Donnerstag, 18. Mai 2017

The Vampyre


Wenn man seine Memoiren schreibt, ist man wie ein Vampir und saugt die Erinnerung von anderen aus. Der Satz gefällt mir. Ich habe nicht gewusst, dass ich ihn geschrieben habe. Ich hatte nur im Suchfeld von meinem Blog das Wort Vampir eingegeben, und da war dieser Satz im Nachruf auf meinen Klassenkameraden ➱WuddelWenn man seine Memoiren schreibt, ist man wie ein Vampir und saugt die Erinnerung von anderen aus. Aber von den ➱Erinnerungen soll heute nicht die Rede sein, sondern von diesen Blutsaugern der Literatur, die zum ersten Mal vollentwickelt in der Geschichte The Vampyre auftauchen. Deshalb der Titel heute, in genau dieser Schreibweise, mit dem Ypsilon.

Ich war vor Jahren an einem Sonntagnachmittag noch einmal in der Uni gewesen, um korrigierte Klausuren in den Stahlschrank einzuschließen. Als ich das Geschäftszimmer abschloss, sah ich eine Anzahl von Büchern auf dem Tisch neben der Tür liegen. Das war der Ort, wohin jeder seine Bücher legte, die er nicht mehr brauchte. Ich griff mir eins, das Twilight hieß, es war von einer Autorin namens Stephenie Meyer. Ich hatte noch nie von der Frau gehört. Als ich am Montagmorgen Twilight reumütig wieder auf den Tisch legte, gab ich ihr keine großen Aussichten auf eine literarische Karriere. Ich hatte den Roman nicht zu Ende lesen können, weil ich immer wieder diese schrecklichen Lachanfälle hatte.

Das steht schon in dem Post ➱Vampire. Da steht über die Gattung der Vampire aber auch: daß der ganze Lärm von nichts andern herkömme, als von einer eitlen Furcht, von einer aberglaubischen Leichtglaubigkeit, von einer dunklen und bewegten Phantasey, Einfalt und Unwissenheit bei jenem Volke. Das hat Gerard van Swieten gesagt, den die Kaiserin Maria Theresia nach Mähren geschickt hatte, damit er aufklären sollte, was an den sich häufenden Vampirgeschichten dran ist. Es ist nichts dran, es gibt keine Vampire. Das können wir in Swietens ➱Abhandlung des Daseyns der Gespenster mit einem Anhange vom Vampyrismus lesen.

Die blutsaugende Spezies ist in diesem Blog gar nicht so selten. Da heute vor 120 Jahren der Roman ➱Dracula des irischen Autors Bram Stoker veröffentlicht wurde (der ➱hier schon einen Post hat), möchte ich noch einmal an diese reizenden Wesen, die das Tageslicht, Kreuze und Knoblauch scheuen, erinnern. Und eben auch daran erinnern, dass es schon siebzig Jahre vor Bram Stoker eine Kurzgeschichte mit dem Titel The Vampyre gab, geschrieben in dem ➱Sommer, in dem es nicht hell werden wollte. Man hielt die Geschichte zuerst für ein Werk von Byron, aber es war sein Leibarzt Dr John William Polidori (hier von F.G. Gainsford gemalt), der die erste richtige Vampirgeschichte der Literatur schreibt.

The Vampyre (hier im ➱Volltext) wird schnell in ganz Europa berühmt. Nicht wegen des adligen Vampires Lord Ruthven, sondern weil jeder es für ein Werk von Lord Byron hält. Natürlich möchten das Byron und Polidori das richtigsstellen. Der eine, weil er The Vampyre für Schrott hält, der andere, weil er auch ein wenig vom Ruhm abhaben will. So schreibt Polidori an den den ➱Herausgeber des Morning Chronicle: Sir, As you were the first person to whom I wrote to state that the tale of The Vampyre was not Lord Byron's, I beg you to insert the following statement in your paper. . . . The tale, as I stated to you in my letter, was written upon the foundation of a purposed and begun story of Lord Byron's. . . . Lord Byron, in a letter dated Venice, stated that he knew nothing of the Vampyre story, and hated vampyres. Dass Lord Byron Vampire hasst, gefällt mir ausnehmend. Damn 'the Vampyre'. What do I know of Vampires? It must be some bookselling imposture; contradict it in a solemn paragraph, schreibt Lord Byron an seinen Freund (und Bankier) den Honourable Douglas James William Kinnaird.

Polidoris Vater Gaetano war als politischer Flüchtling nach England gekommen, er hat viel übersetzt. John Milton zum Beispiel. Und den Klassiker der Gothic Novel ➱The Castle of Otranto. Polidoris Übersetzung Il castello di Otranto, gedruckt in London 1795, steht bei mir im Regal. Schön in hellbraunem Leder eingebunden - Sie ahnen schon, dass ich ein kleines Regal zum Thema der schwarzen Romantik habe. Wir können wohl davon ausgehen, dass sein John Polidori Pappis Übersetzung schon früh gelesen hat. Sie können mehr dazu in dem Post ➱Horace Walpole lesen. In dem Post kommt Ursula von der Leyen auch drin vor, nicht wegen fehlerhafter ➱Gewehre oder ➱Munitionsdiebstähle, nein, ihr Vater hatte ein neugotisches Schloss in Leuchtenburg bei Bremen geerbt. So richtig mit Efeu und bröckelndem Mauerwerk.

Polidoris Leben war kurz wie das einer Sternschnuppe. Mit neunzehn war er Doktor der Medizin, seine Dissertation hatte das Schlafwandeln zum Thema, da ist der Weg nicht weit zur Gothic Novel. Er wird Lord Byrons Leibarzt und versucht, ihn vom Suff abzuhalten. Das ist der Sommer, wo die englischen Dichter der Romantik in der Villa Polidori hocken und es draußen nicht hell wird. Wo Polidori in sein Tagebuch schreibt: As soon as he reached his room, Lord Byron fell like a thunderbolt upon the chambermaid. Ken Russell hat daraus den Film ➱Gothic gemacht. Lord Byron mag seinen Arzt nicht so besonders, er nennt ihn Pollydolly. Die beiden Herren trennen sich in Genf. Zum Verhältnis von Byron und Polidori hätte ich hier einen sehr witzigen ➱Essay von Carrie Frye. Polidori wird noch zwei andere Werke schreiben ➱Ernestus Berchtold: The modern Oedipus und ➱The Fall of the Angels: A sacred poem. Die Werke hinterlassen in der literarischen Welt keine größeren Spuren. Polidori stirbt 1821 durch die eigene Hand. Er wird das nicht mehr erleben, was er angerichtet hat.

Ein Jahr vor seinem Tod wird in Paris das Theaterstück Le Vampire von Charles Nodier aufgeführt, das ein gewisser Heinrich Ludwig Ritter in sein Theaterstück Der Vampyr oder die Todten-Braut (1822) umarbeitet, ein romantisches Schauspiel in drei Acten; in Verbindung eines Vorspiels: Der Traum in der Fingalshöhle. Unter dem gleichen Titel erscheint wenig später ein Roman (➱Volltext) von Theodor Hildebrand. Und auf der Basis des Theaterstücks von Heinrich Ludwig Ritter schreibt Wilhelm August Wohlbrück das Libretto für Heinrich Marschners romantische Oper. Und das ist noch nicht genug, auch ➱Peter Joseph von Lindpaintner bringt 1828 einen Vampyr auf die Bühne, eine Oper, die heute noch manchmal gespielt wird. Marschners Vampyr können Sie bei ➱YouTube in zwei Teilen hören.

Das alles ist ein wenig verwirrend, wir merken uns mal einfach: kaum ist die Geschichte The Vampyre auf dem Markt, wird geklaut und recycelt. Weil man glaubt, dass sie von Byron ist. Es ist eine Geschichte, die man offensichtlich ad infinitum recyceln kann. Bis zu Bram Stoker. Bis zu Anne Rice und Stephenie Meyer. Oder bis zu diesem Höhepunkt der amerikanischen Pornoindustrie, dessen deutscher Verleihtitel Liebling, du beißt so gut war. Das war ein Porno, der Film, in dem Catherine Deneuve (ganz oben) einen lesbischen Vampir spielt (➱The Hunger), sollte kein Porno sondern Kunst sein. Ist aber nur ein schlechter Porno, dann doch lieber Seka, Serena oder Kay Parker in ➱Dracula Sucks.

Es geht ja immer um Sex in diesen Geschichten, oder wenn wir es vornehmer sagen wollen: eros und thanatos. Ich zitiere mal eben den Schluss des ersten Teils des Romans Der Vampyr oder die Todten-Braut von Theodor Hildebrand:

Welche Ueberraschung! Nicht Helene befindet sich hier, sondern die unerklärbare Lodoiska! Sie geht mit langsamen Schritten auf und nieder, aber scheint nichts desto weniger in der größten Ungeduld zu sein; bald blickt sie auf das Bett, in welchem das kranke Kind ruht, bald auf den Mond, der in einem völlig wolkenleeren Himmel immer höher steigt ..... Jetzt schlägt die Schloßuhr zwölfe! ..... In demselben Augenblicke werden Lodoiska’s Gesichtszüge völlig entstellt, und eine schreckliche Freude scheint ihre Muskeln zusammenzuziehen; mit der größten Heftigkeit reißt sie sich den Handschuh ab und stürzt sich wie wüthend über das Bett her. Hier legt sie ihren Mund auf den des Kindes und scheint mit langen Zügen das Blut zu trinken, das sie aus der Brust und von da aus allen Adern dieses unglücklichen Wesens hervorsaugt! —
     Dieß ist zu viel für den guten Werner. Sollte er auch sein Leben verlieren, er kann dieses schreckliche Schauspiel nicht länger mit ansehen; er spannt eine seiner Pistolen, reißt die Thür mit Gewalt auf, und stürzt sich auf das Ungeheuer los, um ihm den Lohn für seine Verbrechen zu geben.
     „Endlich habe ich dich ertappt! rief er aus. Kehre jetzt zur Hölle zurück, und besudele die Erde nicht mehr mit deiner Gegenwart!“ Er drückt seine Pistole auf sie ab, und Lodoiska wird von der Kugel getroffen; aber schneller als der Adler, der in seinem Neste von dem kühnen Jäger überrascht wird, springt sie von dem Lager auf, das sie so eben entweihete.
     — Elender, sagte sie, deine Mühe ist vergebens! du selbst sollst jetzt mein Geheimniß mit in’s Grab nehmen! —
     Ein scharf geschliffener Dolch blitzt in ihrer Hand; Werner giebt zum zweiten Male Feuer, aber die Kugel fährt unschädlich neben Lodoiska vorbei in die Mauer, und in demselben Augenblicke wühlt das mörderische Eisen in seinem Herzen. Ohne einen Laut von sich zu geben fällt Werner todt auf den Fußboden nieder.


Sie werden ➱hier weiterlesen wollen. Man will immer weiterlesen, obwohl es immer wieder die gleiche Geschichte ist. Dr Polidori hat es auch in die Welt des Romans geschafft, so taucht er in Derek Marlowes A Single Summer with L.B. auf. Auch in Tom Hollands The vampyre: The secret history of Lord Byron und in Der kalte Sommer des Doktor Polidori von Reinhard Kaiser ist er die Hauptfigur. Und die Fans der Vampirliteratur werden sicherlich Dr William Polidori's Tonic Water trinken. Ist kein Tropfen Blut drin.

Neben den Posts Dracula und Vampire gibt es in diesem Blog zwei lange Essays zu dem Thema, die Fantasy und Gothick heißen. Legen Sie schon mal Knoblacuh und Kreuze bereit.


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