Donnerstag, 12. Oktober 2017

Statistiken


Der Waldi kommt aus der Eifel und bietet als erstes mal achtzig Euro, die Susanne ist blond und kauft Schmuck. Der Ludwig ist schon auf Händen nach Rom gelaufen, und der Horst sagt Hallöchen und duzt jedermann gnadenlos und macht den Damen abgeschmackte Komplimente. Die Experten verstehen ihr Handwerk, aber der Albert und die Frau Doktor werden nicht geduzt. Nur der Sven, der wird geduzt. Sie kennen wahrscheinlich die Beteiligten, sie alle sind Akteure in der erfolgreichsten Vorabendsendung des ZDF, die ➱Bares für Rares heißt. Das ist so etwas Ähnliches wie die Antiques Roadshow der BBC, eine Sendung, die der Inspector ➱Richard Poole in der Karibik vergeblich zu empfangen versucht.

In Bares für Rares kam letztens ein Medaillon mit dem Bild von Madame Récamier zur Auktion. Nichts wirklich Wertvolles, es war nicht aus dem 19. Jahrhundert und war nicht auf Porzellan gemalt. Aber die Händler waren von der Salondame ganz hingerissen und boten viel mehr, als das Medaillon wert war. Kommt mal vor, normalerweise bieten sie eher zu wenig. Obgleich sie nicht solche Experten sind wie Dr Heide Rezepa-Zabel, Albert Maier und Sven Deutschmanek, verstehen sie von vielen Dingen erstaunlich viel.

Von Taschenuhren verstehen die Händler ziemlich wenig. Der Ludwig erwähnt immer die schönen Rubine, aber die sind in jeder Uhr. Blaue ➱Saphire wären schon eher selten. Der Herr, der eine ungetragene goldene Assmann Taschenuhr mit Papieren und Originalkarton anbot, nahm sie indigniert wieder mit nach Hause. Die Gebote erreichten nicht einmal die Hälfte des Preises, den man für diese Uhr zahlen muss. Und der Mann, der hundertzwanzig Taschenuhren vom Flohmarkt anbot, hätte bei ebay viel mehr für das Konvolut bekommen. Die IWC Frackuhr aus Platin aus den dreißiger Jahren wurde nur wegen des Namens IWC verkauft. Der Daniel sagte, da sei ja nur ein Standardwerk drin. Der Daniel hat Kunstgeschichte studiert, hat aber nur einen M.A., manchmal vertut er sich in seinen Schätzungen um hundert Jahre. Das macht keinen guten Eindruck, aber sonst ist er sehr nett.

IWC und Standardwerk? Auf der Seite des ZDF steht: Diese Taschenuhr, eine sogenannte Frack-Uhr, ist zeitlich um 1935 zu datieren. Ein Indiz dafür ist, dass im Staubdeckel ein Steinbock-Control-Stempel existiert, der in der Schweiz erst ab 1935 eingeführt wurde. Warum es kompliziert machen? Man hätte ja auch einfach die Werknummer im Register nachschauen können. Bei diesem Werk mit Breguetspirale, Streifenschliff und perliertem Boden sind alle Räder unter Brücken und Kloben, alle Steine in Goldchatons, das Ankerrad hat ein verschraubtes Decksteinplättchen, ein Standardwerk würde ich so etwas nicht nennen.

Die flachen Taschenuhren der 30er Jahre waren ein verzweifelter Versuch der Taschenuhrindustrie, sich gegen die neue Mode der Armbanduhren zu wehren. In der Mitte der 30er Jahre werden zum ersten Mal ebenso viel Armbanduhren wie Taschenuhren verkauft. Aber in dieser Zeit des Schwanengesangs der Taschenuhr werden wunderbare kleine Werke gebaut. Wie dieses ➱ Hamilton Werk hier. Die Rubine in Chatons gelagert, ein verschraubtes goldenes Deckplättchen für das Ankerrad, eine Schwanenhals Feinregulierung. Und dann doch das Federhaus in Steinen gelagert, mehr geht nicht. Man hat Hamilton nicht zu Unrecht die Patek Philippe von Amerika genannt. Ich könnte hier auch noch meine flache Eterna von 1940 erwähnen, die schon eine Stoßsicherung und eine Glucydurunruh hat. Und als Tüpfelchen auf dem i: ein Ankerrad aus Gold. Doch solche Feinheiten erkennt die lustige Rasselbande von Horst Lichters Händlern nicht.

Aber zurück zu Julie Récamier. Als ich an dem Abend noch einmal auf die Zahlen der Statistik schaute, stellte ich fest, dass in den letzten Stunden 84 Leser den Post ➱Julie Récamier angeklickt hatten. Und in der Woche vergrößerte sich diese Zahl noch auf 249 Klicks. Es ist ein schöner Post, und er wird immer mal wieder in großen Zahlen gelesen. Wie letzte Woche. Allerdings muss ich auch sagen, dass der schöne Post über die Salonière auch auf Platz 5 der Google Ergebnisse ist, wenn man den Namen Julie Récamier eingibt. So nett diese Zahlenspielereien in der Google Statistik sind, ich beginne, dem Ganzen zu misstrauen. Denn meine französischen Leser sind plötzlich alle verschwunden. Zehn Monate überschwemmten sie die Statistik, jetzt sind sie alle weg. Von einem Tag auf den anderen. Kann das sein? Ich habe nichts Böses gegen Frankreich gesagt.

Vor Jahren hatte ich mal etwas Ähnliches, da hatte ich plötzlich tausende von Lesern aus der Ukraine. Und ich hatte da ➱Valentina Lisitsa (Bild) oder das ukrainische ➱Trio Scho noch gar nicht erwähnt. Erstaunlicherweise habe ich jetzt relativ viele englische Leser, so viele hatte ich noch nie. Nur die Zahl der norwegischen Leser bleibt konstant, die Norweger sind treue Seelen. Aber stimmt das alles? Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast, heißt es. Niemand weiß, wer das zuerst gesagt hat, ➱Churchill war es wahrscheinlich nicht.

Aber es ist natürlich etwas dran, wir haben es gelernt, Statistiken zu misstrauen. Denken wir nur an den ADAC, und die Zahlen, die uns die deutsche Autoindustrie im  Abgasskandal geliefert hat, waren auch alle gelogen. Da halten wir uns lieber an Mark Twain, der in seiner Autobiographie gesagt hat: Figures often beguile me particularly when I have the arranging of them myself; in which case the remark attributed to Disraeli would often apply with justice and force: 'There are three kinds of lies: lies, damned lies, and statistics.'

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