Samstag, 31. März 2018

Johann Sebastian Bach


Goethes Freund und Berater in allen Fragen der Musik war der Komponist ↝Karl Friedrich Zelter. In einem Brief an Goethe schreibt er: Bachs Urelement ist die Einsamkeit, wie Du ihn sogar anerkanntest, indem Du einst sagtest: 'Ich lege mich ins Bett und lasse mich von unserem Bürgermeisterorganisten in Berka Sebastian spielen.' So ist er, er will belauscht sein. Der Bürgermeister und Organist von Berka heißt Heinrich Friedrich Schütz. Goethe besucht ihn gerne, wenn er wegen der Schwefelbadeanstalt nach Berka reist. 1818 wird er drei Wochen bei Schütz wohnen. Und er legt sich ins Bett und hört zu, wie Schütz Bach spielt.

Er hat über das musikalische Erlebnis, an das ihn sein Freund erinnert auch etwas zu sagen: Wohl erinnere ich mich bei dieser Gelegenheit an den guten Organisten in Berka; denn dort war mir zuerst, bei vollkommener Gemütsruhe und ohne äußere Zerstreuung, ein Begriff von Eurem Großmeister geworden. Ich sprach mir's aus: als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich's etwa in Gottes Busen, kurz vor der Weltschöpfung, möchte zugetragen haben. So bewegte sich's auch in meinem Innern, und es war mir, als wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen, und weiter keine übrigen Sinne besäße noch brauchte.“ Wenn Goethe von Eurem Großmeister spricht, dann heißt das, dass Zelter Bach schätzt. Er ist damals einer der wenigen, denn nach Bachs Tod sind seine Werke schnell in Vergessenheit geraten. Erst mit Felix Mendelssohn Bartholdy begann eine Bach-Renaissance (in Dänemark mit ↝Hans Matthisson Hansen).

Im Bett liegen und Bach hören, konnte Goethe nicht einschlafen? So soll es ja dem Grafen Hermann Carl von Keyserlingk gegangen sein, der sich Bach für seinen Cembalisten Johann Gottlieb Goldberg einigen Stücke wünschte, die so sanften und etwas muntern Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte. Auf die Idee bin ich mit meiner Schlaflosigkeit noch nicht gekommen, aber wenn sie mich mal wieder überfällt, werde ich die ↝Goldberg Variationen hören. Dazu brauche ich keinen Heinrich Friedrich Schütz und keinen Johann Gottlieb Goldberg, da reicht ein ↝CD Player. Aber es geht ja nicht nur um die bequeme Haltung beim Kunstgenuss, es geht auch um Gott. Der immer wieder bemüht wird, wenn es um Bachs Musik geht. Glenn Gould hat einmal gesagt: I believe in God - Bach's God. Und der Philosoph ↝Isaiah Berlin soll gesagt haben: When the angels are playing for God, they play Bach, to each other they play Mozart.

Mozart hat auch göttliche Momente, hören Sie doch einmal in ↝Soave sia il vento oder ↝Contessa perdono hinein.  In dem Film Amadeus von Milos Forman (nach dem Theaterstück von Peter Shaffer) ist Salieri bei dem ↝Contessa, perdono überwältigt. Über die ↝Gran Partita sagt er, dass er die Stimme Gottes gehört hätte: On the page it looked nothing. The beginning simple, almost comic. Just a pulse. Bassoons and basset horns, like a rusty squeezebox. And then suddenly, high above it, an oboe. A single note, hanging there, unwavering. Until a clarinet took over and sweetened it into a phrase of such delight! This was no composition by a performing monkey! This was a music I'd never heard. Filled with such longing, such unfulfillable longing, it had me trembling. It seemed to me that I was hearing the voice of God. Aber heute gibt es hier keinen göttlichen Mozart, sondern ein klein wenig göttlichen Bach. Weil Johann Sebastian Bach heute vor 333 Jahren geboren wurde, gibt es ↝hier etwas Schönes von ihm. Sie könnten natürlich auch die ↝Goldberg Variationen hören, wie Glenn Gould sie 1955 gespielt hat.

Freitag, 30. März 2018

Karfreitag


Ich war wenige Monate im Netz, da stellte ich am Karfreitag des Jahres 2010 hier ein Gedicht von dem amerikanischen Dichter ↝Andrew Hudgins ein. Von ihm sollten noch mehrere Gedichte folgen, ich halte ihn für einen der interessantesten amerikanischen Dichter, der christliche Gedichte schreibt. Wenn Sie noch mehr von Andrew Hudgins lesen wollen, es gibt hier noch diese Posts: ↝Andrew Hudgins, ↝Weihnachtsfeiern, ↝Karfreitag, ↝Karfreitag, ↝Mockingbird, ↝Ostern und ↝Lord Byrons Schuhe.

Im letzten Jahr gab es John Donnes berühmtes Gedicht ↝Goodfriday, 1613. Riding Westward, das gab es ↝2011 hier schon einmal. Aber diesmal gab es das Gedicht in der deutschen Übersetzung von Thomas Martin. Ein Gedicht zum Karfreitag muss sein. Es lässt uns innehalten, holt uns für einen Augenblick heraus aus der schnellebigen Zeit. Und hält manchmal das Herz für einen Augenblick an. Wie dieses Gedicht von Paul Celan:

Einmal
da hörte ich ihn,
da wusch er die Welt , 
ungesehn, nachtlang, 
wirklich. 

Eins und Unendlich, 
vernichtet, ichten. 

Licht war. Rettung.

Mittwoch, 28. März 2018

Vögel


Das hat sie nun davon, dass sie blond ist. Da liegt sie auf dem Boden, ein hilfloses Opfer. Attackiert von Vögeln, eine Variation der Geschichte von Leda und dem Schwan. Man hatte der naiven Blondine versprochen, dass in dieser Szene nur Attrappen von Vögeln zum Einsatz kommen, aber der Regisseur lässt auf dem Dachboden echte Vögel auf die Blondine los. Er hat seine Freude daran, Blondinen zu quälen.

Blondes make the best victims. They’re like virgin snow that shows up the bloody footprints, hat er gesagt. Der Regisseur heißt natürlich Alfred Hitchcock, und wir reden hier von dem Film ↝The Birds, der heute vor 55 Jahren in den USA anlief. Die Schauspielerin Tippi Hedren durfte noch ein zweites Mal bei Hitchcock in dem Film Marnie mitspielen. In dem Film gibt es eine ↝Vergewaltigungszene in der Hochzeitsnacht. Nicht durch Vögel, diesmal durch Sean Connery. A man taking his frigid, unattainable bride by force was Hitchcock's fantasy about me, hat Tippi Hedren dazu gesgt.

In ihrer ↝Autobiographie hat Hedren noch mehr über Hitchcock zu sagen, der wie ein Vorläufer von ↝Harvey Weinstein daherkommt. Hitchcock hat der Tochter von Tippi Hedren (die später unter dem Namen Melanie Griffith Schauspielerin wurde) nach den Dreharbeiten von The Birds eine Puppe geschenkt, die eine perfekte Nachbildung ihrer Mutter war. Und auch ein grünes Kleid hatte, wie Tippi Hedren es in dem Film trug. Die Puppe lag in einem kleinen Sarg. Kann man perverser sein?

Hitchcock und Blondinen, ein unerschöpfliches Thema. Auf François Truffauts Frage In other words, what intrigues you is the paradox between the inner fire and the cool surface in dem berühmten ↝Interview sagt Hitchcock: Definitely, I think the most interesting women, sexually, are the English women. I feel that the English women, the Swedes, the north­ern Germans, and Scandinavians are a great deal more exciting than the Latin, the Italian, and the French women. Sex should not he ad­vertised. An English girl, looking like a school­ teacher, is apt to get into a cab with you and, to your surprise, she’ll probably pull a man’s pants open. Wir kennen eine Variante dieser Szene aus To Catch a Thief.

Dass Hitchcock seine blonde Hauptdarstellerin aus The Birds sexuell belästigt und bedrängt hat, war allgemein bekannt. Dass er ihre Karriere ruinierte, auch. Sie war nicht die erste, sie könnten jetzt mal eben den Post ↝Vera Miles lesen. Ich hätte da auch noch ein schönes Zitat von dem Regisseur, der seine Schauspieler als cattle bezeichnete: I always believe in following the advice of the playwright Sardou. He said, 'Torture the women!' The trouble today is that we don't torture women enough.

Dies hier sind nicht Hitchcock und Tippi Hedren, dies ist eine Szene aus dem Theaterstück ↝Hitchcock Blonde. Die kühle Blonde aus The Birds hat sich lange mit Vorwürfen zurückgehalten, aber in ihrer Autobiographie ↝Tippi: A Memoir nahm sie kein Blatt vor den Mund: I couldn’t tell anyone. It was the early 1960s. Sexual harassment and stalking were terms that didn’t exist… Besides, he was Alfred Hitchcock… and I was a lucky little blonde he’d rescued from relative obscurity.

Von Vögeln und Sean Connery attackiert zu werden ist das eine, in der ↝Dusche erstochen zu werden, das andere. Ernst Callenbach schrieb 1960 im ↝Film Quarterly über ↝Psycho: It imperceptibly shifts to a level of macabre pathology, unbearable suspense, and particularly gory death. In it, indeed, Hitchcock's necrophiliac voyeurism comes to some kind of horrifying climax. Phallic-shaped knives swish past navels, blood drips into bathtubs, eyes stare in death along the floor, huge gashes appear in a man's amazed face, and so forth. Vielleicht soll man das mit dem necrophiliac voyeurism mal fett setzen. Wenn Sie sehen wollen, wer wie in einem Film stirbt, dann klicken Sie die Seite von ↝Cinemorgue an.

Kühle Blondinen: Tippi Hedren, Kim Novak (in ↝Vertigo), Eva Marie Saint (in ↝North by Northwest) und Grace Kelly. Unser kleiner Dicker träumt davon. Zuhause bei seiner Gattin Alma Reville sieht die Welt nicht nach coolen Blondinen aus, die dem Mann an die Wäsche gehen.

Also diese Sorte Blondinen, über die der Filmkritiker Roger Ebert sagte: they reflected the same qualities over and over again: They were blonde. They were icy and remote. They were imprisoned in costumes that subtly combined fashion with fetishism. Tippi Hedren war übrigens nicht die erste Blondine, die unter Hitchcock zu leiden hatte.

Ich könnte da noch Madeleine Carroll aus der Verfilmung von John Buchans Klassiker ↝The 39 Steps anbieten, die während der gesamten Dreharbeiten von Hitchcock als the Birmingham tart bezeichnet wurde. The very beautiful woman who just walks around, avoiding the furniture, wearing fluffy negligees, and looking very seductive may be an attractive ornament, but she does not help the film at all. 

I hate it when actresses try to be ladies and in doing so become cold and lifeless, and nothing gives me more pleasure than to knock the lady-likeness out of chorus girls. I don't ask much of an actress and I have no wish for her to be able to play a whole list of character roles, but she must be a real human person. That is why I deliberately deprived Madeleine Carroll of her dignity and glamour in "The Thirty-Nine Steps," and I did exactly the same thing in "Secret Agent." In this last film, the first shot you saw of her was with her face covered with cold cream!  Was er zu sagen vergisst ist, dass er durch die beiden Filme mit der Birmingham tart weltberühmt wurde.


Zu Frauenschicksalen in Hollywood lesen Sie auch: Vera MilesVeronica Lake, Nymphos, Dorothy Malone, Gilda, Operation MincemeatBond Girls und Exotik

Dienstag, 27. März 2018

Raubmörder


Dieses Bild war hier schon einmal in dem Post ↝Georg Friedrich Kersting zu sehen. Das Bild aus der Kunsthalle Kiel ist eines von mehreren Versionen des Themas. Das Bild von Kersting, das die Malerin Louise Seidler zeigt, ist in den Räumen des Malers ↝Gerhard von Kügelgen gemalt worden. Kügelgen besaß ein schönes Haus in Dresden, das heute das Kügelgenhaus heißt, aber er wollte sich in Loschwitz ein neues Haus bauen lassen. Mit Ausblick auf die Elbe und die böhmische Schweiz. Dies Häuschen soll uns ein Feenpalast werden, bis die Zeit, da wir durch ein noch kleineres, engeres Haus die Tür finden zu dem großen Hause des himmlischen Vaters, in dem viele Wohnungen sind, und in dem sich einmal wieder die ganze Familie zusammenfinden wird. Sollte es Gott gefallen, mich bald nach Hause zu rufen, so hat Lilla einen Witwensitz, von wo sie die Erziehung der Kinder leicht vollenden kann, da die Stadt nur eine Stunde Wegs entfernt liegt, schreibt er seinem Bruder im Herbst 1819.

Er wird den Feenpalast nie bewohnen, weil er am 27. März 1820 auf dem Rückweg von seiner Baustelle zu seiner Stadtwohnung von einem Raubmörder erschlagen wird. Der ↝Pitaval kennt die ganze grausige Geschichte: Am 27. März, am Tage nach der Einsegnung, ging er wie gewöhnlich nach seinem Weinberge hinaus, um nach dem Bau zu sehen. Er fragte einen seiner Schüler, ob er ihn begleiten wolle, dieser aber war durch Geschäfte behindert und mußte es ablehnen. So ging Kügelgen allein. Er kam gegen fünf Uhr an, ordnete an, was nötig war, zahlte die Arbeiter aus, bestellte junge Birken für den Weinberg und ging zwischen sechs und sieben Uhr fort, um nach Dresden zurückzukehren. Die Landstraße von Dresden nach Bautzen führt nun zwar über den sogenannten Mordgrund, eine tiefe Felsschlucht, die nach der Elbe zu die Höhe durchschneidet, war aber schon damals von schönen Villen und Erholungsstätten wie dem Linkeschen Bade, Findlaters und anderen eingesäumt und deshalb einer der begangensten und sichersten Spaziergänge. Auch dort, wo sie über freies Gelände führt, ist sie fast nie menschenleer, und da sie sich ohne tiefe Einschnitte immer auf der Höhe hinzieht, kann man sie fast überall übersehen, und dazu war es ein mondheller Abend.

Kügelgens Sohn Wilhelm, der auch Maler werden wird und eines Tages seine berühmten ↝Jugenderinnerungen eines alten Mannes schreibt, hat seinen Vater am nächsten Tag zusammen mit der Polizei gefunden: Am anderen Morgen in aller Frühe meldete ich den Fall auf der Polizei an. Man gab mir Polizeidiener und Hunde mit, die Gegend abzusuchen. Dräger, den ich auf der Straße fand, schloß sich uns an. Am Linkeschen Bade verteilten wir uns zu beiden Seiten der Chaussee; die Hunde revidierten vor und zwischen uns. Auf halbem Wege zum Waldschlößchen stand plötzlich der mir zunächst laufende Hund. Ich sprang herzu: da lag mein Vater mit dem Gesicht auf nackter Erde, erschlagen und entkleidet in einer Ackerfurche. Über mich aber und die Meinigen »ging der Grimm des Höchsten, und seine Schrecken drückten uns, sie umgaben uns wie Wasser und umringten uns miteinander«. Und hiermit mag ein Schleier auf mein weiteres Ergehen fallen. Damit enden Kügelgens ↝Jugenderinnerungen.

Man findet schnell einen Verdächtigen, einen Unterkanonier der sächsischen Artillerie, der natürlich niemals so elegant aussieht wie dieser junge Adlige, den Gerhard von Kügelgen gemalt hat. Der erste Verdächtige ist grenzdebil, aber für die sächsische Artillerie reicht das. Er ist nicht der Täter, aber seine Gefangennahme führt die Polizei zu dem Unterkanonier Johann Gottfried Kaltofen, einem Offiziersburschen, der außerhalb der Kaserne wohnen darf. Die Ermittlungen werden akribisch genau geführt, dabei kommt heraus, dass Kaltofen wenige Monate zuvor einen Tischlergesellen in der gleichen Gegend mit einem Beil erschlagen hat. Wenn man die Geschichte der Ermittlungen im Pitaval liest, fühlt man sich an die Langsamkeit und Genauigkeit der ersten ↝Stahlnetz Sendungen erinnert.

Friedrich Schiller (hier von Kügelgen gemalt) hatte schon 1792 eine Auswahl des französischen Pitaval herausgegeben (↝Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit). Aber das Ganze soll natürlich kein Sensationsjournalismus à la Bild Zeitung sein: das bloß Abscheuliche hat nichts Unterrichtendes für den Leser. Auch der Neue Pitaval hat eine ständig moralisierende Tendenz: Kaltofens Hinrichtung war für das Volk in Dresden ein Fest gewesen, wie es nicht sein soll. Der junge, hübsche Mensch war auf so vornehme Weise wie ein großer Herr mit allem möglichen Gepränge vom Leben zum Tode gebracht worden. Alle Welt hatte sich um ihn gedreht, seiner Eitelkeit war auf alle Art geschmeichelt worden, und da ein Geistlicher ihn begleitet hatte, war er obendrein fromm gestorben und gewissermaßen vom Schafott durch leichte, rasche Todesart geradeswegs in den Himmel gekommen. Unter die Tränen, die dabei vergossen wurden, stahl sich mancher Seufzer, auch so rasch unter solchen Festlichkeiten und an der Hand eines ehrwürdigen Priesters öffentlich zu sterben; das alles erschien als ein Glück, ein Vorzug, der dem Verbrecher vor dem Unschuldigen wurde, der vielleicht langsam, qualvoll, in dunkler Hütte und auf faulem Strohlager, von keinem Teilnehmenden besucht, der Erlösung entgegenschmachtete.

Die Hinrichtung des Mörders des Dresdner Malers hat noch ein Nachspiel, das so schrill ist wie Kügelgens Ariadne auf Naxos: Auf die Phantasie eines unglückseligen, sittlich verderbten Weibes hatte die Hinrichtung einen unauslöschlich bezaubernden Eindruck gemacht. Sie wollte auch so gottselig sterben. Vier Wochen nach Kaltofens Hinrichtung lud sie ein verlobtes Mädchen zu sich ein und bewirtete es. Als das Mädchen bald darauf einschlief, ermordete sie es im Schlafe. Sie reinigte den Leichnam und die Mordwerkzeuge und gab sich nach wenigen Stunden bei der Polizei selbst als Mörderin an. Freimütig bekannte sie als Motiv, daß schon früher bei zwei anderen Hinrichtungen, im Jahre und 1809, der Gedanke in ihr rege geworden sei, auch einen Mord zu begehen, um auch so sterben zu können; nach Kaltofens herzerhebender Hinrichtung aber habe sie dem Wunsche nicht mehr widerstehen können. An ihrer Stubentür hatte sie das Datum der Exekution verzeichnet, um immer an die Vorgänge dieses Tages erinnert zu weiden. Öffentlich zu sterben als Mordmotiv, das ist etwas Neues. Die ↝schwarze Romantik, die uns Mario Praz in Liebe, Tod und Teufel beschrieben hat, ist noch nicht zu Ende.

Der Maler Gerhard von Kügelgen hat ↝hier schon einen Post. Und bei dem Blogger ↝Martin in Broda findet sich ein interessanter Post zu von Kügelgen.

Sonntag, 25. März 2018

summertime


Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.


Für Paul Gerhardt bedeutete das Wort Sommerzeit etwas anderes als für uns am heutigen Tag. Denn da ist sie wieder, die vermaledeite Sommerzeit. Mein Computer weiß es schon, meine Funkuhren auch: die Weltzeit, die den schönen Namen UTC hat, muss mal wieder korrigiert werden. Auf die MESZ, die sich von der MEZ um eine Stunde unterscheidet. Alles klar?

Als Karl V, der einmal gesagt haben soll In meinem Reich geht die Sonne niemals unter ins Kloster ging, nahm er seine Uhrensammlung und den Uhrmacher Juanelo Turriano mit. Er träumte davon, zwei Uhren zu besitzen, die völlig synchron gingen. Als der berühmte italienische Uhrmacher das nicht hinkriegte, soll der Kaiser gerufen haben: O ich Thor, und ich wollte die Gemüther von Millionen über die verwickeltesten und geheimnißreichsten Gegenstände gleich stimmen! Wir anderen, die wir heute Morgen unsere Uhren in den Gleichklang mit der MESZ bringen, fragen uns: warum hat der Bundestag das 1978 beschlossen?

Das stand hier schon mal, das ahnen Sie schon. Sie könnten auch noch die Posts ➱Zeitmessung, ➱Sommerzeit, ➱Sommerzeit, ➱Observatorium und ➱Astronomie lesen. In dem Post ➱Sommerzeit steht die Geschichte drin, wie meine Uni mal ihre sauteure Patek Philippe Anlage weggeschenkt hat. Die steuerte plötzlich die Uhren auf dem Campus nicht mehr richtig. Man hätte sie für ein paar Euro reparieren können. Aber nein, weg damit. Wie mit der Zeit, eine Stunde weg. Nicht wieder einzuholen, temps perdu. Wir reden heute häufig davon, dass wir die Zeit totschlagen. Aber das ist eine gefährliche Sache, wie Erich Frieds Gedicht Totschlagen zeigt.

Erst die Zeit
dann eine Fliege
vielleicht eine Maus
dann möglichst viele
Menschen
dann wieder die Zeit

Am 28. Oktober 2018 bekommen wir unsere normale Zeit wieder zurück. Die heißt dann aber nicht normale Zeit, sondern Winterzeit. Vielleicht trauern wir dann der Sommerzeit nach:

Jetzt kommt die Nacht, es flieht das Glück, 
Die Sonne flieht so weit: 
Sie kommt so froh wohl nie zurück, 
Die schöne Sommerzeit

Samstag, 24. März 2018

Canali, Cantarelli, Corneliani


Ich habe in den letzten Jahren kleine Firmenportraits von Firmen geschrieben, die Herrenoberbekleidung herstellen. Meist waren das italienische Firmen, aber ich habe auch die ↝Amerikaner nicht vergessen. Die einzige deutsche Firma, die einmal mit den Italienern mithalten konnte, war Regent in Weissenburg (die hier mit ↝Made in Germany und ↝Karos schon zwei Posts hat). Die ist gerade von Philippe Brenninkmeijer und seinem Compagnon  Andreas Martin Meier gekauft worden, die der darniederliegenden Firma neues Leben einhauchen wollen. Regent ist deutsches Kulturgut, hat Brenninkmeijer gesagt. Um große Sprüche ist man in der Textilbranche nie verlegen.

Man scheint die Münchener Kaufhäuser Breuninger und Lodenfrey als Kunden gewonnen zu haben (den Großabnehmer Thomas Rusche mit seiner Soer Kette hat man lange verloren) und will jetzt eine um 600 Euro günstigere Zweitlinie herausbringen. Allerdings gibt es jetzt schon bei Breuninger auf beinahe alle Regent Teile 50% Rabatt. Bei der neuen Linie soll es angeblich billigere Knöpfe und keine handgenähten Knopflöcher mehr geben. Was will man damit sparen? Für seine Knopflöcher war Regent noch nie berühmt. ↝Kiton und ↝Brioni haben Knopflöcher, die kleine Kunstwerke sind. Das hier ist Matthias Sammer, dem gerade bei Lodenfrey ein Regent Anzug angmessen wird. Da hat man sich wohl kaum den besten Werbeträger ausgesucht. Wer mag schon Matthias Sammer?

Die Schwierigkeiten, die Regent hat, hat die italienische Firma Cantarelli leider auch. Die Firma, die von den drei Firmen, die mit C anfangen und mit I enden, die höchste Qualität liefert, steht vor dem Aus. Ein bulgarischer Textilriese namens Richmart hat seine Fühler nach der Firma in Cortona (Arezzo) ausgestreckt. Was da niemandem gefällt. Ein Offizieller brachte einen ganz anderen Namen ins Spiel: vorrei anche lanciare un appello ad alcune aziende di grande prestigio perché prendano in considerazione l'ipotesi di intervenire. Penso a Brunello Cucinelli, uomo ed imprenditore di rara sensibilità e di grandi capacità, la sua azienda sia per vicinanza geografica che per sintonia produttiva potrebbe essere il soggetto giusto in questa vicenda. Der Vorzeigeunternehmer Brunello Cucinelli wäre sicher der richtige Mann für Cantarelli.

1970 hatte Mauro Ranieri Cantarelli die Firma gegründet, 1998 war sie zum ersten Mal bei der Herrenmodemesse in Köln vertreten. Damals kosteten die Anzüge von Cantarelli zwischen 1.000 und 1.200 DM, heute sind es mehr als 1.000 Euro. 1992 kaufte die Firma den Konkurrenten ↝Saint Andrews (den sie 2006 wieder verkauften), was erheblich zur Steigerung des Niveaus von Cantarelli beitrug. Denn Sant'Andrea, die sich für den Export den Namen Saint Andrews gewählt haben, sind ganz weit oben in der italienischen Sartoria.

Cantarelli und Sant'Andrea haben auch andere Firmen beliefert. Zum Beispiel haben sie Anzüge für die Ralph Lauren Purple Line und die RTW Linie von Huntsman in der Savile Row geschneidert. Und Albert Goldbergs Firma Façonnable bekam in der Tailleur Linie auch Jacketts und Anzüge von Cantarelli. Ich kann aus Nostalgie nur hoffen, dass die Firma erhalten bleibt, denn die Jacketts und Anzüge, die ich von Cantarelli und Saint Andrews besitze, sind von erstklassiger Qualität. Mein Saint Andrews Jackett, das ich bei einem englischen second hand Händler kaufte, ist besser als ein Kiton Produkt. ↝Michael Rieckhof von der Firma ↝Kelly's liebäugelte vor Jahren mal mit dem Gedanken, Saint Andrews ins Sortiment zu nehmen. Ist nichts draus geworden, aber Michael Rieckhof hat ein Jackett behalten, das er als sein bestes Jackett bezeichnet. Cantarelli und Sant'Andrea sind stark auf dem amerikanischen Markt, in Deutschland kaum. Erstaunlicherweise sind sie auch bei Amazon präsent. Gut für das Image ist das sicher nicht.

Die Probleme, die Cantarelli hat, hat die italienische Firma Canali nicht, sie ist ein Riese, der weltweit vertreten ist, auch bei Amazon. 1934 von Giacomo und Giovanni Canali gegründet, immer noch im Familienbesitz. Beinahe 88 Prozent der Produktion gehen in den Export. Ich kann mich noch daran erinnern, dass die Firma einmal Cafra hieß, was die Abkürzung von Canali Fratelli ist, aber den Namen haben sie in den 80er Jahren aufgegeben. Das geschah auch im Zuge eines trading up, den damals viele Firmen vollzogen. Die achtziger Jahre waren ja etwas klamottenverrückt. Plötzlich redete jeder von Designern. Früher waren Designer Leute wie Ernest Dryden oder ↝Wilhelm Wagenfeld, jetzt redet man nur noch von Armani.

Das hier ist der Kleinkriminelle Luca Canali, gespielt von Mario Adorf. Der hat nichts mit der Firma Canali zu tun, er ist hier nur zur Auflockerung. Denn mit Canali wird es etwas langweilig. Sie liefern Jahr für Jahr Qualität, bessere Qualität als Ermenegildo Zegna, die je größer sie wurden, immer mehr nachließen. Masse statt Klasse. Sie haben auch nicht wie Zegna Fabriken in der Türkei. Ihre sieben Fabriken sind alle in Italien. Deshalb steht auch auf dem kleinen Aufhänger im Jackett Made in Italy. Caruso hat jetzt Schriftzug Hand Made in Italy, ist aber das gleiche. Canalis Qualität geht bis ins Detail. Karomuster werden immer angepasst, das hat Regent noch nie hingekriegt. Ihre Jacketts und Anzüge sind nicht unbedingt preiswert, alles ist hier eher vierstellig. Man kann das natürlich bei Farfetch und Yoox und mit ein wenig Suche preiswerter bekommen. Ich habe letztens ein nagelneues Canali Jackett bei ebay für 5€ erstanden.

Vor einem Jahr habe ich mir einen zweireihigen dunkelblauen Blazer gekauft. Nicht dass ich ihn gebraucht hätte. Aber da war dieses verlockende Angebot bei ebay: Dunkelblau, Corneliani, linea sartoria, Super 100. Sofortkauf: 10 €. War ein nagelneues Teil. Toll. Allerdings sehe ich damit aus wie Graf Koks. Oder wie dieser Herr hier. Ich warte jetzt noch, bis ich einen Bugatti 57 SC Atlantic für 10 € finde, dann wird der Blazer getragen. Das steht so in dem Post ↝Blazer, und ich habe in dem Post ↝Colani erwähnt, dass ich diesen schönen Blazer kaum trage.

Auch bei Corneliani, die beinahe so groß wie Canali sind, vollzog man Ende der siebziger Jahre ein trading up. Und man sicherte sich die Lizenzen für Italien von Firmen, die damals berühmt waren: ↝Renoma Paris (die Marke gehörte später zur Corneliani Group), Daniel Hechter, Ralph Lauren, ↝Karl Lagerfeld und Trussardi. Mehr als ein halbes Jahrhundert war Corneliani im Familienbesitz, vor zwei Jahren wurden sie von der Investcorp geschluckt. Nicht ganz, aber Investcorp hat jetzt mit 55% die Aktienmehrheit. Ob die Araber die Firma als cash cow gebrauchen oder Geld für eine Neustrukturierung hineinstecken, das weiß niemand.


Noch mehr Mode finden Sie hier: Raffaele Caruso, Attolini, Baldessarini, Waltz into Darkness, Cinecittà und die Mode, Brioni, Ermenegildo Zegna, Herrenausstatter, Ärmelfutter, Made in Germany, Kiton, Attolini, NervesaBlazerColani, Belvest

Dienstag, 20. März 2018

Volver, volver


In dem Post über den ↝Whisky konnten Sie Harry Dean Stanton (der in diesem Blog schon einmal in ↝Two-Lane Blacktop vorkommt) anklicken, wie er den ↝Tennessee Whiskey besingt. Der Film Partly Fiction von Sophie Huber, den arte letztens im Anschluss an Paris, Texas sendete, ist leider nicht mehr im Netz (klicken Sie ⇨hier, die Russen haben ihn). Mit dem Film von Wim Wenders wurde Harry Dean Stanton, der jahrzehntelang nur Nebenrollen gespielt hatte, weltberühmt. Berühmt war er eigentlich schon immer, denn was er aus den Nebenrollen machte, das war schon einzigartig. Selbst einen ↝Steven Seagal Film kann er durch seinen Auftritt herausreißen.

Er war nicht nur Schauspieler, er war auch Musiker. Hatte jahrelang eine eigene Band und stand mit berühmten Leuten (hier 1969 mit seinem Freund Kris Kristofferson) auf der Bühne. In Sophie Hubers Film darf er viel singen, und er kann auch mit 85 Jahren noch gut singen. Mit 90 auch noch, wie er in seinem letzten Film ↝Lucky zeigt. Da singt er Volver, volver, einen mexikanischen Schmachtfetzen.

Das Lied wurde von dem mexikanischen Komponisten Fernando Z. Maldonado geschrieben und 1972 zum ersten Mal von ↝Vicente Fernàndez gesungen. Eher geschmettert als gesungen, es gibt viele ↝Cover Versionen, die besser sind. Das spanische volver heißt zurückkommen, und von dem Wunsch, zu der Geliebten zurückzukommen (volver a tus brazos), handelt das Lied. Wie so viele Lieder von den ↝Tageliedern und den albas der Troubadure (die ja auch eine Trennung bedeuten) bis zu Harry Belafontes Come back Liza.

Este amor apasionado, anda todo alborotado
Por volver
Voy camino a la locura y aunque todo me tortura
Sé querer
Nos dejamos hace tiempo pero me llegó el momento de perder
Tú tenías mucha razón, le hago caso al corazón y me muero
Por volver
'Y volver volver, volver a tus brazos otra vez
Llegaré hasta donde estés
Yo sé perder, yo sé perder, quiero volver, volver
Volver'
Nos dejamos hace tiempo pero me llegó el momento
De perder
Tú tenías mucha razón, le hago caso al corazón
Y me muero por volver
'Y volver volver, volver a tus brazos otra vez
Llegaré hasta donde estés
Yo sé perder, yo sé perder, quiero volver, volver


Je stiller es gesungen wird, desto schöner ist es. Ich finde die Art, wie der neunzigjährige Harry Dean Stanton es in seinem letzten Film singt, ganz wunderbar. Klicken Sie ↝hier, Sie werden das nicht bereuen. Harry Dean Stanton hat den Film Lucky nicht gesehen. Er wollte ihn nicht auf seinem Fernseher sehen, er wollte ihn auf der ganz großen Leinwand sehen, aber irgendwie ist es dazu nicht gekommen.

Ach, was war sie schnuckelig damals. Damals heißt: vor einem halben Jahrhundert. Ich habe hier noch ein neueres Video von Michelle Phillips, der letzten Überlebenden von The Mamas & the Papas. Da sitzt sie mit Harry Dean Stanton auf dem Sofa und sie singen ↝Volver, volver. Lassen Sie uns den Frühlingsanfang mit Musik begrüßen, ich habe noch einmal Harry Dean Stanton. Diesmal singt er zusammen mit Quincy Coleman Johnny Cashs ↝I Walk The Line. Ich weiß nicht, was ↝Johnny Cash dazu gesagt hätte, aber ich glaube, es hätte ihm gefallen.

Sonntag, 18. März 2018

Dichtermode


Das erste Bild, das mir zum Thema Dichter und Mode einfällt, ist Nadars Portrait von ↝Baudelaire. Da steht er nun, im perfekten Gleichgewicht zwischen Bourgeoisie und Bohème. Er hat keine Angst vor Nadars Kamera, im Gegensatz zu seinem Kollegen Balzac. Der fest daran glaubt, dass ihm die Photographie einen Teil seiner selbst wegnehmen würde. Er redet da von Spektralschichten an seinem Körper, die verloren gehen würden. Was der Photograph etwas gehässig mit dem Satz Aber die Rundungen seines Bauches hätten Balzac durchaus gestattet, sich einiger Spektralschichten zu entledigen kommentierte.

Ich las letztens bei Joseph von Westphalen: Auf sämtlichen Fotos meiner karierten Kaschmirjacke kann ich mich mit der dargestellten Person identifizieren. Ein Mensch blickt mich an, der mit seiner Jacke im Einklang ist, der voll hinter der Mischung aus billig und edel steht. Billig und edel. Meine Jacke hat mich gelehrt, daß dies das ideale Motto meines Lebens ist. Billig und edel, so sollen auch meine Texte sein. Bloß nicht kostbar! Teuer und edel - das kann sich jeder Depp zusammenkaufen, wenn er Geld hat. Da ist ja teuer und geschmacklos noch besser. Über diese Mischung kann man sich wenigstens noch amüsieren. Frauen in teuren rosafarbenen Noppenstoff-Kostümen zum Beispiel. Eingefasste Revers. Entsetzlich. Traurig. Billig und geschmacklos hingegen, das hat was. Für diese Exzentrik besitze ich allerdings noch nicht die nötige Größe. Schriftsteller und ihre Kleidung, was sollen sie tragen, um unserem Bild von einem Schriftsteller zu entsprechen?

Soll er so aussehen, mit kurzen Hosen? In der Zeit konnte man lesen: Thomas Mann soll während des Verfassens seiner Bücher stets Anzug und Fliege getragen haben. Wären seine Werke in Jogginghose nur halb so gut geworden? Tommy Mann und ↝Jogginghosen sind natürlich eine ganz seltsame Idee. Er hätte selbst an heißen Tagen in Kalifornien bestimmt keine kurzen Hosen wie Hemingway getragen.

Ach, lassen Sie mich mit meinen Gewändern in Ruh, Lisaweta Iwanowna! Wünschten Sie, daß ich in einer zerrissenen Sammetjacke oder einer rotseidenen Weste umherliefe? Man ist als Künstler innerlich immer Abenteurer genug. Äußerlich soll man sich gut anziehen, zum Teufel, und sich benehmen wie ein anständiger Mensch, heißt es in Tonio Kröger. Thomas Mann weiß, wovon er schreibt, er zieht sich äußerlich gut an. Seine Sekretärin ↝Hilde Goldschmidt sagte über ihn: Seine schlanke Gestalt, sorgfältig, aber bei weitem nicht teuer oder vom Maß-Schneider gekleidet. Kann sie sich irren? Als er noch in der Schweiz war, ließ er sich seine Anzüge im London House in Zürich in der Bahnhofstraße schneidern. Soll es jetzt in Amerika anders sein? Oder ist das jetzt Joseph von Westphalens Mischung aus billig und edel?

Natürlich sind Photographien, die einen Schriftsteller beim Schreiben zeigen, eine Selbstinszierung. Und Thomas Mann ist ein Meister der Selbstinszenierung, here is the best picture ever made of me schreibt er 1944 auf ein Photo, das Trude Geiringer von ihm gemacht hat. Er verwandte das Bild dann auch als Autogrammkarte, wie hier, als er nach Dardesheim schreibt: Wenn ihr mir also euere Sympathie bewahrt habt, und auch heute noch an dem Wunsche festhaltet, euere Schule nach mir zu nennen, so stimme ich dem mit großem Vergnügen zu ...

Dieser junge Mann sitzt gerade nicht am Schreibtisch, aber das Bild, das Henri Cartier-Bresson 1947 in New Orleans von dem jungen Truman Capote macht, wird zu dessen Ruhm beitragen. Er ist noch nicht berühmt wie Thomas Mann, er hat gerade die Geschichte ↝Miriam veröffentlicht, er muss das tun, was der berühmte Photograph will. Und so sitzt er mit einem weißen T Shirt auf einem weißen gusseisernen Gartenstuhl, umgeben von tropischen Pflanzen. Er ist nicht glücklich mit dem Photo: Yes, Cartier has done some portraits (they are very strange, I must say, but the photography is, of course, beautiful). Wie hätte Thomas Mann ausgesehen, wenn ihn Cartier-Bresson portraitiert hätte? In a portrait, I’m looking for the silence in somebody, hat der Photograph gesagt.

Dieser Herr hat es mit der Mode, sein Schneider Vincent Nicolosi hat dafür gesorgt, dass er immer elegant ist. Wahrscheinlich hat seit Oscar Wilde niemand so viel Wert auf Mode gelegt wie ↝Tom Wolfe. Irgendjemand hat ihn mal the Karl Lagerfeld of fiction writers genannt. Witzig. Der Mann, der wie ↝Mark Twain immer weiße Anzüge trägt, schreibt auch gerne über Mode. Wenn Sie ein wenig davon lesen wollen, dann klicken Sie den Post ↝Ärmelfutter an. Im Gegensatz zu Thomas Mann schreibt Tom Wolfe nicht mit einem Füllfederhalter, er tippt auf einer Schreibmaschine. Den Computer hat er mal ausprobiert, um dann reumütig zur Schreibmaschine zurückzukehren. Seinen Roman Back to Blood hat er mit der Hand geschrieben, weil er sich die Finger gequetscht hatte. Computer werden ja überschätzt, wir müssen bedenken, dass alle große Literatur mit der Feder geschrieben wurde.

Was ↝Hermann Hesse hier trägt, ist eigentlich die ideale Kleidung für den Schriftsteller: ein Cordanzug. Ein klein wenig Bourgeoisie, weil es ein Anzug ist, und ein klein wenig Bohème, weil es Cord ist. ↝Günter Grass hat auch gerne Cordanzüge getragen. Für uns, die wir keine Schriftsteller sind, sind Cordanzüge nicht das richtige. Ein gutes ↝Cordjackett jederzeit.

Wenn ein Schriftsteller sich so photographieren lässt, nimmt er eine Rolle an. Die nichts damit zu tun hat, dass er bei seinem Schneider eine schwarze Frackhose zu 45 Francs; eine weiße Pikeeweste zu 15 Francs [...] einen blauen Gehrock aus feinem Löwener Tuch zu 120 Francs; eine Hose aus marengofarbenem Zwillich zu 28 Francs; eine gemsfarbene Pikeeweste zu 20 Francs bestellt hat. Er wird seinen Schneider nicht bezahlen, aber er schreibt ihn in sein Werk hinein: Un habit dû à Buisson suffit à un homme pour devenir le roi d'un salon. Tausende von Schneidern, die Schriftstellern einen Rock angemessen haben, sind heute vergessen, Monsieur Boisson (in dessen Haus Balzac drei Jahre lang wohnt) nicht.

Manche Schriftsteller machen Mode. Er hier zum Beispiel. Seine Verlobte Constance Lloyd schreibt 1882 über ihn: Mir gefällt er schrecklich gut. Aber ich fürchte, wie er sich kleidet, ist sehr schlechter Geschmack. Seidene Strümpfe sind für Herren ein wenig aus der Mode gekommen, sie hielten sich in der englischen Oberklasse noch zum ↝Frack. Als Churchill die englische Königin empfing, trug er Kniebundhosen und ↝Seidenstrümpfe. Und den Hosenbandorden natürlich an der richtigen Stelle unter dem Knie. Oscar Wilde trägt nicht nur violette Samtwesten und weiße Lilien im Knopfloch, er befürwortet auch die Reformkleidung. Dazu könnten Sie jetzt mal eben den Post ↝William Frith lesen. Ein Prophet der Reformkleidung von ↝Dr Jaeger ist auch George Bernard Shaw, der ebenso wie Wilde aus ↝Dublin kommt. Und da sollte ich noch einen dritten Dubliner erwähnen. Nämlich James Joyce. Der trägt zwar keine Reformkleidung, aber er soll sich mal als Importeur von irischem Tweed versucht haben.

Tweed oder Reformkleidung kommen für ↝Adolf Loos nun überhaupt nicht in Frage, der Wiener Dandy ist immer comme il faut. Billig und edel wäre nichts für ihn. Aber der dedicated follower of fashion (um mal eben die ↝Kinks zu zitieren) erstarrt in seiner Stilisierung. Er käme nie auf die Idee, die obersten Westenknöpfe offen zu lassen, wie Baudelaire. Er kann nicht aus diesem Korsett eines ↝Morning Coat heraus. Kann nicht wie der amerikanische Dichter ↝Frederick Seidel, der sich seine Anzüge in der ↝Savile Row machen lässt, handgenähte Schuhe und junge Frauen liebt, aus seiner Rolle. Seidel kann sehr ironisch über diese Dinge schreiben.

Ich glaube, dies hier ist der einzige Schriftsteller, der ein Modeunternehmen besitzt. Er sieht so gut aus, dass er häufig das Model für seine Kleidung abgab. John Weitz wurde in Berlin geboren, ging in England zur Schule und lernte bei ↝Edward Molyneux. Er wanderte mit seinen Eltern in die USA aus, war Captain im Zweiten Weltkrieg und landete dann im Geheimdienst. Und schrieb eines Tages Romane. Gut, keine Weltliteratur, aber immerhin. Literatur und Mode sind doch vereinbar.

Ich möchte meinen kleinen Ausflug in die Kleidung von Schriftstellern mit einem Autor beenden, der aus meiner Heimatstadt Bremen kommt. Man hat Rudolf Lorenzen (der ↝hier einen Post hat) in den fünfziger Jahren den Dandy des Westens genannt. Er bleibt uns aber nicht als Dandy in Erinnerung, sondern weil er mit ↝Alles andere als ein Held einen der besten deutschen Romane der Nachkriegszeit geschrieben hat.

Donnerstag, 15. März 2018

Einfuhrzölle


Ein junger amerikanischer Uhrmacher steht am Anfang seiner Karriere, da kommt der Bürgerkrieg. Als guter Patriot meldet er sich freiwillig und tritt in ein Bostoner Infanterieregiment ein. Er könnte dieser Mann sein, weil der auf dem vor kurzem entdeckten ↝Photo stolz seine Uhr in der Hand hält. Aber er ist nicht der einzige Uhrmacher im Regiment, man merkt, dass Boston die Metropole der amerikanischen Uhrmacherei ist. Unser Uhrmacher, nennen wir ihn ↝Jones, überlebt den Krieg und geht danach zu der Uhrenfirma von ↝Edward Howard.

Die stellt hervorragende Uhren her. Der Kapitän Charles Dwight Sigsbee von der ↝USS Maine hatte eine besessen, die mit dem Schiff bei der Explosion im Hafen von Havanna unterging. Als ihm der Taucher seine Uhr am nächsten Tag wiederbringt, spült Sigsbee sie mit kaltem Wasser aus und gießt anschließend Öl hinein. Und schickt sie zur Firma Howard. Er weiß das alles, weil er schon mehrfach mit seiner Taschenuhr über Bord gegangen ist. Wo immer heute seine Uhr ist, sie wird wahrscheinlich immer noch gehen.

Unserem Mr Jones wird es nach einigen Jahren bei Howard zu langweilig, obgleich er da die schöne Positition eines superintendent hat. Er wechselt zu George P. Reed in Boston, der auf dem Gebiet von Erfindungen und Innovationen der führende Mann in Amerika ist. Dies hier ist eine seiner Uhren, ein Chronometer, in dem alles steckt. Auch die Firma von Edward Howard wird Erfindungen von Reed in ihre Uhren einbauen und das auf der Platine mit Reed's Patent kennzeichnen.

Mr Jones, dem seine Eltern die exotischen Vornamen Florentine Ariosto gegeben haben, reicht es nicht, bei den besten amerikanischen Uhrenfabriken zu arbeiten. Er träumt von einer eigenen Uhrenfabrik. In Amerika kann er die nicht bekommen. Bei dem Boom der Uhrenindustrie findet er keine Uhrmacher mehr. Die Jahre nach dem Bürgerkrieg, von Mark Twain etwas ironisch als Gilded Age bezeichnet, sind die Goldgräberzeit der amerikanischen Uhrenindustrie. Jones lässt sich auf ein neues - vielleicht typisch amerikanisches - Abenteuer ein: die Gründung einer amerikanischen Uhrenfabrik außerhalb Amerikas. In einem Billiglohnland, wo man es versteht, Uhren zu bauen. Der Schweiz. Wo man schon massenhaft amerikanische Taschenuhren fälscht, dies hier ist eine davon. Auch wenn Sie nichts von Uhren verstehen, können Sie sehen, dass dies hier mit der Qualität von Howard und Reed nichts zu tun hat, da kann man auf die Platine schreiben, was man will.

Noch ein zweiter Amerikaner geht in die Schweiz, es ist Aaron Lufkin Dennison, den man den Vater der amerikanischen Uhrenindustrie nennt. Er will hier keine Uhren herstellen lassen, sondern nur Teile des Werks. Die Uhren werden dann in Boston bei der Firma Tremont zusammengebaut. Das Prinzip wird später die amerikanische Firma ↝Gruen übernehmen, die ihre Werke in der Schweiz bauen lässt. Man nimmt an, dass Aaron Dennison dem jungen Jones beim Aufbau seiner Fabrik behilflich gewesen ist. Er wird allerdings bald die Schweiz verlassen und in England die bedeutendste Firma für Uhrengehäuse aufbauen.

Aller guten Dinge sind drei, es gibt da noch einen Amerikaner, den es nach dem Bürgerkrieg in die Schweiz zieht. Er heißt Albert H. Potter, ich habe ihn schon in dem Post ↝Charles Fasoldt erwähnt. Er wird in Genf die qualitativ hochwertigsten und ästhetisch schönsten Uhrwerke bauen, amerikanische Uhrmacherkunst made in Switzerland. Die Firma, die Florentine Ariosto Jones gründet, wird eines Tages auch ein Uhrwerk bauen (Kaliber 71), das Ähnlichkeiten mit diesem Werk hat. Erstaunlicherweise macht Potter aber noch etwas ganz anderes.

Er wird Billiguhren unter den Markennamen Charmilles oder Charmilles Genève produzieren, die eine erstaunliche Konstruktion haben: Gehäuseboden und Basisplatine sind aus einem Stück. Potter hatte erkannt, dass der Markt nach preiswerten Taschenuhren lechzt. Jeder will jetzt eine Taschenuhr besitzen. Potter sagte über seine Uhr: the best watch you can buy for $ 4.00, vielleicht war sie das. Und vielleicht war sie sogar den billigen Dollaruhren in den USA überlegen, die jetzt in Amerika massenhaft hergestellt werden. Auch Mark Twain wird Geld in eine ↝Uhrenfabrik investieren. Er wird viel Ärger damit haben.

Was Dennison und Potter machen, damit will Jones nichts zu tun haben, er will Uhren von erstklassiger Qualität bauen. Hier haben wir eins seiner ersten Uhrwerke, das sich qualitativ leicht mit den Werken von Lange & Söhne messen kann. Die Gründung einer amerikanischen Uhrenfabrik in der Schweiz ist eine schöne Idee, die Sache hat nur einen kleinen Haken. Und das sind die Einfuhrzölle, die die USA während des Bürgerkrieges erhoben haben. Jones glaubt daran, dass die nach dem Krieg wegfallen werden. Sonderbarer Schwärmer, würden wir sagen. Wann verzichtet der Staat darauf, seine Bürger zu schröpfen? Die Sektsteuer wurde für die Schlachtschiffe von Wilhelm II erfunden, wir haben sie heute immer noch. Die USA denken gar nicht daran, die Einfuhrzölle aufzuheben.

Jones wird seine Firma in Schaffhausen International Watch Company nennen. 1869 gegründet, 1875 Konkurs. Einfuhrzölle. ↝Florentine Ariosto Jones reist (flieht?) zurück in die USA, handelt mit Uhren, bekommt eine Vielzahl von Patenten und ist danach für die American Steam Appliance Company in Sudbury bei Boston tätig. Die Firma, die er in Schaffhausen gegründet hat, existiert noch heute. Ihre ↝Uhrwerke für Taschenuhren haben einen legendären Ruf.

Drei Amerikaner, drei Geschichten. Schon früh im Jahrhundert hatte Dennison das System von ↝Eli Whitney auf den Bau von Großuhren angewandt, am Ende des Jahrhunderts bauen die Amerikaner bessere ↝Taschenuhren als die Schweizer. Heute bauen sie keine mehr. Ich hätte ja gerne eine Taschenuhr mit dem Kaliber Jones oder eine mit diesem seltenen Kaliber 71, das auch als Fischschwanz Kaliber bezeichnet wird und dem Potter Kaliber oben ein wenig ähnelt. Doch so etwas ist leider nicht mehr zu bekommen. Meine IWC Taschenuhr hat das Kaliber 52. Sie ist über hundert Jahre alt und geht immer noch genau.


Wenn Sie wissen wollen, wie der Bürgerkrieg für Florentine Ariosto Jones ausgesehen hat, sollten Sie diesen ↝Post lesen. Das ist einer der ganz wenigen Posts, der nicht original für diesen Blog geschrieben wurde. Der Artikel ist vor Jahren in leicht veränderter Form in der Firmenzeitschrift der International Watch Company Schaffhausen erschienen. Es steckt viel Recherche in dem Artikel, die IWC hat das damals freundlicherweise mit einem schönen Scheck honoriert.