802 in Bremen geboren. Er war Kaufmann und wurde bald der Führer und Flügelmann der Kaufmannschaft und Präsident der Bürgerschaft. 1841 wurde er Senator, und 1848 wurde er als einer der beiden Vertreter Bremens nach Frankfurt entsandt. Dort ernannte ihn der Reichsverweser Erzherzog Johann von Österreich zum Reichshandelsminister. Und er baute, weil man ihn auch noch mit dem Marinedepartement betraute, die Reichsseewehr der deutschen 48er Regierung auf. Die dann - das ist nach dem oben zu Duckwitz und Dänemark Gesagten ein klein wenig ironisch - gegen die dänische Flotte kämpfte.

Das mit Arnold Duckwitz weiß ich, seit ich lesen kann. Denn über dem Eingang des großen Hauses bei uns gegenüber, in dem das Fräulein Carla Hockemeyer mit ihren Dackeln wohnte, war eine Steintafel, auf der stand: Auf diesem Landsitz wohnte Arnold Duckwitz 1802 bis 1881 Bürgermeister von Bremen 1848 Reichshandelsminister in Frankfurt a.M. Gründer der ersten deutschen Reichskriegsflotte. Von dem Haus gibt es keine Abbildung im Internet (jetzt habe ich dank Pastor Ingbert Lindemann eine), auch in der Datenbank des Landesdenkmalamtes gibt es keine. Man könnte glauben, dass es den repräsentativen Landsitz mit Blick auf die Weser niemals gegeben hat. Aber im Einwohnerverzeichnis der Gemeinde Vegesack von 1856 steht: Duckwitz, Arnold, Senator in Bremen, Sommerwohnung, Weserstr. 76 u. 77. Und das Landhaus ist natürlich in Rudolf Steins Klassizismus und Romantik in der Baukunst Bremens abgebildet.

Arnold Duckwitz (hier ist er auf einem etwas schief hängenden Gemälde in der Wandelhalle des Bremer Rathauses) hat in der Deutschen Biographie einen ➱Eintrag, der natürlich viel besser ist als der Wikipedia Artikel, und die Bremischen Biographien des 19. Jahrhunderts widmen ihm einige Seiten. Obgleich er die erste deutsche Flotte aufgebaut hat, habe ich vor seinem Haus nie eine Delegation der deutschen Bundesmarine gesehen. Wir haben es da wohl nicht so mit der Tradition wie die Engländer mit ihrer Royal Navy. Der junge Hockemeyer, der den Duckwitzschen Landsitz erbte, hat ihn abreißen lassen. Stand zwar unter Denkmalschutz, aber wen kümmert das? Gab eine Konventionalstrafe und einige Jahre Bauverbot, das schlägt man doch auf die Preise der Eigentumswohnungen der beiden Apartmenthäuser auf, die dann da gebaut wurden. Er war als Kind das, was man in Köln 'ne fiese Möpp nennen würde. Heute gilt er laut Wikipedia als hanseatischer Mäzen. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Das Buch von Duckwitz Denkwürdigkeiten aus Meinem Öffentlichen Leben. Von 1841-1866: Ein Beitrag Zur Bremischen Und Deutschen Geschichte hat er bestimmt nie gelesen.

Lesen Sie auch: ➱Admiral Brommy.

Montag, 26. Januar 2015

Ermenegildo Zegna


Man wohnt da schon recht luxuriös in der Villa des Conte Ermenegildo Zegna in Trivero. Es ist kein neu gekaufter Reichtum, keine Inszenierung, so wie Ralph Lauren aus der Bronx sich heute inszeniert. Die Zegnas sind schon lange im Geschäft. Und der Grafentitel, den ich eben mit dem Namen Ermenegildo Zegna verbunden habe, ist echt. Ist allerdings kein alter Adel, der König Viktor Emanuel III hatte den Unternehmer in den dreißiger Jahren zum Grafen von Monte Rubello gemacht. Klingt ein bisschen so wie der Graf von Monte Christo.

Der Vorschlag zur Ernennung war von Mussolini ausgegangen, dem bei einem Fabrikbesuch in Trivero das Ganze wohl wie ein Musterbetrieb seiner neuen Gesellschaft vorgekommen sein muss. Kaum ein Ort in Italien besitzt all diese Segnungen der Moderne, die Trivero vorweisen kann. Ermenegildo Zegna war von dem Besuch nicht so begeistert, er meldete sich krank, sein Bruder Mario empfing den Duce. Das auf dem Bild hier ist Ermenegildo Zegna, auch wenn er ein bisschen wie Mussolini aussieht.

Ermenegildo Zegna erschien beim Besuch des Duce aber am Fenster der Villa,  per vedere il grande Visitatore, almeno da lontano. Und entbot ihm mit geschwächter Hand den römischen Gruß: la pallida mano levata nel saluto romano, wie es so schön in einer regierungsnahen Zeitung heißt. Mussolini trug bei dem Besuch in Trivero natürlich seine fesche schwarze Uniform, deren Stoff bestimmt nicht von Zegna stammte.

Ermenegildos Sohn Dr Angelo Zegna kann sich Jahrzehnte später im Gespräch mit Lillian Ross vom New Yorker (die schon in den Posts ➱Hem und ➱Moby-Dick erwähnt wird) noch an den Duce erinnern: When I was a boy, Mussolini made us to have discipline, to do exercise, to make our bodies strong,” he continued. “But our models for the suits were the English. Mussolini wore the heavy, thick suits, not like the English. We did not like the fabric of Mussolini.” He rubbed his thumb against his forefinger. “His suits were—how you say it? Coarse.”

Nein, die Welt des italienischen Faschismus ist nicht die Welt der Zegnas (die eher so wie die von Anna Zegna in der Villa Zegna aussieht), man denkt über Italien hinaus. Zegna, der schon 1935 zum Cavaliere del lavoro ernannt worden war, ist ein Vorbild für andere imprenditori. Die erfolgreichsten italienischen Unternehmen sitzen meist im Norden, da denkt man nicht so sehr an das dolce far niente.

Beinahe alle italienischen Weber haben ihren Firmensitz im Norden Italiens. Ob sie nun Guabello (1815), Marzotto (1836), Cerruti (1881), E. Thomas (1922), Fratelli Tallia del Delfino (1903), Ermenegildo Zegna (1910), Loro Piana (1924), Carlo Barbera (1950) oder Zignone (1968) heißen, ich habe die beliebig ausgesuchten Firmennamen nach dem Gründungsdatum der Weberei geordnet. Es kam die Tuchfabrik von Zegna hart an, als im faschistischen Italien die Wolle knapp wurde, weil Wollimporte eingeschränkt wurden. Also stellte Zegna Raiontex her und betonte in der Werbung die Autarkiebestrebungen.

Ermenegildo Zegna ist ein Vorzeigeunternehmer in mehrfacher Hinsicht. Monsù Gildo, wie man ihn liebevoll nennt, denkt voraus. Über den Faschismus hinaus. Zegna bezieht nicht nur eine Villa (hier die Casa Zegna), die der Architekt Otto Maraini ihm gebaut hat. Er baut auch Fabriken für die tausend Beschäftigten, die Zegna in den dreißiger Jahren hat, es gibt auch Fußballplätze, Tennisplätze und eine Sporthalle. Den Bocciaplatz wollen wir nicht vergessen. Eine ➱Cooperativa di Consumo sorgt von Bäckerei bis Drogerie für alles, was man braucht.

Und es gibt ein öffentliches Schwimmbad im schönen kalten modernistischen Stil der dreißiger Jahre. Zegna wird auch eine Bibliothek bauen lassen. Und einen Theatersaal, der gleichzeitig als Kino fungiert. Und ein Krankenhaus mit Schwesternschule. Es gibt auch Omnibusse, mit denen die Arbeiter aus entlegenen Ortschaften nach Trivero kommen können. Und dann ist da noch die vierzehn Kilometer lange Straße, die ➱Panoramica Zegna, von Trivera nach Bielmonte. Die wurde von der damaligen Politik gefeiert als opera veramente romana, ferner heißt es es über den Aufwand è costata ai benemeriti industriali fratelli Zegna un milione e mezzo di lire.

Die Straße ist heute bei Zweiradfahrern beliebt, sie führt durch ein hundert Quadratkilometer großes Naturschutzgebiet, die Oasi Zegna. Lange bevor eine Partei wie die Grünen für den Schutz der Umwelt eintritt, macht ein Unternehmer in Italien Ernst mit dem Naturschutz. Das ist eine erstaunliche Sache. Monsù Gildo ist nicht nur Unternehmer, er ist auch Philantroph. Nach dem Krieg wird er die Sommersitze oben auf dem Monte Rubello als ➱Sommercamps für die Kinder seiner Arbeiter zur Verfügung stellen. Letztlich übernimmt er für seine Fabriken jenes paternalistische Modell, das aus dem 19. Jahrhundert stammt. All dies soll eine große Familie sein.

Man kann das paternalistische Modell kritisieren, da fehlt es nicht an Stimmen. Aber wenn man einmal einen Blick auf den deutschen Unternehmer und Sozialreformer Ernst Abbe (dessen Eintrag in der Deutschen BiographieTheodor Heuss schrieb) wirft, der in seinem Unternehmen für eine betriebliche Sozialstruktur sorgt und Pensionen, Krankenversicherung und den Acht Stunden Tag einführt, lange bevor das alles Gesetz wird, dann hat dieses System auch Vorzüge.

Es hat Ähnliches auch schon in der Textilindustrie gegeben. Und da muss ich Sie jetzt mal eben nach England entführen. Nach Yorkshire, wo Huddersfield und Bradford die Hochburgen der Weber sind. In T.S. Eliots Gedicht The Waste Land finden sich die Zeilen One of the low on whom assurance sits As a silk hat on a Bradford millionaire. Das mit dem seidenen Zylinder als Symbol für Reichtum hat wohl jeder Leser verstanden. Man kann allerdings noch die Frage stellen: Hat Eliot einen Bradford millionaire gekannt? Und da finden wir eine erstaunliche Antwort: er kennt den Baronet ➱Sir James Roberts, den Besitzer der Weberei, die Sir Titus Salt gegründet hatte. Roberts hat ein Vermögen durch die Revolution in Rußland verloren und hofft auf Rekompensation durch die englische Regierung. Deshalb ist er häufig in der Bank, in der T.S. Eliot damals arbeitet.

Das hier ist die Fabrik von Sir Titus Salt. Gemalt von David Hockney. Der kommt auch aus Bradford. Als man die Fabrik eines Tages nicht mehr brauchte, hat man Teile von ihr zu einer ➱Kunstgalerie gemacht, und da hat David Hockney einen ganzen Flügel für seine Werke bekommen. Titus Salt baut nicht nur eine Fabrik bei Bradford, er baut einen ganzen Ort für seine dreitausend Arbeiter, den er Saltaire nennt. Ein Kompositum aus seinem Namen und dem Fluss Aire (eine Weberei braucht viel Wasser). Es ist eine viktorianische Mustersiedlung, die heute Weltkulturerbe ist. Alles ist nach den modernsten Grundsätzen geplant. Eine Kirche gibt es natürlich auch. Aber keine Kneipe, die ist im Bauplan nicht vorgesehen.

Es sind nicht nur die modernen Wohnhäuser - im Gegensatz zu Saltaire sind große Teile von Bradford damals ein Slum -  es gibt auch eine Vielzahl von Gemeinschaftseinrichtungen, eine Schule und einen Park. Mit einer strengen Parkordnung: No person is allowed to enter or remain there, in a state of intoxication. No intoxicating drinks are to be consumed there. No profane or indecent language, gambling, or pitch and toss, are allowed; nor any meeting for the purpose of making religious or political demonstrations, without special permission.

Heute wird in dem Park ➱Cricket gespielt. Das durfte man in den Tagen von Sir Titus auch schon. Körperliche Ertüchtigung seiner Arbeiter lag ihm am Herzen. Und alles, was sie vom Suff abhielt: Outdoor recreational facilities would... help keep them away from the demon drink, which he saw as the root of all society's ills, heißt es so schön auf der Seite des Victorian Web. Natürlich gibt es eine ➱Werkskantine, ein Krankenhaus, Wasch- und Badehäuser. Und dann noch ein Armenhaus (offensichtlich braucht man das selbst in Saltaire), Kleingärten und ein Bildungsinstitut mit Bibliothek, Leseraum, Konzertsaal und Gymnastikraum. Am Leeds and Liverpool Canal werden ein Bootshaus am Park (heute eine Gaststätte) und ein kleiner Hafen für die Fabrik errichtet.

Es gibt heute einen Pub in Saltaire, der don't tell Titus heißt, das ist sehr witzig. Sir Titus wollte den Pub nicht, weil er als nonconformist Sympathien für die Temperenzler hatte. Und weil er fürchtete, dass sich in der Kneipe gewerkschaftliche Elemente breitmachen. Gewerkschaften will er nicht, alle sozialen Leistungen sollen von ihm kommen, nicht von der Gewerkschaft. Deshalb war der ehemalige Bürgermeister von Bradford, der seine sozialreformerischen Pläne gegen die Fabrikherren dort nicht durchsetzen konnte, nach Saltaire ausgewichen.

Die Herstellung von Stoffen ist, das soll man nicht verschweigen, auch eine Geschichte der Arbeitskämpfe. Die mit der Niederschlagung der Luddites nicht aufgehört hat (es ist ja kein Zufall, dass Gerhart Hauptmann ein Theaterstück mit dem Titel Die Weber geschrieben hat), ich lasse das hier einmal aus. Und verweise stattdessen auf die sehr interessante Arbeit Deutsche und englische Gewerkschaften von Christiane Eisenberg, die eine Vielzahl von Beispielen aus der englischen Textilindustrie enthält. Aber noch ist die englische Wollindustrie im 19. Jahrhundert eine success story. Bilder wie dieses von einer verlassenen Fabrik wird man erst im 20. Jahrhundert finden.

Den Lesern von Emily und Charlotte Brontë wird das hier bekannt vorkommen, es ist das Pfarrhaus von Haworth. Dass es heute so gut erhalten ist, verdankt die Nation Sir James Roberts. Er hatte das heruntergekommene Gebäude gekauft und es 1928 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auch wenn er viel Geld im Russlandgeschäft verloren hatte, seine Wohltaten hören nicht auf. Der Universität Leeds hat der Mann, der fließend Russisch sprach, eine Professur für Russisch finanziert. In meinem Blog gibt es leider bisher zu wenig über die Brontës (sie werden bei ➱Arno Schmidt und in dem Post ➱Jean Rhys erwähnt), ich hoffe, dass sich das noch einmal ändert.

Der Vater von Ermenegildo Zegna war Uhrmacher gewesen, bevor er Weber wurde. Im Firmenarchiv hat man noch eine von ihm signierte Taschenuhr, uhrmacherisch nichts besonderes. Noch nicht einmal ein Ankerwerk, sie hat noch eine Zylinderhemmung. Man hat die Uhr zu Werbezwecken im Jahre 2010 hervorgeholt, als die Firma Ermenegildo Zegna hundert Jahre alt wurde und man mit der Kollektion Monterubello eine Uhrenlinie präsentierte (die von Girard-Perregaux hergestellt wurde).

Die Webereien von Yorkshire waren für den jungen Ermenegildo Zegna das große Vorbild, als er 1910 in die kleine Weberei seines Vaters eintritt. Er will mehr als die vier Webstühle, die sein Vater sein eigen nennt. Und er will neue Webstühle, solche, wie sie die Engländer haben. Er will nicht nur Wolle weben, er will Spitzenqualitäten weben, so wie sie Wain Shiell in Huddersfield produziert (Luciano Barbera berichtet genau das gleiche über seinen ➱Vater). Er bestellt sich Webstühle bei Prince-Smith & Stells in Keighley, deren Besitzer ist gerade zum Baronet geadelt worden war. Der Erste Weltkrieg unterbricht erst einmal Zegnas Laufbahn, da ist er Soldat.

Nach dem Krieg ist er in England gewesen und hat sich die Tuchfabriken in Bradford und Huddersfield genau angesehen. Am Anfang der zwanziger Jahre (nach dem Tode des Vaters) legt er richtig los, er baut mit seinen Brüdern ein kleines ➱Imperium auf. Eine italienische Werbeanzeige des textilen Großhandelsverbandes ADAM (an dem Zegna die Aktienmehrheit hat) aus dem Jahre 1935 macht auch graphisch klar, was man will. Da zerschneidet in schöner Symbolik ein italienisches Schwert eine Kette, auf deren Gliedern wir Made in England lesen können. Die Zegnas werden bis zum heutigen Tag ein ➱Familienunternehmen bleiben, ihnen redet niemand in die Geschäfte hinein. 1941 hat sich die Lanificio Mario Zegna vom Hauptbetrieb abgespalten, 1947 hat man sich in einem Abkommen über die Namensrechte geeinigt. Aber es gibt immer wieder Streitigkeiten, davon können Sie sich überzeugen, wenn Sie dieses amerikanische ➱Urteil lesen.

Geschäftstüchtig sind sie, diese Zegnas (hier das schöne Wappen der Grafen Zegna). Sie steigen auf, die Qualität, die die Engländer produzieren, haben sie schnell erreicht. In den dreißiger Jahren beliefern sie schon den amerikanischen Markt mit ihren Stoffen, dafür war der Firmenchef extra mit dem Schiff nach Amerika gereist. Exporte sieht Benito Mussolini gerne, er hatte ja in den dreißiger Jahren eine Behörde für italienische Mode (Ente nazionale per la moda) in Turin einrichten lassen, Turin sollte die Stadt der Mode werden. Aber nach dem Zweiten Weltkrieg verliert Turin seinen Platz als italienische Modemetropole. Den Zegnas ist das egal, sie exportieren jetzt  Anzugstoffe in vierzig Länder, auch ohne die Protektion des Ente nazionale per la moda. Der ganze Erfolg beruht wohlgemerkt auf Stoffen, in der Herrenkonfektion sind die Zegnas noch nicht tätig. Das wird Monsù Gildo, der 1966 stirbt, nicht mehr erleben.

Für den Aufstieg Turins wurde damals an nichts gespart. Das dokumentiert sich in der kalten modernistischen ➱Architektur, die der italienische Faschismus im Land hinterlassen wird. Das hier wurde für die Modemesse (➱dies sollten Sie unbedingt anklicken) Mostra Nazionale della Moda in Turin gebaut. Viele italienische Filmregisseure der Nachkriegszeit wie Fellini oder ➱Antonioni werden diese Architektur in ihre Filme einbeziehen. So wie sie die italienische Mode in ihre Filme einbeziehen. Das hatte schon in den dreißiger Jahren angefangen. Das Regime wünschte, dass die Filmindustrie ihren Teil zur Propagierung des Made in Italy beitrüge, indem sie italienische Mode ins Bild setzte.

Wenn man so will, beginnt hier das product placement. Ein ➱Film wie La contessa di Parma (eine Geschichte um ein Turiner Mannequin) wurde wohl nur deshalb gedreht, damit man viel italienische Mode zeigen konnte. Heute dreht Zegna selbst ➱Filme, aber dazu sage ich lieber nichts. Die Italiener reden ungern über die dreißiger Jahre, über Mode und Faschismus. Aber seit einigen Jahren gibt es da ein interessantes Buch Una giornata moderna: Moda e stili nell’Italia fascista, das ist schon einmal ein Anfang. In Deutschland möchte man diese Zeit auch am liebsten vergessen lassen, es hat lange gedauert, bis Uwe Westphals Buch Berliner Konfektion und Mode 1836-1939: Die Zerstörung einer Tradition erschien.

In einem Herrenjournal aus dem Jahre 1962 leistet sich Zegna ganz bescheiden eine halbe Seite für eine Anzeige mit dem Text: Es ist Tradition der besten italienischen Familien, mit Stoffen von Ermenegildo Zegna gekleidet zu sein (man kann alle Werbekampagnen der Firma ➱hier anklicken). Gledhill aus Huddersfield haben dagegen (wie viele englische Firmen im selben Heft - es ist eine Art Schwanengesang der Engländer) eine ganzseitige Anzeige. Drei Jahre später sind sie pleite. Man kann mehr dazu in diesem ➱Blog oder in dem Buch von Vivien Teasdale, Huddersfield Mills: A Textile Heritage, lesen.

Mit Bradford und Huddersfield ist es seitdem ständig bergab gegangen. Man hat heute noch Industriemuseen, aber wenige Weber. Das stolze Unternehmen Wain Shiell (1807 gegründet) ist mittlerweile von Scabal gekauft worden. Dieses Bild muss ich mal eben bringen, ich habe es 1957 in dem holländischen Magazin Sir: Men's International Fashion Journal gesehen. Ich fand das Jackett damals rattenscharf. Ist es irgendwie auch heute noch. Der Stoff dieses von Hawes & Curtis geschneiderten ➱Jacketts stammte natürlich von Wain Shiell. Stand dabei, habe ich nicht vergessen.

Geschickte Verhandlungen mit den Australiern sorgen für beste Wollqualitäten. Ein goldenes Woolmark Zeichen in den Jacketts wird das eines Tages demonstrieren. Die Zegnas (hier Paolo, Angelo und sein Sohn Gildo) kaufen weltweit nur das Beste, da müssen sich die Schafzüchter schon anstregen, um zu Zegnas Lieferanten zu gehören. Und sie haben auch bei den Haaren der Kaschmirziege die Nase vorn. Heute möchten die Chinesen, die den Weltmarkt mit billigem Kaschmir überschwemmen, gerne selbst alles übernehmen, aber die Zegnas haben schon vor Jahrzehnten ihre persönlichen Beziehungen zu den Besitzern der Ziegenherden ausgebaut. Haben ihnen bei der Infrastruktur geholfen und verleihen die begehrte Zegna Trophy.

Die hier gerade von einem Zegna verliehen wird. Es ist nett, dass die Ziege auch mit aufs Bild durfte. In der Inneren Mongolei macht die gewachsene Freundschaft mit den Fremden aus Italien mehr aus als der Besuch der Funktionäre aus Peking. Und so hat die chinesische Führung den Zegnas bisher nicht viel dreinreden können. Für die Kaschmirproduktion zahlt es sich natürlich aus, wenn man gutes Wasser vor der Haustür hat. Und da Trivero höher liegt als die Tuchfabriken von Biella, bekommt man hier auch das sauberste Wasser des Strona di Mosso.

In Italien wird dann aus den Ziegenhaaren nicht nur Kaschmirstoff gewebt, es gibt auch seit 1993 Mischungen von Baumwolle mit Cashmere (Cashco) oder ein Gewebe aus Kaschmir, südafrikanischem Mohair und australischer Merinowolle (Shetlair). Sie finden ➱hier eine Übersicht der verschiedenen Stoffe, die Zegna anbietet. Erfindungsreich sind die italienischen Weber immer gewesen. Deshalb sind sie auch ganz oben. Da oben, wo einst die Engländer waren. Von den deutschen Webern mit ihrer Hochburg Aachen redet niemand mehr. Die Firma Becker in Aachen, die einst international mithalten konnte, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Ende der sechziger Jahre bauen die Zegnas eine Fabrik in Novara und stellen 1968 ihre erste Kollektion von Ärmelteilen (lachen Sie jetzt nicht, das ist ein Fachbegriff) und Hosen vor, die sie in den siebziger Jahren immer weiter ausbauen. Dann kommt mit dem servizio Su Misura auch noch die Maßkonfektion hinzu (zur Maßkonfektion gibt es ➱hier einen ausführlichen Post). Und man beliefert auch Firmen wie Romeo Gigli, Dunhill, Versace, Aquascutum, Givenchy und Antonio Miro, die einen großen Namen, aber keine Herstellungsstätten haben. Viele von denen haben inzwischen andere Hersteller gefunden, aber Gucci und Tom Ford sind augenblicklich noch Zegnas Kunden. Die Konfektion macht heute beinahe die Hälfte des Jahresumsatzes aus. Zegna muss dafür auch schon Stoffe von anderen Tuchfabriken zukaufen, ihre Stoffproduktion erbringt nur noch fünfzehn Prozent des Umsatzes.

Zegna war nicht der einzige Weber, der plötzlich seine Stoffe zu Herrenkonfektion in eigener Regie verarbeitete. Auch Cerruti und Marzotto (denen heute Boss gehört) stiegen in das Geschäft ein. ➱Luciano Barbera, der Sohn des Firmengründers Carlo Barbera, hatte auch eine sehr englisch angehauchte Linie, was sicher auch daran lag, dass der Vater den Sohn einst zur Lehre nach Yorkshire geschickt hatte (Sie können ➱hier Luciano Barbera über die Geschichte der Firma lesen). Die Carlo Barbera Weberei gehört inzwischen Kiton, die auf diese Weise an die besten italienischen Stoffe kommen. Luciano Barbera bot auch eine Linie für Damen an, etwas, was die Zegnas lange zögern ließ. Als sie 1999 die Firma Agnona kauften, war das aber der erste Schritt dahin.

Firmen lieben es, wenn Schauspieler ihre Klamotten tragen. Hier tut es Willem Dafoe für Zegna. In der Serie Navy CIS trägt der Special Agent Tony DiNozzo immer Zegna. Sogar Zegna Schuhe. Wer macht so etwas? Es gibt irgendwann einen netten Dialog zwischen ihm und seinem Chef Jethro Gibbs: Gibbs: DiNozzo, I don't care. I don't care, if he's wearing Armani, or Prada, or Urma something Zenga - Get his ass in here! Tony: It's [perfect Italian pronunciation] Ermenegildo Zegna, boss. Just so you know. Fällt das schon unter product placement? Es zeigen sich neuerdings viele jüngere Schauspieler in Zegna Anzügen. Ich nehme an, dass sie die nichts zu bezahlen brauchen.

Tony DiNozzo ist ein Opfer des Wahns der fashion victims, die glauben, dass man alles von einer Marke tragen müsste. Ist Unsinn. Es lohnt sich zum Beispiel nicht, Zegna Hemden zu kaufen (das gilt aber für Luciano Barbera Hemden genauso). Und zu den Schuhen Zegnas ist zu sagen, dass sie seit 2002 von Ferragamo in einem Joint Venture namens ZeFer gemacht werden. Wer die Schuhe der Zegna Couture Limited Edition Linie macht, ist allerdings nicht klar. Dies hier ist einer davon, künstlich auf alt gemacht. So etwas kostet in den USA mehr als tausend Dollar, mir war der Spaß bei ebay 28,50 € wert.

Bei Hans Carl Capelle (genannt Kelly) löste in seinem Laden ➱Kelly's in Kiel die Marke Ermenegildo Zegna irgendwann das bisherige Angebot von ➱Windsor ab, daneben gab es aber auch Caruso und ➱Daks (die damals noch sehr stark waren). Und für die Freunde des irischen Tweeds natürlich Magee. Zegna, die in den neunziger Jahren eine viel höhere Qualität hatten als heute (damals wurden bei einem Glencheckanzug noch die Karos angepasst, das gibt es heute nicht mehr), ist lange bei Kelly's im Angebot geblieben. Bei anderen deutschen Herrenausstattern, die wie Kelly's die Marke Zegna groß gemacht hatten, auch. Dreißig Jahre hatten Möller & Schaar in Frankfurt die Italiener aufgepäppelt, dann eröffnete Zegna schräg gegenüber einen eigenen Laden.

Das Gleiche passierte in Hannover bei H.B. Möller (wo Schröder Zegna kaufte, bevor er zu ➱Brioni wechselte), ich zitiere einmal die Textil Mitteilungen aus dem Jahre 1999: Zum Kreis der Lieferanten gehörte bis vor kurzem auch noch Zegna. Doch die Wege haben sich getrennt. Die Italiener eröffnen einen Steinwurf entfernt demnächst einen eigenen Laden. Möller ficht das offenbar nicht übermäßig an. Er hat die Trennung selbst gewollt. 'Sie dürfen sich nicht zum Opfer machen. Sonst sind Sie ein Angestellter vergleichbar denen an der nächsten Aral-Tankstelle.' H.B. Möller soll als Laden Marke sein. 'Wenn morgen so eine Fabrik abbrennt, was mache ich dann?' Die Nachfolge Zegnas scheint inzwischen auch geklärt. Sie wird wohl Baldessarini heißen. Baldessarini (die ➱hier einen Post haben) bedeutete Caruso, und das war sicherlich eine gute Wahl. Die scheinen für diese Zegna Shops immer den selben Innenarchitekten zu haben, das ist bei McDonald's und H&M ja nicht anders. Es ist ja immer die gleiche Geschichte, die Kleinen machen die Großen groß. Und dann eröffnen die nebenan einen eigenen Laden.

Oder gehen zu den Filialisten. Das will Zegna auch: Ermenegildo Zegna macht keinen Hehl aus der Absicht, künftig verstärkt über selbst kontrollierte Flächen und Shops bei Filialisten wachsen zu wollen. 'Wir müssen ein klares Bild der Marke durchsetzen. Mit Kunden, die zu sehr aus der Kollektion picken, wird das nicht gehen', betont Deutschland-Geschäftsführer Peter Mohrmann. Der Handel hat nichts gegen Marken, er will sie aber selbst führen, schreiben die TM im Jahre 2004. Kleine Herrenausstatter sehen es nicht so gerne, wenn Zegna plötzlich in ihrem Laden, der sein eigenes Flair hat, einen Shop im Shop einrichten will. Und die Belieferung und den su misura Service damit verknüpft.

Zegna schreckt selbst vor einer Kooperation mit Boss nicht zurück, wenn man einen Shop im Flughafen München bekommt. Wie man den erreicht, erklärt Ihnen mal eben Edmund Stoiber: Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München ... mit zehn Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen ... am ... am Hauptbahnhof in München starten Sie Ihren Flug. Zehn Minuten. Schauen Sie sich mal die großen Flughäfen an, wenn Sie in Heathrow in London oder sonst wo, meine sehr ... äh, Charles de Gaulle in Frankreich oder in ... in ... in Rom.

Zegna ist immer größer geworden, sie haben rund ums Mittelmeer alle Fabriken aufgekauft, deren sie habhaft werden konnten. Jetzt kontrollieren Sie ein Drittel des Luxusmarktes (so schätzt man). Aber um welchen Preis? Sie haben jetzt ein Zegna Outlet im Designer Outlet Neumünster. Tiefer kann man nicht fallen. Die Qualität ist nicht mehr die gleiche. Nur noch in der höchsten Stufe der Produkte findet sich die Qualität, die vor dreißig Jahren die Norm war. Natürlich hat auch die Werbung zugenommen, eine ganze Seite in der Zeit oder der Süddeutschen ist keine Seltenheit. Vor dreißig Jahren waren das mal gerade eine Doppelseite in einem italienischen L'Uomo Vogue Heft, das eh nur vom Fachhandel gelesen wurde.

In meinem Kleiderschrank war früher viel Zegna. Konnte bei den netten Angeboten, die Kelly mir immer machte, nicht ausbleiben. Heute ist da etwas weniger Zegna. Wenn man den Verlockungen von Second Hand Läden (lesen Sie doch einmal den Post ➱preloved) nicht widerstehen kann und die Angebote von ebay richtig zu lesen versteht, dann trägt man lieber Caruso, Brioni oder Kiton (und wie sie alle heißen). Wenn man für 39 Euro bei ebay ein nagelneues Attolini Jackett aus Kaschmir ersteigert, dann kann man über die Preise von Zegna nur müde lächeln. So wie dieser Herr aus der Zegna Werbekampagne von 1988.