Donnerstag, 3. März 2016

Astronomie


Als ich klein war, hatte ich mal den Vorsatz, alles über die Sterne am Himmel zu wissen. Als ich zur Oberschule kam, hätte ich den Vorsatz in die Tat umsetzen können. Denn die Schule hatte ein kleines Observatorium auf dem Dach, hier hat es jemand bei Schnee aufgenommen. Meine goldene ➱Omega Constellation de Luxe hat auch ein Observatorium auf dem Gehäuseboden, das erinnert mich heute noch immer an den Vorsatz mit dem Sternenhimmel.

Leider war der Leiter der Schulsternwarte unser Nachbar. Er hieß Georg Frese, war aber an der Schule nur als Kugel Frese bekannt. Der Name bezog sich nicht auf die Erdkugel, sondern auf seinen Körperbau. Seine beiden Söhne, mit denen ich befreundet war, waren große Tüftler und mathematische Genies, das schien in der Familie zu liegen. Der ältere ist Direktor beim Deutschen Elektronen Synchrotron geworden. Kugel Frese (erste Reihe, zweiter von links) war ein guter Mathematiker und sicher ein guter Astronom (er soll sogar irgendetwas am Himmelszelt entdeckt haben), aber die Welt der Sterne war für mich etwas Geheimnisvolles. Da passte unser Nachbar nicht dazu, das war zu prosaisch.

Ich verschob die Welt der Sterne auf später. Das ist mit den guten Vorsätzen ja immer so. Ich habe aber ein kleines Buch, in dem der ganze Himmel und die Harmonie der Welt erklärt wird, ich habe die Sache noch nicht ganz aufgegeben. Ich bin noch nicht bei der Haltung Panofskys angelangt, der, als ihm Ernst Kantorowicz sagte: Wenn ich zu den Sternen aufblicke, empfinde ich meine eigene Sinnlosigkeit, geantwortet hat: Alles was ich empfinde, ist die Sinnlosigkeit der Sterne. Es ist eine wunderbare kleine Anekdote. Ich habe sie schon in den Posts ➱Die Harmonie der Welt und ➱SoFi erzählt. Ich habe in dem Post ➱Zeiss auch schon erwähnt, dass es im 18. Jahrhundert in unserer Gegend mal eine Sternwarte (Bild) gegeben hat. Die natürlich in dem Post ➱Arno (Otto) Schmidt erwähnt wird, weil der Arno einen Roman namens Lilienthal schreiben wollte. Das Sujet lag ihm, er war ein kleines mathematisches Genie. Eigentlich hatte er Mathematik und Astronomie studieren wollen.

Den englischen Astronomen James Bradley, der 3. März 1693 geboren wurde, kannte ich lange Zeit nicht. Bis ich Thomas Pynchons Buch Mason & Dixon las, ein schönes Buch, ich habe es zweimal gelesen (es wird in dem Post ➱Intertextualität vorgestellt). Zu dem Autor gibt es inzwischen schon eine Thomas Pynchon Wiki, ist bei einem Autor wie ihm auch notwendig. Man kann ja immer wieder Dinge aus Romanen lernen. Es scheint im Augenblick eine Hausse von Romanen über Astronomen zu geben, die so heißen wie Das Duell der Astronomen, Das Geheimnis des Astronomen oder Der Astronom des Königs. Ich glaube aber nicht, dass die an Thomas Pynchons Roman oder Arno Schmidts Romanfragment Lilienthal 1801, oder die Astronomen  heranreichen.

In meinem Schulunterricht sind viele Dinge des wirklichen Lebens nicht vorgekommen. Nichts über Frauen, über die konnte man aus Romanen mehr lernen. Die fehlende Bildung über Frauen oder Sterne war ein weiterer Beweis für das non vitae, sed scholae discimus des Seneca. Andererseits: wollte man wirklich das Geheimnis von jungen Frauen (oder von Sternen) von einem Lehrer erklärt bekommen? Für Ernstaugust Michaelis (der schon in dem Post ➱Politische Bildung vorkommt) war das alles nur Chemie und künstlich aufgetragene Farbe. Das wollte man nicht unbedingt hören, wenn man im Bio-Unterricht unter der Bank Liebesgedichte schrieb, in denen irgendwie Frau und Sterne zusammengebracht wurden.

Der Satz non vitae, sed scholae discimus wird ja immer falsch herum zitiert, aber dieses non scholae, sed vitae discimus ist reine Studienratsromantik. James Bradley ist in meinem Physikunterricht nicht vorgekommen, das weiß ich ziemlich genau. Dafür, dass ich im sprachlichen Zweig des Gymnasiums war, hatte ich erstaunlich gute Noten in Physik und Chemie. Es war nicht so, dass diese zweite der Kulturen, die C.P. Snow in ➱The Two Cultures ausgemacht hatte, mich überhaupt nicht interessierte. Kannten meine Lehrer überhaupt diesen James Bradley? Kugel Frese bestimmt, aber den hatte ich nie als Lehrer. Wenn ich etwas über die Naturwissenschaften weiß, dann verdanke ich das einem Fund im Grabbelkasten: J.D. Bernals Science in History. Ich habe alle vier Bände der Rowohltausgabe sorgfältig gelesen. War besser als Schule.

James Bradley war der dritte Astronomer Royal, nach Flamsteed (der schon im Post ➱Observatorium vorkommt, weil das Observatorium in Greenwich auch ➱Flamsteed House heißt) und Halley. Halley kennt jedermann wegen des Kometen, aber wer kennt Bradley? Sein französischer Kollege Jean Baptiste Joseph Delambre hat über ihn gesagt: C'est à ces deux découvertes de Bradley que nous devons l'exactitude de l'Astronomie. Sans elle, il était impossible à l'astronome le plus soigneux de faire accorder ensemble les ascensions droites observées d'une même étoile à 5o ou 6o" près, et les déclinaisons à une demi-minute. Ce double service assure à son auteur la place la plus distinguée après celle d'Hipparque et de Képler, et au-dessus des plus grands astronomes de tous les âges et de tous les pays; ces travaux auraient suffi à sa gloire. Mehr geht nicht, jedes lobende Wort ist berechtigt.

James Bradley erforscht die Lichtaberration (zu dem Thema hätte ich hier einen schönen ➱Artikel, so etwas gab es zu meiner Schulzeit nicht) und bringt den ersten experimentellen Nachweis der Erdrotation. Er berechnet die Lichtgeschwindigkeit und zählt die Sterne. Wenn man als Kind in den Schlaf gesungen wird mit Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?, dann genügt einem die Antwort, dass Gott der Herr sie gezählet hat.

Astronomen genügt das natürlich nicht. An dieser Stelle muss ich noch einmal auf das kleine Kaff ➱Lilienthal bei ➱Worpswede zurückkommen. Und den Namen Friedrich Wilhelm Bessel ins Spiel bringen (den Arno Schmidt schon als Nebenfigur in ➱Massenbach auftreten lässt). Bessel hatte (wie ➱Friedrich Engels) in Bremen eine kaufmännische Lehre absolviert und sich im Selbststudium zu einem Astromen weitergebildet. Der Bremer Arzt Heinrich Wilhelm Olbers verschaffte ihm die Stellung als Inspektor an der Sternwarte, die Johann Hieronymus Schroeter in Lilienthal gegründet hatte.

Bradley war Geistlicher, Schroeter Jurist, Olbers Arzt und Bessel Kaufmann, doch daneben waren sie Astronomen. Die berühmtesten in ihrer Zeit. Bessel wird sich den Sternenkatalog von James Bradley noch einmal vornehmen und ihn überarbeiten. Das Ergebnis sind die 1818 erschienenen Fundamenta Astronomiae (da ist Bessel schon Professor für Astronomie in Königsberg). Und als ehrlicher Wissenschaftler nennt Bessel unseren guten James Bradley, den viri incomparabilis, im Titel des Werks.


Noch mehr über Observatorien, Sterne und Zeitmessung finden Sie hier: Adam Elsheimer, ZeissObservatorium, Abschiedsgeschenk, Dampfschiffahrt, Zeitmessung, SommerzeitSir Christopher Wren18th century: Georgian EraAlberto Santos-Dumont


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