Mittwoch, 20. September 2017

Theodor Storm


Theodor Storm hat in diesem Jahr ein Jubiläum. Ich bemerkte das in den Zeitungen, überall war von ihm die Rede. Nur nicht in diesem Blog. Ein Leser hat das beklagt. Fragte mich, ob mir das zu viel Spökenkiekerei bei Storm wäre. Dabei wäre ich vorbereitet gewesen, um am 14. September, dem 200. Geburtstag von Storm, etwas zu schreiben. Ich hatte letztens Bücher aufgeräumt und bei dieser schönen Tätigkeit zwei Bücher über Storm gefunden. Das erste war die Biographie von Karl Ernst Laage Theodor Storm: Leben und Werk. Grundsolide, substantiell, manchmal ein wenig langweilig. Obwohl nicht unwitzig. Das Ganze wirkt wie ein umgestürzter Zettelkasten der jahrzehntelangen Forschung. Und dennoch gibt es immer wieder Interessantes. Von der manchmal exzentrischen Kleidung Storms bis zu den hölzernen Eulen, die der junge Emil Nolde ihm für den Schreibtisch schnitzt. Der Autor, der auch das Storm Archiv und das Storm Museum aufgebaut hat, besitzt leider keinen Wikipedia Artikel, da sollten die Storm Fans vielleicht einmal tätig werden.

Karl Ernst Laage, der in diesem Jahr im Alter von siebenundneunzig Jahren starb, war sicherlich der führende Mann, was die Forschung zu Storm betrifft. Vielleicht hätte es die ohne ihn gar nicht gegeben. Er folgte seinem Vater Carl Laage als Sekretär der Storm Gesellschaft und wurde auch der Vorsitzende der Gesellschaft. Wenn Sie ein Buch über Storm lesen wollen, dann sollten Sie mit diesem Buch anfangen, dem der Autor ein Zitat von Thomas Mann voranstellt: Storm: ein vergeistigter Schifferkopf, etwas schräg gehalten, Wetterfältchen in den Winkeln der zugleich träumerischen und spähenden blauen Augen, die Bitternis hochbedürftiger und skrupulöser Anstrengung um den Mund ... Man erfährt natürlich auch viel über Storm, wenn man seinen Briefwechsel mit Theodor Fontane oder Ludwig Pietschs ➱Wie ich Schriftsteller geworden bin: Der wunderliche Roman meines Lebens liest. Den Pietsch, den mir ➱Friedrich Hübner geschenkt hat, kann ich unbedingt empfehlen. Und das gerade erschienene ➱Storm-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung sollte man wahrscheinlich auch empfehlen.

Die zweite Biographie kann man sicher auch empfehlen, weil man eigentlich alle Bücher von Heinrich Detering (der einmal Ordinarius in Kiel war) empfehlen kann. Das Buch heißt Kindheitsspuren: Theodor Storm und das Ende der Romantik, und es ist Karl Ernst Laage zum neunzigsten Geburtstag gewidmet. Und das ist ein schönes Geschenk, das der neue Vorsitzende der Storm Gesellschaft seinem Vorgänger da macht. Es gibt noch eine neuere Biographie (da hat sich seit der Biographie von Franz Stuckert, die 1955 bei Schünemann in Bremen erschien, viel getan) von Jochen Missfeldt, einem ehemaligen Bundeswehr Piloten, der jetzt Schriftsteller ist. Sie wurde etwas gemischt aufgenommen, kann man bestimmt lesen. Man sollte aber bedenken, dass der Autor nicht das philologische Rüstzeug mitbringen kann, das Laage und Detering zur Verfügung steht.

So betont er dann eher das Sensationelle, was vielleicht Leser bringt, und bringt wieder einmal die abgedroschene Sache mit der angeblichen Pädophilie Storms aufs Tapet. Detering geht bei der Präsentation der Bertha von Buchan Geschichte sehr viel feinfühliger vor. Aber auch bei ihm hat sich die Kleine auf das Umschlagsbild verirrt. Detering hatte schon vorher in dem Buch Zwischen Mignon und Lulu: Das Phantasma der Kindsbraut in Biedermeier und Realismus über das Thema geschrieben. Pädophilie? erste Liebe? Verbalerotik? - durch Bertha von Buchan wird Storm zum ➱Dichter:

Aus eigenem Herzen geboren,
Nie besessen, dennoch verloren. 


Ihr Aug' ist blau, nachtbraun ihr lockicht Haar,
Ein Schelmenmund, wie jemals einer war,
Ein launisch' Kind; doch all' ihr Widerstreben
Bezwingt ihr Herz, das mir so ganz ergeben.


Wir sollten ihn als Dichter nicht unterschätzen, nicht nur, weil er Knecht Ruprecht geschrieben hat. Er gibt mit seiner leisen Wehmut viel, vor allem in seinen ➱Liebesgedichten:

Heute, nur heute
Bin ich so schön;
Morgen, ach morgen
Muß alles vergehn!
Nur diese Stunde
Bist du noch mein;
Sterben, ach sterben
Soll ich allein.


Thomas Mann, der in ihm einen Geistesverwandten sah, bescheinigte ihm die absolute Weltwürde der Dichtung und schrieb: Korrekt gerade ist eigentlich nichts bei Storm — als so begehrenswert ihm selbst das Bild des gemütvoll Korrekten möge ... so versucht und bemüht er gewesen sein mag, sein Leben und Wesen nach diesem Wunschbilde zu stilisieren. Was von Storm kam, ist nicht Storm; er setzt sich durch Anspruch, Kraft, Feinheit, Präzision, Persönlichkeit, Kunstgetragenheit gegen alles schlaff Bürgerliche ab, das an ihn .anzuknüpfen' meinte, wie er sich eben dadurch, durch sein Künstlertum einfach, schon gegen den spätromantischen Dilettantismus absetzte, von dem seine eigene Zeit wimmelte. Das Fazit von Manns Aufsatz zu Theodor Storm war: Er ist ein Meister, er bleibt.

Mein Vater liebte Theodor Storm. Immer wenn wir nach Sylt oder ➱Dänemark fuhren, nahmen wir die Elbfähre und trödelten langsam die Westküste entlang. Mein Vater kam aus der Gegend, er hatte uns immer etwas zu zeigen. Reimer Bull (der ➱hier einen Post hat) kam auch daher. Er erzählte mir einmal eine Geschichte, die mit einem Ortsnamen begann, und er fügte hinzu: Sie werden nicht wissen, wo das ist. Woraufhin ich ihm ins Wort fiel und sagte: Und ob ich das weiß, mein Vater ist dort geboren.

Ich stieg ganz gewaltig in Reimer Bulls Achtung. Vielleicht waren es Sätze wie diese, die meinen Vater zu Storm brachten: In der Landschaft, wo ich geboren wurde, liegt, freilich nur für den, der die Wünschelrute zu handhaben weiß, die Poesie auf Heiden und Mooren, an der Meeresküste und an den feierlich schweigenden Weideflächen hinter den Deichen; die Menschen selber dort brauchen die Poesie nicht und graben nicht danach. Unsere Westküstenfahrt führte uns immer durch Husum, und jedes Mal - Sie ahnen schon, was kommt - fühlte sich mein Vater genötigt, das Gedicht von der grauen Stadt am Meer zu rezitieren. Ich kann es immer noch auswendig.

Ich habe am 14. September, dem 200. Geburtstag von Theodor Storm, nichts über Storm geschrieben. Nichts über die Husumerei und die Provinzsimpelei, die Fontane ihm vorwarf. Es hat einen simplen Grund: ich habe zu wenig von Storm gelesen. Dies Bild von ➱Friedel Anderson vom Husumer Hafen stammt aus einer Hommage an Theodor Storm und es lässt mich noch einmal zu der Husumerei zurückkehren. Es ist mit Fontanes Berliner Snobismus zu kurz gedacht, denn letztlich macht Fontane nichts anderes als Storm, er schreibt über seine Heimat.

You have to have somewhere to start from: then you begin to learn. It dont matter where it was, just so you remember it and aint ashamed of it. Because one place to start from is just as important as any other. You’re a country boy; all you know is that little patch up there in Mississippi where you started from, hat Sherwood Anderson zu William Faulkner gesagt. Und Faulkner schreibt that little patch up there in Mississippi auf die Landkarte der Weltliteratur. Er nennt es Yoknapatawpha, es ist sein Husum.

Natürlich habe ich den ➱Schimmelreiter gelesen, diese Geschichte des Hauke Haien, einer langen Friesengestalt mit klugen grauen Augen. Viele Leser haben das autobiographisch gelesen. Aber Storm war keine lange Friesengestalt, er war mittelgroß und ging leicht gebeugt. Natürlich habe ich auch den ➱Film gesehen, den habe ich in diesem Blog immer wieder mal erwähnt. Mein erstes Storm Erlebnis war aber nicht der reitende Deichgraf, sondern ein Buch, das den rätselhaften Titel ➱Aquis Submersus hatte. Es war eine alte Reclam Ausgabe aus den dreißiger Jahren, die ich bei meinem Opa fand und mir erst einmal mopste. Die Novelle beeindruckte mich damals sehr, und die Spökenkierei und das Geheimnisvolle von Storm war auch hier zu finden:

Unter all diesen seltsamen oder wohl gar unheimlichen Dingen hing im Schiff der Kirche das unschuldige Bildnis eines toten Kindes, eines schönen, etwa fünfjährigen Knaben, der, auf einem mit Spitzen besetzten Kissen ruhend, eine weiße Wasserlilie in seiner kleinen bleichen Hand hielt. Aus dem zarten Antlitz sprach neben dem Grauen des Todes, wie hülfeflehend, noch eine letzte holde Spur des Lebens; ein unwiderstehliches Mitleid befiel mich, wenn ich vor diesem Bilde stand.

Das bleibt im Gedächtnis, das werden wir nicht mehr los. Und dieses Bild, auf dem wir auch das aquis submersus finden, bleibt blass gegen das Stormsche Bild. Die deutschen Erzähler des 19. Jahrhunderts lieben es, eine Portion des Unheimlichen in ihre Erzählungen zu mischen. Ob das der Chinese in ➱Effie Briest ist oder dieser Reiter auf dem Deich, den Storm lange im Kopf hat und den er erst in einen Roman schreibt, wenn er schon am ➱Sterben ist. Aquis Submersus ist halb so lang wie der ➱Schimmelreiter, beides sind Novellen. Keine Romane. Storm hätte nicht ➱Krieg und Frieden oder ➱Vor dem Sturm schreiben können. Die Engländer schreiben im 19. Jahrhundert dreibändige Romane, die Deutschen perfektionieren die Novelle. Von ➱Michael Kohlhaas bis ➱Leutnant Gustl.

Manchmal sind Storms Novellen historische Erzählungen, Chroniken (Aquis SubmersusRenateEekenhofZur Chronik von Grieshuus und Ein Fest auf Haderslevhuus). Eine hat sogar das Wort Chronik im Titel (Zur Chronik von Grieshuus). In den Chroniken müssen wir mit dem Erzähler abwärts steigen in die Vergangenheit. Und irgendwann treffen wir auf den ersten Erzähler, dessen Name in dem noch erhaltenen Kirchenbuche verzeichnet steht, wie es in Eekholt heißt. Es bleibt häufig nicht bei dem einen Erzähler, Storm erzählt verschachtelt, manchmal erinnert das an ➱Emily Brontë. Wenn man das Ganze kürzer haben will, weil unsere Zeit keine Zeit mehr hat, dann muss man zu Twitter gehen. Dort schreibt der Schimmelreiter selbst unter ➱Schimmelreiter live @storms_hauke.

Fontane füllt in meinen Regalen einige Meter, Wilhelm Raabe hat auch einen guten Meter. Storm nur die zwei Bände der Tempel Klassiker. Und die habe ich auch nur zufällig in der zweiten Reihe gefunden, weil ich letztens das Regal der Autoren, deren Name mit S anfängt, geordnet habe. Hatte ➱Stifters ➱Nachsommer in der Hand (immer noch nicht zu Ende gelesen) und dann den ganzen ➱Arno Schmidt. Da herrscht jetzt schöne Ordnung, das würde Arno gefallen. Er hat ja auch mal gesagt: Ich bin seit einigen Jahren so weit, dass die deutsche Literatur für mich mit Stifter und Storm aufhört. Wo Arno Schmidts Regalwelt aufhört, fängt ➱Albert Vigoleis Thelen an. Und Storm in der zweiten Reihe, das hat Symbolwert. Ich glaube, ich stelle ihn mal nach vorn.

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