Samstag, 31. Oktober 2015

Admiral Thomas Cochrane


Er ist schon häufig in diesem Blog aufgetaucht, der Admiral Thomas Cochrane. Unser deutscher ➱Admiral Brommy war sein Untergebener im griechischen Freiheitskrieg. Damals war Cochrane nicht mehr Captain in der Royal Navy, damals war er Admiral in ➱Griechenland. Zuvor ist er in den Diensten von Chile und Brasilien gewesen (wo er den Titel eines Marquess do Maranhão bekommt). Freiheitskriege sind jetzt seine Lebensaufgabe. Die Royal Navy hatte den Seekriegshelden der napoleonischen Kriege 1814 mit Schimpf und Schande ausgestoßen. Cochranes Leben reicht für eine Vielzahl von Romanen. Manche von den Romanen sind schon geschrieben, allerdings hat Cochrane da einen anderen Namen. Da heißt er Hornblower (wie in den Romanen von C.S. Forester) oder Jack Aubrey. Wie in den Romanen von einem gewissen Patrick O'Brian.

Der überhaupt nicht Patrick O'Brian heißt, kein Ire ist und niemals zur See gefahren ist. C.S. Forester, der Schöpfer von ➱Horatio Hornblower, ist immerhin mal mit einem kleinen Segelboot um ganz England gesegelt. Northcote Parkinson, dem wir die wunderbare Biographie The Life and Times of Horatio Hornblower verdanken, war Dozent am Royal Naval College. Douglas Reeman, der als 'Alexander Kent' schreibt, war britischer Marineoffizier im Zweiten Weltkrieg. Richard Patrick Russ, der seine Romane als Patrick O'Brian in Südfrankreich schreibt, hat sich immerhin irgendwann einmal ein kleines Segelboot gekauft. Aber alles, was er an nautischen Fachtermini in seinen Büchern verwendet, hat er aus Büchern. Vor allem aus den Romanen von C.S. Forester.

Ich habe schon in dem Post ➱Intertextualität meinen Unmut über die postmodernen Schreiber geäußert, die ihre Romanwelt nur aus anderen Romanwelten beziehen. Und die, wie Patrick O'Brian, ungeheuer fachmännisch daherkommen. Richard Henry Dana, Captain Marryat, ➱James Fenimore Cooper, Herman Melville und Joseph Conrad sind zur See gefahren. Die wissen, worüber sie schreiben. Sie brauchen ihre seemännischen Kenntnisse nicht durch die Verwendung von tausenderlei Fachausdrücken zu beweisen.

Das erste Mal taucht Lord Cochrane in der Literatur als Captain Thomas Kirkwall Savage in dem Roman Peter Simple (hier im ➱Volltext) auf. Und dieser Roman war glücklicherweise von jemandem geschrieben worden, der die See kannte. Und der als Midshipman unter Cochrane gedient hatte. Er heißt Frederick Marryat und hat gerade seinen Dienst als Captain der Royal Navy aufgegeben, um sich der Literatur zu widmen. Wenn wir mal Romane wie Roderick Random (geschrieben von einem Autor, der einmal Schiffsarzt in der Royal Navy war) draußen vor lassen, dann beginnt der englische Seeroman mit Captain Marryat. Und Thomas Cochrane.

Die Beliebtheit der Romane seines ehemaligen Untergebenen (und seine Beliebheit bei der Bevölkerung) verhilft Cochrane zu seinem Wiederaufstieg. Auf diesem politischen Cartoon ist er zur Hälfte als stolzer Marineoffizier zu sehen. Die andere Hälfte zeigt den zu einem Jahr Gefängnis verurteilten Lord Cochrane, der angeblich an dem Great Stock Exchange Fraud beteiligt war. Er wird aber begnadigt, erhält seinen Titel als Knight Grand Cross of the Order of the Bath zurück und wird wieder Admiral der Royal Navy. Jahrzehnte später wird die Regierung seinem Enkel eine Riesensumme als Wiedergutmachung zahlen. Es ist Cochranes Glück, dass inzwischen William IV König ist, den man den ➱Sailor King nennt. Der kümmert sich um die Sache des Admirals (auch einen Teil der Schulden von Admiral Sir Sidney Smith wird die englische Regierung jetzt übernehmen). Die Schilderung der Geschehnisse des Jahres 1814 und die Abrechnung mit falschen Zeugenaussagen ist der langweiligste Teil des ersten Bandes der Autobiography of a Seaman, die im Todesjahr Cochranes erschien.

In den nächsten fünfundzwanzig Jahren wird Cochrane nur noch befördert, bis er Admiral of the Red und Rear-Admiral of the United Kingdom ist. Höher kann niemand kommen. Auf seinem Grabstein in der Westminster Cathedral wird stehen: Here rests in his 85th year Thomas Cochrane Tenth Earl of Dundonald of Paisley and of Ochiltree in the Peerage of Scotland Marquess of Marenham in the Empire of Brazil GCB and Admiral of the Fleet who by his confidence and genius his science and extraordinary daring inspired by his heroic exertion in the cause of freedom and his splended services alike to his own country, Greece, Brazil, Chile and Peru achieved a name illustrious throughout the world for courage, patriotism and chivalry. Born Dec 14 1775. Died Oct 31 1860.

Cochrane ist ein Exzentriker wie ➱Sir Sidney Smith, jener Admiral, der einmal Napoleon besiegte. Nicht auf See, sondern an Land, wie man hier sehen kann. Bis zu seinem Lebensende hat sich Napoleon darüber gegrämt: cet homme m'a fait manquer ma fortune. Aber es gibt noch einen anderen Cochrane als den Seehelden, der ebenso wie Sidney Smith ungern Befehle von Vorgesetzten entgegennimmt. Es gibt da noch den Thomas Cochrane, der ein Tüftler und Erfinder ist. Der zusammen mit Isambard Brunel, den Schildvortrieb für den Tunnelbau entwickelt, mit dem Brunel den Themsetunnel bauen wird. Für die Royal Navy schlägt der Sohn eines Chemikers und erfolglosen Erfinders eine Weiterentwicklung des Brandschiffes, den Einsatz von smoke-screens, und den Einsatz von noxious effluvia vor. Hinter diesem schönen Begriff verbirgt sich nichts anderes als Giftgas. Die englische Regierung hat diese geheimen Pläne bis 1908 unter Verschluss gehalten.

Without a particle of romance in my composition, my life has been one of the most romantic on record, and the circumstances of my marriage were not the least so, hat er in seiner Autobiographie (hier im ➱Volltext) gesagt. Cochrane hat 1812 eine Miss Katherine Corbett Barnes geheiratet. Sehr zum Missfallen seines immens reichen Onkels Basil Cochrane, der ihn umgehend aus seinem Testament strich.

Es kümmert ihn nicht besonders, seine lange Ehe mit Kitty (die ihn beinahe überall hin begleitete) ist sehr glücklich gewesen. Er hat sie übrigens dreimal geheiratet. Das erste Mal in Schottland, als er mit der Sechzehnjährigen durchgebrannt war. Aber eine schottische Ehe gilt nicht überall auf der Welt. Als er nach Südamerika aufbricht, heiratet er sie sicherheitshalber noch einmal in einer anglikanischen Kirche nahe Tunbridge Wells (wo er gerade wohnte). Und Jahre später noch einmal nach den Riten der Church of Scotland, das war die Bedingung eines Verwandten, der ihm den Familiensitz Culross (wo Cochrane seine Jugend verbrachte) vermachte.

In Chile ist man glücklich, wenn der chilenische Gesandte in England nach Hause schreibt: I have extreme satisfaction in informing you that Lord Cochrane, one of the most famous and perhaps the most valiant seaman in Great Britain, has determined to travel to Chile in order to direct our navy and co-operate decisively in the consolidation of liberty and independence. Man wird ihm den Verdienstorden des Landes verleihen. Und die chilenische ➱Marine besitzt heute immer noch ein Schiff, das Almirante Cochrane heißt. Die sind da schon sehr dankbar, denn der Engländer, den die Royal Navy gerade herausgeworfen hatte, hat ihnen ihre Unabhängigkeit gebracht.

Noch im 20. Jahrhundert hat der Dichter Pablo Neruda Lord Cochrane als ein Symbol der Freiheit in sein Gedicht Cochrane de Chile hinein geschrieben. Er hat über sein Gedicht gesagt: Este es un homenaje a un hombre tan valeroso como obstinado, tan romántico como sagaz: un hombre temperamental, inflexible, dedicado y apasionado. Su corazón era una rosa de los vientos que le mostraba de noche y de día el camino de la libertad. El siguió ese camino. ➱Curt Meyer-Clason könnte das sofort übersetzen, aber ich denke, es geht auch so. Und mit dem Bild des Denkmals in Valparaiso und einer kleinen Probe aus Nerudas Cochrane de Chile höre ich heute mal auf:

Lord of the sea, we call you, singing, to battle
We are as water and sand oppressed,
We are a people mute and besieged
Lord of the sea, we call you, singing, to battle
Spanish chains deny us the seas.
Our hopes wither in the Spanish night
Lord of the sea, grief and rage await you in the harbour,
Southern seas are calling you, Lord of the sea...


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1 Kommentar:

  1. Lieber Jay,
    ein schöner Beitrag, wie stets. es scheint, dass wir nicht nur eine Vorliebe für klassische Herrenbekleidung sondern auch für die - vor allem Britische - maritime history teilen.

    Dessen ungeachtet: Neben dem Rüsslesheimer Admiral fehlt natürlich aus diese Spezies: https://en.wikipedia.org/wiki/Limenitis

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