Mittwoch, 28. Februar 2018

Fremde Federn


Als ich wissenschaftliche Arbeiten zu schreiben begann, waren Fußnoten das A und O jeder Arbeit. Man musste möglichst viele Fußnoten in einer Arbeit unterbringen, das galt als wissenschaftlich.  Ohne dass ich damals Michel de Montaignes Bemerkungen über das Zitieren fremder Autoritäten gelesen hatte, fand ich diese Fußnotenschwemme albern. Je mehr ich schrieb und je älter ich wurde, desto zahlenmäßig geringer wurden die Fußnoten in meinen Texten. In seinem Buch Napoleon and his Marshals verzichtet ↠A.G. Macdonnel auf Fußnoten und Bibliographie und schreibt mit wunderbarer Frechheit: I am profoundly suspicious of almost all bibliographies. Nothing is easier than to hire someone to visit the British Museum and make a most impressive list of authorities, which will persuade the non-suspecting that the author is a monument of erudition and laboriousness. I propose, therefore, to confine myself to the simple statement that every single detail of this book has been taken from one or other work of history, reference, reminiscence, or biography. Ich habe das immer bewunderswert gefunden. Ich bin nicht der einzige, viele Autoren haben diese Sätze mit Vergnügen zitiert.

Die Wissenschaft, sie ist und bleibt, was einer ab vom andern schreibt. Die Fußnote ist der sichtbarste Ausdruck wissenschaftlicher Tätigkeit. Eine wissenschaftliche Abhandlung unterscheidet sich von banalen Schriften durch Fußnoten. Anzahl und Umfang der Fußnoten bestimmen ihren wissenschaftlichen Rang und Tiefgang, kann man in einem ↠Text lesen, der ein klein wenig satirisch ist. Man kann das schon dem Titel entnehmen, wo das Wort Pedinotalogie (versehen mit einem Copyright Zeichen) auftaucht. Das ist Küchenlatein für die Wissenschaft von der Fußnote. Wenn Sie etwas nicht Satirisches zur Fußnote lesen wollen, kann ich Anthony Grafton Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote empfehlen.

Manche Autoren zitierten nicht nur anerkannte Autoritäten als Beleg, sondern zitierten ständig eigene Arbeiten. Wofür ein Kritiker in der Zeitschrift LiLi in den siebziger Jahren die schöne Formulierung vom hartnäckigen Selbstzitat fand. Es gilt wissenschaftlich als nicht fein, ist aber keineswegs vom Aussterben bedroht. Dünnbrettbohrer, die sich als Autoritäten aufplustern, können auf das hartnäckige Selbstzitat nicht verzichten. Fußnoten sind eine Kunst, die man beherrschen muss. Sie sind auch eine gefährliche Sache. Der Herr ↠von und zu Guttenberg, der schamlos seinen eigenen Doktorvater beklaute, ohne das mit einer Fußnote zu belegen, beherrschte die Kunst der Fußnote nicht. Allerdings muss man sagen, dass sein Doktorvater Peter Häberle in seinen eigenen Schriften die Fußnoten in einer Art verwendete, wofür die Engländer die schöne Formulierung in a cavalier fashion haben. Kaum etwas stimmte, fanden seine Assistenten heraus. Und der Rest waren hartnäckige Selbstzitate. In Bayreuth reicht als Ausweis der Wissenschaftlichkeit offensichtlich ein CSU Parteibuch. Sie finden mehr zu der Plagiatsaffäre in den Posts ↠Plagiat und ↠Der wissenschaftliche Witz.

Zitate, die durch Fußnoten belegt sind, gehören zur Wissenschaft. Lassen Sie uns einmal in die Zeit der Renaissance zurückgehen, in das goldene Zeitalter des Zitats. Hatte man vorher die Bibel als alleinige Autorität zitiert, so zitiert man jetzt alles, was wir aus dem Lateinunterricht kennen. Ich möchte damit zu Michel de Montaigne kommen, der am 28. Februar 1533 geboren wurde. Er liebte Zitate. Aber er war auch sehr kritisch gegenüber Schriften voller Zitate. Pasteten aus Gemeinplätzen hat er sie genannt. Und er warnt davor, dass vor lauter Zitieren berühmter Autoritäten der eigene Gedanke nicht sichtbar wird: Wir können wohl sagen, Cicero spricht das oder ienes, Plato hatte die Art, dieß sind des Aristoteles eigene Worte. Allein, was sagen dann wir für unsere eigene Person? Was thun wir? Was urtheilen wir? So viel könnte ein Papogey auch sagen. Ich weiß, dass ich das schon in ↠Unser Land zitiert habe, aber ich zitiere es gerne.

Michel de Montaigne kannte die Guttenbergs und Schavans dieser Welt: Einige ... führen ihren vorhabenden Satz (wie es den Gelehrten sehr leicht fällt) durch hier und da zusammengestoppelte alte Erfindungen aus. Allein, ernstlich begehen sie eine Unbilligkeit und Niederträchtigkeit, in soferne sie dieselben verbergen und sich anmaßen wollen, weil sie sich, ungeachtet sie selbst nichts eigenes haben, womit sie sich sehen lassen könnten, durch ein ganz und gar fremdes Gut hervor zu thun suchen. Nebst dem ist es aber auch eine große Thorheit, daß sie sich begnügen durch Betrügerey den Beyfall des unwissenden Pöbels zu erlangen, und gegentheils verständigen Leuten eine üble Meynung von sich beybringen, als die über dergleichen erborgter Schminke die Nase rümpfen, und deren Lobsprüche doch nur einzig und allein, von einigen Gewichte sind.

An anderer Stelle schreibt Montaigne: Eben so, wie einer von mir sagen könnte, ich hätte hier nur einen Haufen fremder Blumen gesammelt, und weiter nichts dazu beygetragen, als den Faden, sie zusammen zu binden. Ich finde das einen wunderbaren Satz, denn wenn ich ehrlich bin, tue ich letztlich in meinem Blog nichts anderes. Und ich mache zu dem Thema der Zitate bei Montaigne hier gerne eine ↠Fußnote, die auf einen sehr schönen Aufsatz zu dem Thema verweist. Der Autor beginnt mit einem Zitat vom David Lodge (den kennen Sie, weil Sie den Post ↠Universitätsromane gelesen haben): I respect a man who can recognize a quotation. It's dying art.

Ich hatte mir den Satz von Montaigne mit dem Haufen fremder Blumen  irgendwo notiert; ich notiere mir immer Sätze von Montaigne, finde aber diese Zettel nicht wieder. Doch der Satz begegnete mir in einem Weihnachtsgeschenk in englischer Fassung wieder: I have gathered a posy of other men's flowers and nothing but the thread that binds them is mine own. Der Autor des Buches The Enigma of Kidson über den legendären Geschichtslehrer aus Eton zitierte nicht nur diesen Satz von Montaigne, er wies auch noch auf eine Gedichtanthologie hin, die den Titel Other Men's Flowers hat. Das Buch erschien 1944 in einer für England dunklen Stunde, es fand sehr viele Leser. Es ist heute immer noch lieferbar.

Der Herausgeber von Other Men's Flowers war kein Dichter, kein Literaturprofessor. Er war ein englischer Feldmarschall, der gerade Vizekönig von Indien war. Alle Gedichte in seinem Buch konnte er auswendig. Er konnte Churchill nicht ausstehen, aber Churchill bekommt eines Tages den Literaturnobelpreis. Man hätte ihn lieber Archibald Wavell geben sollen, der nicht nur viele Gedichte auswendig konnte, sondern auch noch Gedichte schrieb. Eins hat er in seine Blütenlese aufgenommen. Damit wir einen Eindruck von unserem dichtenden Viscount bekommen, zitiere ich einmal das Sonett von ihm, das er 1943 schrieb. Da war er dreiundvierzig Jahre in der englischen Armee. Es ist sicher ein sehr persönliches Gedicht, das er als a little wayside dandelion of my own bezeichnete:

Dear Lady of the cherries, cool, serene,
Untroubled by the follies, strife and fears,
Clad in soft reds and blues and mantle green
Your memory has been with me all these years.

Long years of battle, bitterness and waste,
Dry years of sun and dust and eastern skies,
Hard years of ceaseless struggle, endless haste,
Fighting ‘gainst greed for power hate and lies.

Your red-gold hair, your slowly smiling face
For pride in your dear son, your king of kings,
Fruits of the kindly earth, and truth and grace,
Colour and light, and all warm lovely things –

For all that lovelieness, that warmth, that light,
Blessed Madonna, I go back to fight.

Wavells Dear Lady of the cherries ist das letzte Gedicht in Other Men's Flowers, ist eine Art Nachwort. So etwas fällt natürlich nicht unter den Begriff vom hartnäckigen Selbstzitat. Lord Wavell wollte auf Fußnoten verzichten, aber sein Verleger Jonathan Cape überredete ihn, Anmerkungen zu den Gedichten zu schreiben. Die manchmal sehr witzig ausfallen. Hier ist das, was er über T.S. Eliot gesagt hat: Much of the work of T.S. Eliot has obvious dignity and beauty, and is also a pleasure to read as long as one makes no effort to solve his cryptograms; but some of it seems deliberately ugly as well as cryptic. I look on him as one who has sinned against the light of poetry by wrapping his great talent in the napkin of obscurity. Eliot hat das hingenommen. Nach dem Tod von Wavell hat er gesagt: I do not pretend to be a judge of Wavell as a soldier ... What I do know from personal acquaintance with the man, is that he was a great man. This is not a term I use easily.

Zitate sind schön und gut, es kann nicht schaden, Georg Büchmanns Geflügelte Worte zur Hand zu haben. Montaigne gebraucht die Zitate immer wieder. Aber er will kein Papagei sein, es muss etwas Eigenes dazu kommen. Er versucht nicht, durch Betrügerey den Beyfall des unwissenden Pöbels zu erlangen. Er stellt dagegen: Ich, meines Theils, suche nichts weniger als das. Ich rede von den andern in keiner andern Absicht, als um desto mehr von mir selbst zu reden. Ist das nicht die Maxime aller Blogger?


Lesen Sie auch: Michel de Montaigne, Montaigne

Sonntag, 25. Februar 2018

Crockett & Jones


Die junge Dame, die aus ihrem Mini Cooper kletterte, grüßte mich. Ich grüßte zurück, wusste aber nicht, wer sie war. Sie trug einen weißen Mundschutz, der eine Gesichtserkennung unmöglich machte. Wir bewegten uns auf den Supermarkt zu, als ich hörte, dass sie zu ihrer Freundin sagte: Hörst Du diesen Klang? So klingen nur Luxusschuhe. Ich sagte: Es sind englische Schuhe. Sie drehte sich um und sagte: Ich habe Sie schon häufig hier gesehen, Sie tragen immer hervorragende Schuhe. Frauen achten also auf Schuhe. Und können sie am Klang erkennen. Ich fand die kleine Geschichte sehr witzig. Die Schuhe, die ich trug, kamen von Crockett & Jones, dieses Modell in orange, nur in einem besseren Zustand. Ich verlor die Dame im Schlemmer-Markt aus den Augen, doch plötzlich fiel mir ein, dass es die Frau sein könnte, die mir im Sommer vor zwei Jahren an der Kasse sagte: Sie sind sehr elegant und stilvoll gekleidet. Das sieht man bei Männern nicht so häufig gesagt hatte. Ich habe die Geschichte schon in den Post Computer hinein geschrieben. Was wären wir ohne kleine Eitelkeiten.

Die kleine Parkplatzgeschichte ist natürlich ein schöner Grund, einmal über die Firma Crockett & Jones zu schreiben. Sie wurde 1879 von Charles Jones und James (später Sir James) Crockett in Northampton gegründet. Sie ist heute immer noch im Familienbesitz, allerdings nur noch der Familie Jones, der letzte Crockett verließ 1952 die Firma. Als man 1879 dank eines Darlehens von 100 Pfund vom Thomas White Trust (dem ältesten Unterstützungsfond der englischen Wirtschaft) mit der Schuhproduktion begann, hatte man zwanzig Angestellte. Doch die Firma wird schnell wachsen. Im Ersten Weltkrieg produziert man als Höhepunkt 600.00 Paar Stiefel für die Armee, heute hat man einen Umsatz von 30 Millionen Pfund. Neben dem wirtschaftlichen Erfolg steht die persönliche Tragödie. Sir James Crockett, Friedensrichter und Philantrop, wird zwei seiner Söhne, den Leutnant Clifden James Crockett und den Captain Lawrence Crockett, verlieren. Die Kriegsverluste sind in der englischen Aristokratie und der Upper Class überdurchschnittlich hoch.

Während des Krieges ist Northampton zu einer wirtschaftlichen Macht geworden, sechzig Millionen Paar Schuhe wird man herstellen, es gibt noch über hundert Fabriken. 1922 wird James Crockett geadelt, zwei Jahre später führt er den Duke of York durch seine Fabrik. Man produziert damals 15.000 Schuhe in der Woche, die Masse davon sind übrigens erstaunlicherweise Damenschuhe. Mit den Branchenriesen wie Goliath Footwear oder J Sears & Co und ihrer Handelsmarke True-Form kann man nicht konkurrieren

In den dreißiger Jahren beginnt man bei Crockett & Jones mit einer großangelegten Werbung. Für Herrenschuhe hat man den Namen Health Brand erfunden, man bewirbt die Schuhe noch in den fünfziger Jahren mit Texten wie: You will be wise to ask for 'Health' Brand, probably the best shoes you can buy. Quiet, manly styles built by craftsmen from leather that is a joy to feel. Miles and miles better than shoes costing only a little less. Leaflet and address of your nearest stockist sent on request to Dept. N.8 Crockett & Jones Limited. Northampton.

Für die englische Lady hat man auch eine Linie, die Swan Shoes heißt. Obgleich es da bei der Firma am Anfang der Werbekampagnen noch ein wenig durcheinandergeht, auch ➱Herrenschuhe werden unter dieser Marke angeboten. Diese Anzeige ist von 1947, ➱Salvatore Ferragamo macht da andere Schuhe für die Damen. Die vielleicht nicht so lange halten wie ein rahmengenähter Swan Schuh. Im Jahre 1974 wird man die Health und Swan Marken aufgeben, die Schuhe werden dann nur noch Crockett & Jones heißen. Es sei denn, ein Händler oder eine Firma möchte ihren Namen auf dem Schuh haben, dann heißen die Schuhe Shipton & Heanage, New & Lingwood oder Peal & Co. Oder Unützer, Ralph Lauren und Baldessarini.

Letzteres gilt natürlich nur für die Firma von Werner Baldessarini, der sich seine Schuhe von Crockett & Jones und Laszlo Vass machen ließ. Crockett & Jones, die sich in den 1890er Jahren Goodyear Maschinen aus den USA bestellten, haben immer an der traditionellen Herstellung festgehalten: Well, we make our shoes from high-grade skins. And we don't stamp them out en masse by machine. Each skin is marked out by hand, in the way that will suit the shoe best. Then we hand-cut and last and stitch each shoe. Wenn Schuhe heute mit dem Wort rahmengenäht beworben werden, dann ist das ein ungenauer Begriff, denn die meisten Schuhe sind nicht wirklich rahmengenäht, weil sie statt des Rahmens ein gemband besitzen. Die Schuhe von Crockett & Jones auch. Und auch - da müssen die Fans von Edward Green jetzt ganz stark sein - die Schuhe der Luxusmarke haben leider nur ein gemband, keinen echten Rahmen.

In den siebziger Jahren ging es der Firma nicht so gut, das sagt auch der Managing Director Jonathan Jones. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich mir damals bei Shipton & Heanage ein Paar Crockett & Jones Wildlederschuhe für die Hälfte des Preises kaufte, war kein Ausverkauf. So etwas gibt es bei Shipton & Heanage heute natürlich nicht mehr. Heute ist Crockett & Jones wieder ganz oben. 89 Jahre nach dem Besuch des Duke of York wird wieder ein Mitglied des Königshauses die Firma besuchen. Charles ist auf einer Tour durch das Königreich um die Best of British Firmen zu besuchen, die Tour dauerte zwei Tage. Wir können daraus schließen, dass es nicht mehr so viele Firmen gibt, die dieses Best of verdient haben.

Crockett & Jones gehört natürlich dazu. Charles durfte auch ein Paar Schuhe mitnehmen, er wählte sich dieses schlichte Modell aus. Er bekam auch noch Schuhe für seine Söhne mit, zweimal das Modell Tetbury. Der Schuh ist im Augenblick besonders begehrt, weil ihn James Bond (sprich Daniel Craig) in Skyfall getragen hat. Das Tetbury Modell hat den Leisten No. 348, die Werbelyriker von Crockett & Jones können sich bei der Beschreibung des Leistens gar nicht mehr einholen:

Produced in November 2004. Last 348 is a versatile Main Collection last with a square toe. It is arguably the most important last that Crockett & Jones has developed in recent times. Dating back to 2004, last 348 became the most forward thinking last of a generation of shoemakers, setting Crockett & Jones apart. Housing the largest collection of styles, 348 has become an icon in itself. Normalerweise würden wir so etwas ja unter purple passages verbuchen, aber hier stimmt jedes Wort. Ich habe diesen loafer mit dem Leisten 348, und ich kann nur sagen: rattenscharf. Allerdings in dem Schnee, der gerade draußen liegt, würde ich ihn nicht tragen.


Noch mehr englische Schuhe in den Posts: Cliff Roberts, Artisan, Englische Herrenschuhe (Trickers), Englische Herrenschuhe (London)Englische Herrenschuhe (Alfred Sargent)Lord Byrons SchuheMilitärisches Schuhwerk, Wildlederschuhe, Chelsea Boots

Donnerstag, 22. Februar 2018

Schopenhauer


Hätte er so wohnen wollen? Das Haus hat sich der Hamburger Kaufmann Martin Johann Jenisch bauen lassen. Kalte Hamburger Eleganz mit unverbautem Blick zur Elbe. Der Stil von ↠Christian Frederik Hansen (der auch die Palmaille gebaut hat) färbt immer noch ab. Es ist ein Stil, den man leicht imitieren kann. Ein Architekt des 20. Jahrhunderts baut sich in Baurs Park eine kleine Villa im Stil von Hansen. Und in Hansens ehemaligem Wohnhaus an der Altonaer Palmaille richtet er sich sein Atelier ein. Der Usurpator des Hamburger Klassizismus war zuvor Nazi, hat Hitlers Neue Reichskanzlei verschönt und Pläne für Hitlers neues Berlin entworfen. Ich habe Cäsar Pinnau schon mit boshftem Vergügen in den Post ↠Ascan Klée Gobert hineingeschrieben.

Das Jenisch Haus ist heute Museum. Im Landhaus des Südseekönigs Jean Cesar Godeffroy ist jetzt eine Tanzschule. ↠Hans Henny Jahnn, der bis zu seinem Tode in einem der Kavalierhäuser von Godeffroy wohnte, hätte die Villa von Godeffroy gerne gemietet. Jahnns Haus ist heute eine Schickeria Gaststätte. Georg Friedrich Baurs Katharinenhof ist von einem Immobilienspekulanten gekauft worden, der seinen übernommenen denkmalspflegerischen Pflichten nicht nachgekommen ist. Jetzt plant er den Verkauf. Einen Hamburger Patrizier wird man ihn wohl kaum nennen, da ist er eher dem ↠Herrn Kortüm ähnlich. Patrizier und Hanseaten sind eine ausgestorbene Spezies, nur ihre klassizistischen Villen erinnern noch an sie.

Arthur Schopenhauers Vater ist Großhandelskaufmann gewesen, zuerst in Danzig, dann in Hamburg. Er möchte, dass auch sein Sohn, der mit einem Godeffroy zur Schule geht, Großhandelskaufmann wird. Er soll die Welt sehen, erst ist er zwei Jahre in Frankreich, danach lockt ihn der Vater mit einer langen Bildungsreise durch Europa. Die gibt es aber nur, wenn er hinterher eine kaufmännische Lehre macht. Schopenhauer wird später über die Reise sagen, sie habe ihn gelehrt, die Bekanntschaft mit der Welt vom rechten Ende her anzufangen, sich nicht durch Worte und Geschichten über die Dinge dieser Welt zu unterrichten, sondern die Dinge selbst mit eigenen Augen in sich aufzunehmen. Er wird seinem Vater immer dankbar sein. Weniger seiner verschwendungssüchtigen Mutter, die ihren Mann nicht liebt. Ihren Sohn auch nicht. Glühende Liebe heuchelte ich ihm ebensowenig als er Anspruch darauf machte, aber wir fühlten beide, wie er mit jedem Tag mir werter wurde, sagt sie in ihrer Autobiographie über ihr Verhältnis zu ihrem Mann.

Der junge Schopenhauer kommt zu Martin Johann Jenisch ins Comptoir, dem Vater des Jenisch, der sich das schöne weiße Haus hat bauen lassen. Es wird eine harte Zeit für den jungen Schopenhauer, der so gerne ein Gelehrter werden möchte. Jetzt erfährt er, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind. Der Schopenhauer Spezialist Arthur Hübscher beschreibt das so: Es begann eine trübe Zeit. Jenisch war ein liebenswürdiger, aber strenger Lehrherr, er erzog seinen Lehrling zu genauer Arbeit und gab ihm bis in die Nacht hinein zu tun. Arthur geriet mehr und mehr in Widerstreit mit seinen Obliegenheiten. Wie er später berichtet, suchte er die Comptoirstunden auf jede mögliche Weise zu verkürzen, um Zeit für das häusliche Studium zu gewinnen. Im Comptoir selbst hielt er Bücher versteckt, in die er sich versenkte, so oft er unbeobachtet war. Er wird später in seiner ↠Autobiographie schreiben: Nie aber hat es einen schlechteren Handlungsbeflissenen gegeben als mich. Meine ganze Natur widerstrebte diesen Geschäften. Der oben erwähnte Arthur Hübscher hatte sein ganzes Leben Schopenhauer geweiht, jetzt ist er sozusagen Untermieter in Schopenhauers ↠Grab.

Worum es in den Geschäften im Comptoir des Handelshauses geht, das hat Schopenhauer schon begriffen. Als er Philosoph geworden ist, wird er schreiben: Auf Kaufleute ist die eudämonologische Regel in Betreff der Erhaltung des Vermögens nicht anwendbar; denn ihnen ist das Geld selbst Mittel zum ferneren Erwerb, gleichsam Handwerksgerät; daher sie, auch wenn es ganz von ihnen selbst erworben ist, es sich, durch Benutzung, zu erhalten und zu vermehren suchen. Demgemäß ist in keinem Stande der Reichtum so eigentlich zu Hause, wie in diesem. Schopenhauer wird nicht in Hamburg bleiben, wird in keinem der weißen Häuser wohnen, die Christian Frederik Hansen den Kaufleuten baut. Unsere zivilisierte Welt ist nur eine große Maskerade, unter deren Masken meistens lauter Industrielle, Handelsleute und Spekulanten stecken. In dieser Hinsicht machen den einzigen ehrlichen Stand die Kaufleute aus; da sie allein sich für Das geben, was sie sind, sie gehen also unmaskiert herum, stehen daher auch niedrig an Rang.

Schopenhausers Vater Heinrich Floris Schopenhauer ist nicht glücklich in seiner Ehe mit der neunzehn Jahre jüngeren Johanna gewesen: Meine Mutter gab Gesellschaften, während er in Einsamkeit verging, und amüsierte sich, während er bittere Qualen litt. Die halbe Welt, sogar Lord Nelson und ↠Lady Hamilton, ist im Hause zu Gast. Dass ↠Nelson bei ihm zu Gast ist, das gefällt Floris Schopenhauer. Er liebt die Engländer, er hat die Times abonniert, deren Lektüre er auch seinem Sohn ans Herz legt. Aber die Welt des Salons ist nicht die Welt von Floris Schopenhauer, er kränkelt, wird taub und schwermütig und stürzt im April 1805 aus dem Fenster des Dachspeichers in ein Fleet der Elbe. Unfall? Selbstmord? Gemütskrank sei er gewesen, sagen manche. Die Gemütskrankheit läuft in der Familie, Floris Mutter wird vom Gericht für geisteskrank erklärt und entmündigt, einer seiner Brüder soll seit seiner Geburt blödsinnig gewesen sein. Der junge Arthur Schopenhauer hat diese Geschichten gehört, seine Mutter tischt sie immer wieder auf. Es wird nicht an Kritikern fehlen, die den Philosophen Schopenhauer für geisteskrank halten.

Johanna Schopenhauer (hier als Malerin in der Mode des Empire gemalt von Caroline Bardua) verkauft die Firma ihres Mannes, zieht nach Weimar und spielt die ↠Salonière der gebildeten Welt. Als Goethe ihr sagt, dass ihr Sohn einmal sehr berühmt werden wird, entgegnet sie ihm: Ich habe niemals von zweien Genies innerhalb einer Familie gehört! Sie hält sich für ein Genie, da ähnelt sie ↠Donald Trump. Wenn man ihre Lebenserinnerungen liest, hat man nicht den Eindruck, dass hier ein Genie schreibt. Bei ihren Romanen auch nicht. Vergleicht man einen Roman wie ↠Gabriele mit den Romanen von ↠Jane Austen, dann werden ihre stilistischen Defizite deutlich. Ihr Sohn, der die Lehre bei Jenisch abgebrochen und den Gymnasialstoff nachgeholt hat, will jetzt studieren. Er bleibt für sie ein Hemmnis in ihren gesellschaftlichen Ambitionen: Du bist kein böser Mensch. Du bist nicht ohne Geist und Bildung, Du hast alles, was Dich zu einer Zierde der menschlichen Gesellschaft machen könnte, aber dennoch bist Du überlästig und unerträglich, und ich halte es für höchst beschwerlich, mit Dir zu leben: alle Deine guten Eigenschaften werden durch Deine Superklugheit verdunkelt und für die Welt unbrauchbar ....

Schopenhauer ist von seiner Mutter nicht abhängig, das väterliche Erbe wird für den Rest seines Lebens ausreichen: Vorhandenes Vermögen soll man betrachten als eine Schutzmauer gegen die vielen möglichen Übel und Unfälle, nicht als eine Erlaubnis oder gar Verpflichtung, die Pläsiere der Welt heranzuschaffen. Es ist schön, wenn man sich um das Geld nicht sorgen muss, es philosophiert sich dann leichter. Auch ↠Kierkegaard - der über Schopenhauer sagte: Es hat mich unsagbar belustigt, Schopenhauer zu lesen. Was er sagt, ist völlig wahr und wiederum so grob, wie nur ein Deutscher sein kann. Das gönne ich den Deutschen -  hatte ein Vermögen geerbt, das bis zu seinem Lebensende reichte. Er war auf dem Weg zur Bank, um die letzte Rate des Vermögens abzuholen, als ihn der Herzinfarkt traf.

Der Einblick in die Welt der Hamburger Pfeffersäcke hat Schopenhauer zu einem geschickt agierenden Verwalter seines Vermögens werden lassen (ganz anders als ↠Proust, der ständig große Summen an der Börse verlor). Als das Danziger Bankhaus Abraham Ludwig Muhl, bei dem Floris Schopenhauer sein Vermögen angelegt hat, finanziell in die Bredouille gerät, sichert sich Schopenhauer den größten Teil seines Vermögens. Seine Mutter und seine Schwester müssen sich mit einem unvorteilhaften Vergleich begnügen. Geld allein ist das absolut Gute: weil es nicht bloß einem Bedürfnis in concreto begegnet, sondern dem Bedürfnis überhaupt in abstracto.

Schopenhauer wurde heute vor 230 Jahren geboren. Er sprach fließend Französisch und ein sehr gutes Englisch (er hätte gerne ↠Laurence Sterne übersetzt), das ist für Philosophieprofessoren keine Selbstverständlichkeit. Zu seinen Lebzeiten war er nicht wirklich berühmt, aber wenn Goethe zu Johanna Schopenhauer sagte, dass ihr Sohn einst berühmt werden würde, hatte er sich nicht geirrt. Es hat nur ein wenig gedauert. In meinem Philosophiestudium in den sechziger Jahren kam Schopenhauer nicht vor. Kierkegaard auch nicht. Es wurden die alten Griechen angeboten und ↠Hegel und ↠Heidegger. Die beiden Herren haben hier schon Posts. Die nicht sehr nett sind, ich mag sie beide nicht. Schopenhauer mochte Hegel auch nicht. Schopenhauer kann man immer lesen. Kierkegaard auch. Als ich der Dozentin, die mich im Rigorosum prüfte, Schopenhauer und Kierkegaard als Prüfungsthemen vorschlug, guckte sie mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Sie empfahl mir, ihre Hegel Vorlesung zu besuchen. Mein kleiner Scherz, dass Schopenhauer Hegels Gesicht als Bierwirtsphysiognomie bezeichnet hatte, kam bei ihr nicht gut an. Ihre Hegel Vorlesung bei mir auch nicht.

Als ↠Theodor Fontane Schopenhauers ↠Parerga und Paralipomena gelesen hatte, schrieb er: Geistvoll und interessant und anregend ist alles; vieles zieht einem einen Schleier von den Dingen oder den Augen fort und gewährt einem den Genuß freudigen Schauens; über Dinge, über die man aus Mangel an Erkenntnis oder auch aus einer gewissen Feigheit im unklaren war, wird man sich klar: man hat die angenehme Empfindung: das erlösende Wort wurde gesprochen. Das lasse ich mal als Schluss hier stehen.

Sonntag, 18. Februar 2018

Bierbrauer


Seinen Vater hat der kleine Anders Leonardsson nie gesehen. Seine Mutter Grudd Anna Andersdotter, die in einer neu gegründeten Bierbrauerei in Uppsala arbeitete, hatte den deutschen Bierbrauer dort kennengelernt. Ein heiterer und lustiger Geselle, schön und stattlich anzuschauen, soll er gewesen sein. Es war eine kurze Romanze, wenn es überhaupt eine Romanze war. Er ließ die Bauerntochter, die in der Brauerei die Bierflaschen wusch, sitzen und zog nach Finnland weiter. Er starb in Helsinki, als sein Sohn zwölf Jahre alt war: Aber ich finde es so traurig. daß mein Papa tot ist, aber es wird nicht besser davon, daß ich traurig bin. Irgendwie muß es aber gehen, schreibt der kleine Anders.

Niemand konnte damals ahnen, dass der kleine Anders Leonardsson, der bei seinen Großeltern auf einem Bauernhof aufwächst, einmal Schwedens berühmtester Maler wird, der Könige, drei amerikanische Präsidenten und alle Reichen und Schönen des Gilded Age portraitieren wird. Aber das Leben auf dem Lande wird er nie vergessen und eines Tages in seinen Heimatort zurückkehren. Das mit dem Landleben kann ich verstehen. Ich denke gerne an meine Kindheit zurück, die ich an den Hängen des Wiehengebirges und nicht im zerstörten Bremen verbrachte. In meinen Träumen kommt sie immer wieder vor, einen Teil meiner Erinnerungen habe ich schon in den Post ↠Zweite Heimat hineingeschrieben.

Aber das pralle Leben, das der Schwede auf die Leinwand bringt, so mit drallen nackten badenden ↠Schwedenmädels und mit Dans op de deel, das hatten wir nicht. Die größten Sensationen waren 1949 der erste Mähdrescher und eine Bauernhochzeit, bei der mir jemand Eierlikör verabreicht hatte. Anders Leonardsson wird das bäuerliche Leben seiner Heimat Mora immer wieder auf die Leinwand bannen, als sei Goethes Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt, Und wo ihr's packt, da ist's interessant nur für ihn geschrieben.

Leider muss man sagen, dass das pralle Leben auf den Bildern nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Zorn malt eine Welt, die es längst nicht mehr gibt. Den Mittsommerbaum auf diesem Bild gab es im Dorf längst nicht mehr. Zorn hat ihn bezahlt, ebenso wie die Kapelle. Diese Folklore ist eine Konstruktion, eine Suche nach der Kindheit und einer eigenen Identität. Es war der schwedische Prinz Eugen, der selbst ein guter Maler war, der bei einem Besuch bei Anders Zorn angeregt hatte, dass er dieses Bild der schwedischen Nationalromantik malen sollte.

Dieses Bild von einem Markttag in Mora könnte wohl eher der Wirklichkeit entsprechen. Da hat sich das junge Mädchen für den Markttag so hübsch gemacht, und nun liegt ihr Kerl im Gras. Wenn wir so wollen: ein Opfer des Eierlikörs. Oder des untergärigen Bieres der deutschen Bierbrauer. Zorn schreibt dazu in seiner Autobiographie: Zu Hause in Morna nahm ich mir vor, ein Sittengemälde zu malen mit dem Titel 'Mora Jahrmarkt'. Es war gewiß nicht  meine Absicht, eine Moralpredigt zu halten, aber ich wollte mich an Wahrheit halten, und dazu gehörte natürlich der Stockbesoffene im Vordergrund und seine Frau, die geduldig dasitzt und mit seinem Hut in der Hand darauf wartet, daß er den schlimmsten Rausch ausgeschlafen hat ... Ich schlief meinen Eierlikör Rausch damals in einem zur Garderobe umfunktionierten Schlafzimmer auf Bergen von Pelzmänteln aus. Es gab jetzt in den Nachkriegszeit viele Pelzmäntel bei den Bauern, die gegen Naturalien eingetauscht waren.

Wenn er zur Schule kommt, lernt Anders erst einmal richtiges Schwedisch, da er bei seinen Großeltern nur den regionalen Dialekt Moramål gelernt hatte. Seine Lehrer erkennen schon früh, dass der Junge ein außergewöhnliches malerisches Talent besitzt. Mit fünfzehn Jahren ist er schon Schüler der Königlichen Akademie der Künste in Stockholm. Sein Vater, der deutsche Brauereimeister Johann Leonard Zorn (Bild), hatte seinen Sohn nicht vergessen und ihm ein kleines Erbe ausgesetzt. Er war ein verhältnismäßig wohlhabender Mann, der sich aus der Ferne immer wieder in die Erziehung des Jungen eingemischt hatte.

Die schwedische Brauerei von Düben in Uppsala, wo Leonard Zorn und Grudd Anna Andersdotter (hier eine Radierung von ihrem Sohn) arbeiteten, hat ihre ehemaligen Angestellten auch nicht vergessen. Die deutschen Bierbrauer halten damals in Schweden zusammen, sie sind eine Art Kaste für sich. Man hat die Braumeister wegen ihres Könnens nach Schweden geholt, sie beherrschen die Herstellung von untergärigem Bier. Manche von ihnen werden noch eine Brauerei eröffnen. Wenn er in Stockholm studiert, öffnen ihm deutsche Bierbrauer wie F. Dölling (Hamburger Bierbrauerei Gesellschaft) und Fritz Heiss (Nürnberger Bierbrauerei Gesellschaft) ihre Türen. Und die deutsche Brauerei Gesellschaft in Stockholm wird dem jungen Anders Leonardsson, der jetzt den Namen seines Vaters annehmen wird, ein Stipendium für sein Kunststudium gewähren.

Man fördert zwar nicht in großem Stil die Künste wie Jacob Christian Jacobsen mit seiner Carlsberg Brauerei oder Christian Langaard in Norwegen, aber man versucht jetzt in Schweden gegen die übermächtige dänische Konkurrenz, sprich Carlsberg und Tuborg, ins Geschäft zu kommen. Da waren Braumeister aus Deutschland gesuchte Leute. Man produziert bayrisches Bier (Pilsener kommt später), die größte schwedische Brauerei heißt übrigens Münchens bryggeri. Die Bilanz Schwedens als Land der Brauereien ist allerdings nicht großartig. In der Zeitschrift für das gesammte Brauwesen kann man 1907 lesen: Schwedens Bierausfuhr ist noch unbedeutender als seine Einfuhr. 1895 exportierte es ca. 500 hl. Ende der neunziger Jahre verringerte sich die Ausfuhrmenge und zwar bis auf 80 hl im Jahre 1899. Dann nahm sie wieder ständig zu und stieg 1900 auf 239 hl.

Sie haben es schon gemerkt, ich schreibe heute über den schwedischen Maler Anders Zorn, der am 18. Februar 1860 geboren wurde. Wenn er am Anfang seines Lebens auf vieles verzichten muss, am Ende seines Lebens hat er einen Rolls-Royce, Pelzmäntel und ↠Maßanzüge, in denen er sich malt. Er wird drei Jahre lang ein Atelier in London unterhalten, Europa und Amerika bereisen. Und malen und malen. Mit 29 Jahren macht man ihn in Paris zum Chevalier der Ehrenlegion. Beinahe hätte er noch den Pour le Mérite bekommen (er wurde dreimal nominiert), aber Wilhelm II wies den Schweden immer wieder ab. Wahrscheinlich waren ihm zu viel nackte ↠Schwedinnen auf den Bildern.

Seine Bilder machen Anders Zorn reich, als er stirbt, hat er ein Vermögen von 14 Millionen Mark. So ganz nebenbei kauft er viel Kunst (oder tauscht Kunst gegen eigene Werke ein). Beinahe zweihundert Blätter von Rembrandts Radierungen und Zeichnungen wird er besitzen. Der wird zum Ende des 19. Jahrhunderts sein großes Vorbild werden. Zorns Radierungen werden begehrt sein, →Alfred Lichtwark, der Zorn beauftragte, ein Bild vom →Hamburger Hafen zu malen, wird 42 Radierungen von Zorn besitzen. 1976 hat Erik Forssman, der Direktor des Zorn Museums, in Freiburg eine Ausstellung des graphischen Werks von Anders Zorn präsentiert. In seinem Testament vermacht Zorn alle seine Kunstwerke dem schwedischen Staat, damit er ein Museum dafür schaffe.

Natürlich habe ich in diesem Blog schon über ↠Anders Zorn  geschrieben, aber bevor ich Blogger wurde, habe ich auch schon über Zorn geschrieben. Das war 1989, als ↠Jens Christian Jensen in der Kieler Kunsthalle eine riesige Ausstellung von Zorns Oeuvre organisiert hatte, die im nächsten Jahr nach München wanderte. Ich wollte in der Universitätszeitung ↠semester über die Ausstellung schreiben, einen Katalog (den man heute noch antiquarisch für 20 Euro finden kann) besaß ich schon.

Den hatte mir Jens Christian Jensen freundlicherweise vorbeigeschickt. Aber es kam anders, weil ich eines Morgens drei blonde mir unbekannte Nordistikstudentinnen in meinem Büro hatte, die mich becircten, meinen Zorn Artikel nicht in der Unizeitung, sondern in einer kleinen Zeitschrift namens norrøna zu veröffentlichen. Woher die wussten, dass ich über Anders Zorn schreiben wollte, ist mir bis heute ein Rätsel.

Vor sechs Jahren gab es in Lübeck noch eine Anders Zorn Ausstellung. Da konnte man auf dieser ↠Seite lesen, dass Zorn ein vergessener Maler sei, den man jetzt wiederentdeckt hätte. Man vergisst offenbar schnell. Hat man die Düsseldorfer Ausstellung von 1958, die Freiburger Ausstellung von 1976 und die Kieler Ausstellung von 1989 wirklich schon vergessen? Ich nicht, in der Kieler Ausstellung war ich jede Woche zweimal. Wann bekommt man schon mal so etwas zu sehen? Außer natürlich im ↠Zorn Museum.

Eierlikör habe ich seit 1949 nicht mehr getrunken. Mit Bier kenne ich mich aus, schließlich habe ich früher in den Semesterferien mal als ↠Bierfahrer gejobbt. Von schwedischem Bier habe ich wenig Ahnung, ich habe mal Pripps Blå getrunken, aber nur einmal. Dänisches Bier kenne ich gut, von Zeit zu Zeit kaufe ich mir mal aus Nostalgie eine Dose Tuborg. Trinke es natürlich nicht aus der Dose, ich habe schöne Tuborg Kelche im Küchenschrank.

Als Professor ↠Wolfgang J. Müller in der Kunsthalle Kiel die Skagen Ausstellung eröffnete, hatte die dänische Brauerei einige junge Däninnen in hübscher dänischer Tracht geschickt, die das Tuborg in diesen schönen Tuborg Gläsern servierten. Ich fand das sehr stilvoll. Anders Zorn, der sich als Student mal die Wohnung mit einem Bierkutscher teilte, hat natürlich auch mal eine Brauerei gemalt, im Bild oben sehen wir Frauen, die die Etiketten auf die Flaschen kleben. Im Bild darunter wird das Bier abgefüllt und die Flaschen verkorkt. Frauen machen die ganze Arbeit, Emile Zola hätte einen Roman daraus gemacht. Anders Zorn kommt es nur auf das Licht an. Weiter als mit dem Bild über den Markttag in Mora wird er mit seiner Sozialkritik nicht gehen. Jens Christian Jensen schrieb im Kieler Katalog: Dieser Maler der Oberflächen von Dingen und Menschen und deren Beziehungen im atmosphärischen Licht, hat wie kaum ein anderer Künstler den äußeren Schein konsequent und eigensinnig als das allein Wirkliche anerkannt und in alle Rechte eingesetzt.


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Donnerstag, 15. Februar 2018

Düsseldorfer Schule


Der Maler Carl Friedrich Lessing, dessen Vater ein Neffe von Gotthold Ephraim Lessing war, wurde heute vor 210 Jahren geboren. Auf diesem Bild seines Kollegen Friedrich Boser sehen wir ihn zusammen mit den wichtigsten Malern der Düsseldorfer Schule, zu deren Mitbegründern Lessing zählt. Lessing ist der Herr im blauschwarzen Rock, der eine Papierrolle in der Hand hält. Ein wenig dandyhaft, das ganze Bild ist darauf angelegt, dass er die Hauptperson ist. Ich weiß, dass Sie jetzt unbdingt wissen wollen, wer der Kleinwüchsige auf dem Bild ist. Das ist niemand anderer als Johann Wilhelm Preyer. Der Malerzwerg vor seiner Staffelei hat Johann Peter Hasenclever sein Portrait von Preyer genannt.

Friedrich Boser hat auch zusammen mit Carl Friedrich Lessing das Bild Das Vogelschießen der Düsseldorfer Künstler im Grafenberger Wald gemalt. Das Bild ist wie das Bild oben nach New York gewandert, wo es eine Düsseldorf Gallery gab. Das Vogelschießen ist immer noch in New York, Bosers ➱Bilderschau der Düsseldorfer Künstler im Galeriesaal hat Düsseldorf zurückgekauft.

Lessing konnte technisch gut malen. Malt mal ein wenig wie Caspar David Friedrich (als dessen Nachfolger er angesehen wurde), mal ein wenig wie Claude Lorrain. Auch Schinkel (bei dem er kurze Zeit studierte) und Blechen haben Einfluss auf den jungen Lessing gehabt. Ich mag seine Landschaften, seine Historienbilder sind nicht meine Sache. So etwas habe ich immer wieder in meinem Blog gesagt, zum Beispiel in dem Post Moritz von Schwind. Diesen stillen und unspektakulären Sonnenaufgang im Harz ohne Staffage von Rittern und Mönchen finde ich sehr schön.

1832 hatte Lessing mehr als zwei Monate lang die Eifel durchwandert, was ihn zur realistischen Landschaftsmalerei gebracht hat. Es war seine vierte Eifelreise, weitere sollten folgen. Ich hätte hier in der ➱Zeitschrift des Eifelvereins eine interessante Seite, wo er als Entdecker der Eifel gefeiert wird. Auf diesen Reisen begleitet ihn häufig der Maler Johann Wilhelm Schirmer, mit dem zusammen er 1827 den Landschaftlichen Komponierverein gegründet hatte. Was wären Deutsche ohne einen Verein?

Als ich klein war und mich durch die großformatigen Kunstbände meines Opas durcharbeitete - die leider nur Historienmalerei enthielten - habe ich dieses Bild nicht verstanden. Es heißt Schützen am Engpaß, der Berliner Bankier Joachim Heinrich Wilhelm Wagener hat viertausend Taler dafür bezahlt. Das Bild und seine Gemäldesammlung wurden später der Grundstock der Berliner Nationalgalerie. Wageners erstes Bild war Schinkels Gotische Kirche am Meer, ein Bild, das ich immer wieder betrachen kann. Dies hier nicht, aber die Seite der Staatlichen Museen Berlin hilft uns mit einer Interpretation aus.

Da ich bei den Scheußlichkeiten der Historienmalerei bin: Diese Hussitenpredigt von Lessing finde ich auch furchtbar. ➱Sir Joshua Reynolds hatte in seinen ➱Vorlesungen zur Kunst die Historienmalerei als die edelste Form der Malerei verherrlicht, hatte sich selbst aber nicht in dem Genre betätigt. Sein Kollege ➱Gainsborough vermied das Genre auch, ➱John Constable sowieso. Aber Carl Friedrich Lessing, der die Natur liebt, der wendet sich ab 1836 der Historienmalerei zu und malt nur noch so etwas wie das hier.

Die Ritter (ohne Drachen), die Mönche und die verfallenen Abteien, die lässt er jetzt hinter sich. Vielleicht war es eine höhnische Kritik Goethes an einem seiner Gemälde: Wohin führt uns nun aber Ihr Berliner Maler? In eine Winterlandschaft, und nicht etwa in eine jener heiteren holländischen, wo wir Damen und Herren sich lustig auf spiegelglatter Eisfläche schlittschuhlaufend umhertummeln sehen — oh, ich selbst war zu meiner Zeit ein tüchtiger Schlittschuhläufer — nein! hier führt uns der Maler in eine Winterlandschaft, in welcher ihm Eis und Schnee nicht genug zu sein scheint; er überbietet, oder wir können sagen: er überwintert den Winter noch er überbietet, oder wir können sagen er überwintert den Winter noch durch widerwärtigste Zugaben. Da sehen sie: einen in warmen Tagen uns mit einem kühlen Labetrunk versorgenden Brunnen, aus dessen Löwen- und Drachenrachen das festgefrorene Wasser wie eine Zunge von Eis heraushängt, fest an den Boden angefroren ... Die widerwärtigste Zugaben sind ein Problem der Malerei in dieser Zeit. Zu dem tüchtigen Schlittschuhläufer Goethe können Sie hier mehr lesen.

Lessing hat großen Einfluss auf Emanuel Leutze und all die Amerikaner gehabt, die jetzt nach Düsseldorf kommen. Leutze ist vielleicht der berühmteste der Amerikaner, die in Düsseldorf ihre malerische Ausbildung erhalten. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, wie weit der Ruhm der Düsseldorfer Akademie in die Welt ausstrahlt. Der Kunsthistoriker Richard Muther hat Leutzes Washington Crosses the Delaware als ein ehrliches, loyales Historienbild, das in der ruhigen Sachlichkeit seiner Komposition mehr dem ernsten Copley als dem sentimental-pathetischen Lessing ähnelt bezeichnet. Mit dem dem sentimental-pathetischen Lessing trifft er den Kern der Lessingschen Historienmalerei.

Glücklicherweise gibt es aber auch Historienbilder, die eigentlich Landschaftsbilder sind. Wie dieses hier, das die Bremer Kunsthalle besitzt. Eine schöne Landschaft, ein schöner Himmel, eine schöne Verteilung des Lichtes. Und dann gibt es noch eine kleine Figurenstaffage. Nach dem Duell (oder Nach dem Zweikampf) heißt dieses 1862 gemalte Bild, das die Bremer Kunsthalle seit 1931 besitzt. Geschenk einer Kunstfreundin steht im Katalog. Ich habe schon mal, wahrscheinlich in dem Post Kunsthalle Bremen, gehässige Dinge über den Online Katalog der Kunsthalle gesagt. Kann ich gerne wiederholen, er funktioniert mal wieder nicht. Der Katalog in Buchform funktioniert immer, den muss ich nur aus dem Regal nehmen. Der im Zweikampf Unterlegene liegt in weißem Hemd und roten Hosen tot auf dem Boden, sein Grab wird schon geschaufelt. Das Ganze soll eine Szene aus dem Dreißigjährigen Krieg sein. Sie haben in Bremen aber noch mehr Bilder von Lessing, glücklicherweise alles Landschaftsbilder. Die meisten sind im Archiv, ich bin froh, dass ich Nach dem Duell einmal gesehen habe.

Auch dieses Bild, das Die Belagerung heißt (und die Verteidigung eines Kirchhofs im Dreißigjährigen Krieg darstellt), ist wie Nach dem Duell eine Mischgattung aus Landschafts- und Historienbild. Wir sind hier wieder im Dreißigjährigen Krieg, das Bild wurde ebenso wie Schützen am Engpaß 1848 gemalt. Interpreten werten beide Bilder als Zeugnis der 1848er Revolution. Man kann Die Belagerung als Kissenbezug kaufen, aber ich weiß nicht, ob man auf solch einem Kissen gut schläft.

So schön das Restlicht der Sonne vor einem heranziehenden Sturm gemalt ist, Die Belagerung bleibt letztlich akademisch kalt. Es leuchtet kein Feuer von innen her wie auf diesem Bild von Carl Blechen. Letztlich ist Lessing ein Zeichner, kein Maler.

Könnte er natürlich sein, immer wieder blitzt sein Können auf. Wie zum Beispiel bei dieser Landschaft mit Krähen. Die besten Bilder haben die Museen, dies hier hängt in Los Angeles. Es sind noch genügend Bilder von Lessing im Handel, so berühmt er einst war, heute sind seine Bilder preiswert zu haben. Dies natürlich nicht. Die Bilder von Blechen auch nicht.