Sonntag, 20. Mai 2018

Felliniesque


Ich finde es ein wenig erstaunlich, dass ich hier noch nie über Fellini geschrieben habe. Gut, er kommt in Cinecittà und die Mode und in vielen anderen Posts vor, aber es gibt keinen richtig großen Fellini Post. Sein Kollege Michelangelo Antonioni hat dagegen mehrere Posts. Und Visconti kommt hier mit Ossessione und temps perdue auch schon vor.

Am Ende des Posts Steve Cochran (ein Post, der mit viel Liebe geschrieben ist) habe ich gesagt: Mehr Michelangelo Antonioni in diesem Blog unter Swinging London, Michelangelo Antonioni und Antonioni. Als ich das erste Mal über Antonioni schrieb, endet der Post mit: Ich merke gerade, dass ich jetzt Tage (oder Wochen) über Antonioni weiter schreiben könnte. Ich höre erst einmal auf und stelle das ein. Vielleicht ein anderes Mal. So dacht ich. Nächstens mehr, wie Hölderlin am Ende von Hyperion sagt. Ich habe drei Jahre gebraucht, um dieses Nächstens mehr wahr zu machen. Aber ich war am Anfang meines Blogger Lebens, ich wußte noch nicht, wohin es mich führen würde.

Ich mag Fellini, ich habe beinahe all seine Filme gesehen, viele habe ich auf DVD, Drehbücher besitze ich auch, auf jeden Fall alles, was bei Diogenes erschienen ist. Und dennoch: kein Fellini Post im Blog. Dies heute wird eigentlich auch keiner, es geht hier nur um den Einfluss von Fellini. Wenn Sie den Post Attolini gelesen haben, dann kennen Sie diesen Herrn, es ist Toni Servillo, der den Schriftststeller Jep Gambardella in dem Film La grande bellezza spielt. Immer elegant, immer in Jacketts und Anzügen von Attolini. Ein Schneider, der Marcello Mastroianni auch schon einkleidete, allerdings trug der nie so bunte Jacketts.

Dass Attolini den Film ausstaffierte, haben alle Gazetten berichtet, eine bessere Werbung konnte es nicht geben. Dagegen war die Kampagne von Brioni gar nichts, die einmal James Bond einkleideten. In dem Buch Italian Style: Fashion & Film from Early Cinema to the Digital Age von Eugenia Paulicelli, das mir der Tobias geschenkt hat, sind Attolini und dem Film La grande bellezza ein ganzes Kapitel gewidmet. Kommt gleich nach Antonioni und Fellini.

Paolo Sorrentinos Film wird von den meisten Kritikern in Beziehung zu Fellini gesetzt. Reise ans Ende der Nacht: Paolo Sorrentinos grandiose Fellini-Hommage ist eine Feier der morbiden und mondänen Schönheit Roms, gesehen mit den Augen eines einflussreichen und allseits gefürchteten Klatschreporters, titelte die NZZ. Die Nähe zu Fellinis La Dolce Vita und Achteinhalb ist offensichtlich.

Dass im Titel des NZZ Artikels Louis-Ferdinand Célines Voyage au bout de la nuit zitiert wird, ist kein Zufall, denn der Film beginnt mit einem Céline Zitat: Viaggiare, è proprio utile, fa lavorare l'immaginazione. Tutto il resto è delusione e fatica. Il viaggio che ci è dato è interamente immaginario. Ecco la sua forza. Va dalla vita alla morte. Uomini, bestie, città e cose, è tutto inventato, è un romanzo, nient'altro che una storia fittizia. Lo dice Littré, lui non si sbaglia mai. E poi in ogni caso tutti possono fare altrettanto. Basta chiudere gli occhi, è dall'altra parte della vita.

Der Erfolg des Romans, der den Journalisten Jep Gambardella berühmt gemacht hat, liegt Jahrzehnte zurück. Er kann nichts mehr schreiben: Sono anni che tutti mi chiedono perché non torno a scrivere un nuovo romanzo. Ma guarda 'sta gente, 'sta fauna. Questa è la mia vita, non è niente. Flaubert voleva scrivere un romanzo sul niente, non c'è riuscito. Ci posso riuscire io? Jetzt bewegt sich der alternde Flaneur nachts durch Rom, von Party zu Party: Ich wollte der König der mondänen Welt sein und es ist mir auch gelungen. Ich wollte nicht nur auf die Partys eingeladen werden. Ich wollte die Macht haben, jede Party zu sprengen. Aber er merkt, wo er auf die 65 zugeht, dass sein Leben leer ist.

Der Film zeigt diese Reise ans Ende der Nacht in rauschhaft schönen Bildern, Antonioni und Fellini waren da sparsamer, wenn sie ihre Helden durch die Großstadt wandern ließen. Es wird viel geredet, manchmal bösartig, wenn Jep Stefanias (Galatea Ranzi) Lebenslügen, die wie ein O'Neillscher pipe dream sind, auseinandernimmt: La storia ufficiale del partito l'hai scritta perché per anni sei stata l'amante del capo del partito. I tuoi undici romanzi pubblicati da una piccola casa editrice foraggiata dal partito, recensiti da piccoli giornali, vicini al partito, sono romanzi irrilevanti, lo dicono tutti, questo non toglie che anche il mio romanzetto giovanile fosse irrilevante, su questo ti do ragione ... 

Allora invece di farci la morale… di guardarci con antipatia... dovresti guardarci... con affetto… Siamo tutti sull'orlo della disperazione, non abbiamo altro rimedio che guardarci in faccia, farci compagnia, pigliarci un poco in giro... O no? Auch wenn das böse ist und ein wenig nach Who's afraid of Virginia Woolf  klingt, wenig später tanzen sie bei einer Hochzeitsfeier engumschlungen.

Der Film kann sehr witzig sein. Wenn Jep Gambardella eine Liebesnacht mit Isabella Ferrari verbracht hat und sie ihren Laptop holt, um ihm ihre Nackphotos auf Facebook zu zeigen, ist er plötzlich verschwunden. Wir hören nur seine Stimme: Die wichtigste Erkenntnis nach meinem 65. Geburtstag ist die, dass ich keine Zeit mehr mit Dingen verlieren möchte, auf die ich keine Lust habe.

Mein Lieblingsdialog ist in einer kleinen Szene, wo Jep einem jungen Mann namens Andrea sagt: Non li piglia' troppo sul serio questo scrittori. Und der fragt: Se non prendo sul serio Proust, chi devo piglia' sul serio? Jep: Niente, niente devi piglia' sul serio — eccetto il menu, naturalmente... Insomma Andrea le cose so' troppo complicate per consentire a un singolo individuo di capire. Andrea: Il fatto che tu non abbia capito non significa che nessuno possa capire.

La Grande Bellezza hat einen Oscar bekommen. In Italien kam der Film von Paolo Sorrentino trotz der Anzüge von Attolini nicht so gut an. Antonionis Filme zuerst auch nicht: In Italy, The Great Beauty received a mixed critical reception, ranging from the lukewarm to the outright negative, thus confirming a sad national tradition – started long ago with Roberto Rossellini’s Roma città aperta (Rome, Open City, 1945) – one that determinately neglects important domestic pictures. Only after the film enjoyed international success and won prestigious awards (including the European Critics’ Award, The Bafta, the Golden Globe, the Oscar), did audience and critics appropriate it.

La Grande Bellezza, den Arte letztens gesendet hat (wie auch Il Divo vom gleichen Regisseur auch mit Toni Servillo), ist als DVD leicht erhältlich, und ich kann hier noch einen sehr guten Aufsatz von Carlotta Fonzi Kliemann empfehlen.

Ich wünsche all meinen Lesern ein frohes Pfingsfest.

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