Dienstag, 5. Juni 2012

Ernst August


Nein, nicht der, den die Bild Zeitung den Pinkelprinzen getauft hat. Sondern der Ernst August, dessen Denkmal vorm Bahnhof steht, wo man sich angeblich unterm Schwanz trifft. Das wird jedem Touristen in Hannover erzählt. Ich habe einmal längere Zeit in Hannover verbracht, weil ich da an der Heeresoffiziersschule war. Das Beste an Hannover war damals die Oper, Herrenausstatter wie Heinrich's, Möller oder Jondral gab es damals noch nicht. Hannover kennt jeder Germanistikstudent, weil man damit das Vernersche Gesetz erklären kann, also dieser Lautwandel, dass wir das V in Hannover (mit F) und in Hannoveraner (mit W) sprechen. Angeblich spricht man in Hannover auch das reinste Hochdeutsch, dafür finden sich aber eine Vielzahl von Gegenbeispielen. Die Tendenz, die Lavesstraße als Läövesstraße auszusprechen, spricht nicht unbedingt für reines Deutsch. Ich habe übrigens alle Rechte, über Hannover zu lästern, weil ich in der preußischen Provinz Hannover geboren wurde.

Dieser Ernst August (hier ein Jugendbild von Gainsborough), der am 5. Juni 1771 in London geboren wurde, war ein Sohn von George III. Ernst August wurde, wie das bei Königs so üblich ist, zuerst von Hauslehrern erzogen. Schwergewicht Religionsunterricht, darauf bestand George. Ernst August ging dann im Sommer 1786 gemeinsam mit seinen Brüdern August Friedrich und Adolph Friedrich zum Studium nach Göttingen, keiner der drei sprach deutsch. Ich zitiere mal eben aus der Allgemeinen Deutschen Biographie: Nach dem Alter, in dem sie standen, und dem Grade der Bildung, die sie mitbrachten, waren es, nicht blos nach dem Maßstabe der Gegenwart, weniger Universitäts- als Gymnasialstudien, auf die es zunächst für sie abgesehen war. Lichtenberg, ihr Hausgenosse, unterwies sie in Physik und Mathematik; Heyne und der junge Magister Buhle in lateinischer Sprache und Litteratur; F. L. W. Meyer, später als der Biograph Schröder’s bekannt, damals an der Göttinger Bibliothek angestellt, im Deutschen. In Religion und Moral hatten sie Leß und Feder zu Lehrern.

Das sind ja berühmte Leute da in Göttingen, Lichtenberg und Christian Gottlob Heyne und all die anderen. George III hatte Lichtenberg ein Jahrzehnt zuvor empfangen und ihm mehrere Stunden seine Sammlung von Uhren und Fernrohren gezeigt, er war der erste Hannoveraner in England, der wissenschaftliche Interessen zeigte. Er hat sich ja auch dankenswerterweise des Uhrmachers ➱John Harrison angenommen, als man den um den Preis des Longitude-Wettbewerbs zu prellen versuchte. Als Ernst August 1791 die Universität Göttingen verlässt, schreibt er seinem Vater I should be one of the most ungrateful of men if ever I was forgetful of all I owe to Göttingen & its professors. Das ist natürlich eine fette Lüge, mehr als ein halbes Jahrhundert später wird er über die Jahre in Göttingen sagen wo als junger Mann ich hätte viel können profitiren, aber Jugend hat keine Tugend und statt meine Zeit gut zu benutzen, fürchte ich – ich habe Vieles verloren. Die Professoren haben sich übrigens keinerlei Illusionen über ihre Bildungsversuche an den englischen Prinzen gemacht.

Als Ernst August mit seinem Studium (das vielleicht bestenfalls der gymnasialen Oberstufe entsprochen haben mag) fertig ist und sogar ein wenig von der deutschen Sprache beherrscht, tritt er sogleich in die hannöversche Armee ein. Zwei Monate später ist er schon Rittmeister, im nächsten Jahr schon Oberst. Man wird da schnell befördert, wenn man der Sohn vom englischen König ist, wenige Jahre später ist er schon General. Er ist zwar bei irgendwelchen Bataillen dabei und wird auch zweimal verwundet, aber von einer großartigen militärischen Begabung kann man bei dem jungen Prinzen nicht reden.Trotzdem wird er zwei Jahre vor der Schlacht von Waterloo zum Feldmarschall befördert. Ein Dienstgrad, den sich sein älterer Bruder selbst verlieh, als er ➱König wurde.

Den weiteren Lebensweg von Ernst August lassen wir lieber unkommentiert. Irgendwie hat der Unterricht in morality bei Professor Feder in Göttingen nichts genutzt. Da ist das böse Gerücht, dass er seine Schwester Sophia vergewaltigt haben soll. Da ist diese ungeklärte Sellis Affäre, die seinen Kammerdiener das Leben kostet und Ernst August zahlreiche Hieb- und Stichwunden einbringt. Es gibt dazu die verschiedensten Theorien. Joseph Sellis soll den Prinzen im Bett mit dem Diener Cornelius Neale entdeckt haben, der Prinz soll ihn dann ermordet haben, um einen unliebsamen Zeugen zu beseitigen. Ein Mord im St James Palace ist natürlich ein schöner Titel für einen Krimi, ist aber schlecht für die Reputation. Auf diesem politischen Cartoon A Voice from the Graves von Thomas Jones wird Ernst August, inzwischen Herzog von Cumberland, von den Geistern von Joseph Ellis und Lord Graves heimgesucht. Das Bild erschien 1830, als sich Lord Graves gerade mit dem Rasiermesser umgebracht hatte, weil ihm Gerüchte zugetragen worden waren, dass Ernst August eine Affäre mit seiner Frau hätte. Hence, horrible shadow! Unreal mockery, hence! sagt Ernst August hier, Shakespeares Macbeth zitierend, aber die Schatten wird er nie loswerden.

Ernst August hat definitiv eine schlechte Presse, vielleicht sind aber auch nur die politischen Feinde des erzkonservativen Ernst August, der sich ständig in die englische Politik einmischt, daran schuld. Auch seine Hochzeit mit der Schwester der preußischem Königin Luise verbessert seinen Ruf nicht. Seine Gattin wird niemals bei Hofe empfangen werden. Aber es gibt doch einen, der Nettes über ihn sagt und dem frischvermählten Paar am 15. August 1815 ein Gelegenheitsgedicht schreibt:

Wohlerleuchtet, glühend-milde
Zog der Fluß im Abendschein,
Über Brück und Stadtgebilde
Finsternisse sanken ein. 


Doch am Morgen ward es klar,
Neu beganns umher zu grünen
Nach der Nacht, wo jenes Paar
Sternengleich uns angeschienen.


Ahnen Sie, wer sich da Sternengleich uns angeschienen einschleimt? Ja, richtig. Es ist kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe. Und das bringt mich mit einem schönen Übergang zur Literatur und zu Büchern. Weil ich ein Buch besitze, das einmal dem König Ernst August I gehört hat. Memoirs and Campaigns of Charles John, Prince Royal of Sweden (London, 1814), schön rot gestempelt mit Suscipere et Finire ex Bibliotheca Fideicomm. Ernesti Aug. Ich bin nicht der einzige, der so etwas hat, weil vor vierzig Jahren bei Hauswedell in Hamburg die Königliche Ernst August Fideicommiß-Bibliothek versteigert wurde. 80.000 Bände. Brauchte der junge Welfenprinz, der den gleichen Namen trägt, wie der königliche Vorbesitzer, dringend Geld? Die Verramschung der Bibliothek wurde in vielen Zeitungen als eine Schande für das Welfenhaus empfunden, zumal das Wort Fideikommissbibliothek ja eben meint, dass sie nicht veräußert werden dufte. Der hannöversche Wappenspruch suscipere et finire bekommt eine neue Bedeutung.

Ich habe noch ein zweites Buch, das mich mit Hannover verbindet, nämlich ein Hof- und Staatshandbuch für das Königreich Hannover. Habe ich von Nachbarn geschenkt bekommen, als die wegzogen. Ich war fünfzehn oder sechzehn, Arno Schmidts Das steinerne Herz war gerade erschienen. Was ich natürlich nicht wusste, weil ich erst ab achtzehn Arno Schmidt Leser war. Doch als ich den Roman dann las, konnte ich mitreden. Zwar besaß ich nicht Heinrich Ringklibs Statistische Uebersicht der Eintheilung des Königreichs Hannover nach Verwaltungs- und Gerichtsbezirken, aber ich hatte das hannöversche Staatshandbuch von 1852 (das erste nach dem Tod von Ernst August) beinahe auswendig gelernt. Wenn Sie wissen wollen, wie viel Pferde, Kühe, Schweine, Schafe und Ziegen im Jahr 1851 im Bezirk Lesum-Schönebeck registriert sind, fragen Sie mich.

Wenn man sich in dem Staatshandbuch von 1852 die Universität Göttingen anschaut, dann sieht das da ein bisschen mickrig aus. Und der Grund dafür ist sicher wieder unser Ernst August. Weil dieser Mann, der einmal geschrieben hatte I should be one of the most ungrateful of men if ever I was forgetful of all I owe to Göttingen & its professors gleich zu seinem Amtsantritt sieben Professoren feuerte. Die berühmten Göttinger Sieben. Danach ging für lange Zeit kein renommierter Professor freiwillig nach Hannover. Einen König von Hannover gibt es heute nicht mehr. Dafür hat Bismarck gesorgt. Hat dem König sein Privatvermögen weggenommen und daraus seinen Reptilienfond zum Bestechen von Journalisten gemacht. Wahrscheinlich kriegt die Bild Zeitung daraus heute noch Geld, damit sie böse Artikel über den armen Ernst August schreibt.



Posts in diesem Blog, in denen Hannover vorkommt: ➱Hannover, ➱Hannover 96, ➱Heinrich Hannover

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