Samstag, 7. Mai 2016

Vampire


Ich war vor Jahren an einem Sonntagnachmittag noch einmal in der Uni gewesen, um korrigierte Klausuren in den Stahlschrank einzuschließen. Als ich das Geschäftszimmer abschloss, sah ich eine Anzahl von Büchern auf dem Tisch neben der Tür liegen. Das war der Ort, wohin jeder seine Bücher legte, die er nicht mehr brauchte. Ich griff mir eins, das Twilight hieß, es war von einer Autorin namens Stephenie Meyer. Ich hatte noch nie von der Frau gehört. Als ich am Montagmorgen Twilight reumütig wieder auf den Tisch legte, gab ich ihr keine großen Aussichten auf eine literarische Karriere. Ich hatte den Roman nicht zu Ende lesen können, weil ich immer wieder diese schrecklichen Lachanfälle hatte.

Wenn Sie den Post ➱Fantasy gelesen haben, in dem ich die Welt von Stephenie Meyer als Teeny Vampirschrott bezeichnete, dann wissen Sie dass diese Welt nicht unbedingt die meine ist. Aber die Vampire gehören nun einmal zur englischen Literatur, auch wenn an ihren Anfängen vielleicht nicht unbedingt ➱John Polidoris The Vampyr steht. Ich möchte Ihnen heute einen Herrn vorstellen, der beruflich etwas mit Vampiren zu tun hat und schon über sie schreibt, bevor Bram Stoker auf die Idee gekommen ist. Dafür hat ihn Bram Stoker als Professor van Helsing in seinen Roman Dracula geschrieben. In Wirklichkeit hieß der Gelehrte (der heute vor 316 Jahren geboren wurde) Gerard van Swieten und hat eine Abhandlung des Daseyns der Gespenster mit einem Anhange vom Vampyrismus geschrieben, in der er sagt:

Der Aberglauben vom Vampyrismus wird lateinisch Magia Posthuma, oder Zauberey der Abgestorbenen, genennet. Die Vampyren aber sind verstorbene Menschen, welche zuweilen später, zuweilen eher aus dem Grabe aufstehen, den Menschen erscheinen, das Blut aussaugen, an die Hausthüren ungestümm anklopfen, Getöse im Hause erwecken, und öfters gar den Tod verursachen sollen. Wessentwegen dann auch sehr viele kaiserl. königl. scharfe Befehle in alle Erbländer ausgeschicket worden, diesem Abentheuer des Aberglauben Schranken zu setzen, dergleichen nur unter Barbaren, Ignoranten, oder Boshaften zu finden sind. In allen christcatholischen andern Ländern ist diese schädliche Meinung unbekannt. Nur in Ungarn, Mähren, Pohlen und Schlesien findet sie ihre Anhänger. Der Anfang dieses Uebels mag seinen Grund wohl ohne Zweifel in der schismatischen griechischen Einfalt haben, welche glaubt, daß der Teufel an statt der Seele den Körper des Menschen besitzen könne. Außer dieser kurzen Erinnerung weis ich meinem Leser nichts mehr zu sagen, als daß ich mich seiner Gewogenheit und Freundschaft ergebenst empfehle. Ob Dr van Swieten diesen kleinen ➱Reisekoffer bei seiner Reise nach Mähren dabei gehabt hat, weiß ich nicht so genau.

Der Arzt und Wissenschaftler Gerard van Swieten ist nach Wien gegangen, weil er als Katholik in seiner Heimat Holland kein berufliches Fortkommen sah, jetzt wird er Leibarzt von Maria Theresia. Und ein Reformer in allen Bereichen. Er organisiert die medizinische Ausbildung in Wien neu und lässt einen botanischen Garten einrichten. Und drängt den Einfluss der Jesuiten zurück und regelt das Zensurwesen neu. In all diesen Dingen ist er vergleichbar mit dem Reichsgrafen von Rumford, der den bayrischen Staat modernisiert. Der Amerikaner mit deutschen und englischen Adelstiteln, dem man in München den Englischen Garten verdankt, hat ➱hier natürlich schon einen Post.

Im Jahre 1755 schickt Maria Theresia den Doktor van Swieten nach Mähren, weil von dort besonders viel Fälle von Vampiren gemeldet werden. Und da hat sie genau den Richtigen dorthin entsandt, denn für den nüchternen Wissenschaftler ist der Vampirmythos eine Barbarei der Unwissenheit. Das Fazit seiner Untersuchungen wird sein, daß der ganze Lärm von nichts andern herkömme, als von einer eitlen Furcht, von einer aberglaubischen Leichtglaubigkeit, von einer dunklen und bewegten Phantasey, Einfalt und Unwissenheit bei jenem Volke. Der Meinung sind wir heute natürlich auch alle. Und doch, und doch. Zwar hat Maria Theresia auf Grund seines Berichtes einen Erlass publiziert, der alle allgemein gebräuchlichen Abwehrmaßnahmen gegen Vampire wie das Pfählen, Köpfen und Verbrennen verbot. Was aber nicht verboten wurde, sind Vampirromane und Vampirfilme. Und Kinderbücher, die Der kleine Vampir heißen.

Wenn auch keiner wirklich an Vampire und Vampirimus glaubt, warum werden dann immer wieder Bücher über sie geschrieben und gelesen? Warum werden Filme über sie gedreht? Schauen Sie sich einmal diese ➱Liste, das werden Sie nicht glauben. Und bei diesen hunderten von Vampirfilmen sind noch nicht einmal die billigen Slasher-, Snuff-, Necro- und Pornoproduktionen dabei. Jeffrey Weinstock listet in seinem Buch The Vampire Film: Undead Cinema auch Pornoproduktionen wie Ejacula la vampira auf. El sueño de la razón produce monstruos, der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, mehr kann man dazu nicht sagen. Als der Freiherr van Swieten (dessen Sohn Gottfried Mozart protegierte) in seinem Bericht von der Reise nach Mähren schrieb, daß der ganze Lärm von nichts andern herkömme, als von einer eitlen Furcht, von einer aberglaubischen Leichtglaubigkeit, von einer dunklen und bewegten Phantasey, Einfalt und Unwissenheit bei jenem Volke, da glaubte er wohl, jetzt sei es mit dem Unsinn zu Ende.

Es ist nie zu Ende. Mähren ist überall. Ich habe Regale voll mit Literatur zu dem Thema, ich war einmal Anglist. Die Engländer, die schon immer zu Perversionen neigten, haben es nun mal mit dem Genre. Ich war einmal auf einer dreitägigen Konferenz zu diesem Thema, bin dort aber nicht durch Diskussionsbeiträge aufgefallen. Eher durch beständiges Kichern. Der Post Fantasy war übrigens in etwas anderer Form einmal ein Aufsatz in einem Sammelband. An dem ich eigentlich nicht mitschreiben wollte. Bis mir der Herausgeber anbot, dass ich auch, wenn ich wollte, einen richtigen Hassartikel schreiben dürfe. Das habe ich dann getan. Aber die ironische Decouvrierung des ganzen Blutsaugerwahns hat dem Ganzen auch keinen Einhalt geboten.


Wenn ich aus der Vielzahl der Bücher zu dem Thema ein einziges Buch empfehlen sollte, dann wäre das Simone Stöltzels Nachtmeerfahrten (das habe ich schon in dem Post ➱Nachtfahrt erwähnt). Und sie könnten auch noch diese Posts lesen: Dracula, Fantasy, Catherine Oxenberg, Gothick, Gilda, Alan Parker, Landschaftsgärten, Roman Polanski

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