Mittwoch, 8. Juni 2016

Bo Widerberg


Ist er wirklich schon beinahe zwanzig Jahre tot? Seine Filme laufen immer noch in meinem Kopf. Wie Lust och fägring stor, diese amour fou einer schwedischen Lehrerin zu einem Schüler. Der Film spielt während des Zweiten Weltkriegs in Malmö, der Stadt, in der Bo Widerberg am 8. Juni 1930 geboren wurde. Wo auch Widerbergs erste Filme spielten. Vielleicht ist manches in Lust och fägring stor autobiographisch, autobiographische Elemente kann man bei ihm immer wieder entdecken.

Lust och fägring stor (Schön ist die Jugendzeit) ist sein letzter Film gewesen. Hier sehen wir ihn mit Anita Ekberg, die sollte eigentlich in seinem dritten Spielfilm Roulette der Liebe mitspielen, aber dann war es zu einem Streit gekommen. Dabei hätte die Schwedin, die durch ➱La Dolce Vita berühmt wurde, sich hier doch wohlfühlen können. Widerbergs Film war ein bisschen Fellini, ein bisschen ➱Michelangelo Antonioni, aber kein bisschen Widerberg.

Er hätte es besser wissen müssen, denn schon als Filmkritiker hatte er ➱Bergman in seiner Essaysammlung Visionen i svensk film (1962) vorgeworfen, dass seine Filme keinen Realitätsbezug haben. Widerberg wollte ein neues Kino für die sechziger Jahre. Die Franzosen und die Engländer hatten so etwas (und selbst in Deutschland gab es einen neuen Film), die Schweden lebten von Ingmar Bergman und dem Export von blonden ➱Schwedinnen in das Kino weltweit. Bo Widerberg wird dem schwedischen Film ein anderes Gesicht geben. Er ist kein zweiter Bergman, er ist eher der Ken Loach des schwedischen Films. Sein erster bedeutender Film war Kvarteret Korpen (➱Raven's End), der ein Erfolg auch außerhalb Schwedens wurde. In amerikanischen Filmclubs wird das Sozialdrama immer wieder gezeigt.

Mit Thommy Berggren (hier in Widerbergs erstem Spielfilm ➱Barnvagen) hatte er einen Schauspieler entdeckt, den er für viele Filme einsetzen konnte. Vor allem in dem Film, der so ganz im Gegensatz zu den kleinen Dramen der Arbeiterklasse steht, die die ersten Filme Widerbergs ausmachen. Und damit meine ich jetzt natürlich Elvira Madigan, ein Film, der schon in den Posts ➱Elvira Madigan und ➱Liebestod besprochen wird. Und natürlich in ➱Klavierkonzert No 24.

Jetzt hätte Widerberg einen Liebesfilm mit schönen Kostümen nach dem anderen drehen können, aber er denkt nicht daran. Er dreht mit Adalen 31 einen Film (➱hier ganz zu sehen) über einen Streik in Schweden, der von der Armee blutig beendet wird. Vincent Canby schrieb damals über den Film: Widerberg is an enthusiastic but slightly schizoid director, torn between his loudly stated political activism and a barely controlled passion for visual images so lush they are intoxicating in a numbing way. Curiously, 'Adalen 31' works just because of this duality. Das mit den schönen Bildern (Canby sprach von Widerberg's light-filled images which are almost presumptuous in their evocation of the Renoirs, père et fils), das kann er seit Elvira Madigan nicht lassen. Das mit den schönen Frauen, hier Anita Björk, auch nicht.

Für ➱The Ballad of Joe Hill ist Widerberg nach Amerika gegangen, aber die Amerikaner mochten diesen Film über einen schwedischen Gewerkschaftsaktivisten nicht. War es das schlechte Gewissen, dass sie Joel Emmanuel Hägglund, der in Amerika zu Joe Hill wurde, hingerichtet hatten? Aber Joe Hill lebt weiter, man kennt noch die Songs, die er geschrieben hat. Und es sind genügend Songs über ihn geschrieben. Wie I dreamed I saw Joe Hill last night Alive as you or me Says I, But Joe, you're ten years dead I never died, says he I never died, says he. Das hat beinahe jeder gesungen, ich bringe mal die Version von ➱Paul Robeson. Und dann habe ich hier noch einen Song von ➱Phil Ochs (der ➱hier schon einen Post hat), wo er in der Anmoderation über einen Film redet: This song has been made into a movie starring Richard Burton as Joe Hill, and Elizabeth Taylor plays the industrial workers of the world. Das ist wirklich witzig.

Für Marika Lagercrantz (Tochter von Olof Lagercrantz und einmal Botschaftsrätin in Berlin) schwärme ich, seit ich sie 1989 in Landstrykere (die Knut Hamsun Verfilmung ist ➱hier ganz zu sehen) gesehen habe, ich habe mir sogar die DVD besorgt. Von Widerbergs letztem Film Lust och fägring stor auch. Wegen Widerberg. Und wegen Marika. Der Film hat eine Oscar Nominierung bekommen. Und den Silbernen Bären und den Blauen Engel in Berlin, es ist schön, dass Bo Widerberg das noch erleben konnte. Nicht, dass der Mann, der all seine Drehbücher selbst geschrieben hat, keine Filmpreise in seinem Leben erhalten hätte, so ist es nicht.

Und dann hätte ich zum Schluss noch den ultimativen Filmtip für die Europameisterschaft (ich habe den Film schon vor vier Jahren in dem Post ➱Wundliegen empfohlen), nämlich Widerbergs Film ➱Fimpen. Der beste Fußballfilm aller Zeiten steht auf der DVD, stimmt auch. Für Erwachsene und für Kiddies ab sechs. Bo Widerberg ist in diesem Blog kein Unbekannter, er ist immer wieder erwähnt worden. So in den Posts Elvira Madigan, Liebestod, Klavierkonzert No 24, Wundliegen, John Schlesinger


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