Freitag, 29. Dezember 2017

Stadtmaler


Dieses Bild des Malers Louis Abel-Truchet, der am 29. Dezember 1857 geboren wurdehat den Titel Le Gaumont Palace illuminé dans la nuit. Ganz Paris will offensichtlich in das Luxuskino. Und was gibt es da zu sehen? Römische Orgien. Kein Scherz. Nicht, dass das scheußliche Bild von Thomas Couture da ausgestellt worden wäre, nein, es gibt einen Film von Louis Feuillade, der L'orgie romaine heißt (wenn Sie den Filmtitel anklicken, können Sie den kurzen Film sehen). Das Internet versichert uns, dass es noch einen Film mit dem Titel römische Orgien gibt, aber das ist ein Porno mit Laura Valerie und Joy Karins, das lassen wir jetzt mal weg. L'orgie romaine wird nicht der einzige Film von Louis Feuillade sein, der hier im Gaumont Palace aufgeführt wird. Filmfreaks wissen, dass Feuillade die Fantomâs Filme gedreht hat, die der größte Erfolg des französischen Kinos vor dem Ersten Weltkrieg waren.

Was da drinnen in dem Gaumont Palace, in dem 3.400 Besucher Platz finden, gerade geschieht, das interessiert den Maler nicht. Obgleich es da drinnen so ähnlich ausgesehen haben soll, wie Cecil B. DeMille sich Pompei vorstellte. Unser Maler interessiert sich für das Außen. Und das malt er gerne in der Nacht oder am Abend, wenn sich die Reste des Tageslichts mit dem künstlichen Licht mischen. Wie hier das Vergnügungsviertel Pigalle. Da ist er ähnlich wie der Berliner Maler Franz Skarbina, für den sich Fontane begeistern konnte. Abel-Truchet zählt nicht zu den ganz großen Impressionisten, aber in seiner Zeit war er durchaus bekannt. Im gleichen Jahr, als er den Gaumont Palast malt, wird er Ritter der Ehrenlegion.

Und da ich Cecil B. DeMille erwähnt habe, muss ich auch den wunderbaren Vierzeiler zitieren:

Cecil B. DeMille
Rather against his will
Was persuaded to leave Moses
Out of the War of the Roses


Louis Abel-Truchet ist nicht der einzige, der sich durch Paris malt (hier sein Bild vom Gare Saint-Lazare 1893), es gibt berühmtere Maler als ihn, die ähnliche Bilder malen. ➱Gustave Caillebotte, mit dem er viel Ähnlichkeiten hat, fällt einem natürlich zuerst ein. Und auch die Nacht mit ihren Lichtern haben in Europa andere im Repertoire, die Großstadt in der Dämmerung und in der Nacht ist ein Thema, das das Fin de Siècle liebt. Zum Beispiel der Engländer John Atkinson Grimshaw oder der Russe Fjodor Wassiljew mit seinem Bild von St Petersburg bei Nacht.

Sammler zahlen für Abel-Truchets Bilder heute noch viel Geld, da kann ein Gemälde auf einer Auktion leicht 200.000 Dollar bringen. Abel-Truchet ist auf der Academie Julian gewesen, die Edward Hoppers Lehrer Robert Henri auch besucht hat. Ich nenne, den Namen von Edward Hopper nicht ohne Grund. Er war auch in Paris, als Abel-Truchet seine Bilder vom quirligen Pariser Leben malt, und er liebt auch solche Perspektiven. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Hopper seinen französischen Kollegen sehr genau studiert hat. Man vergleiche einmal sein Kinobild mit Louis Abel-Truchets Bild vom Konzert im Café.

Er ist ein Maler der Großstadt, er gewinnt auch scheußlichem Regenwetter und Schlackerschnee noch etwas Poetisches ab. Louis Abel-Truchet hat etwas länger gebraucht, bis er sich der Malerei verschrieb. Erst 1890 gibt der Amateurmaler eine gut bezahlte Stellung auf, 1891 debütiert er im Salon des Artistes Francais. Danach finden wir ihn in der Société Nationale des Beaux-Arts, dem Salon d'Automne und in in vielen Einzelausstellungen in Pariser Galerien.

Er malt viel, vielleicht zu viel. In seinen besten Bildern, und ich zähle diese Frachtkähne dazu, braucht er den Vergleich mit den großen Impressionisten nicht zu scheuen. Am besten ist er wie hier und bei den Bouquinisten an der Seine im nächsten Absatz in seinen kleinen skizzenhaften Bildern, Öl auf Pappe. Schnell gemalt, aber wunderbar anzuschauen.

Louis Abel-Truchet wird noch eine andere Karriere haben. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldet er sich freiwillig zur Armee. Er ist 57 Jahre alt, da wird niemand mehr eingezogen. Manche Maler malen Bilder von der Front und dem Kriegsgeschehen, wie zum Beispiel der Hauptmann Hans am Ende aus Worpswede.

Aber der Leutnant Abel-Truchet im 1er régiment du génie wird zum Bemalen von Kriegsgerät eingesetzt. Er leitet in Paris das zentrale Atelier für Camouflage Das ähnelt der Tätigkeit von Paul Klee, der in Schleißheim auf der Flugwerft der Königlich-Bayrischen Fliegertruppen Flugzeuge bemalte. Der Feldwebel Klee brauchte nicht an die Front. An die will der Leutnant Louis Abel-Truchet aber unbedingt, und das gelingt ihm auch zu Ende des Krieges. Er wird 1918 an seinen Kriegsverletzungen sterben. Hans am Ende auch.

Mein Opa, auch ein deutscher Hauptmann wie Hans am Ende, kommt heil aus Frankreich zurück. Mit französischer Kunst hatte er nichts am Hut. Mit Kunst überhaupt wenig, es sei denn, sie wäre patriotische deutsche Historienmalerei. Dass seine Tochter auf die Kunsthochschule will, das kann er nicht verstehen. Dass sein Neffe Bildhauer wird, das versteht er noch weniger. Die dicken Bildbände mit Historienmalerei bei meinem Opa werden für mich zu einer Schule des Sehens. Ich bin noch nicht in der Schule, aber ich weiß, dass es eine andere Malerei geben muss als Moritz von Schwind, Defregger, Böcklin und Konsorten. Und dann entdecke ich in einem kleinen blauen Band zur deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts das Bild Blechens vom Park der Villa d'Este - und ich weiß: so muss die Malerei sein. Glücklicherweise hat Louis Abel-Truchet einen ähnlichen Weg beschritten.

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