Dienstag, 31. Oktober 2017

Reformationstag


Der Krieg gegen Napoleon war zu Ende, das Freiwillige Bremische Jäger-Korps von Hauptmann Böse ist wieder aus Frankreich zurück. Man macht sich in Bremen daran, die Spuren des Franzmanns zu löschen. Die Spuren in der Sprache wird man nicht löschen können, viele Dinge, wie das sittschepö (si je peux), werden uns erhalten bleiben. Wenn man genauer hinschaut, dann war nicht alles schlecht, was die Franzosen verordnet hatten. Die Emanzipation der Juden zum Beispiel. Aber da gibt es in Bremen jemanden, der die völlige Austreibung der Kinder Israels aus der bremischen Republik für eine angelegentliche Staatssorge hält. Dieser Judenhasser ist nicht irgendjemand, der Mann heißt Johann Smidt (Bild), ein Mann, den man für den größten Bremer überhaupt hält.

Das tun nicht alle. Zur Feier seines zweihundertsten Geburtstag 1973 kommt der ehemalige Hamburger Bürgermeister Herbert Weichmann nicht nach Bremen, obgleich man ihn eingeladen hat. Er weist in einem Brief darauf hin, dass Johann Smidt den Juden Herbert Weichmann nicht bei der Feier hätte dabei haben wollen. Ich kann mich noch genau an die Aufregung damals erinnern, manche sprachen von einem Eklat. Aber bei allem Bremer Patriotismus: Weichmann hatte ja völlig recht, in Glaubensdingen ist Smidt nichts anderes als ein Haßprediger.

Nach den Juden stehen die Lutheraner auf seiner Haßliste, für Smidt sind nur reformierte Christen richtige Menschen. Das hat etwas mit der Geschichte Bremens zu tun. Vereinfacht gesagt: seit Heinrich von Zütphen in Bremen gepredigt hat - und seit Daniel von Büren (der bei Luther und Melanchthon studierte) Bürgermeister wurde - ist Bremen auf dem Weg zum Calvinismus. Der wurde im 16. Jahrhundert durch einen gewissen Christoph Pezel in Bremen etabliert. Der Mann, der sich Pezelius nennen wird, war gerufen worden, um im Glaubenskampf zwischen Lutheranern und Calvinisten zu vermitteln. Das Ergebnis ist, dass Bremen von nun an reformiert sein wird. Sie können mehr dazu in dem Post Bremer Klausel lesen. Und Pezelius wird einen beispiellosen Bildersturm organisieren. Daran zu denken, tut einem Lutheraner und Kunsthistoriker immer weh. Der ehemalige Direktor des Focke Museums und Bremer Landesdenkmalpfleger Werner Kloos führte das Kunstbanausentum der Bremer auf den Bildersturm von Pezelius zurück: Die Verarmung des bremischen Kunstbesitzes rührt aus jener Zeit, jedoch auch eine gewisse allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den Werten künstlerischer Aussage.

Johann Smidt konnte zwar das Vermögen der lutherischen Domgemeinde beschlagnahmen und ihr (bis 1830) den Status einer Gemeinde verweigern, aber die Lutheraner werden seine Zeit als Bürgermeister überleben. Mein Heimatort Vegesack ist einen ganz anderen Weg gegangen, von dem ich nicht weiß, ob er Johann Smidt gefallen hat: zum dreihundertsten Jahrestag der Reformation am 31. Oktober 1817 schlossen sich da Reformierte und Lutheraner (nach preußischem Vorbild) zu einer Gemeinde zusammen: ein Gott, ein Christus, eine Gemeinde wird über der Tür der neuen klassizistischen Kirche stehen.

Wir die unterschriebenen Einwohner des Fleckens Vegsack haben oft das Bedürfniß nach einem eigenen Prediger und einer eigenen Kirche hier im Orte gespüret, mit diesen Worten beginnt die Stiftungsurkunde vom Reformationstag 1817. Auf ihr steht als erster Name der des Amtmanns Dr August Christian Wilmanns (hier sein Gedenkstein neben der Kirche). Nach dem heißt heute der Wilmannsberg, wo wir früher im Winter Schlitten fuhren. Als zweiter unterschreibt der damals berühmteste Vegesacker, Dr Albrecht Wilhelm Roth. Dann folgen (ohne systematische Ordnung) 91 Namen mit Berufsangaben: See-Schiffer, Capitain, Lootse, Seemann, Hafenmeister. Ein Abbild der soziologischen Schichtung des Fleckens, dessen Zentrum damals noch der Hafen und die Hafenstraße sind. Die Kirche hat man noch nicht, man muss am Sonntag nach Lesum oder Blumenthal gehen, aber die Kirche wird kommen. Ein Gott, ein Christus, eine Gemeinde. Ach, was wäre die Welt schön, wenn das alle glauben würden. Aber das, was Freud in Das Unbehagen in der Kultur so schön den Narzissmus der kleinen Differenzen genannt hat, ist offensichtlich stärker als jeder Einigungsgedanke.

Der Kirchenbau in Vegesack wird öffentlich ausgeschrieben, sieben Zimmermeister werden Entwürfe einreichen. Finanziert wird die Kirche aus Sammlungen, Spenden und Anteilscheinen. Ein evangelischer Pastor aus Archangelsk sendet 1.000 Rubel. 1821 ist die Kirche fertig, aber man wird sehr schnell feststellen, dass sie zu klein ist. Schon für den ersten Gottesdienst am 5. August 1821 musste man Eintrittskarten ausgeben. 1828 können von 514 Familien nur 197 einen Kirchenplatz mieten. Für den Erweiterungsbau gewinnt man den renommierten Bremer Architekten Jacob Ephraim Polzin, dessen Entwürfe man 1818 nicht berücksichtigt hatte. Wahrscheinlich war das wieder die allgemeine Gleichgültigkeit gegenüber den Werten künstlerischer Aussage.

Ein Gott, ein Christus, eine Gemeinde. Wie viele Götter braucht der Mensch? Die Vegesacker evangelische Gemeinde feiert heute nicht nur fünfhundert Jahre Reformation, sie feiert auch ihr 200-jähriges Bestehen. Ich möchte dazu aus der Ferne gratulieren. Es wird natürlich einen Festgottesdienst geben, sogar mit Sekt hinterher. Das Buch 200 Jahre Evangelische Kirchenge­meinde Vegesack 1817–2017 (Donat Verlag), an dem Thomas Begerow und Ingbert Lindemann so lange gearbeitet haben, ist gestern Abend vorgestellt worden. Und der Konny hat dafür gesorgt, dass sich einige der Evangelischen Jugend aus den fünfziger Jahren nach dem Gottesdienst noch in der Strandlust treffen werden. Wahrscheinlich werden einige von diesem Photo aus dem Jahre 1961 dabei sein. Der Konny auf jeden Fall, er steht auf dem Photo da oben neben mir. Ich bin der mit dem Schlips. Das hätten Sie von mir nicht anders erwartet.

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