Sonntag, 28. Mai 2017

Schuhhandwerk


Es regnete in Hamburg, da merkte ich, dass ich meinen Regenschirm in Bremen in einem Laden hatte stehen lassen. Da ich aber diesen schönen Parkplatz in der Innenstadt gefunden hatte (an diesem Satz können Sie sehen, dass die Geschichte schon etwas her ist, heute findet man keine Parkplätze in der Innenstadt mehr), wagte ich mich aus dem Auto. Prange war der nächste Laden, es war Sommerschlussverkauf, also nichts wie rein. Kam dann mit diesem Schuh nach einer halben Stunde wieder heraus. Den hat die ➱Gabi auf einen wunderbaren Blumenstoff gemalt, extra für mich, das Bild findet sich schon in dem Post ➱Friedel Anderson. Ich habe bei dem Kauf ein wenig gezögert, weil die Verkäuferin mir damals auch einen Schuh von Julius Harai anbot.

Der belieferte damals auch Prange, ansonsten machte er Schuhe für Max Schmeling und Walter Scheel. Für Richard von Weizsäcker später auch. Maßarbeit. Walter Scheel zahlte in den siebziger Jahren 600 Mark für seine Schuhe, die Modelle, die Harai an Prange lieferte, waren natürlich etwas preisgünstiger. Ich habe den Harai Schuh damals nicht gekauft, weil ich schon einen rotbraunen scotch grain Schuh von ➱Dinkelacker besaß und der orangefarbene Italiener irgendwie fetziger war. Dies waren die siebziger Jahre. Der Schuh hat nach vierzig Jahren immer noch Stil. Meinen Schirm habe ich auch wiederbekommen. Als ich zu Hause angekommen war, habe ich den Laden in Bremen angerufen und denen gesagt, dass mein Mütterlein den Schirm irgendwann abholt.

Julius Harais Sohn Martin (Bild) betreibt das Geschäft in Neumünster heute immer noch, aber für 600 Mark bekommt man da natürlich keine Schuhe mehr. Julius Harai war ein gebürtiger Budapester, er kam 1947 nach Neumünster. Ich weiß nicht, weshalb es ihn nach Neumünster zog, es kann natürlich sein, dass ihn die Textilstadt Neumünster lockte. Denn das war Neumünster damals noch (lesen Sie ➱hier mehr), heute ist da nur noch Nortex und das Designeroutlet. Welches die Firma ➱Zegna inzwischen verlassen haben soll, hat mir letztens jemand erzählt.

Neumünster, wo es heute noch ein Textilmuseum gibt, war allerdings auch eine Lederstadt, das kann man im Textilmuseum erfahren. Und wenn man im Ort sehen will, dass hier einmal viel Geld mit der Tuchfabrikation verdient wurde, dann sollte man sich den Park von Detlev Anton Renck anschauen. Dieses kleine Haus (Esplanade 20) könnte man sich natürlich auch ansehen, denn hierhin ist Harai in den sechziger Jahren gezogen. Unten ist die Bürgergalerie drin, die Treppe führt nach oben in das Himmelreich der Schuhe.

Ich bin auf Julius Harai gekommen, weil ich letztens eine Homestory über  Hans-Joachim Vauk in einer dieser fetten Beilagen, die in den Zeitungen liegen, gelesen habe. Ich fand die nur nicht wieder. Zuerst verdächtigte ich diese Beilage der Frankfurter Allgemeinen, in der alle Uhren waren, die man nicht braucht. Alles im fünfstelligen Bereich, mit Brillis, groß und scheußlich. Und ➱Lagerfeld war auch da drin. Diese fetten Beilagen enthalten eine echte Melanie Trump Ästhetik, das ist einfach grauenhaft. Hat man Wolfgang Fritz Haug Kritik der Warenästhetik (➱hier zu lesen) schon vergessen? Haug zerlegt mit akademisch marxistischem Hass die Welt der Werbefuzzis, Designerprodukte und Luxustussis. Haug ist darin ein Nachfolger von Thorstein Veblens ➱The Theory of the Leisure Class, die neue Wissenschaft der Soziologie fängt um 1900 gleich im großen Stil an. Was dem Marxisten Wolfgang Fritz Haug fehlt, ist der Humor, denVeblen, Simmel und ➱Clausen hatten.

Aber es war nicht dieses Protzmagazin für Uhren, es war eine Beilage der Süddeutschen, die Fine Das Magazin für Genuss und Lebensstil hieß, worin der Artikel über Hans-Joachim Vauk stand. Vauk hat sein Geschäft auch in Neumünster, und wenn Benjamin Klemann jetzt noch immer auf Gut Basthorst säße, dann könnte man sagen, dass die drei besten deutschen Schuhmacher ihren Sitz in Schleswig-Holstein haben.

Auf diesem Photo ist Vauk, der einmal bei Bally angefangen hatte und dann bei Ed Meier die Maßschuhe machte, links neben seinem Lehrling Jan-Hagen Gloe zu sehen. Bally in der Schweiz und Ed Meier in München waren renommierte Arbeitgeber, aber es zog Vauk, der in Kiel das Handwerk gelernt hatte, wieder zurück in den Norden. In den Süden Deutschlands kommt er heute aber immer wieder, 80.000 Kilometer fährt er im Jahr zu seinen Kunden und Geschäftspartnern. Ladage & Oelke in Hamburg gehören nicht dazu, die vertrauen auf den Wiener Schuhmacher Lucian Maftei.

Der junge Jan-Hagen Gloe ist jetzt nicht mehr Lehrling, er ist Vauks Geselle. Mit seinem Gesellenstück überzeugte er nicht nur die Jury in Schleswig-Holstein, sondern er wurde auch Sieger beim Wettbewerb der Deutschen Handwerksjugend. Für ihn passt sicher der Satz De Jung schall man Schoster war´n, de Schoster hät immer wat to freten, den Benjamin Klemann von seinem Opa hörte. Das Handwerk scheint einen goldenen Boden zu haben, und Schuster finden heute auch noch Lehrlinge und Gesellen. Bei dem Orthopädieschuhmacher Horst Dworak, den ich schon im Post ➱Hafenstraße erwähnte, arbeiten schon die Enkel mit.

Vor über einem halben Jahrhundert ging ich, wenn Schuhe zu reparieren waren, immer zu Asendorf, der seinen Laden an der Ecke von der Hafenstraße zur Bismarckstraße hatte. Ich hatte irgendwann mit dem Cowboyspielen aufgehört, der Schuhmacher Ludwig Asendorf nicht. Der nähte in jedem freien Moment Westerngürtel, das fand ich etwas bizarr. Sein Sohn hat den ➱Laden übernommen, der heute größer als je zuvor ist. Woraus man sehen kann, dass sich heute noch viele traditionelle Schuster halten können. Trotz der Konkurrenz von Mister Minit.

Bei Benjamin Klemann sind schon die Söhne (hier Lennert Klemann) mit dabei. Die Uhrmacher haben im Gegensatz zu den Schuhmachern keinen Nachwuchs. Batterien wechseln kann jeder, so wie Mister Minit Schuhe reparieren kann. Das ist eine traurige Geschichte mit den Uhrmachern und dem Nachwuchs. Als die Mauer fiel, rasten alle Vertreter von Geschäften wie Wempe in die Rest-DDR und griffen sich alle Uhrmachermeister aus Glashütte. So lernte ich hier einen wunderbaren Mann kennen, der mit einem DDR Skispringer verwandt war und breites Sächsisch sprach. Aber die Quelle Glashütte ist jetzt auch versiegt. Wir werden dahin kommen, dass nur noch die Uhrenfabriken, die in der scheußlichen Beilage der FAZ sind, Uhrmacher haben werden.

Der junge Benjamin Klemann stand eines Tages, wie ich, vor Prange in Hamburg. Aber nicht wie ich als Kunde, er suchte um Arbeit nach, weil er den Spruch von Opa nicht vergessen hatte. Man gab ihm die Adresse von Julius Harai, ein cholerischer Chef, der seine Lehrlinge kujonierte. Sie können ➱hier eine Homestory von einem gewissen Steven Gätjen lesen, das ist ein leicht leicht schmieriger Journalismus. Viel interessanter ist das, was Klemann auf seiner eigenen ➱Seite schreibt. Prange, Harai, John Lobb in London, Gut Basthorst (wo Vicky Leandros wohnte), dann Hamburg, es ist ein langer Weg.

Schuhmacher haben viel zu erzählen, Eiche Eichhorst, der Schuster in der Ladenzeile der Uni, kannte allen Klatsch. Wusste welcher Professor mit welcher Studentin ins Bett ging, da lohnte sich schon der Besuch beim Schuhmacher. Mein Schuhmacher Horst Dworak (links im Bild) bei Höfer in der Holtenauer Straße kann auch viel erzählen. Bevor er Orthopädieschuhmacher wurde, ist er zur See gefahren. Auf einem ➱Heringslogger. Es gab ja nach dem Krieg keine Arbeit, da war man für diesen ➱Job schon dankbar, hat er mir erzählt. Die Meisterprüfung für Fischwirtschaft legt er vor der Meisterprüfung als Orthopädieschuhmacher ab. Letztens bekam er eine halbe Seite in den Kieler Nachrichten, das war nett. Die Firma Höfer hat leider keine Internetseite, es gibt auch kein Bild im Internet, deshalb habe ich dies nostalgische Gemälde genommen, um die Holtenauer Straße zu zeigen (es ist schon in dem Post über Kiel in der ➱Kunst zu sehen).

Das hier ist ein Schuh von einer Firma, die vielleicht nicht so bekannt ist (lassen Sie sich von den Schuhspannern von Ludwig Reiter täuschen). Die Firma heißt Krisam und Wittling und sitzt im Saarland. Die Firma Krisam ist sehr alt, im Geschäft mit den Maßschuhen ist man noch nicht so lange. Man arbeitet mit der belgischen Firma Ambiorix (Hoflieferant des belgischen Königshauses) zusammen. Wenn ein Kunde nicht den teuren Maßschuh haben will, sondern etwas Preiswerteres vorzieht, machen Krisam und Wittling nur den Leisten und schicken ihn nach Belgien. Ambiorix macht dann ein Paar Schuh daraus. Die Firma Ambiorix, die seit mehr als hundert Jahren besteht, bietet dem Kunden sowieso sehr viel: der Kunde kann zwischen sechs verschiedenen Leistenformen und Weiten wählen, und dann gibt es noch frei wählbare Kombinationen von Leder und Sohlen.

Das ist dann schon beinahe ein Maßschuh. So wirbt ein Händler mit Maßkonfektion für den Herrn und beschreibt die Vorzüge von Ambiorix: Wer sich schon immer ein Paar eingestochene, genähte Herrenschuhe leisten wollte, die dazu noch besser passen als ein Konfektionsschuh, findet bei uns eine preiswerte Alternative zum Maßschuh: Die Maßkonfektion der Firma Ambiorix aus Belgien. Wir haben Probierschuhe auf Lager in zwei verschiedenen Weiten und Sie testen in Ruhe, welche Größe und Weite Ihnen am besten passt. Ihr Wunschmodell wird dann speziell für Sie angefertigt. Leder, Modell und Sohlengestaltung wählen Sie und wenn Sie Platz für lose Einlagen brauchen, kann auch darauf Rücksicht genommen werden.

Auch englische Firmen wie Alfred Sargent, Tricker's, Crockett & Jones oder Edward Green offerieren dem Kunden verschiedene Leisten. Und dann noch unterschiedliche Weiten, da wird man leicht ein passendes Modell finden. Die Röntgengeräte für die Füße, die man noch in den fünfziger Jahren in deutschen Schuhgeschäften fand, sind heute verboten. Das von Charles Brannock erfundene Messgerät kann man immer noch verwenden. Und wenn in einem englischen Schuhgeschäft Herren mit grünen Schürzen ein furchterregendes Gerät aus den Tagen der Königin Victoria hereintragen: keine Angst, auch damit kann man den Fuß millimetergenau vermessen.

Dann könnte man sich natürlich noch einen guten gebrauchten Schuh von einer Luxusmarke kaufen. Ich hätte dafür zwei interessante Adressen. Da ist zum Beispiel Bernd Herkenrath (hier im Bild), der früher einmal Manager war und jetzt im Schuhgeschäft ist. Wenn Sie diese ➱Seite anklicken oder dieses ➱Video sehen, wissen Sie alles über ihn. Und dann gibt es natürlich ➱Dr Sevan Minasian, den habe ich aber schon mehrfach erwähnt, deshalb gibt es für ihn heute nur einen Link zu seiner wirklich schönen und informativen Seite.

Viele, die sich einen Maßschuh haben machen lassen, sind damit nicht glücklich. Wir lassen einmal beiseite, dass auch Maßschuhe handwerklicher Pfusch sein könnten. Die kleine Geschichte über John Lobb, die sich ➱hier findet, hat viele Leser amüsiert. Aber davon abgesehen, ist es natürlich das Prinzip der Maßschuhmacher, den Schuh knalleeng zu machen, was viele stört. Weil sie ihre eingelaufenen und ausgelatschten Schuhe gewöhnt sind. Viele denken, man dürfe den Schuh rundum nicht spüren, sagt Klemann, aber der Schuh soll wie ein Korsett am Fuß sitzen. Dies ist ein klassischer Schuh, wie ihn ein Maßschuhmacher machen würde. Ich liebe diese Form, viele finden sie unmöglich.

Bei den Maßschuhmachern, von denen es erstaunlich viele quer durch die Republik gibt, sind die Schuhe nicht billig. Alles, was mit der Hand gemacht wird, ist teuer. Schauen Sie einmal auf Ihre letzte Zahnarztrechnung. Bei den Schuhmachern hat sich seit dem letzten Jahrhundert wenig geändert. Charles Goodyear hat die Nähmaschine für rahmengenähte Schuhe erfunden, aber die Maßschuhmacher nähen weiterhin mit der Hand. Die Kollegen der hier vorgestellten drei Norddeutschen, die in Wien sitzen, klopfen auch kleine Nägel in die Sohlen. Das ist eine andere Geschichte, zu der es ➱hier einen Post gibt.

Nicht alles, was als rahmengenäht bezeichnet wird, ist wirklich rahmengenäht. Vielleicht sollte man da dem Kapitel über Schuhe in Bernhard Roetzels Der Gentleman nicht unbedingt trauen. Urban Buch, der sehr, sehr viel über Schuhe weiß, zerlegt ➱hier sehr genüßlich Roetzels Bemerkungen über Qualitätsschuhe. ➱Christian Geffers hat mir mal erzählt, dass er sich auf einer Messe am Stand von Edward Green ganz scheinheilig erkundigt hat, ob man bei EG ein gemband verwände. Und die junge Dame am Stand hat ihm versichert, dass es bei EG selbstverständlich immer ein gemband gebe. So brechen Illusionen zusammen. Meine Edward Green Schuhe sind über dreißig Jahre alt, die werden noch kein gemband haben. Bei dem ganzen Streit um Definitionen von rahmengenäht oder Goodyear welted ist vielleicht das, was sich ➱Blakebest nennt, die Sache der Zukunft. Vom Preis auf jeden Fall.

Wo fängt die wirkliche handwerkliche Qualität an? Diesen Schuh von ➱Cliff Roberts habe ich in jedem Zustand seiner Herstellung gesehen, vom Zuschneiden des Leders bis zum Nähen des Rahmens. Auf dem Photo auf jeden Fall. Hier gibt es natürlich kein gemband. Ich kann mit dem Schuh wunderbar gehen. Aber ich kann auch mit Schuhen von Tricker's, Alfred Sargent, Crockett & Jones, Laszlo Vass, Ludwig Reiter und Mack James wunderbar gehen. Ich habe eine Handvoll Maßschuhe, aber die waren für andere als mich gemacht. Und doch passen sie mir alle wunderbar. Benjamin Klemann sagt offen: Die meisten meiner Kunden haben schwierige Füße, aber sie müssen repräsentieren. Ich habe keine schwierigen Füße, ich muss auch nicht repräsentieren. Ich habe immer gute Schuhe getragen. Und die haben all die Knochen, die ich mir beim Fußball gebrochen habe, immer unterstützt.

Und wenn ich mir einen Maßschuh machen lassen würde, dann von einer Frau. Denn das müssen wir mal erwähnen, immer wenn in den  Luxusbeilagen Harai, Vauk und Klemann abgefeiert werden, dass es auch berühmte Schuhmacherinnen gibt. Damit meine ich jetzt nicht ➱Olga Berluti, die einen Schuh für Andy Warhol gemacht hat. Sondern Frauen wie Saskia Wittmer hier, die vielleicht die berühmteste ➱Schuhmacherin von Florenz ist. Oder Gabriele Gmeiner in Venedig, Kirstin Hennemann und Gabriele Braun in Berlin, wo es inzwischen mehr Schuhmacherinnen als Schuhmacher gibt. Das ist doch mal was.


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