Mittwoch, 5. Oktober 2016

Tecumseh


Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzitterte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf. Das ist Rilke. Nicht ich. Meine Indianerphase war kurz. Pferde mochte ich nicht. Sie mich auch nicht. Als ich Indianer war, besaß ich einen Federschmuck, und meine Mutter hatte mir eine indianische Lederweste geschneidert. Auf die Weste waren militärische Abzeichen von amerikanischen Divisonen aufgenäht, die hatte ich bei meinem Onkel in der Wäscherei gemopst. Onkel Gustav hatte nämlich einen Großauftrag von der amerikanischen Armee für das Reinigen von Uniformen. Einen hölzernen Tomahawk hatte ich auch. Beim Aufbauen des Tipis im Garten hatte ich immer Schwierigkeiten. Ich war immer nur im Garten Indianer, auf die Straße bin ich mit meiner Verkleidung nie gegangen. Es gab auch keine anderen Indianer in der Nachbarschaft. Indianer sein, heißt einsam sein.

Karl May habe ich nie gelesen. Mein Held hieß Tecumseh. Ein Mann des Friedens, nicht des Krieges. Alle Heldentaten des edlen und guten Kriegers waren in diesem gelben Buch, das mit der Zeit immer schmuddeliger wurde. Der Autor hieß Fritz Steuben. Ich wusste damals nicht, dass der ein Nazi war.

In einem Aufsatz zum Thema Abenteuerbuch reflektiert Wittek/Steuben über dieses Genre und kommt zu dem Ergebnis, daß ein Schriftsteller nur dann die Jugend ansprechen würde, wenn er eine Haltung lebe, 'die ihrer eigenen, ihrer heutigen, ihrer nationalsozialistischen Haltung entspricht'. Damit sind der vom Abenteuerautor Wittek/Steuben beanspruchte indianische Boden und die wilde Umgebung seiner Tecumseh-Erzählungen nicht mehr als eine beliebige räumliche Voraussetzung, um etwas gänzlich anderes vorzutragen. Sie geben, und das soll nachgewiesen werden, die exotische Gestalt für ein 'heimatliches' Unternehmen ab, und sie wollen 'den Durst, insbesondere der männlichen Jugend nach Eroberung der Welt... stillen'. Sagt Winfred Kaminski in seinem Aufsatz Indianerbücher – die heimlichen Kriegsromane? Zum Beispiel Fritz Steuben (d. i. Erhard Wittek). Das konnte ich nicht wissen, ich war erst acht, als ich Tecumseh las. Und Professor Kaminski war wahrscheinlich noch nicht geboren.

Der Indianerhäuptling Tecumseh ist heute vor 203 Jahren in der Schlacht am Thames River (auch die Schlacht bei Moraviantown genannt) gestorben. Ein englischer Armeeoffizier namens John Richardson, der heute zu den Begründern der ➱kanadischen Literatur zählt, hat ein langes Gedicht auf Tecumseh geschrieben. Ich weiß nicht, wieviel davon wahr ist, aber immerhin war er in den Kriegen dabei, in denen auch Tecumseh war und hat Tecumseh selbst kennengelernt. Ich zitiere einmal die erste Strophe von seinem Tecumseh Gedicht:

It is in truth as fair and sweet a day
As ever dawn'd on Erie's silvery lake,
And wanton sunbeams on its surface play
Which slightest breeze nor rippling currents break;
Yet Devastation's voice her fiends obey,
And stern Bellona loves e'en here to slake
Her quenchless thirst, in streams of human gore,
Which soon must dye that lake and distant shore.

Wenn Sie wollen, können Sie es ➱hier ganz lesen. Und da ich schon bei Volltexten bin, auch seinen berühmtesten Roman Wacousta gibt es hier im ➱Volltext. Es ist ein interessanter Roman, den Richardson da geschrieben hat. Ein Roman, der einmal ➱James Fenimore Cooper Konkurrenz machte, und in dem die Indianer nuancierter beschrieben werden als bei Cooper.

Cooper hat Indianer im Staat New York kennengelernt, aber seine edlen Wilden kommen doch zum großen Teil aus der Literatur. Major Richardson hat in der englischen Armee an der Seite von Indianern und gegen Indianer gekämpft, er versteht ein wenig mehr von ihnen. Fritz Steuben hat (wie ➱Karl May) keine Indianer gekannt, er hat sich nur aus dem Fundus des Abenteuerromans bedient. James Fenimore Cooper, Jack London und ➱Rudyard Kipling waren seine Vorbilder. Ich nehme an, dass er von den Millionenauflagen seiner Bücher gut hat leben können. Er heißt eigentlich gar nicht Steuben, sondern Erhard Wittek. Er ist als Freiwilliger in den Ersten Weltkrieg gegangen, über den er die Bücher Männer und Durchbruch anno Achtzehn geschrieben hat. Die sind: Unpathetisch und knapp, zuchtvoll in Sprache und Aufbau. Steht in einem Portal der Vertriebenen. Dieses zuchtvoll lässt mir einen leichten Schauder über den Rücken laufen. Das Buch Männer hat den Untertitel Ein Buch des Stolzes und wurde 1936 geschrieben. Bestimmt zuchtvoll in Sprache und Aufbau.

Die Tecumseh Romane von Fritz Steuben, dem 1939 der Staatspreis für Jugendliteratur verliehen wurde, sind nach dem Krieg gereinigt worden. Bei dieser Sorte editorischer Reinigung macht das Wort vom Persilschein einen neuen Sinn. Man kann die Romane jetzt immer noch kaufen, auch in Kinderbuch Versionen.

Wir schreiben manchen Indianerhäuptlingen tiefe Weisheiten zu. Es ist einige Jahrzehnte her, dass die ➱Rede des Chief Seattle im Munde aller Linken und Kryptogrünen war. ➱Hannes Wader sang sie zur ➱Gitarre. Manche hatten schlagkräftige Zitate aus der Rede auf einem Sticker hinten auf ihren rostigen ➱Döschewo geklebt. Dessen Auspuffgase heute wohl zur Stilllegung des Fahrzeugs führen würden. Aber natürlich nicht an die amerikanischen ➱Coal Rollers herankommen. Die berühmte Rede von Chief Seattle war niemals echt. Schon Coopers Indianer besitzen diese figurativ metaphorische Redeweise bei ihrer Rhetorik der letzte Dinge. Und die stammt direkt aus Ossian.

Von Tecumseh sind auch eine Vielzahl von ➱Weisheiten überliefert. Eine Rede hat gerade durch einen schlimmen, das Militär verherrlichenden, Film Act of Valor eine ungeheure Verbreitung gefunden. Act of Valor ist so etwas Ähnliches wie Männer: Ein Buch des Stolzes. Wenn Sie das Tecumseh Gedicht sehen wollen - ich sollte hier eine trigger warning anbringen, es ist nicht auszuhalten - dann klicken Sie ➱hier:

So live your life that the fear of death can never enter your heart. Trouble no one about their religion; respect others in their view, and demand that they respect yours. Love your life, perfect your life, beautify all things in your life. Seek to make your life long and its purpose in the service of your people. Prepare a noble death song for the day when you go over the great divide. Always give a word or a sign of salute when meeting or passing a friend, even a stranger, when in a lonely place. Show respect to all people and grovel to none. When you arise in the morning give thanks for the food and for the joy of living. If you see no reason for giving thanks, the fault lies only in yourself. Abuse no one and no thing, for abuse turns the wise ones to fools and robs the spirit of its vision. When it comes your time to die, be not like those whose hearts are filled with the fear of death, so that when their time comes they weep and pray for a little more time to live their lives over again in a different way. Sing your death song and die like a hero going home.

Die Rede ist wahrscheinlich genauso unecht wie die Rede von Chief Seattle. Und die Indianer von Fritz Steuben. Eine der wenigen echten Reden eines Indianerhäuptlings ist die von Chief Joseph. Ich stelle die mal an den Schluss:

Tell General Howard I know his heart. What he told me before I have in my heart. I am tired of fighting. Our chiefs are killed. Looking Glass is dead. Too-hul-hul-sute is dead. The old men are all dead. It is the young men who say yes or no. He who once led them is dead. It is cold and we have no blankets. The little children are freezing to death. My people, some of them, have run away to the hills, and have no blankets, no food; no one knows where they are – perhaps freezing to death. I want to have time to look for my children and see how many of them I can find. Maybe I shall find them among the dead. Hear me, my chiefs. I am tired; my heart is sick and sad. From where the sun now stands I will fight no more forever.


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1 Kommentar:

  1. Ich habe irgendwie eine "natürliche" Affinität zu Indianerliteratur. Das kann man an unserem Blog sehen. Diesen Steuben allerdings muss man wohl nicht unbedingt gelesen haben.

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