Dienstag, 12. April 2016

Erdogan


In Berlin geschieht eine Verurteilung wegen Majestätsbeleidigung, welche die innere Unsittlichkeit dieses Paragraphen und des Prozeßverfahrens dabei nahezu grotesk erweist. Aus der Provinz hören wir von Majestätsbeleidigungsprozessen, welche die Frage nahelegen, ob wir denn in Deutschland überhaupt noch eine Überzeugung aussprechen oder in bestimmten Fragen nur mehr schmeicheln oder heucheln dürfen. Diese Sätze stammen nicht aus den Nachrichten der letzten Tage, das sagte der Dichter Ferdinand Avenarius im Jahre 1900. Der Straftatbestand der lèse majesté ist in Deutschland eine schlimme Sache. Der Tübinger Professor Reinhard Frank schreibt 1908 in der kommentierten Ausgabe des Strafgesetzbuches, dass die Ehre des monarchischen Staatsoberhauptes eine andere ist als die der Untertanen. Deshalb durfte er sich wenig später auch Reinhard von Frank nennen.

Die Sätze von Avenarius müssen vor dem Hintergrund einer Geschichte gesehen werden, die in der letzten Woche von einigen Journalisten ein wenig zögernd zitiert wurde: die Palästinareise von Kaiser Wilhelm II. Denn als dieser schöne Cartoon im Simplicissimus anlässlich der Wallfahrt von Willem erschien, wo Gottfried von Bouillon sagt: Lach nicht so dreckig, Barbarossa! Unsere Kreuzzüge hatten doch eigentlich auch keinen Zweck, musste der Verleger Albert Langen für fünf Jahre das Land verlassen. Zeichner und Texter wanderten ins Gefängnis. Und auch ein solches Gedicht durfte nicht sein:
 
Der König David steigt aus seinem Grabe,
Greift nach der Harfe, schlägt die Augen ein
Und preist den Herrn, daß er die Ehre habe,
Dem Herrn der Völker einen Psalm zu weihn.
Wie einst zu Abisags von Sunem Tagen
Hört wieder man ihn wild die Saiten schlagen,
Indes sein hehres Preis- und Siegeslied
Wie Sturmesbrausen nach dem Meere zieht.

Willkommen, Fürst, in meines Landes Grenzen,
Willkommen mit dem holden Eh'gemahl,
Mit Geistlichkeit, Lakaien, Exzellenzen
Und Polizeibeamten ohne Zahl.
Es freuen rings sich die historischen Orte
Seit vielen Wochen schon auf deine Worte,
Und es vergrößert ihre Sehnsuchtspein
Der heiße Wunsch, photographiert zu sein.

.....

Wenn Sie wollen, können Sie sich das noch von ➱Ernst Busch gesungen anhören. Der Dichter - es war Frank Wedekind - bekam übrigens ein halbes Jahr Festungshaft. Die Ehre des monarchischen Staatsoberhauptes ist eine andere als die der Untertanen. Das ist ein Satz, der Recep Tayyip Erdogan gefallen wird. Jedem Satiriker auch. Hatten wir im letzten Jahr den ➱Landesverrat, der die Republik erschütterte, so haben wir jetzt die Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten (§ 103 des StGB). Ein Paragraph, der auch den Beinamen Schah Paragraph hat, aber selten im Gerichtssaal bemüht wird. 1977 fühlte sich der Botschafter des Pinochet Regimes durch das Wort Mörderbande auf einem Plakat der Demonstranten vor seiner Botschaft beleidigt. Er klagte, das Gericht gab ihm Recht. Womit nicht angedeutet sein soll, dass man das Pinochet Regime mit der Regierung eines lupenreinen Demokraten wie Recep Tayyip Erdogan vergleichen kann.

Den bösen ➱Song Erdowie, Erdowo, Erdogan in der Sendung extra3 hatte Erdogan ja noch geschluckt, bei Jan Böhmermanns Gedicht (soll ich das Wort Gedicht in Anführungszeichen setzen?) war Schluss mit lustig. Man muss vorsichtig sein in diesen Tagen, überall ist diese schleimige Political Correctness. Ein Gedicht mit Versen wie Zur Rechten sah man wie zur Linken einen halben Türken heruntersinken, schafft es heute bestimmt nichts mehr ins Lesebuch. Die Frage ist: was darf die Satire? Die Satire in England war im 18. Jahrhundert (the golden age of satire) böse, scharf und ordinär.

Ich persönlich mag Böhmermann nicht, ich finde ihn nicht witzig. Aber ich rufe deshalb nicht Angela Merkel an. Böhmermann trägt slimline Anzüge und möchte gerne Harald Schmidt sein. Er kommt aus Aumund (einem Stadtteil Bremens, aus dem man nicht kommt) und war mal auf meinem Gymnasium (das auch nicht mehr das ist, was es einmal war). Böhmermann möchte wie die englischen Satiriker des 18. Jahrhunderts auch gerne böse, scharf und ordinär sein. Aber er ist irgendwo nur billig, auf Ballermann Niveau. Doch, sagen wir es deutlich: auch dafür ist Platz bei unseren Grundwerten von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit.

Das Gedicht von Jan Böhmermann serviere ich heute nicht als Gedicht des Tages. Wenn Sie wollen, können Sie es ➱hier lesen. Das ZDF hat die Sendung mit Böhmermann aus seiner Mediathek gelöscht - das hat aber nichts mit Zensur zu tun. Es ist im übrigen auch ein schwaches Gedicht, da bin ich mit den beiden Literaturwissenschaftlern Merkel und Erdogan einer Meinung. Es gibt Klosprüche, die einen höheren Gehalt an Poesie haben, Peter Rühmkorf hat das mit seinem Buch Über das Volksvermögen bewiesen. Böhmermanns Verse sind schmutzig. Ja. Es gibt schmutzige Lyrik. Es gibt sogar in diesem Blog einen Post, der ➱Schmutzige Lyrik heißt. Shakespeare, der demnächst wieder einmal ein Jubiläum hat (wahrscheinlich vergesse ich das), ist schmutzig. Immer wieder. Héloïse Sénéchal, die gerade eine neue Shakespeare Ausgabe fertiggestellt  hat, versichert uns: The plays are absolutely packed with filth. I’ve found more than a hundred terms for vagina alone.   

Mein Gedicht heute kommt aus dem 17. Jahrhundert, es ist schmutzig, es ist politisch (es verhöhnt den König), aber es ist von einem ➱Dichter, keinem TV Kasper. Der Autor ist ein Adliger: John Wilmot, der zweite Earl of Rochester. Lesen wir einmal A Satyre on Charles II:

I' th' isle of Britain, long since famous grown
For breeding the best cunts in Christendom,
There reigns, and oh! long may he reign and thrive,
The easiest King and best-bred man alive.
Him no ambition moves to get renown

Like the French fool, that wanders up and down
Starving his people, hazarding his crown.
Peace is his aim, his gentleness is such,
And love he loves, for he loves fucking much.
---Nor are his high desires above his strength:

His scepter and his prick are of a length;
And she may sway the one who plays with th' other,
And make him little wiser than his brother.
Poor prince! thy prick, like thy buffoons at Court,
Will govern thee because it makes thee sport.

'Tis sure the sauciest prick that e'er did swive,
The proudest, peremptoriest prick alive.
Though safety, law, religion, life lay on 't,
'Twould break through all to make its way to cunt.
Restless he rolls about from whore to whore,

A merry monarch, scandalous and poor.
---To Carwell, the most dear of all his dears,
The best relief of his declining years,
Oft he bewails his fortune, and her fate:
To love so well, and be beloved so late.

For though in her he settles well his tarse,
Yet his dull, graceless ballocks hang an arse.
This you'd believe, had I but time to tell ye
The pains it costs to poor, laborious Nelly,
Whilst she employs hands, fingers, mouth, and thighs,

Ere she can raise the member she enjoys.
---All monarchs I hate, and the thrones they sit on,
---From the hector of France to the cully of Britain.

Und wenn Sie sich jetzt fragen, ob Rochester den Kronanwalt und den Henker an der Backe hat (oder das Auswärtige Amt, Steffen Seibert und die Staatsanwaltschaft Mainz), kann ich Sie beruhigen: es ist ihm nichts passiert. Er wird seinen Saufkumpan den König überleben, dem er noch ein schönes Epitaph dichtet:

Here lies our Sovereign Lord the King
whose word no one relies on,
who never said a foolish thing
nor ever did a wise one.

1 Kommentar:

  1. Noch ist Böhmermann nicht verurteilt, noch ist nicht entschieden, ob ein Verfahren überhaupt eingeleitet werden soll oder - subjektiv aus der Sicht der erpressten Regierung - muss.
    Wir müssen mehr Lärm machen! Nach Erdogan kann jeder andere Hanswurst kommen und sich beleidigt fühlen.

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