Donnerstag, 17. November 2016

Katharina die Große


Das hier ist Catherine Zeta-Jones als Katharina II, es ist nicht der einzige Film, den es über das Leben der russischen Zarin gegeben hat. Der beste Film ist wahrscheinlich Sternbergs ➱The Scarlet Empress. Der schlechteste Film ein deutscher Pornofilm, der Katharina und ihre wilden Hengste hieß. Ähnlich der Königin ➱Eleonore von Aquitanien wird Katharina, die unbestritten eine Vielzahl von Liebhabern hatte, ein wildes ➱Sexleben angedichtet.

Schon zu ihren Lebzeiten kursierten Pariser Flugblätter, die von unerhörten Orgien und wilden Ausschweifungen in den Kellern des Winterpalastes berichteten. Was die Zarin nur ironisch kommentierte: Ich bin nie in den Kellern dieses Palastes gewesen. Wie köstlich hätten wir uns dort amüsieren können, wenn wir das gewusst hätten. Der Pornofilm (in softcore und hardcore Version erhältlich) mit Uschi Karnat aus Castrop-Rauxel setzt nur das an Verleumdung fort, was schon während ihres Lebens begonnen hatte.

Katharina (hier eine zeitgenössische englische Karikatur) ist heute vor 220 Jahren gestorben, das soll uns einige Zeilen wert sein. Sie war eine gebildete Frau, die ➱John Locke gelesen hatte und mit Voltaire korrespondentierte (hier ihre ➱Briefe). Sie schrieb Theaterstücke und ein ➱Opernlibretto. Sie war machtbewusst und vergrößerte Russland wie keiner ihrer Vorgänger, radierte Polen von der politischen Landkarte. Sie war kunstsinnig und kaufte ➱George Walpole für £40.500 Englands größte Kunstsammlung ab. Sie war intrigant und herrschsüchtig, aber versuchte auch Ideen der Aufklärung durchzusetzen. Die Franzosen feieren sie als die Semiramis aus St. Petersburg. Alexander Puschkin wollte das nicht so recht glauben: die Geschichte wird mit der Zeit den Einfluss, den ihre Herrschaft auf die Sitten hatte, richtig einschätzen, sie wird die grausame Tätigkeit ihres Despotismus, der unter dem Deckmantel der Sanftmut und Toleranz verborgen war, lüften.

Ihren späteren Gatten hat sie in Eutin kennengelernt, aber lassen wir sie selbst sprechen: Ich sah Peter III. zum ersten Male im Jahre 1739, als er elf Jahre alt war, in Eutin bei seinem Vormund, dem Fürstbischof von Lübeck, einige Monate nach dem Tode seines Vaters, des Herzogs Karl Friedrich. Der Fürstbischof hatte seine ganze Familie bei sich versammelt, um seinen Zögling einzuführen. Meine Großmutter, die Mutter des Fürstbischofs, und meine Mutter, die Schwester desselben, waren zu diesem Zwecke mit mir, die ich damals zehn Jahre zählte, nach Hamburg gekommen. Auch Prinz August und Prinzessin Anna, die Geschwister des prinzlichen Vormundes und Regenten von Holstein, waren anwesend. 

Bei dieser Gelegenheit hörte ich im Familienkreise davon sprechen, daß der junge Herzog zum Trunke neige und ihn seine Umgebung nur mit Mühe verhindern könne, sich bei Tische zu betrinken. Er sei starrköpfig und jähzornig, liebe seine Umgebung und besonders Brummer sehr wenig; im übrigen aber fehle es ihm nicht an Lebhaftigkeit, obgleich er ein kränkliches und ungesundes Aussehen habe. Und in der Tat, er war sehr blaß, außerordentlich mager und von schwächlicher Konstitution. Diesem Kinde wünschte seine Umgebung das Ansehen eines fertigen Menschen zu geben, zu welchem Zwecke man ihn unaufhörlich belästigte und ihn unter einem Drucke hielt, der ihm jene Falschheit einpflanzen mußte, die seitdem den Kern seines Charakters bildete.

Das steht, freimütig und trocken, am Anfang ihrer (in französischer und russischer Sprache geschriebenen) Memoiren, die nach ihrem Tode versiegelt und sorgfältig weggeschlossen wurden. Aus den in den 1840er Jahren in St Petersburg kursierenden Abschriften hat Alexander Herzen, der auch ➱Krieg und Frieden übersetzt hat, eine erste Ausgabe (der Volltext im Internet folgt dieser Ausgabe) zusammengestellt, die aber noch keine endgültige Ausgabe der unvollendeten Biographie sein konnte. Erst die Ausgabe von A.N. Pypina, Sdi'inenija Ekateriny II. Na osnovanii podlinnych rukopisej i s objasnitel'nymi primeia- nijami akademika (Sankt Petersburg 1907), die aus neun Manuskripten zusammengestellt wurde, ist eine wissenschaftliche Edition zu nennen. Dieser Ausgabe folgt die von Erich Boehme übersetzte - und von Annelies Graßhoff später überarbeitete - Ausgabe des Insel Verlags. Die steht bei mir im Regal. Es ist die Ausgabe des C.H. Beck Verlags aus ihrer wunderbaren Reihe Bibliothek des 18. Jahrhunderts.

Meine beiden Bände haben mich zusammen drei Mark gekostet, das Antiquariat wollte sie loswerden. Ich habe damals aber auch noch die beiden Bände Bolotow gekauft, die fünf Mark kosteten. Andrej Bolotow, der ➱hier einen schönen Post hat, war dem Händler offensichtlich wichtiger als die russische Zarin. Vielleicht stimmt das sogar. Man kann die Erinnerungen der Zarin immer noch sehr günstig bekommen, die Paperback Ausgabe des Insel Verlags ist bei Amazon Marketplace für einen Cent zu haben.

Autobiographien sind wie Romane schöne Literatur, ihr Wahrheitsgehalt ist manchmal gering, sogar bei ➱Augustinus. Katharinas Erinnerungen wirken häufig sehr spontan, aber dahinter stecken Jahre sorgfältiger Überarbeitung. Sie wird uns eine sehr subjektive Version ihres Lebens geben, Grigori Grigorjewitsch Orlow (Bild) und ihre anderen Liebhaber spielen keine Rolle darin. Manchmal aber gibt es Stellen in dem Memoiren, die uns beinahe ausrufen lassen: genau so wird es gewesen sein. Wie zum Beispiel diese köstliche Beschreibung der Geburt ihrer Tochter: In der Nacht vom 8. zum 9. fing ich an, Geburtswehen zu spüren. Ich schickte daher Madame Wladislawa zum Großfürsten, sowie zum Grafen Alexander Schuwaloff, damit er Ihre kaiserliche Majestät davon benachrichtige. Nach einiger Zeit, ungefähr halb drei Uhr morgens, trat der Großfürst ein. 

Er kam in seiner holsteinschen Uniform, mit Stiefeln und Sporen, der Schärpe um den Leib und einem großen Degen an der Seite; kurz, in großer Toilette. Erstaunt über diesen Aufzug, fragte ich ihn, weshalb er in so ausgesuchtem Anzug erschiene, worauf er erwiderte, nur bei großen Gelegenheiten erkenne man seine wahren Freunde. In dieser Uniform sei er bereit, seiner Pflicht gemäß zu handeln, denn die Pflicht eines holsteinschen Offiziers sei, seinem Eide gemäß, das herzogliche Haus gegen alle Feinde zu verteidigen. Da ich mich nicht wohl befinde, käme er mir nun so zu Hilfe. Man hätte glauben können, er scherze, allein dies war durchaus nicht der Fall, er sprach vielmehr im vollsten Ernst. Ich bemerkte sofort, daß er betrunken war, und riet ihm, zu Bett zu gehen, damit die Kaiserin, wenn sie käme, nicht den doppelten Schmerz habe, ihn betrunken und auch noch von Kopf bis Fuß in die ihr verhaßte holsteinsche Uniform gekleidet zu sehen. Es kostete mir indes große Mühe, ihn zum Fortgehen zu bewegen, aber schließlich gelang es mir doch mit Hilfe Madame Wladislawas und der Hebamme, die versicherte, daß meine Entbindung noch nicht so bald stattfinden werde. Kaum hatte er sich entfernt, so trat die Kaiserin ein. Sie fragte nach dem Großfürsten, und man antwortete ihr, er sei eben wieder weggegangen, werde aber gewiß bald zurückkommen.

Schon in der Hochzeitsnacht war der Großfürst Peter besoffen gewesen, später breitet er auf der Bettdecke seine Spielzeugsoldaten aus und spielt Krieg. Seine Frau muss eine preußische Uniform anziehen. Er bewunderte den Preußenkönig und wollte die ganze Armee in preußische Uniformen stecken. Bei solch einem Ehemann muss man sich ja Liebhaber nehmen und sehen, dass er bei der nächsten Gelegenheit abgesetzt wird. Andererseits: was sollen wir von diesem Brief aus dem Jahre 1746 halten? Madame. Ich bitte Sie sich diese Nacht nicht zu inkomodieren mit mir zu schlafen, denn die Zeit ist vorbei wo Sie mich betrügen; das Bett ist nach einer Trennung von 14 tagen von Ihnen, heute Nachmittag zu schmal gewesen. Ihr sehr unglücklicher Mann, den Sie niemals mit diesem Namen zu benennen geruhen. Peter.

Man weiß bis heute nicht genau, was Katharina von den Putschplänen der Brüder Orlow wusste. Der Kommandeur von Peters Leibgarde David Reinhold von Sievers war mit einer Halbschwester von Peter verheiratet. Er wird sich nicht gegen die Orlows wehren und bekommt nach Peters Tod im Ropscha Palast (Bild) eine schöne Beamtenstelle in Cismar mit einem überdurchschnittlichen Gehalt. Das ist schon ein Zeichen von Katharinas Dankbarkeit. Sievers wird in Cismar noch Schützenkönig werden, aber aus der großen Politik ist er raus.

Glücklich wird der Historiker sein, der in hundert Jahren die Geschichte von Katharina II. schreiben wird, hatte Voltaire einst geschrieben, der der Zarin in einem Brief sagte: Sie sind sicherlich das leuchtendste Gestirn des Nordens, und kein Stern ist jemals so wohltuend gewesen wie der Ihrige. Die wahre Geschichte der kleinen Sophie von Zerbst, die eine der mächtigsten Frauen der Welt wird, ist immer noch nicht geschrieben. Trotz aller Romane, Filme, ➱Dokumentationen und Biographien. In der Reihe der rowohlt monographien gibt es einen alten, aber immer noch lesbaren, Band von Reinhold Neumann-Hoditz. In den 1990er Jahren erschienen Romanbiographien von Gina Kaus (deren Roman eigentlich schon 1935 erschienen war) und Carolly Erickson, sowie eine historische Darstellung von Erich Wilhelm Donnert. Die sicherlich historisch seriöser ist als die beiden Romane. Wenn Angela Merkel mal nicht mehr Bundeskanzlerin ist, wird sie bestimmt das ultimative Buch über ihr großes Vorbild, deren Portrait sie auf dem Schreibtisch hat, schreiben.

Lesen Sie auch: Bolotow

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen