Freitag, 31. März 2017

Karos


Das hier ist der bayrische Prinz Luitpold, er ist gerade Regent von Bayern geworden. Durch eine sensationelle Proklamation: Im Namen Seiner Majestät des Königs. Unser Königliches Haus Bayerns treubewährtes Volk ist nach Gottes unerforschlichem Ratschlusse von dem erschütternden Ereignisse betroffen worden, daß Unser vielgeliebter Neffe, der allerdurchlauchtigste großmächtigste König und Herr, Seine Majestät König Ludwig II., an einem schweren Leiden erkrankt sind, welches Allerhöchstdieselben an der Ausübung der Regierung auf längere Zeit im Sinne des Titels II § 11 der Verfassungsurkunde hindert. Der an einem schweren Leiden erkrankte König wird drei Tage später im Starnberger See ertrinken. Luitpold bleibt bis zu seinem Tode Prinzregent, da Ludwigs Nachfolger Otto auch geisteskrank ist.

Regenten sind in Bayern also etwas Besonderes, aber um die Prinzregenten soll es heute nicht gehen, sondern um die bayrische Firma Regent in Weißenburg. Die natürlich auch etwas Besonderes ist, die 1946 gegründete Firma ist der einzige deutsche Hersteller im HAKA Bereich, der Handarbeit Made in Germany produziert. Schon in der Zeit, als Bayern eine amerikanische Besatzungszone war (das kann man am Nummernschild erkennen), präsentierte man  sartoriale Luxusprodukte. Mit BMW, Vorzeigedame, Pudel und ➱Spectator Schuhen. Vielleicht ein wenig zu viel des Guten.

Eigentlich brauchte ich keine Jacketts mehr, die Schränke sind voll. Doch ich hatte in der Woche zufälligerweise als eine Art Frühlings ➱Sale vier Jacketts an Freunde verkauft (beziehungsweise verschenkt), da kam mir das braune, karierte Kaschmirsakko von Regent, das ich bei ebay Kleinanzeigen sah, gerade recht. Jacketts kosten bei mir für Freunde und Bekannte zwischen zehn und fünfzig Euro, dafür kriegen die dann auch Belvest, Boglioli, ➱Caruso oder ➱Zegna. Die Gattinnen und Lebensgefährtinnen meiner Freunde sind mir sehr dankbar dafür, dass ich über die Jahre eine vollständige sartoriale Veränderung an ihrem Gespons durchgeführt habe.

Das Regent Jackett bei ebay Kleinanzeigen gefiel mir, weil ich vor über vierzig Jahren schon einmal ein sehr ähnliches Teil mit braunen Karos hatte. Das kam von ➱Windsor (die damals noch etwas darstellten), und es war auch aus Kaschmir. ➱Kelly hat es mir bei seinem ersten Ausverkauf, den er in seinem neuen Laden machte, für 75 Mark verkauft. Ich habe es lange getragen, es ist auf vielen meiner Photos zu sehen.

Für 75 Mark hatte ich mir auch Jahre zuvor in Hamburg mein erstes Regent Jackett gekauft. Die kleine Geschichte steht schon in dem Post ➱Made in Germany. Ein Post, der zahlenmäßig ein klein wenig Furore bei den Lesern gemacht hat und mir eine lange Mail vom damaligen Regent Chef Detlev Diehm eintrug. Bei diesem Bild hat die Steffi, die mir das Jackett verkauft hat, den Zollstock über das Jackett gelegt, weil ich ihr gesagt hatte, dass ihre ersten Maßangaben nicht stimmen konnten.

Ich hatte recht, das Photo mit dem Zollstock bewies es. Viele Händler bei ebay machen sich nicht die Mühe, Maße anzugeben. Die schreiben eine Konfektionsgröße in den Text und fertig. Bei ebay Kleinanzeigen sind die Verkäufer häufig viel netter als bei ➱ebay, und die Steffi hat alle meine Fragen nett beantwortet. Wir wissen natürlich alle längst, dass Konfektionsgrößen heute überhaupt nichts mehr bedeuten. Die aus Deutschland nicht, und die aus anderen Ländern erst recht nicht. Das ist wahrscheinlich das Unwichtigste von den Dingen, das ➱Europa nicht hinkriegt, aber es ist immer ein Ärgernis. Es ist ja auch nicht so, dass man sich bei einem Hersteller auf die Größen verlassen kann. Von der Firma Regent habe ich Jacketts, die mit den Größen 26, 50, 52 und 54 ausgezeichnet sind. Alle passen.

Eins muss man den deutschen Managern lassen, sie tragen meistens gutsitzende Anzüge, und sie strahlen eine gewerbsmäßige Zuversicht aus. Wie hier Dr Peter Krampf, der die Firma Regent im Februar 2015 aus der Insolvenz heraus gekauft hatte, nachdem die italienische Tombolini Gruppe kein Interesse mehr an Regent hatte. Dr Krampf hat in Bayreuth promoviert und war dann bei McKinsey, einem Unternehmen, das angeblich immer Firmen rettet. Wie das dann aussieht, weiß man, wenn man Hochhuths Theaterstück McKinsey kommt gelesen hat. Und kam es eben doch, wie es kommen musste, im letzten Jahr musste der Mann mit dem Doktortitel aus Bayreuth (den hatte ➱Guttenberg auch einmal) zweimal die Insolvenz anmelden. Obgleich ihm die Neupositionierung der Marke gelungen schien. Dr Krampf hatte auch eine schweineteure Werbeagentur, die schon für ➱Brioni gearbeitet hatte, verpflichtet. Und was haben McKinsey und Werbefuzzis gebracht? Nix.

Die neuen Herren bei Regent tragen keine ➱Krawatten mehr. Obgleich sie wohl das Geld hätten, sich eine zu kaufen. Hier sehen wir Philippe Brenninkmeijer und den Eichstätter Bauunternehmer Andreas Martin Meier, die die Firma Regent gerade ohne Fremdkapital gekauft haben und sie wieder in die schwarzen Zahlen bringen wollen. Brenninkmeijer hat der Presse gesagt: Das ist uns ein großes Anliegen, dass wir uns alle als Familie verstehen und gemeinsam für unsere Erfolge arbeiten und sie dann auch gemeinsam feiern. Auf das Feiern werden sie in Weißenburg wohl noch ein wenig warten.

Der Frack, den Willem-Alexander bei seiner Krönung trug, kam von Regent. Darauf ist man in Weißenburg immer noch stolz. Das Photo hängt im Flur der Firmenzentrale, Herzlichen Dank, hat der König auf das Bild geschrieben. So wird man mit Regent zum König. Das ist der Luitpold nie geworden. Philippe Brenninkmeijer träumt jetzt nicht von einem Königreich, aber von eigenständigen Regent Shops. Doch erstmal ist Schmalhans Küchenmeister. Der neue Chef hat sich für sein Büro einen neuen Teppich gekauft. Bei Ikea. Aus der eigenen Tasche bezahlt.

Brenninkmeijer war zuvor kurze Zeit Geschäftsführer bei dem Londoner Schneider Huntsman gewesen (dort trug er allerdings einen Schlips zur Arbeit), aber die Sache mit der bayrischen Firma Regent reizte ihn mehr. Huntsman hat auch gerade neue Eigentümer bekommen, denen ging es wahrlich (wie man anderen Firmen der Savile Row) nicht mehr gut. Im oberen Preissegment haben heute viele Firmen Probleme, H&M hat die nicht. An dem Artikel, den ➱Bernhard Roetzel im Januar schrieb, ist schon viel Wahres dran. Der englische Schneider Malcolm Plews sagte zur Lage der Savile Row nach dem Brexit Referendum: I don't think it will affect our particular craft because they're very few other countries who have got our reputation for making bespoke suits. Wenn er sich da mal nicht täuscht. Wenn Regent endlich mal offene Ärmelschlitze und echte Knopflöcher am Ärmel machen würde, könnten sie mit der Savile Row mithalten.

Und da Frau May gerade die Scheidungspapiere eingereicht hat, vielleicht noch einige Zeilen zur ➱Savile Row und dem ➱Brexit. Will UK fashion survive Brexit? hatte die Financial Times einmal getitelt, und nach dem Brexit Referendum gab es schon Ausverkäufe auf der Savile Row - in diesem deutschen Laden, der sich Sons of Savile Row nennt, auch. Früher war ich anglophil, sogar vielleicht ein wenig angloman, so etwas war in Bremen normal. Jetzt halte ich es mit Fontane, der im ➱Stechlin eine Romanfigur sagen lässt: England. Es hat für mich eine Zeit gegeben, wo ich bedingungslos dafür schwärmte. Nicht zu verwundern. Hieß es doch damals in dem ganzen Kreise, drin ich lebte: ›Ja, wenn wir England nicht mehr lieben sollen, was sollen wir dann überhaupt noch lieben?‹ Diese halbe Vergötterung hab' ich noch ehrlich mit durchgemacht. Aber das ist nun eine hübsche Weile her. Sie sind drüben schrecklich runtergekommen, weil der Kult vor dem Goldenen Kalbe beständig wächst; lauter Jobber und die vornehme Welt obenan. Und dabei so heuchlerisch; sie sagen ›Christus‹ und meinen Kattun.

Dieses schöne blaue Regent Jacket besitze ich nicht mehr. Es war ein hervorragendes Jackett, aber es fusselte. Pilling en masse. Ich schrieb an Regent, die wollten das Jackett sehen. Und schickten mir dann ein anderes, das nicht mehr dieses wunderbare geheimnisvolle Blau (in dem auch viel Schwarz war) hatte, aber dafür nicht mehr fusselte. Ich bekam auch einen Entschuldigungsbrief, in dem die Schuld auf den italienischen Partner geschoben wurde. Auf diese Weise erfuhr ich damals zum ersten Mal, dass die Firma im Besitz von Tombolini war. Ich war jahrelang auf der mailing list der Firma Regent und bekam diese schönen kleinen Hochglanzkataloge. Irgendwann kamen die nicht mehr, daran merkte man, dass neue Herren im Haus waren.

Aber ob die Besitzer nun Tombolini oder die Quandts (unter denen die Produktion nach Polen verlegt wurde) waren, so etwas wie dies hier hätten sie wohl keinem Kunden geliefert. Ein Jackettkragen sollte am Körper anliegen und sich nicht zu den Ohren bewegen. Das hier ist der berüchtigte Sean Spicer, der sich einige neue Anzüge hatte machen lassen, nachdem sein Chef seinen Kleidungsstil kritisiert hatte. Er kaufte die natürlich nicht bei einer Firma wie Oxxford (lesen Sie ➱hier mehr über die Anzüge amerikanischer Präsidenten), sondern orderte die bei irgendeiner asiatischen Internetfirma. Und so sehen die Anzüge auch aus. Das ist der wahre Geist des Make America Great Again: Klamotten aus Asien. Wo ja auch die Donald Trump Collection und die Ivanka Collection hergestellt werden. Trump und seine Rasselbande sind ja zu blöd. Wenn sie amerikanische Anzüge kaufen würden, dann könnten sie das patriotisch vermarkten. So wie Obama dezent seinen Schneider Martin Greenfield vermarktet hat, der noch ein Überlebender von Auschwitz war.

Detlev Diehm (Bild), der bei Regent vom Schneidermeister in die Unternehmensführung aufgestiegen war, war über Italiener gar nicht so unglücklich. Denn sein Ideal eines Anzugs war der italienische Anzug mit der neapolitanischen Schulter, sanft fallend, ohne Einlagen. Leider hat er sich nicht durchsetzen können, nach drei Jahren an der Spitze wechselte er nach London zu ➱Scabal. Ich habe im Internet auf der Seite von Seestraße 7  die netten Sätze gefunden: Das Unternehmen Regent genoß einst Weltruf und eine internationale Kundschaft. Nach der Übernahme durch den italienischem Großbetrieb Tombolini ereilte Regent ein Schicksal, das häufig kleinen mittelständischen Unternehmen der Branche beschieden ist, wenn Großunternehmen die Türschwelle überschreiten. Wir wünschen diesem letzten großen deutschen Schneiderunternehmen nur das Beste, denn ein Land mit Kultur kann in Sachen Herrenbekleidung keinesfalls nur von Boss oder Hess Natur repräsentiert werden. 

Das hier ist Martin Kury, der Betriebsleiter bei Regent. Er zeigt uns, wie hervorragend ein karierter Anzug sitzen und aussehen kann. Das ist schon etwas anderes als die karierten Anzüge vom Mautminister ➱Alexander Dobrindt. Denn Karos auf Anzügen sind eine gefährliche Sache, für ➱Major Thompson sind sie O.K., für Alexander Dobrindt garantiert nicht.

Dieser Herr macht natürlich alles richtig, auch das ist ein karierter Anzug. Mit der Sorte Karo, die wir gemeinhin Glencheck nennen. Die Engländer unterscheiden da noch zwischen Glen Urquhart Check und dem Prince of Wales Check. Der Name Urquart sagt Ihnen etwas, weil beim Castle Urquart sporadisch das Monster Nessie gesehen wird. Falls Sie den Post ➱Loch Ness Monster, Killerwelse und Dackel noch nicht gelesen haben, dann sollten Sie das unbedingt tun. Und zum Thema James Bond und seine Schneider lesen Sie bitte die Posts ➱Agentenmode und ➱Spectre.

Was sie bei Regent nicht so richtig hinkriegen, das ist das Anpassen der Karos. Ich habe schon in dem langen Post ➱Maßkonfektion geschrieben: Leider schaffen sie es bei Regent nie, die Karos bei einem Glencheckjackett anzupassen. Da würde man bei ➱Kiton oder ➱Caruso ja lieber tot umfallen, als so etwas aus dem Haus zu lassen. Ich kann das gerne wiederholen. Ist ihnen auch bei dem tollen Kaschmir Jackett, das mir die Steffi verkauft hat, nur stellenweise gelungen. Aber davon abgesehen ist es ein wuschelig weiches Klasseteil.

Natürlich mit Bemberg Futter, und nix geklebt. Da kommt in Weißenburg immer noch Strobels Roll-Pikiermaschine zum Einsatz, die mit einem Blindstich das Futter an den Stoff heftet. Über 10.000 Nadelstiche verlangt ein Anzug, erst nach zwanzig Stunden ist er zum Bügeln fertig. Das auch seine Zeit verlangt. Ein Boss Anzug, wird nicht pikiert. Da wird nur geklebt, und das Ganze ist nach zwei Stunden fertig, von einem Automaten in Form gepresst. Irgendwo in der Türkei, in Bangladesh oder Mexiko, wo Boss Hungerlöhne zahlt, die unter der Armutsgrenze des jeweiligen Landes liegen.

Die Knopflöcher werden bei Regent angeblich von Hand genäht, sehen aber nicht danach aus. Mit einem ➱Kiton Knopfloch zum Beispiel können sie nicht mithalten. Die Knöpfe von Regent Sakkos kommen von der Augsburger Knopffabrik Carl Schneider & Söhne. Sie haben immer drei statt vier Löcher, eine Erinnerung an die Zeit, als Regent und van Laack zusammengehörten. Vielleicht sollte man mit der Neuorientierung des Unternehmens mal zu einem Knopf mit vier Löchern übergehen.

Ich trage jetzt erst einmal wochenlang mein neues Regent Jackett, für das ich der Steffi sehr dankbar bin. Karos sind ja sowieso im Augenblick angesagt, hat mir ➱Michael Rieckhof (hier im karierten Anzug), der morgen das Geschäft seit zwanzig Jahren besitzt, gerade versichert. Er hat mir aber auch gesagt, dass die erste Reaktion eines Kunden, den er für einen karierten Anzug begeistern wollte, der Satz war: Aber dreh'n Sie mir bloß keinen Dobrindt an. Soweit ist es schon gekommen.

Und ich wünsche natürlich Philippe Brenninkmeijer und seinem Compagnon alles Glück der Welt für ihr Unternehmen. Und dass er viele Stammkunden zurückgewinnen möge. Früher war ja mal Thomas Rusche mit seinem Unternehmen ein Großkunde, heute taucht Regent im Sör Katalog nicht mehr auf. Warum lässt Ed Meier in München seine Klamotten bei den Portugiesen ➱Diniz & Cruz machen und nicht bei der bayrischen Firma Regent? Und was ist eigentlich mit dem bayrischen Ministerpräsidenten? Warum setzt der sich nicht für das bayrische Unternehmen ein? ➱Franz-Josef Strauß soll ja Regent getragen haben. Aber Politiker sind eine schlechte Werbung. Die Großkotz Anzeige im zweiten Absatz war auch schlechte Werbung, aber in der Wirtschaftswunderzeit fand man so etwas ganz toll. Vielleicht sollte man es mal mit witziger Werbung versuchen. Und mit dieser Paul Smith Anzeige komme ich wieder auf das braune, karierte Jackett zurück. Meines ist natürlich viel eleganter.

Noch mehr Regent in Made in Germany, noch mehr Karos in Gauland (kariert)

Dienstag, 28. März 2017

Doktorspiele


Ich weiß nicht, ob sie diese junge Dame erkennen. Den Herrn zu ihren Füßen erkennen wir sofort, das ist Dirk Bogarde, der heute Geburtstag hat. Er spielt einen jungen Arzt namens Simon Sparrow in einem englischen Doktorfilm, der in der deutschen Version Aber, Herr Doktor… heißt. Die junge Dame spielt eine kleine ➱Schlampe mit großer Oberweite, sie wird noch weltberühmt werden. Sie ist in diesem Jahr übrigens achtzig geworden. ➱Doctor in the House war der erfolgreichste britische Film des Jahres 1954. Das Rank Studio wird noch sechs Fortsetzungen drehen. In der deutschen Version heißt der Doktor nicht Simon Sparrow, sondern Simon Sperling, das ist wirklich ein wenig albern.

Hier ist die junge Dame noch einmal, sie wird gerade mit goldener Farbe angemalt. Das hat jetzt nichts mit Kunst zu tun, Yves Klein (der ➱hier einen längeren Post hat) malte nackte Frauen mit blauer Farbe an, das ist dann Kunst. Dies hier sind die Dreharbeiten zu dem James Bond Film ➱Goldfinger, das ist nicht unbedingt Kunst.

Lass uns nach Bremen fahren, sagte mein Freund ➱Uwe vor vielen Jahren. In der PH soll ein Typ auftreten, der schlachtet ein Schwein über nackten Studentinnen. Das soll Kunst sein. Als wir mit ➱Bus und Straßenbahn in Walle ankamen, war da schon die Polizei, die Sache mit dem Schwein und der nackten Studentin fand nicht statt. Wir merken uns mal: Wenn man eine Frau goldfarben anmalt und sie dann auf einem Bett drapiert, dann ist das Kommerz. Und die Frau (➱Shirley Eaton) wird weltberühmt. Wenn man Frauen mit blauer Farbe anmalt (hier der Künstler Yves Klein bei der Arbeit) und sie sich dann auf Papier wälzen lässt, dann ist das Kunst. Wenn man Schweineblut über nackte Frauen träufelt, dann bringt einen das ins Gefängnis.

Shirley Eaton war ein Bond Girl. Und denen wird in den Filmen ja alles Mögliche angetan. Ich zitiere da mal eben das schöne Gedicht Bond Girls von ➱Fiona Pitt-Kethley. Das findet sich auch in dem Post ➱Britt (was natürlich ein Post zu ➱Britt Ekland ist):

Back in my extra days, someone once swore
she'd seen me in the latest James Bond film.

I tried to tell her that they only hired
the real glamorous leggy types for that.
(My usual casting was 'a passer-by'.)

I've passed the lot in Pinewood Studios.
It's factory-like, grey aluminium, vast
and always closed. Presumably that's where
they smash up all the speedboats, cars and bikes
we jealous viewers never could afford.

I quite enjoyed the books. Ian Fleming wrote well.
I could identify a touch with Bond,
liking to have adventure in my life.
The girls were something else. All that they earned
for being perfect samples of their kind -
Black, Asian, White - blonde, redhead or brunette,
groomed, beauty-parlourised, pleasing in bed,
mixing Martinis that were shaken not stirred
using pearl varnish on their nails not red -
was death. A night (or 2) with 007,
then they were gilded till they could not breathe,
chucked to the sharks, shot, tortured, carried off
or found, floating face downward in a pool.

Aber zurück zu unseren Doktorfilmen. Sie waren harmlose Verfilmungen der Romane des englischen Arztes Richard Gordon, die meisten ab sechzehn Jahren geeignet: In seiner biederen Anspruchslosigkeit und seinen einzelnen guten Szenen ein typischer Nachfahre von ‚Aber, Herr Doktor!‘ Ab 16 Jahren wohl möglich, wenn auch nicht nötig, schrieb der Evangelische Filmbeobachter zu dem Film Doktor Ahoi! Hier können wir Dirk Bogarde mit der sehr züchtigen ➱Brigitte Bardot sehen. Ab sechzehn.

Shirley Eaton tauchte auch in anderen Filmen dieser Reihe wieder auf, so wie hier in Hilfe, der Doktor kommt! (Doctor at Large). Wirklich glücklich war Dirk Bogarde mit den Doktorfilmen nicht unbedingt, aber sie machten ihn berühmt und brachten sehr viel Geld ein. Das reichte dann für einen Rolls Royce und ein kleines Schloss. Die Filmmusik zu vier der Doctor Filme wurde übrigens von Robert Bruce Montgomery geschrieben. Den kennen wir besser als den Krimiautor ➱Edmund Crispin.

Künstlerisch wichtiger war für Bogarde seine Rolle als Kleinkrimineller in ➱The Blue Lamp gewesen, ein Film, der schon in dem Post ➱Englische Krimiserien erwähnt wird. Wir können diesem Filmbild auch entnehmen, dass die kleinformatigen rechteckigen ➱Armbanduhren ihren Weg von Amerika nach England gefunden haben. Das Bild findet sich auch (ebenso wie ein Photo von seinem Landsitz) in dem Post ➱Dirk Bogarde, den es seit dem 28. März 2012 hier für Sir Derek van den Bogaerde gibt.

Der Erfolg der Doctor Filme (hier die Herren ➱James Robertson Justice, Kenneth Moore und Dirk Bogarde) hatte natürlich etwas damit zu tun, dass das Fernsehen noch nicht so recht verbreitet war. Und es nicht diese tausend Arztserien gab, mit denen wir heute überschwemmt werden (außer Scrubs gucke ich die nie). Die Produzentin und der Regisseur von Doctor in the House hatten große Schwierigkeiten, die Bosse von Rank zu überreden, dass sie diesen Film machen durften. Das Studio glaubte fest daran, dass sich niemand in England einen Arztfilm ansehen würde.

Auch in Deutschland gab es in den fünfziger Jahren Arztfilme, in denen Schauspieler wie ➱Dieter Borsche immer einen vorbildlich gestärkten Eppendorf Kittel trugen. Das deutsche Genre beginnt mit Sauerbruch - das war mein Leben, ist aber meistens humorlos. Vor allem, wenn Maria Schell eine Krankenschwester oder eine Kranke spielt. Die einzige Ausnahme war der unnachahmliche ➱Curt Götz mit dem Film Frauenarzt Dr. Prätorius (gucken Sie sich auf keinen Fall die Heinz Rühmann Version an). Ich glaube, die deutschen Arztfilme waren auch alle ab sechzehn, aber sie hatten nie diese netten Beigaben wie Shirley Eaton und Brigitte Bardot.

Die Bardot ist damals noch nicht das Sexsymbol, aber sie arbeitet schon daran. Michael Thornton hat uns in der ➱Daily Mail eine Beschreibung der Dreharbeiten für die Duschszene von ➱Doctor at Sea geliefert: The first time I glimpsed Brigitte Bardot in the flesh – and those words are apt, as it turned out – I was still at school. I had been invited by an actor friend to visit Pinewood Studios, where Dirk Bogarde was filming the comedy 'Doctor At Sea'. For several minutes I was allowed to stand at the back of the set watching rehearsals for a shower scene.

A young girl of devastating physical attraction, with provocatively pouting lips and large, inviting and smouldering brown eyes, emerged into view, clutching a bath towel which failed to conceal the fact she was naked underneath. You could have heard a pin drop on that set. The attention of every man there was riveted on that sinuous figure, who raised and lowered the towel mischievously while a stills photographer attempted to get shots that could be decently published.


As she romped with gazelle-like grace across the set, revealing more and more of her amazing body, it became apparent that she had strips of flesh-coloured sticking plaster concealing her nipples and her pubic hair. In a gesture that would have seemed brazen but for her uninhibited merriment, she dropped the towel, ripped off the sticking plasters, and stood before us all as nature had made her, throwing her head back with explosive laughter, a free spirit, utterly defying convention. As the film studio erupted with male wolf-whistles, a publicity man frogmarched me off the set at the speed of light, insisting: ‘That was simply... um... improvisation. It will not be appearing in the film.’ Hier probiert Brigitte im gleichen Jahr an der Riviera aus, wieviel Nackheit Europa verträgt.

Brigitte Bardot bekam 750 Pfund für die Rolle der Nachtclubsängerin Hélène Colbert, die eigentlich ➱Kay Kendall hätte bekommen sollen, Dirk Bogarde bekam zehntausend. Zehntausend Pfund waren damals sehr viel Geld. Kay Kendall hatte man schon mit Kenneth Moore und Dirk Bogarde in dem Film Doctor in the House in zwei kleinen Auftritten gesehen (und wir werfen mal eben einen Blick auf die Kleidung der Herren, die sie dekorativ umrahmen).

Kay Kendall wirkte immer damenhaft, obgleich sie auch eine hervorragende Komödiantin war. Für Frauen mit Stil wie Kay Kendall ist das Wort lingerie erfunden worden. Ladies tragen keine Unterwäsche, die tragen lingerie. Aber eine Duschszene mit Kay Kendall? Forget it. Mehr als dies Photo aus dem Jahre 1957 gab es nicht. Sieht ein wenig nach den Pin-ups des Zweiten Weltkriegs aus. Braucht man mehr? Steht Rita Hayworth etwa unter der Dusche? Sie ist in ➱Gilda nie nackt, aber sie ist erotischer als all die Frauen, die sich unbedingt ausziehen müssen. Wenn Ingrid Steeger das macht, dann ist das ein running gag in ➱Klimbim, mehr nicht. Die Filmkunst fängt woanders an.

Dirk Bogarde fand die 21-jährige Pariserin sehr sympathisch, schrieb aber später, dass sie als Schauspielerin keine Chancen auf dem englischen Markt haben würde: Even without her French accent, Brigitte would be too much for British studios to handle. You see, Brigitte takes the trouble to put across sex as an art. For most of our girls it's a farce. Das ist eine andere Form des Satzes: No sex please, we are British.

Es wird etwas länger dauern, bis die Engländer auf den Sex kommen, von den Bond Girls in den den ➱James Bond Filmen einmal abgesehen. Doch wenn sie dahinterkommen, dann ist es gleich ein Skandal, der die Regierung zittern lässt. Und das hat mit dieser jungen Dame zu tun, die hier schamhaft verhüllt neben einem Arne Jacobsen Stuhl sitzt. Und die natürlich ➱hier schon einen Post hat, in dem sich auch das berühmtere Photo der nackten Christine Keeler auf dem Arne Jacobsen Stuhl findet.

Aus der unschuldigen Erotik der jungen Bardot wird schnell etwas anderes, wie wir hier sehen können, nämlich die Vermarktung von Sex und Erotik. Und die kommt nicht aus England, sondern aus Frankreich. Das Pornogenre nimmt sich der Ärzte und Krankenschwestern an. Da versichert uns Wikipedia: 'Der Frauenarzt vom Place Pigalle' ist ein Klassiker der Pornofilmgeschichte aus dem Jahr 1981. Na, denn. Der Produzent war die deutsche Ribu Filmproduktion, es war der erste Film, der nach der Freigabe der Pornografie aus Deutschland auf den internationalen Erotikmarkt kam. Das ist sicher auch eine Leistung. Ich weiß nicht, ob man so etwas wirklich brauchte. Die Darsteller kamen übrigens alle aus Frankreich. Bis auf Uschi Karnat aus Castrop-Rauxel (die ➱hier schon zu sehen ist), aber die lebte damals schon in Paris.

Die englischen Doktorfilme mit Dirk Bogarde braucht man (im Gegensatz zu Ribu und Beate Uhse Produktionen) natürlich unbedingt, ich habe die sieben CDs alle in einer Kassette. Kostet bei Amazon knapp 20 €. Die Filme sind auch eine Fundgrube für die Mode der fünfziger Jahre. Der Frauenarzt vom Place Pigalle kostet bei ebay 9,99 €. Ist aber keine Fundgrube für die Mode, weil die Darsteller selten bekleidet sind. Wenn sie das Krankenhaus einmal ganz anders erleben wollen, dann kaufen Sie sich den Klassiker ➱The Singing Detective. Kostet als UK Import bei Amazon 9,98€. Hat nichts mit Porno zu tun, ist aber großes Kino. Und ein Schnuckelchen in Weiß gibt es mit ➱Joanne Whalley in der Serie The Singing Detective auch. Sie spielt übrigens auch das Sexsymbol Christine Keeler in dem Film Scandal.


Noch mehr zum Thema der Inszenierung von Frauen im Film in den Posts: Veronica Lake, Nymphos, Dorothy Malone, Gilda, Operation Mincemeat, Exotik. Jacques Tourneur. Und noch mehr Dirk Bogarde in diesem Blog: Dirk Bogarde, Robert Morley, Monica Vitti, Charlotte Rampling, Et Dieu ... créa le femme, Militärisches Schuhwerk, Fassbinder, Dinu Lipatti, Bergen-Belsen, The Look, Lord John Russell, Cathy Gale, Michael Caine, Inspector Lewis, Englische Herrenschuhe (London)

Sonntag, 26. März 2017

O du schöne Sommerzeit


Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben,
sich ausgeschmücket haben.


Für Paul Gerhardt bedeutete das Wort Sommerzeit etwas anderes als für uns am heutigen Tag. Denn da ist sie wieder, die vermaledeite Sommerzeit. Wollen wir es die Woche des Unsinns nennen? Erst die Maut, und nun die Sommerzeit. Mein Computer weiß es schon, meine Funkuhren auch: die Weltzeit, die den schönen Namen UTC hat, muss mal wieder korrigiert werden. Auf die MESZ, die sich von der MEZ um eine Stunde unterscheidet. Alles klar?

Als Karl V, der einmal gesagt haben soll In meinem Reich geht die Sonne niemals unter, ins Kloster ging, nahm er seine Uhrensammlung und den Uhrmacher Juanelo Turriano mit. Er träumte davon, zwei Uhren zu besitzen, die völlig synchron gingen. Als der berühmte italienische Uhrmacher das nicht hinkriegte, soll der Kaiser gerufen haben: O ich Thor, und ich wollte die Gemüther von Millionen über die verwickeltesten und geheimnißreichsten Gegenstände gleich stimmen! Wir anderen, die wir heute Morgen unsere Uhren in den Gleichklang mit der MESZ bringen, fragen uns: warum hat der Bundestag das 1978 beschlossen?

Das stand hier schon mal, das ahnen Sie schon. Sie könnten auch noch die Posts ➱Zeitmessung, ➱Sommerzeit, ➱Sommerzeit, ➱Observatorium und ➱Astronomie lesen. In dem Post ➱Sommerzeit steht die Geschichte drin, wie meine Uni mal eine sauteure Patek Philippe Anlage weggeschenkt hat. Die steuerte plötzlich die Uhren auf dem Campus nicht mehr richtig. Man hätte sie für ein paar Euro reparieren können. Aber nein, weg damit. Wie mit der Zeit, eine Stunde weg. Nicht wieder einzuholen, temps perdu. Wir reden heute häufig davon, dass wir die Zeit totschlagen. Aber das ist eine gefährliche Sache, wie Erich Frieds Gedicht Totschlagen zeigt.

Erst die Zeit
dann eine Fliege
vielleicht eine Maus
dann möglichst viele
Menschen
dann wieder die Zeit

Am 29. Oktober 2017 bekommen wir unsere normale Zeit wieder zurück. Die heißt dann aber nicht normale Zeit, sondern Winterzeit. Vielleicht trauern wir dann der Sommerzeit nach:

Jetzt kommt die Nacht, es flieht das Glück, 
Die Sonne flieht so weit: 
Sie kommt so froh wohl nie zurück, 
Die schöne Sommerzeit 

Samstag, 25. März 2017

Wunderteam


Nein, es geht heute nicht um unsere deutsche Nationalmannschaft. Obgleich es schön war, dass Podolski in seinem letzten Spiel ein so wunderbares Tor gelang. Aber die Jungs von Jogi Löw sind natürlich kein Wunderteam. Die Herren auf diesem Bild hier schon, das ist die österreichische Nationalmannschaft der dreißiger Jahre, die man das Wunderteam nannte.

Eine Fußballmannschaft, die es nicht nur auf die Leinwand, sondern auch in das Opernhaus geschafft hatte. Heute vor achtzig Jahren wurde im Theater an der Wien der musikalische Fußballschwank, die Operette Roxy und ihr Wunderteam, von Paul Abraham aufgeführt. Die gesamte österreichische Nationalmannschaft saß im Zuschauerraum, obgleich es in der Operette keine österreichischen sondern ungarische Kicker sind. Aber man wusste, wer gemeint war. Anmerkung für den Regisseur: Die ungarische Fußballmannschaft kann natürlich leicht in jede andere, eines anderen Landes, umgewandelt werden! stand im Textbuch der Operette. Und da wir gerade dabei sind: in der ersten Version der Operette ging es gar nicht um eine Fußballmannschaft, sondern um eine Wasserballmannschaft.

Die Vaudeville Operette wurde in Wien und Budapest ein Riesenerfolg. Man kennt Paul Abraham mit Operetten wie Viktoria und ihr Husar (gab es natürlich auch als Film), Die Blume von Hawaii oder Ball im Savoy, aber die Operette mit den Fußballspielern ist leider in Vergessenheit geraten. Zumal auch die Originalpartitur verloren war. Doch man hat alles liebevoll rekonstruiert und 2014 in Dortmund wieder aufgeführt. Der WDR schrieb über die Aufführung: Die Dortmunder Aufführung hat genau das Maß an hinreißender Beklopptheit, das dieses Stück braucht… Die vielen Schauplätze wechseln elegant im prachtvollen Bühnenbild… Fast drei Stunden dauert die Aufführung, sie vergeht wie ein Rausch. Ohne Kater danach. Wenn Borussia in der Bundesliga auch wieder so spielen würde, wäre Dortmund glücklich. Vielleicht muss die Mannschaft auch mal ins Erotik-Trainingslager an den Plattensee. Da sollte Thomas Tuchel mal drüber nachdenken.

Wenn die Nazis kommen, ist alles vorbei mit der Wunderelf. Die jüdischen Fußballvereine werden aufgelöst, Matthias Sindelar, den man auch den Mozart des Fußballs nannte, hört auf zu spielen. Der österreichische Trainer des Wunderteams Hugo Meisl, der den österreichischen Fußbal groß gemacht hatte, stirbt 1937. Das Bild oben im ersten Absatz von Paul Meissner ist reine Nostalgie, es wurde erst 1948 gemalt. Sechzehn Jahre nach dem Spiel im Stamford Bridge Stadion gegen die Engländer. Da lagen die Österreicher in der Pause mit 0:2 zurück, und da hat Meisl (immer korrekt gekleidet mit Anzug, Hut und Spazierstock) seine Spieler mit den Worten Spüts euer Spüü! zurück auf den Rasen geschickt. Die Engländer gewannen das Freundschaftsspiel mit 4:3, und die Times feierte den österreichischen Star Matthias Sindelar als einen der besten Spieler der Welt.

Er war ein Kind aus Favoriten
und hieß Mathias Sindelar.
Er stand auf grünem Plan inmitten,
weil er ein Mittelstürmer war.
 Un dich Er spielte Fußball, und er wußte
vom Leben außerdem nicht viel.
Er lebte, weil er leben mußte,
vom Fußballspiel fürs Fußballspiel.

Er spielte Fußball wie kein zweiter,
er stak voll Witz und Phantasie.
Er spielte lässig, leicht und heiter.
Er spielte stets. Er kämpfte nie.

Das dichtete Friedrich Torberg nach dem frühen Tod von Matthias Sindelar. Wenn Sie das ganze Gedicht lesen wollen (und das wollen Sie natürlich), dann klicken Sie doch den Post ➱Neo Rauch an. Und wenn Sie einmal in die Dortmunder Aufführung von Roxy und ihr Wunderteam hineinschauen wollen (und das wollen Sie unbedingt), dann klicken Sie ➱hier. Es gibt heute sowieso keine Bundesliga, da können wir uns ebensogut die blonde Roxy im ➱Westfalenstadion anschauen.

P.S. Wenn Sie den Kommentar unten anklicken, dann können Sie lesen, dass Roxy und ihr Wunderteam in Augsburg im Programm für 2017/2018 steht. ➱Klaus Waller, der mir schrieb, ist nicht irgendjemand, er hat eine gefeierte Biographie über den Komponisten Paul Abraham geschrieben. Und ich bin glücklich, dass in meinem Blog noch keine gehässigen Bemerkungen über seinen Bruder stehen.

Noch mehr Fußball in diesem Blog: ➱Fußballmannschaft, ➱Hannover 96, ➱Goalies, ➱Uns Uwe, Uwe Seeler, ➱Fußballpoesie, ➱WM, ➱Bert Trautmann, ➱Bert Trautmann ✝, ➱Belfast Boy, ➱Wundliegen, ➱Schickssalspiel, ➱Farbsymbolik, ➱Stil, ➱1954, ➱Albert Camus, ➱Neo Rauch, ➱Gauland (kariert), ➱Erwin Kostedde, ➱HSV, ➱EM, ➱Endspiel, ➱Island, ➱Arkadien


Mittwoch, 22. März 2017

Rosa Bonheur


Sie malt Tiere, diese Rosa Bonheur, die am 16. März 1822 geboren wurde (ich habe das am 16. mit dem 195. Geburtstag leider verpasst, weil ich noch mit der ➱Berliner Mode beschäftigt war). Sie ist die berühmteste Tiermalerin ihrer Zeit, wenn nicht die berühmteste Tiermalerin überhaupt: la plus grand peintre animalière du monde. Gut, da ist natürlich noch der Engländer George Stubbs (der schon mit ➱George Stubbs und ➱Bildbeschreibung zwei Posts hat), aber der verstand sich eigentlich nicht als animalier. Rosa Bonheur ist in diesem Blog schon einige Male erwähnt worden, in dem Post ➱Sir Henry von Schroder findet sich ihr Bild ➱Weidewechsel, das in der Hamburger Kunsthalle hängt. Dieses Portrait von ihr hat ihr Kollege Édouard Dubufe gemalt. Wenn sie den Arm um einen Bullen legt, dann hat das schon seine Bedeutung: In Wirklichkeit interessiere ich mich, was männliche Wesen anbelangt, nur für die Stiere, die ich male.

Dies ist ein Altersportrait der Malerin, gemalt ein Jahr vor ihrem Tode von einer amerikanischen Malerin, die dreiunddreißig Jahre jünger ist als die französische Tiermalerin. Sie heißt Anna Elizabeth Klumpke, seit ihrer Kindheit schwärmt sie für Rosa Bonheur. Als sie selbst Malerin geworden war, will sie unbedingt ihr Vorbild malen (sie hat auch die Frauenrechtlerin Elizabeth Cady Stanton gemalt). Anna Klumpke wird Rosa Bonheur 1889 unter dem Vorwand kennenlernen, dass sie die Übersetzerin für einen amerikanischen Pferdehändler sei. Wenig später wohnt sie mit Bonheur auf deren Schloss. Auf diesem Bild hier trägt Rosa Bonheur den Orden der Ehrenlegion.

Auf diesem Photo auch. Die Kaiserin Eugénie war 1865 persönlich zu dem kleinen Schloss von Rosa Bonheur gekommen und hatte sie persönlich zum Chevalier de la Légion d'Honneur ernannt: Vous voilà chevalier, je suis heureuse d'être la marraine de la première femme artiste qui reçoive cette haute distinction. Jahrzehnte später wurde ihr der nächsthörere Rang eines Officier de la Légion d’Honneur verliehen, sie war die erste Frau, der diese Ehre zuteil wurde. Später gab es noch andere: Marlene Dietrich, Mireille Matthieu, Barbra Streisand. Und Beate Klarsfeld.

So ganz gefallen hat der Kaiserin der Besuch im Chateau de By im Wald von Fontainebleau nicht unbedingt. Und das hat mit dem Satz In Wirklichkeit interessiere ich mich, was männliche Wesen anbelangt, nur für die Stiere, die ich male. Rosa Bonheur lebt da nämlich mit ihrer Freundin Nathalie Micas zusammen. Als die Kaiserin unverhofft kommt, liegt Nathalie in der Badewanne, und Rosa muss die Tür zum Bad mit dem Fuß sehr unzeremoniell zukicken, um Eugénie zu empfangen. Seit Rosa vierzehn ist, wird die zwei Jahre jüngere Nathalie nicht von ihrer Seite weichen (die Familie Micas hatte nach dem Tod von Rosas Vater seine Schulden bezahlt und die junge Rosa bei sich aufgenommen). Seit sie vierzehn ist, ist Rosa Bonheur auch im Louvre, um Bilder zu kopieren. Besonders Bilder des holländischen Tiermalers ➱Paulus Potter. Sie hat das Ziel, als Malerin eine zweite Élisabeth Vigée-Lebrun zu werden. Das läßt ihre Biographin Anna Elizabeth Klumpke sie in ihrer ➱Biographie sagen, die, in der ersten Person Singular geschrieben, häufig für eine Autobiographie gehalten wurde.

Das Wachpersonal des Louvre nennt sie le petit hussard, den kleinen Husaren. Weil sie Männerkleidung trägt. Das ist natürlich praktisch, wenn man sich mit einem Löwen im Sand wälzt (Rosa Bonheur hält sich mehrere Löwen in ihrem Privatzoo), wenn sie sich für Anatomiestudien und Tierskizzen in den Pariser Schlachthöfen und auf dem Pferdemarkt aufhält. Aber so ganz comme il faut ist das nicht. Denn da gibt es das Gesetz vom 26. Brumaire des Jahres 1801: Jedwede Frau, die sich wie ein Mann zu kleiden wünscht, ist gehalten, sich bei der Polizeipräfektur zu melden und eine Bewilligung zu beantragen, die nur aufgrund eines Zertifikats eines Beamten der Gesundheitsdienste ausgestellt werden kann.

Alle sechs Monate muss sie sich bei der Präfektur eine neue Erlaubnis erteilen lassen, um sich als Mann zu verkleiden, um dergestalt bei Schauspielen, Bällen und in anderen öffentlichen Örtlichkeiten mit Publikum aufzutreten. Auch die berühmte Schriftstellerin George Sand musste derartige Anträge stellen, damit sie in Hosen herumlaufen konnte. Sie können hier eine solche Permission de Travestissement sehen. Das Hosengesetz aus der französischen Revolution ist erst vor einigen Jahren von der französischen Frauenrechtsministerin Najat Vallaud-Belkacem für ungültig erklärt worden, aber da wusste eigentlich niemand mehr, dass es dieses Gesetz immer noch gab.

Das hier sind nicht Rosa Bonheur und Nathalie Micas, das sind Charlotte Butler und Sarah Ponsonby, die ihre adlige Verwandtschaft in Irland verlassen haben und in Llangollen in Wales ein halbes Jahrhundert zusammen leben. Beinahe jeder wird die Ladies of Llangollen besuchen, der Herzog von ➱Wellington ebenso wie ➱William Wordsworth, ➱Walter Scott und ➱Lord Byron. Elizabeth Mavor hat über die Damen ein schönes Buch geschrieben, das auch auf deutsch erschienen ist (Die Ladies von Llangollen: Eine Studie über romantische Freundschaft). Simone de Beauvoir hat über die Ladies gesagt: Die Vereinigung der Sarah Ponsonby mit ihrer Geliebten dauerte ungetrübt an die 50 Jahre lang. Sie haben es anscheinend verstanden, sich am Rand der Welt ein friedliches Eden zu schaffen.

Vielleicht haben Bonheur und Micas mit ihrer amitié sentimentale auch ein friedliches Eden gehabt. Dieses Bild (2,50 mal 5 Meter), das Nathalie Micas begonnen hatte, und das Rosa Bonheur vollendete, wird soviel einbringen, dass Rosa das Chateau de By kaufen kann. Nathalie Micas, die selbst eine Malerin (sie malt gerne Katzen) und eine Amateurtierärztin ist, bringt ihre Mutter mit. Die wird sich um die Löwen kümmern. Es ist eine seltsame Menage. Die Königin Victoria wird von dem Bild begeistert sein, wenn sie es sich nach Windsor Castle kommen läßt. Das tut sie häufiger, auch wenn die Maler den Transport bezahlen müssen, sind dankbar für die Werbung.

Die Königin läßt sich viele Bilder nach Windsor kommen. Für den ➱Monarch of the Glen von Sir Edwin Landseer wird sie allerdings mit der Eisenbahn nach Schottland fahren. Rosa Bonheur wird Landseer in seinem Studio besuchen (die Königin steht auch auf ihrer Besuchsliste), und bis zu ihrem Tod wird er für sie der größte Künstler sein. Gegen seinen Monarch of the Glen (der jahrzehntelang die Etiketten von Dewar’s und Glenfiddich Whiskyflaschen zierte) sehen die Hirsche von Bonheur etwas mickrig aus. Für das Etikett einer Whiskyflasche wären sie ungeeignet. Man kann das auch positiv formulieren: es fehlt ihnen das Pathos und die Sentimentalität von Landseer.

Sie hat in Frankreich zwar Erfolg bei Ausstellungen und Wettbewerben (Delacroix erwähnt sie lobend in seinen Tagebüchern), aber verkaufen tut sie in ihrem Heimatland so gut wie nichts. Das ist in England und Amerika ganz anders, da zahlt man selbst für ihre Skizzen Wahnsinnspreise. Der Kunsthändler Ernest Gambart, der sie (zusammen mit dem Bild vom Pferdemarkt) nach England eingeladen hatte, wird dafür sorgen, dass der englische Markt mit Bildern (und Radierungen nach den Bildern) gefüttert wird. ➱Thomas Herbst hätte an dieser Kuh, die Rosa mit achtzehn Jahren malt, sicher seine Freude gehabt.

Sie kann auch Landschaften malen, das hier sieht doch beinahe aus wie ein Cezanne. Die Grundzüge der Landschaftsmalerei hat ihr der Vater beigebracht, der selbst Landschaftsmaler war. Er war ein fanatischer Anhänger der utopischen Lehren des Grafen Henri de Saint-Simon, was seiner Tochter eine halbwegs gute Bildung verschaffte, aber seine Familie zerbrechen ließ. Weil er jahrelang nicht zu Hause war und stattdessen in einer Kommune (einer Art von Brook Farm Experiment) lebte. Die Lehren von Saint-Simon gaben den Töchtern in der Famile die selben Freiheiten wie den Söhnen, ohne diesen Hintergrund wäre Rosa nicht diejenige geworden, die sie war. Hätte wahrscheinlich keine Hosen getragen. Aus dem Mädchenpensionat flog sie mit dreizehn Jahren raus, sie galt als schwer erziehbar. So fangen Filme von Truffaut an, wie zum Beispiel ➱Une belle fille comme moi. Irgendwie scheint das französische Erziehungssystem Schwächen zu haben.

In ihrem letzten Lebensjahr freundete sie sich mit der amerikanischen Malerin Anna Elizabeth Klumpke an, die sie mehrfach porträtierte, steht im Wikipedia Artikel zu Rosa Bonheur. Das ist ein Satz, der komplett falsch ist. Die beiden haben sich 1889 kennengelernt (aus dem Jahr stammt auch das Portrait von Rosa) und haben dann im Chateau de By zusammengelebt. Nach dem Tod ihrer Gefährtin Nathalie Micas war Rosa in eine Lebens- und Sinnkrise gekommen. Da besucht sie ständig den Westernzirkus von ➱Buffalo Bill, der sich gerade in Paris aufhält. Und malt den Colonel William F. Cody. Es ist ein seltsames Bild, Reiter und Landschaft passen nicht zusammen. Das ist solch ein Verfremdungseffekt wie bei den Westernfilmen, die in Jugoslawien gedreht wurden. Wir wollen Buffalo Bill in seinem natürlichen Habitat sehen, nicht im Wald von Fontainebleau.

William F. Cody war für Rosa Bonheur ein Symbol, sie bewunderte Amerika. Für sie war es eine wahrgewordene Utopie der Ideale von Saint-Simon: And I admire American ideas about educating women. Over there you don't have the silly notion that marriage is the one and only fate for girls. I am absolutely scandalized by the way women are hobbled in Europe. It's only because of my God-given talent that I could break free.

Als Anna Klumpke sie fragte, ob sie sie malen dürfte, stimmte sie sofort zu. Weil Klumpke (die deutsche Eltern hatte) eine Amerikanerin war. Die Sache mit dem Zusammenleben kam später. Rosa Bonheur hat ihre letzte Gefährtin Anna Elizabeth Klumpke zum Entsetzen der Familie Bonheur zur Alleinerbin gemacht. Das kleine Schloß ist heute ein Museum, dafür hat Anna Klumpke gesorgt.

Rosa Bonheur (hier ein Altersportrait von Anna Klumpke) ist nie zur Messe gegangen, hat nie gebeichtet, im Herzen ist sie immer noch eine Anhängerin von Saint-Simon, aber als Nathalie Micas starb und auf dem Père Lachaise beigesetzt wurde, trat Rosa Bonheur zum Katholizismus über. Nicht dass sie plötzlich an Gott glaubte, aber auf dem Père Lachaise wird man nun mal nur beerdigt, wenn man gut katholisch ist. Und so werden die beiden Gefährtinnen eines Tages nebeneinander liegen. Anna Klumpke, die mit 86 Jahren in San Francisco stirbt, später auch.

Ich weiß nicht, was für ein Tier dies ist, aber es gefällt mir. Manchmal hat man Schwierigkeiten, gemalte Tiere zu identifizieren. Mir fällt dazu immer George Caleb Binghams Bild ➱Fur Traders Descending the Missouri (das sich im Post ➱Charles Wimar findet) ein. Das Tier da vorne im Boot ist keine Katze. Dieses Tier hier findet man, wenn man Rosa Bonheurs Namen bei Googles Bildersuche eingibt. Warum? Weil ein Unternehmen namens Meet the Masters ein sauteures Programm anbietet, damit Kiddies malen lernen wie Rosa Bonheur. Und das kommt dabei raus. Hat sie das verdient?

Die Tiermalerin Rosa Bonheur (hier eine von ihr bemalte Palette) war eine erstaunliche Frau, sie hat sich nie in die Einsamkeit zurückgezogen. Sie liebte die Gesellschaft, ging aus und lud Gäste ein. Sie ging gerne ins Theater. Sie war großzügig mit dem Geld, das ihr nichts bedeutete. Sie hatte für ihre Zeit erstaunlich vernünftige Ansichten. Und sie ist ein Vorbild für viele Malweiber des 19. Jahrhunderts gewesen, in dem Punkt haben die Utopien von Saint-Simon doch etwas Positives bewirkt.